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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 10.07.2002
Aktenzeichen: 4 Ss 172/2002
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 418 Abs. 1
Beanstandet der Revisionsführer, das Amtsgericht habe im beschleunigten Verfahren entgegen § 418 Abs. 1 StPO die Hauptverhandlung nicht innerhalb kurzer Frist durchgeführt, so sind im Rahmen der insoweit zu erhebenden Verfahrensrüge Tatsachen darzulegen, aus denen sich ergibt, dass das Urteil möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn es im Normalverfahren ergangen wäre.
Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ss 172/2002

vom 10. Juli 2002

in der Strafsache gegen

wegen Diebstahls.

Tenor:

1. Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Tübingen vom 30. Januar 2002 wird als unzulässig verworfen.

2. Die Kosten des Revisionsverfahrens und die dem Angeklagten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

1. Die Staatsanwaltschaft beantragte am 11. Januar 2002 beim Amtsgericht wegen eines am 08. Oktober 2001 verübten Diebstahls Entscheidung im beschleunigten Verfahren. Das Amtsgericht bestimmte noch am gleichen Tage Termin zur Hauptverhandlung auf den 30, Januar 2002. An diesem Tag verurteilte es den Angeklagten zu der Freiheitsstrafe von zwei Monaten, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. Gegen diese Entscheidung hat die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Revision eingelegt, die sie mit der Verletzung formellen Rechts begründet. Das Amtsgericht hätte nicht im beschleunigten Verfahren entscheiden dürfen. Nach der Rechtsprechung des Oberlandesgerichts Stuttgart sei ein Verfahren nur dann zur sofortigen Verhandlung geeignet, wenn Termin zur Hauptverhandlung innerhalb kurzer Frist anberaumt und diese voraussichtlich in einem Termin abgeschlossen werden könne. Die Hauptverhandlung sei deshalb sofort nach Antragstellung oder in kurzer Frist durchzuführen, die zwei Wochen nicht überschreiten solle. Der Strafrichter habe im vorliegenden Verfahren die unverzüglich terminierte Hauptverhandlung nicht innerhalb dieser Zwei-Wochen-Frist durchgeführt, sondern erst verhandelt, nachdem fast drei Wochen seit Antragstellung vergangen wären. Dieser Verfahrensfehler müsse zur Aufhebung des Urteils führen.

2. Das Rechtsmittel ist unzulässig, da die Rechtsmittelführerin entgegen § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO die den Mangel enthaltenden Tatsachen nicht vollständig mitgeteilt hat.

a) Die Staatsanwaltschaft hat wegen des von ihr geltend gemachten Fehlers zu Recht die Verfahrensrüge erhoben; ihr Vorbringen ist nicht dahingehend auszulegen, dass lediglich auf ein von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis hingewiesen wird.

Führt das Amtsgericht die Hauptverhandlung nicht sofort oder in kurzer Frist (§ 418 Abs. 1 StPO) durch, so ist die Sache nicht zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren geeignet. In einem solchen Fall hat das Gericht gemäß § 419 Abs. 3 1. Hs. StPO bei hinreichendem Tatverdacht die Eröffnung des Hauptverfahrens zu beschließen. Verkennt das Gericht die Bedeutung des Begriffs "sofort oder in kurzer Frist" und wird gleichwohl ohne Eröffnungsbeschluss im beschleunigten Verfahren verhandelt und entschieden und nicht in das "Normalverfahren" mit Eröffnungsbeschluss übergegangen, so liegt nicht das Verfahrenshindernis des fehlenden Eröffnungsbeschlusses im "Normalverfahren", sondern ein Verfahrensfehler im beschleunigten Verfahren vor. Dies dürfte der derzeit herrschenden Meinung entsprechen (vgl. OLG Stuttgart - 1. Strafsenat -, Beschluss vom 28. Januar 1998 - 1 Ss 9/98; Beschluss vom 19. Juni 1998 - 1 Ss 331/98 = NJW 1998, 3134; Beschluss vom 11. August 1998 - 1 Ws 123/98 = NJW 1999, 511 mit Anm. Scheffler NStZ 1999, 268; BayObLGSt 2000, 22; OLG Hamburg NStZ 1999, 266 - Vorlagebeschluss gemäß § 121 Abs. 2 GVG, der später zurückgenommen wurde, vgl. OLG Hamburg OLGSt StPO § 419 Nr. 3; OLG Köln, Beschluss vom 29. Juni 1999 - Ss 125/99; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 419 Rdnr. 12; Scheffler a.a.O.; a.A. - von Amts wegen zu berücksichtigendes Verfahrenshindernis - OLG Düsseldorf, NStZ 1997, 613 und in OLGSt StPO § 417 Nr. 3; Müller NStZ 2000, 108).

b) Der Senat kann jedoch anhand der in der Revisionsbegründungsschrift mitgeteilten Tatsachen nicht überprüfen, ob das Urteil des Amtsgerichts möglicherweise auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler beruht (§ 337 Abs. 1 StPO; vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 337 Rdnr. 37). Zum Beruhen selbst braucht der Revisionsführer zwar keine Ausführungen zu machen, er muss aber die Tatsachen mitteilen, aufgrund derer die Beruhensfrage überprüft werden kann (BGHSt 30, 131 (135)). Hieran fehlt es.

Die Beschwerdeführerin trägt lediglich vor, der von ihr gerügte Verfahrensfehler müsse zur Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts führen. Nicht wird dargelegt, dass das im beschleunigten Verfahren ergangene Urteil möglicherweise anders ausgefallen wäre, wenn es im "Normalverfahren" verkündet worden wäre. Ein solcher Vortrag wäre indes notwendig gewesen. Das Urteil des Amtsgerichts beruht nämlich nicht schon deshalb auf dem behaupteten Verfahrensfehler der Überschreitung der Frist des § 418 Abs. 1 StPO, weil richtigerweise in das "Normalverfahren" hätte übergeleitet werden müssen (§ 419 Abs. 3 1. HS StPO), so dass im beschleunigten Verfahren überhaupt kein Urteil hätte ergehen dürfen (hiervon geht der 1. Strafsenat des OLG Stuttgart im Beschluss vom 19. Juni 1998 aus; in den genannten Verfahren des BayObLG und des OLG Hamburg OLGSt StPO § 419 Nr. 3 sind keine entsprechenden Rügen erhoben worden). Ausschlaggebend ist vielmehr, ob ein rechtsfehlerfreies Verfahren möglicherweise zu einem anderen Urteil geführt hätte (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner a.a.O. § 337 Rdnr. 38). Rechtsfehlerfrei wäre das Amtsgericht - unterstellt, es hätte gegen § 418 Abs. 1 StPO verstoßen - verfahren, wenn es das beschleunigte Verfahren gemäß § 419 Abs. 3 1. HS StPO in das "Normalverfahren" übergeleitet hätte. Ist auszuschließen, dass im "Normalverfahren" ein Urteil anderen Inhalts ergangen wäre, fehlt es an einem "Beruhen" im Sinne des § 337 Abs. 1 StPO. Es kommt deshalb darauf an, ob das Urteil des Amtsgerichts möglicherweise durch verfahrensrechtliche Besonderheiten beeinflusst ist, die nur für das beschleunigte Verfahren gelten und durch die sich dieses Verfahren vom "Normalverfahren" abhebt. Da vorliegend die Staatsanwaltschaft zu Ungunsten des Angeklagten Revision eingelegt hat, scheiden solche Normen aus, die nur zu Gunsten des Angeklagten erlassen sind (§ 339 StPO). Gerügt werden könnte insbesondere, das Amtsgericht habe von den Beweiserleichterungen des § 420 StPO Gebrauch gemacht, was Auswirkungen auf das Urteil gehabt hätte (etwa Ablehnung eines Beweisantrages unter den gegenüber §244 Abs. 3 StPO erleichterten Voraussetzungen des § 420 Abs. 4 StPO). Entsprechendes wurde von der Revisionsführerin nicht vorgetragen. Dies hat zur Folge, dass die Verfahrensrüge nicht in der gebotenen Form ausgeführt wurde. Da die Sachrüge nicht erhoben wurde, ist das Rechtsmittel insgesamt unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 StPO.

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