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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 27.03.2001
Aktenzeichen: 4 Ws 55/2001
Rechtsgebiete: StVollzG
Vorschriften:
StVollzG § 11 Abs. 1 u. 2 |
2. Gelangt die Strafvollstreckungskammer bei ihren Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung der Vollzugsbehörde auf einer unvollständigen Grundlage getroffen wurde, ist es ihr verwehrt, die Versagungsgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG mit eigenen oder mit von der Vollzugsbehörde nachgeschobenen Erwägungen zu bejahen, auf die die Vollzugsbehörde ihre Versagung von Lockerungen ursprünglich nicht gestützt hat.
3. Ein Nachschieben von Gründen durch die Vollzugsbehörde ist unzulässig, wenn sich hierdurch der Charakter der ursprünglichen Entschließung ändern würde (hier: Umstellung von § 11 Abs. 2 auf § 11 Abs. 1 StVollzG).
Oberlandesgericht Stuttgart - 4. Strafsenat - Beschluss
Geschäftsnummer: 4 Ws 55/2001 StVK 736/2000 LG Eilwangen E-4514.2001/0124/2 Justizministerium Baden-Württemberg
vom 27. März 2001
in der Strafvollzugssache der
wegen Bewilligung von Ausgang
Tenor:
1. Auf die Rechtsbeschwerde der Gefangenen wird der Beschluss des Landgerichts - Strafvollstreckungskammer - Eilwangen vom 22. Dezember 2000 mit den zugehörigen Feststellungen insoweit aufgehoben, als
a) der Verpflichtungsantrag im Hinblick auf eine Ausgangsbewilligung für den 25. oder 26. Dezember 2000 (Ziffer 2. der Beschlussformel), sowie
b) der hilfsweise gestellte Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der verweigerten Ausgangsgewährung am 08. Oktober 2000 (Ziffer 3. der Beschlussformel) jeweils als unbegründet zurückgewiesen wurden.
2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde (bezüglich Ziffer 1. der Formel des angefochtenen Beschlusses) wird als unzulässig verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ellwangen zurückverwiesen.
4. Der Geschäftswert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 5.000,00 DM festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Gefangene befindet sich in der Justizvollzugsanstalt S. in Strafhaft. Sie verbüßt eine 5-jährige Freiheitsstrafe, zu welcher sie vom Landgericht Stuttgart am 05. Oktober 1999 wegen schwerer räuberischer Erpressung verurteilt wurde.
Am 10. September 2000 beantragte sie, ihr für den 08. Oktober 2000 im Wege der Vollzugslockerung einen unbeaufsichtigten Ausgang zu bewilligen. Dieser Antrag wurde am 27. September 2000 zunächst mündlich, unter dem Datum vom 26. Oktober 2000 schriftlich von der Anstaltsleitung der Justizvollzugsanstalt S. mit der Begründung abgelehnt, Fluchtgefahr könne angesichts fehlender Schuldeinsicht sowie angesichts der Tatsache, dass es die Gefangene negiere, hoch verschuldet zu sein, nicht ausgeschlossen werden. Aus den vorgenannten Umständen ergebe sich überdies, dass bei C. W. ein erhebliches Maß an Verdrängung vorliege, das es zunächst aufzuarbeiten gelte, bevor Lockerungen gewährt werden könnten.
Einen weiteren Antrag vom 13. November 2000, der auf Bewilligung eines Ausgangs am 25. oder 26. Dezember 2000 gerichtet war, lehnte die Justizvollzugsanstalt mit der gleichen Begründung, jedoch lediglich mündlich ab.
Gegen diese beiden Entscheidungen der Vollzugsbehörde trug die Gefangene rechtzeitig auf gerichtliche Entscheidung bei der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Ellwangen an, wobei sie jeweils in erster Linie Aufhebung der ablehnenden Bescheide der Justizvollzugsanstalt und Verpflichtung derselben zur Gewährung des jeweils, beantragten Ausgangs erstrebte. Bezüglich des Bescheids vom 26. Oktober 2000 begehrte sie lediglich hilfsweise die Feststellung, dass die Ablehnung des Ausgangs betreffend den 08. Oktober 2000 rechtswidrig war.
Mit der angefochtenen Entscheidung wies die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung insoweit als unzulässig zurück, als die Antragstellerin Verpflichtung der Justizvollzugsanstalt auf Gewährung eines Ausgangs für den 08. Oktober 2000 begehrte (Ziff. 1. des angefochtenen Beschlusses) im Übrigen (Ziffrn. 2. und 3. des angefochtenen Beschlusses) wies sie die Anträge als unbegründet zurück.
Gegen diesen Beschluss wendet sich die Gefangene nunmehr mit ihrer Rechtsbeschwerde, mit welcher sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
II.
Das Rechtsmittel hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg.
Gegen die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer ist nichts zu erinnern, soweit diese das Verpflichtungsbegehren der Antragstellerin im Hinblick auf die Gewährung eines Ausgangs für den 08. Oktober 2000 (Ziffer 1. des angefochtenen Beschlusses) zurückgewiesen hat. Die besonderen Zulassungsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 i.V.m. § 119 Abs. 3 StVollzG sind deshalb bezüglich dieses Beschwerdepunktes offensichtlich nicht gegeben.
Bezüglich der beiden weiteren Beschwerdepunkte (Verpflichtungsbegehren bezüglich des Ausgangs für den 25. oder 26. Dezember 2000 und das Feststellungsbegehren bezüglich des abgelehnten Ausgangs für den 08. Oktober 2000) ist die Rechtsbeschwerde im Sinne des § 116 Abs. 1 StrafVollzG zulässig. Die Nachprüfung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten, weil die Strafvollstreckungskammer die Anforderungen, die an die Vollzugsbehörde zur Begründung eines ablehnenden Ausgangsbescheids zu stellen sind, sowie den Umfang ihrer eigenen Prüfungspflicht verkannt hat.
Mit der Sachrüge hat die Rechtsbeschwerde insoweit auch Erfolg.
Ausweislich des schriftlichen Bescheids vom 26. Oktober 2000 ist die Justizvollzugsanstalt bei ihren Entscheidungen über die Ablehnung des jeweils begehrten Ausgangs vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 StVollzG, nämlich vom Vorliegen einer Fluchtgefahr ausgegangen. Mit den von der Vollzugsbehörde herangezogenen Argumenten lässt sich jedoch eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr im Sinne des § 11 Abs. 2 StVollzG nicht begründen. Dass sich die Antragstellerin zu Unrecht verurteilt fühlt, kann nicht, wie geschehen, ohne Weiteres als Hinweis auf eine Flucht- oder Missbrauchsgefahr angesehen werden. Ohne Kenntnis der Straftat, der Einlassung der Antragstellerin in der Hauptverhandlung und der Argumente, mit der sie die Schuld bestreitet, kann die Berechtigung dieser Schlussfolgerung nicht beurteilt werden. Allein die Tatsache der rechtskräftigen Verurteilung reicht hierfür nicht aus. Das selbe gilt für die Frage, ob aus der Verschuldung der Antragstellerin auf die Gefahr neuer Straftaten geschlossen werden kann (vgl. ebenso OLG Celle NStZ 2000, 464). Die von der Vollzugsbehörde zur Ablehnung der Anträge verwandten Gründe sind deshalb, jedenfalls allein und in dieser pauschalen Weise nicht geeignet, einen der beiden Versagungsgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG zu begründen.
Zwar ist die Strafvollstreckungskammer, trotz des vorhandenen Beurteilungsspielraums der Vollzugsbehörde bei der Prognoseentscheidung, ob die Versagungsgründe der Flucht- oder Missbrauchsgefahr nach § 11 Abs. 2 StVollzG gegeben sind, verpflichtet, den Sachverhalt selbst umfassend aufzuklären und festzustellen, ob die Vollzugsbehörde als Voraussetzung ihrer Entscheidung alle Tatsachen zutreffend angenommen und den zu Grunde gelegten Sachverhalt insgesamt vollständig ermittelt hat (vgl. BVerfG NStZ 1998, 430). Die Strafvollstreckungskammer darf sich also nicht darauf beschränken die der Entscheidung der Vollzugsbehörde zu Grunde liegenden Tatsachen ungeprüft zu übernehmen und die angefochtene Entscheidung lediglich auf ihre Rechtmäßigkeit hin zu überprüfen. Gelangt die Strafvollstreckungskammer bei ihren Ermittlungen zu dem Ergebnis, dass die Entscheidung der Vollzugsbehörde auf einer unvollständigen Grundlage - wie hier (vgl. oben) - getroffen wurde, ist es ihr allerdings verwehrt, die Versagungsgründe des § 11 Abs. 2 StVollzG mit eigenen oder mit von der Vollzugsbehörde nachgeschobenen Erwägungen zu bejahen, auf die die Vollzugsbehörde ihre Versagung von Lockerungen ursprünglich nicht gestützt hat (vgl. BVerfG NW-RR 1998, 122; KG ZfStrVo 1982, 123; OLG Frankfurt ZfStrVo 1983, 249). Letzteres ist hier jedoch geschehen. Die Strafvollstreckungskammer hat ihre Auffassung, die Vollzugsbehörde habe zu Recht eine Fluchtgefahr der Gefangenen nicht völlig ausgeschlossen, auch auf Umstände und Tatsachen gestützt, die die Vollzugsbehörde erst nachträglich im gerichtlichen Verfahren in ihrer Stellungnahme vom 15. Dezember 2000 vorgebracht hat, die jedoch bei ihrer Ursprungsentscheidung keine Rolle spielten. So hat die Strafvollstreckungskammer in der angefochtenen Entscheidung darauf Bezug genommen, neben der fehlenden Schuldeinsicht und der Verdrängung der Schuldensituation sei bei der Verurteilten zusätzlich eine Erhärtung der negativen Einstellungen gegenüber dem Strafvollzug erkennbar. Es fehle bei ihr eine Kommunikationsbereitschaft gegenüber den Vollzugsbediensteten und es habe überdies disziplinarische Vorfälle, die ebenfalls nur zum Teil näher dargelegt sind, gegeben. Diese ergänzenden Erwägungen, die in den angefochtenen Bescheiden der Vollzugsbehörde weder ausdrücklich noch konkludent zur Begründung herangezogen worden waren, durfte die Strafvollstreckungskammer nicht zur Grundlage ihrer Entscheidung, die Voraussetzungen des § 11 Abs. 2 StVollzG seien zu Recht angenommen worden, machen.
Diese Erwägungen durfte die Kammer auch nicht verwenden, um die Ausgangsverweigerungen der Vollzugsbehörde als zutreffende Ermessensentscheidungen nach § 11 Abs. 1 StVollzG zu rechtfertigen. Sie hat hierdurch nämlich im Nachhinein im gerichtlichen Verfahren den Charakter der ursprünglichen Entschließung geändert. Stützte die Vollzugsbehörde die Ablehnung der beantragten Lockerungen noch auf das Vorliegen von Fluchtgefahr nach § 11 Abs. 2 StVollzG, so geht die Strafvollstreckungskammer unter Heranziehung der nachgeschobenen Gründe davon aus, die Vollzugsbehörde habe (jedenfalls) eine nicht zu beanstandende Ermessensentscheidung nach § 11 Abs. 1 StVollzG getroffen. Wegen der grundlegenden Änderung des Entscheidungscharakters (Umstellung von § 11 Abs. 2 auf § 11 Abs. 1 StVollzG) überschreitet sie die Grenzen, in denen die Verwendung nachgeschobener Gründe noch als zulässig angesehen werden kann. Die Gefangene würde, ließe man diese Umstellung auf der Grundlage neuer Tatsachen hier zu, in ihrer Rechtsverteidigung in unangemessener Weise eingeschränkt (vgl. BVerfG NStZ 1998, 430; KG und OLG Frankfurt jeweils in ZfStrVo a.a.O.).
Somit war der angefochtene Beschluss im festgestellten Umfang aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen. Der Senat konnte - trotz an sich vorliegender Entscheidungsreife - nicht an Stelle der Strafvollstreckungskammer entscheiden, da im Rechtsbeschwerdeverfahren die begehrte Feststellung, dass die beiden Bescheide der Justizvollzugsanstalt über die Versagung des Ausgangs (jedenfalls in der vorliegenden Form) rechtswidrig gewesen sind, nicht getroffen werden kann (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 17. Januar 2001 - 4 Ws 234/2000 -).
Der Senat weist deshalb rein vorsorglich darauf hin, dass die Strafvollstreckungskammer hinsichtlich beider aufgehobenen und zurückverwiesenen Beschwerdepunkte nunmehr vom Vorliegen von Feststellungsanträgen auszugehen haben wird. Bezüglich der Ausgangsverweigerung für den 25./26. Dezember 2000 hat die Antragstellerin eine entsprechende Antragsänderung im Rechtsbeschwerdeschriftsatz vorgenommen. Ein Feststellungsinteresse dürfte im Hinblick auf eine mögliche Verletzung des verfassungsmäßigen Rechts der Gefangenen auf Resozialisierung und im Hinblick auf eine nicht auszuschließende Wiederholungsgefahr vorliegen. Im Übrigen wird die Strafvollstreckungskammer bei ihrer Entscheidung die oben dargelegte Rechtsauffassung des Senates zu beachten haben.
Ende der Entscheidung
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