Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.04.2009
Aktenzeichen: 4 Ws 49/09
Rechtsgebiete: BtMG, StPO


Vorschriften:

BtMG § 36 Abs. 1 Satz 3
BtMG § 36 Abs. 5 Satz 1
StPO § 462 a Abs. 1
1. Für die Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckung eines Strafrestes nach teilweiser Verbüßung der Strafe und anschließender Zurückstellung gem. § 35 BtMG ist nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das Gericht des ersten Rechtszuges zuständig, sofern sich der Verurteilte im Zeitpunkt der Entscheidung auf freiem Fuß befindet (im Anschluss an OLG Hamm MDR 1997,187).

2. Das Gericht des ersten Rechtszuges ist für die Entscheidung über die Strafaussetzung der Reststrafe zur Bewährung auch dann nach § 36 Abs.5 Satz 1 BtMG zuständig, wenn zwar in Folge der Anrechnung gem. § 36 Abs. 1 BtMG noch nicht zwei Drittel der Strafe verbüßt sind, es aber möglich erscheint, dass eine Behandlung in der Einrichtung nicht mehr erforderlich ist.


Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 4 Ws 49/09

vom 3. April 2009

in der Strafvollstreckungssache

wegen Diebstahls, unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln u.a.

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - X. vom 20. Februar 2009 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an das Amtsgericht X. verwiesen.

Gründe:

I.

Der Verurteile befand sich in dieser Sache seit dem 21. August 2007 in Untersuchungshaft. Das Amtgericht verurteilte ihn am 21. November 2007 wegen räuberischen Diebstahls, Diebstahls und unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel zu einer Gesamtsfreiheitsstrafe von zwei Jahren ohne Strafaussetzung zur Bewährung. Seine gegen diese Entscheidung eingelegte Berufung verwarf das Landgericht am 16. April 2008. Das Urteil wurde am selben Tage rechtskräftig. Der Beschwerdeführer befand sich deshalb seit diesem Tag in Strafhaft. Die Staatsanwaltschaft stellte sodann die weitere Vollstreckung der Strafe gemäß § 35 BtMG für die Dauer der Heilbehandlung zurück. In der Zeit vom 28. April 2008 bis 29. September 2008 hielt sich der Verurteilte in der Therapieeinrichtung "t." auf. Er beendete die Therapie "vorzeitig regulär". Zwar hätte eine Abstinenz von Drogen erreicht werden können, jedoch sei eine weitere Behandlung der Drogenproblematik aufgrund fehlender Öffnungsbereitschaft nicht möglich gewesen. Deshalb sei eine langfristig günstige Prognose bezüglich des Umgangs mit Alkohol und Drogen nicht möglich. Seither ist der Beschwerdeführer auf freiem Fuß. Der Halbstrafenzeitpunkt war auf den 19. August 2008 notiert, zwei Drittel der Strafe wären am 18. Dezember 2008 vollstreckt gewesen.

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung der Vollstreckung des Restes der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Stuttgart vom 21. November 2007 nach Verbüßung der Hälfte der Strafe abgelehnt (§ 57 Abs. 2 StGB), da trotz regulärer Beendigung der Therapie nicht von einer langfristigen Heilung des Beschwerdeführers ausgegangen werden könne.

Hiergegen hat der Verurteilte sofortige Beschwerde eingelegt und beantragt, den Strafrest gemäß § 36 Abs.1 BtMG zur Bewährung auszusetzen. Zur Begründung legt er eine Stellungnahme der Therapieeinrichtung vom 13. März 2009 vor, wonach eine Auflage zur Weiterbehandlung im ambulanten Rahmen sowie der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe die wirksamste Maßnahme sei, um die Drogenfreiheit zu stabilisieren und erneuter Straffälligkeit vorzubeugen. Hingegen sei von einer erneuten Inhaftierung keine langfristig abstinenzsichernde Wirkung zu erwarten.

II.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 454 Abs. 3 Satz 1 StPO) und hat vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil die Strafvollstreckungskammer für die getroffene Entscheidung sachlich nicht zuständig war. Zuständig ist vielmehr das Amtsgericht als Gericht des ersten Rechtszuges.

1. Zwar fällt nach den allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen der §§ 462a Abs.1 Satz 1 und 2, 454 Abs.1 StPO i.V.m. § 57 StGB die Entscheidung über die Aussetzung der Restfreiheitsstrafe zur Bewährung in die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer. Jedoch enthält § 36 Abs. 5, Abs. 1 Satz 3 BtMG eine Sonderbestimmung, die den allgemeinen Vorschriften der Strafvollstreckung (§§ 449 ff StPO), soweit sie von diesen abweicht, vorgeht, solange Vollstreckungsentscheidungen zu treffen sind, die im Zusammenhang mit der Zurückstellung nach §§ 35, 36 BtMG stehen. Nicht die Strafvollstreckungskammer, sondern das Gericht des ersten Rechtszuges ist dann nach § 36 Abs. 5, Abs. 1 Satz 3 BtMG für die Entscheidung über die Aussetzung der Reststrafe zuständig, wenn die Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG zurückgestellt wurde, der Verurteilte sich in einer staatlich anerkannten Einrichtung behandeln ließ und er sich zum Zeitpunkt der Entscheidung auf freiem Fuß befindet (OLG Hamm MDR 1997, 187; KG, Beschluss vom 12. Juni 2001 - 1 AR 499/01, zitiert nach juris; siehe auch Körner, BtMG, 6. Auflage, § 36 Rn. 49 mit weiteren Nachweisen).

Dem Vorrang des Gerichts des ersten Rechtszuges gegenüber der Strafvollsteckungskammer liegt die Erwägung zugrunde, dass es mit den in der Hauptverhandlung zutage getretenen Umständen des Verurteilten persönlich vertraut ist und deshalb zu der Vorgeschichte der begangenen Tat eine besondere Nähe mit entsprechender Beurteilungsfähigkeit über die nach § 36 Abs.1 BtMG zu treffenden Entscheidungen hat (OLG Hamm MDR 1997, 187). Die Gesichtspunkte, die nach der Aufnahme in den Strafvollzug für die Begründung einer Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer sprechen, insbesondere die bessere Möglichkeit einer Prognoseentscheidung unter Berücksichtigung der Erkenntnisse des Strafvollzuges durch ein in der Nähe der Vollzugsanstalt tätiges Gericht (BGHSt 37, 338), kommen hier nicht zum Tragen.

2. Der Zuständigkeit des Gerichtes des ersten Rechtszuges steht nicht entgegen, dass der Verurteilte vor der Therapie Strafhaft verbüßt hat. Zwar bestimmt § 462a Abs. 1 Satz 2 StPO, dass die Strafvollstreckungskammer auch dann zuständig bleibt, wenn die Vollstreckung der Freiheitsstrafe unterbrochen wird (Meyer-Goßner, StPO, § 462a Rn. 15). Dies gilt jedoch nicht im Fall des § 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG, in dem im Anschluss an eine Therapie über die Aussetzung des Strafrestes zu befinden ist (OLG Hamm aaO; s. auch BGHSt 48, 275).

3. Für die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit kommt es im Fall des § 36 Abs.1 Satz 3 2. Alt. BtMG nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 36 Abs.1 Satz 3 BtMG tatsächlich erfüllt sind und die Reststrafe zur Bewährung auszusetzen ist. Diese Entscheidung ist von der Frage der Zuständigkeit zu trennen und begründet sie nicht. Das Gericht des ersten Rechtszuges - und nicht die Strafvollstreckungskammer - ist vielmehr bereits dann zuständig, wenn es möglich ist, dass eine Behandlung in der Einrichtung nicht mehr erforderlich ist (§ 36 Abs.1 Satz 3 BtMG). Dies gilt unabhängig von der Prognoseentscheidung, die für die Zuständigkeit des Gerichts nach § 36 Abs. 5, Abs. 1 Satz 3 BtMG unerheblich ist, weil die Prognosegesichtspunkte erst im Rahmen der Sachentscheidung vom Gericht zu würdigen sind.

§ 36 Abs. 1 Satz 3 BtMG bestimmt, dass das Gericht die Vollstreckung des Strafrestes zur Bewährung aussetzt, wenn durch Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt sind oder eine Behandlung in der Einrichtung zu einem früheren Zeitpunkt nicht mehr erforderlich ist, sobald dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann. Mit der in § 36 Abs.1 Satz 3 2. Alt. BtMG getroffenen Regelung soll verhindert werden, dass der Verurteilte, der die Therapie erfolgreich abgeschlossen hat, in den Strafvollzug gebracht werden muss, um dort den Zweidrittelzeitpunkt zu erreichen (Weber, BtMG 2. Auflage, § 36 Rn. 68). Unzweifelhaft ist eine Therapie nicht mehr erforderlich, wenn diese regulär abgeschlossen wurde und keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht. Fraglich ist jedoch, wie zu verfahren ist, wenn nicht eindeutig ist, ob noch eine Behandlung in der Einrichtung notwendig ist. Diese Frage ist vom Gericht im Rahmen der Entscheidung in der Sache zu klären. Wäre sie bereits bei der Prüfung der Zuständigkeit zu beantworten, hätte dies zur Folge, dass sich das Gericht - sei es das des ersten Rechtszuges, sei es die Strafvollstreckungskammer - für unzuständig erklären müsste, wenn es zu einem anderen Ergebnis käme als die Vollstreckungsbehörde, die die Sache vorgelegt hat. Dies wäre mit einer Verzögerung des Verfahrens verbunden, die vermieden werden sollte.

Somit entscheidet das Gericht des ersten Rechtszuges nicht nur dann, wenn eindeutig ist, dass keine Behandlung mehr erforderlich ist, sondern auch dann, wenn insoweit Zweifel bestehen. Die Strafvollstreckungskammer ist nur in den wenigen Fällen zuständig, in denen die Therapie eindeutig erfolglos war. Dies wird nur selten vorkommen, denn meistens wird dann aufgrund des Verhaltens des Verurteilten während der Behandlung die Zurückstellung der Strafvollstreckung durch die Vollstreckungsbehörde gem. § 35 Abs. 5 Satz 1 BtMG widerrufen worden sein.

Vorliegend hat nach den Stellungnahmen der Therapieeinrichtung einerseits eine weitere Therapie keine Aussicht auf Erfolg, andererseits wurde dem Beschwerdeführer aufgrund seiner Abstinenz, die mit Veränderungen in seiner Einstellung einherging, ein Therapieerfolg bescheinigt. Seit Therapiebeginn ist kein Rückfall bekannt geworden. Eine Weiterbehandlung im ambulanten Rahmen, um die sich der Verurteilte mittlerweile zu bemühen scheint, sowie der Kontakt zu einer Selbsthilfegruppe werden als erfolgversprechend eingeschätzt. Dies lässt die Wertung, dass eine Behandlung in der Einrichtung nicht mehr erforderlich ist, möglich erscheinen.

4. Einer Entscheidung nach § 36 Abs.1 Satz 3 BtMG durch das Gericht erster Instanz begegnen auch nicht insofern Bedenken, als zwei Drittel der zu vollstreckenden Strafe noch nicht verbüßt sind und der Verurteilte keinen Antrag auf bedingte Entlassung gestellt hat.

Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob die Beschwerdebegründung vom 02. April 2009 als ein solcher Antrag auszulegen ist. Nach dem Gesetzeswortlaut bedarf es für ein Tätigwerden des Gerichts, unabhängig vom Zeitpunkt, keines Antrags. Der ohne weitere Begründung vertretenen Auffassung (siehe Körner BtMG, 6. Auflage § 36 Rn. 47; Hügel/Junge/Lander/Winkler Deutsches Betäubungsmittelrecht § 36 2.1.3.), wonach bis zur Erledigung von zwei Dritteln der Strafe eine Entscheidung des Gerichts nur auf Antrag des Verurteilten erfolgen kann, schließt sich der Senat nicht an.

5. Von der vorliegenden Entscheidung unberührt bleibt die Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer, wenn die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers durch das Gerichts der ersten Rechtszuges rechtskräftig abgelehnt sein sollte, er sich anschließend in Haft befindet und dann einen Antrag nach § 57 StGB stellt (OLG Köln NStE Nr. 4 zu § 462a StPO).

III.

Da keine die Sache abschließende Entscheidung getroffen wird, bleibt der Ausspruch über die Kosten und die Auslagen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens dem für die Sachentscheidung sachlich zuständigen Amtsgericht vorbehalten (Senatsbeschluss vom 23. August 2007 - 4 Ws 262/07).

Ende der Entscheidung

Zurück