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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 10.01.2003
Aktenzeichen: 4 Ws 274/02
Rechtsgebiete: StPO, ZPO, RPflG, BRAGO, GKG
Vorschriften:
StPO § 38 | |
StPO § 220 Abs. 1 | |
StPO § 220 Abs. 3 | |
StPO § 354 Abs. 2 Satz 1 | |
StPO § 464b Satz 3 | |
StPO § 484a Abs. 2 | |
ZPO § 104 Abs.3 Satz 1 | |
RPflG § 11 Abs. 1n | |
RPflG § 21 Nr. 1 | |
BRAGO § 97 Abs. 2 | |
BRAGO § 126 Abs. 2 | |
GKG § 11 |
2. Wird der Sachverständige vom Angeklagten geladen oder von diesem in die Sitzung gestellt, stellen die Kosten für das von ihm veranlasste Gutachten nur ausnahmsweise notwendige Auslagen im Sinne des § 484a Abs. 2 StPO dar.
Oberlandesgericht Stuttgart 4. Strafsenat Beschluss
Geschäftsnummer: 4 Ws 274/02
vom 10. Januar 2003
in der Strafsache
wegen Vorwurf des Mordes;
hier Kostenfestsetzung.
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der früheren Angeklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 19. März 2002 wird als unbegründet verworfen.
Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Der Beschwerdeweg wird auf (in Worten: neuntausendfünfhundertsechsundsiebzig Euro) festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin wurde durch Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 3. November 1995 wegen Mordes verurteilt.
Bereits vor Beginn dieser Hauptverhandlung stellte die damalige Angeklagte einen Antrag auf Hinzuziehung Sachverständigen Professor Dr. B. aus der Schweiz. Dieser Antrag wurde mit Beschluss der Kammer vom 11. September 1995 abgelehnt und eine andere Sachverständige beauftragt, da diese durch zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen auf rechtsmedizinisch-toxikologischem Gebiet hervorgetreten sei und auf dem Gebiet der Vergiftung durch Schwermetalle, was für die Strafsache relevant war, über umfangreiche Erfahrungen verfüge, während wissenschaftliche Veröffentlichungen von Professor 3. auf diesem Gebiet nicht bekannt geworden seien. Daraufhin ließ die Angeklagte den Sachverständigen unmittelbar laden und er wurde in der Hauptverhandlung auf Antrag der Verteidigung gehört.
Außerdem wurde der Sachverständige Professor Dr. Dr. v. C. von der Verteidigung als deren sachverständiger Gehilfe zur Hauptverhandlung vor dem Landgericht Stuttgart hinzugezogen.
Nach Aufhebung dieses Urteils im Revisionsverfahren und Zurückverweisung der Strafsache an das Landgericht Heilbronn wurde die Angeklagte durch Urteil dieses Gerichts vom 25. Juli 1997 erneut wegen Mordes verurteilt.
In dieser zweiten tatrichterlichen Hauptverhandlung vor dem Landgericht Heilbronn wurde der psychologische Sachverständige Professor Dr. H. von der Verteidigung in die Sitzung gestellt und entsprechend eines Antrags der Verteidigung vernommen.
Schließlich wurde die Diplom-Psychologin L. von der Verteidigung zur Begutachtung der abgehörten Telefongespräche der Angeklagten beauftragt.
Auf ihre gegen das letztgenannte Urteil gerichtete Revision sprach der Bundesgerichtshof die Angeklagte am 19. Januar 1999 rechtskräftig vom Vorwurf des Mordes frei. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Angeklagten wurden der Staatskasse auferlegt.
In einem (ergänzenden) Kostenfestsetzungsantrag vom 14. Dezember 1999 beantragte der Verteidiger der Beschwerdeführerin die Erstattung der von ihr während des Strafverfahrens erbrachten Auslagen für die vier oben genannten Sachverständigen bzw. sachverständigen Gehilfen, welche die Angeklagte selbst beauftragt und hinzugezogen hatte. Dieser Festsetzungsantrag wurde durch Beschluss des Landgerichts Heilbronn vom 19. März 2002 zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich das vorliegende Rechtsmitte? der Angeklagten.
II.
Die sofortige Beschwerde nach § 464b Satz 3 StPO i.V.m. § 104 Abs.3 Satz 1 ZPO und §§ 21 Nr. 1, 11 Abs. 1 RPflG ist zulässig, jedoch nicht begründet.
1. Der Rechtspfleger des Landgerichts Heilbronn, der den angefochtenen Beschluss erlassen hat, war für diese Entscheidung nicht zuständig. Zuständig nach Zurückverweisung einer Sache an ein anderes Gericht ist der Rechtspfleger des Gerichts, das zuerst entschieden hatte. Die Zurückweisung an ein anderes Gericht nach § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO bestimmt nur die weitere Zuständigkeit für das Erkenntnisverfahren für das Kostenfestsetzungsverfahren ist das zuerst mit dem Verfahren Gericht zuständig (BGH NStZ 1991, 145).
Im Falle einer örtlichen Unzuständigkeit des Erstgerichts hat das Beschwerdegericht grundsätzlich den angefochtenen Beschluss aufzuheben und eine Entscheidung über den gestellten Antrag abzulehnen. Da aber vorliegend das Landgericht Stuttgart als örtlich zuständiges Gericht ebenfalls im Zuständigkeitsbereich des Oberlandesgericht Stuttgart liegt, trifft das Beschwerdegericht die Entscheidung in der Sache (OLG Nürnberg StraFo 2000, 280).
2. In der Sache ist die vorliegende Beschwerde nicht begründet. Wird der Sachverständige durch das Gericht geladen, weil es dessen Anhörung aufgrund der Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO), aufgrund eines Beweisantrages (§ 244 Abs. 3, 4 StPO) oder aufgrund einer Beweisanregung (§ 244 Abs. 2 StPO) für geboten hält, erfolgt dessen Entschädigung nach dem ZSEG. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Angeklagte den Sachverständigen gemäß §§ 220 Abs. 1, 38 StPO lädt oder ihn "formlos" in die Sitzung stellt und das Gericht ihn daraufhin aufgrund eines Beweisantrages (§ 245 Abs. 2 Satz 1 StPO) oder von Amts wegen (§ 244 Abs. 2 StPO) vernimmt. Nach einhelliger Ansicht in der Rechtsprechung (OLG Düsseldorf 1997, 511; HansOLG Hamburg MDR 1975, 74; OLG Hamm 1989, 588; KG 1999, 476; OLG Karlsruhe Die Justiz 1976, 266; OLG Koblenz N81Z-RR 2000, 64) sind nämlich Kosten für Gutachten, die von der Verteidigung oder dem Angeklagten in Auftrag gegeben wurden, grundsätzlich nicht als notwendige Auslagen gem. § 464 a Abs. 2 StPO zu erstatten, weil die Interessen des Angeklagten im Strafverfahren durch die gesetzliche Verpflichtung der Ermittlungsbehörden und Gerichte zur vollständigen Sachaufklärung hinreichend gewahrt sind, durch Beweisanregungen und Beweisanträge jederzeit aktiviert werden können und durch den Grundsatz in dublo pro reo genügend geschützt sind. Die Erstattung von Auslagen für vom Angeklagten veranlasste Gutachten kann nur in ganz besonderen, seltenen Ausnahmefällen erfolgen.
Trotz kritischer Stimmen in Teilen der Literatur (Jakubetz JurBüro 1999, 564; Dahs NStZ 1991, 354) sieht der Senat keinen Anlass für eine Abweichung VOR diesem Grundsatz, der auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, da es kein Prinzip der StPO gibt, wonach einem nicht verurteilten Beschuldigten sämtliche Auslagen erstattet werden müssten (BVerfG NJW 1985, 727).
Bei einer regelmäßigen Erstattung der Auslagen für sogenannte Privatgutachten würde der Anreiz, derartige Gutachten einzuholen, erhöht, was eine ungerechte weitere Bevorzugung finanziell gut ausgestatteter Angeklagten zufolge hätte, da in der Regel nur diese in der Lage sind, die teilweise nicht unerheblichen Kosten für die Einholung von Sachverständigengutachten zunächst zu bezahlen. Es erscheint daher nicht unangemessen, wenn vom Angeklagten vor Einholung eines Privatgutachtens verlangt wird, den Strafverfolgungsbehörden, beispielsweise durch eine Beweisanregung oder einen Beweisantrag, Gelegenheit zu geben, eigene Ermittlungen anzustellen beziehungsweise zu beurteilen, ob die hierfür notwendige Kosten zu vermeiden sind. Dies gilt umso mehr als auch der Pflichtverteidiger zur Vermeidung eines Kostenrisikos gehalten ist, gem. §§ 97 Abs. 2 i.V.m. 126 Abs. 2 BRAGO gerichtlich die Erforderlichkeit der Auslagen vorher feststellen zu lassen. Hierbei ist auch zu bedenken, dass staatliche Ermittlungen schon dann ausreichend sind, wenn sie unter Beachtung des Grundsatzes in dubio pro reo, wie vorliegend, zum Freispruch führen, während das Ziel der Verteidigung bei der Einholung derartiger Gutachten durchaus auch die positive Feststellung der Unschuld des Angeklagten sein kann.
Bei der Beurteilung der Erstattungsfähigkeit der Auslagen ist darauf abzuheben, ob der Angeklagte bzw. die Verteidigung im Zeitpunkt der Vornahme der Handlung davon ausgehen konnte, dass sie für die Abwehr des Anklagevorwurfes unbedingt notwendig waren oder dass sich anderenfalls seine Prozesslage alsbald verschlechtern würde (vgl. OLG'e Düsseldorf und Koblenz a.a.O.). Diese Notwendigkeit kann allerdings nur das erkennende Gericht, das den Verfahrensablauf selbst miterlebt hat, unmittelbar beurteilen. Sowohl der Kostenbeamte als auch das Beschwerdegericht müssen demgegenüber anhand des Antragsvorbringens und der Akten sowie des Endergebnisses des Verfahrens im Rückblick auf die Situation des Angeklagten bzw. der Verteidigung im Zeitpunkt der Einholung des Privatgutachtens rückschließen.
Vorliegend ist kein Ausnahmefall gegeben, der die Erstattung der Auslagen für die von der Angeklagten beauftragten Sachverständigen rechtfertigen würde. Allein der pauschale Vortrag der Verteidigung, es sich bei diesem Strafverfahren insgesamt um einen Ausnahmefall gehandelt habe, genügt nicht, um gleichzeitig auch in Kostenrechtlicher Hinsicht von einem Ausnahmefall bzgl. des oben genannten Grundsatzes der Rechtsprechung auszugehen.
Im Einzelnen ist zu den geltend gemachten Sachverständigenauslagen Folgendes auszuführen:
a) Prof. Dr. B.:
Auch wenn man annimmt, die Toxikologie zumindest bezüglich der tatrelevanten Beurteilung der erfolgten Arsenvergiftung ein abgelegenes und kompliziertes Sachgebiet darstellt, ist nicht ersichtlich, dass die Hinzuziehung des Sachverständigen Professor Dr. B. im vorgenannten Sinn geboten gewesen wäre. Mit Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 1. Dezember 1995 wurde nach § 220 Abs. 3 StPO eine Entschädigung des Sachverständigen aus der abgelehnt, weil die Vernehmung dieses Sachverständigen neben den Darlegungen der von der Strafkammer geladenen Sachverständigen zur Aufklärung der Sache nicht dienlich gewesen sei. Auch in der Entscheidung des Bundesgerichtshofs, in der das Urteil des Landgerichts Stuttgart aufgehoben wurde, wird das Gutachten dieses Sachverständigen nicht erwähnt. Es ist ebenfalls nicht ersichtlich, dass die Verteidigung mit einer erheblichen Verschlechterung der Prozesslage, wie etwa eines drohenden Beweisverlustes, ohne Beauftragung dieses Sachverständigen hätte rechnen müssen.
b) Prof. Dr. Dr. v. G.:
Auch wenn man in diesem Fall davon ausgeht, dass das toxikologische Sachgebiet, in dem der beauftragte Gutachter tätig war, abgelegen und kompliziert ist, erscheint eine ausnahmsweise Erstattung der Auslagen für diesen Sachverständigen nicht geboten, da dies allenfalls dann in Betracht kommt, wenn eine "Waffenungleichheit" zwischen der Verteidigung und den übrigen Prozessbeteiligten bestanden hätte und damit eventuell die Hinzuziehung eines sachverständigen Beraters zur Stellung von sachkundigen Fragen erforderlich gewesen wäre. Weder dem Antrag noch den Akten ist jedoch zu entnehmen, dass Staatsanwaltschaft und/oder Gericht aufgrund der geführten Ermittlungen einen Wissensvorsprung in diesem Fachgebiet gehabt hätten, da die Ermittlungsakten einschließlich der Gutachten allen Prozessbeteiligten bekannt waren und sie auch mündlich erstattete Gutachten der vom Gericht hinzugezogenen Sachverständigen erstmals in der Hauptverhandlung zu Gehör bekamen. Allen Prozessbeteiligten war es damit möglich, ausgehend von einem einheitlichen Wissensstand Fragen an die Sachverständigen zu stellen. Falls sich darüber hinaus Widersprüche zwischen den erstatteten Gutachten ergeben haben sollten, hätten diese durch Stellung eines entsprechenden Beweisantrags auf Einholung eines Gutachtens des von der Verteidigung gewünschten Sachverständigen beseitigt werden können. Dies ist offensichtlich auch in der erneuten Hauptverhandlung vor dem Landgericht Heilbronn, in deren Verlauf Professor Dr. Dr. C. als Sachverständiger gehört und in einem nachträglichen Beschluss als für die Sachaufklärung dienlich angesehen wurde, geschehen.
c) Prof. Dr. H.:
Auch in diesem Fall ist nicht ersichtlich, weshalb die Hinzuziehung diesem Sachverständigen notwendig war. Das Landgericht Heilbronn hatte nämlich von Amts wegen bereits zwei Sachverständige zu den Fragebereichen, zu denen der Sachverständige Professor Dr. H. gehört wurde, hinzugezogen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass Prof. Dr. H, über ein überlegenes Sachwissen verfügte.
d) Dipl.-Psychologin L:
Die Hinzuziehung dieser Sachverständigen war ebenfalls nicht notwendig. Für die Beseitigung angeblich unvollständiger beziehungsweise einseitiger Protokollierungen von Mitschnitten dar Telefongespräche der Angeklagten hätte ein Antrag auf Abspielen der Tonträger welche die aufgezeichneten Telefongespräche enthielten, ausgereicht. Außerdem waren, wie schon erwähnt, von Seiten des Gerichts bereits zwei psychologische Sachverständige hinzugezogen worden, denen dieselben Fragen bzgl. etwaiger Rückschlüsse aus diesen Gesprächen hätten gestellt werden können wie der von der Angeklagten hinzugezogenen Sachverständigen. Schließlich ist im Urteil des Landgerichts Heilbronn nur ein einziges Telefongespräch, welches die Angeklagte direkt betraf, und dies nur am Rande, erwähnt.
Zur Festsetzung des Beschwerdewertes, der der Summe der von der früheren Angeklagten geltend gemachten Beträge entspricht, vgl. § 11 GKG und Meyer Goßner a.a.O. § 464 b Rn. 10.
Ende der Entscheidung
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