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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 05.04.2005
Aktenzeichen: 5 Ss 12/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 13
StGB § 222
Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit des Bauherrn für Schäden der am Bau beschäftigten Arbeiter, wenn der beauftragte Bauunternehmer erkennbar die Sicherheitserfordernisse, die auch einem Laien einsichtig sind, nicht einhält.
Oberlandesgericht Stuttgart - 5. Strafsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 5 Ss 12/05

In der Strafsache gegen

wegen fahrlässiger Tötung,

Der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart hat in der Sitzung vom 05. April 2005, an der teilgenommen haben:

Richter am OLG - als Vorsitzender -

Richter am OLG Richterin am AG - als beisitzende Richter -

Oberstaatsanwalt - als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft -

Rechtsanwalt - als Verteidiger -

Justizobersekretärin - als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle -

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts S. vom 26. Oktober 2004 wird verworfen.

Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte wurde durch Urteil des Amtsgerichts - Strafrichter - B. vom 17. Juni 2004 wegen fahrlässiger Tötung zu der Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 60 € verurteilt. Seine Berufung wurde am 26. Oktober 2004 durch das Landgericht S. mit der Maßgabe verworfen, dass die Tagessatzhöhe auf 30 € festgesetzt wurde.

Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen brach der Arbeiter K. am 28. Juli 2003 bei Dacharbeiten auf einem mit Wellasbestplatten bedeckten Dach einer Lagerhalle nach Abnahme einer Platte durch die Dämmung und zog sich beim Sturz auf den 7 m darunter liegenden Zementboden der Halle tödliche Kopfverletzungen zu.

Der Angeklagte hatte im Januar 2003 die Halle gekauft, die er demontieren und auf seinem Weingut wieder errichten wollte. Die Demontage musste bis Ende Juli 2003 erfolgen, ansonsten wäre eine Vertragsstrafe von 500 € täglich fällig gewesen. Die Seitenverkleidung hatte der Angeklagte bereits in den Tagen vor dem 28. Juli 2003 abgebaut. An diesem Tag sollte die Abdeckung des Daches erfolgen. Das fast flache Dach war mit etwa 30 Jahre alten, nicht durchtrittsicheren Wellasbestplatten belegt. Darunter befand sich lediglich eine dünne Schicht - nicht zum Betreten geeignetes - Dämmmaterial aus Styropor. Das zuständige Bauamt hatte die Abbruchgenehmigung unter der Bedingung erteilt, dass die Demontage des Daches nur durch ein dafür zugelassenes Spezialunternehmen erfolgen dürfe.

Der Angeklagte und sein Vater setzten sich mit der Firma A., Demontage und Sanierung, in Verbindung, die am 25. Juli 2003 ein Angebot abgab, das unter "Aufgaben des Auftraggebers" aufführte: "Notwendige Sicherheitseinrichtungen wie Gerüst, Fanggerüst und Auffangnetze nach UVV". Der Vater des Angeklagten teilte dem Unternehmen mit, dass diese Sicherheitseinrichtungen nicht vorhanden seien. Wenn die Firma A. diese Sicherungsmaßnahmen nicht übernehmen könne, würde ein anderes Unternehmen den Auftrag erhalten. Daraufhin sagte die Firma A. zu, selbst ein größeres Gerüst und ein Fangnetz mitzubringen.

Die Firma A. beauftragte den früheren Mitangeklagten D. - seine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung des K. ist rechtskräftig - mit der Durchführung der Arbeiten. Am Morgen des 28. Juli 2003 erschien dieser mit vier Leiharbeitern einer Personalleasingfirma, darunter das Unfallopfer. Er brachte lediglich vier Laufdielen mit, die ca. 150 cm lang und 40 cm breit waren. Auf die Frage des Angeklagten, wo denn das Sicherungsgerüst und das Fangnetz seien, erhielt er die Antwort, dass diese nicht gebraucht würden, er - D. - arbeite immer so. Damit gab sich der Angeklagte wegen der mit der Beschaffung der erforderlichen Sicherungen eintretenden Verzögerung der Abbrucharbeiten und der damit verbundenen Kosten zufrieden, obwohl er wusste, dass bei fachgerechter Demontage des Daches die Erstellung eines Gerüstes oder das Spannen eines Fangnetzes erforderlich gewesen wären. Im Vertrauen darauf, dass es schon gut gehen werde, reichte der Angeklagte die Laufdielen auf das Dach. Er selbst begann dann mit der Demontage des Anbaus.

Gegen 13.50 Uhr versuchte K. eine Dachplatte anzuheben, verlor dabei das Gleichgewicht, trat neben die Laufdiele und fiel durch die Dämmung auf den ca. 7 m darunter liegenden Betonboden der Halle. Dabei zog er sich so schwere Kopfverletzungen zu, dass er wenig später am Unfallort verstarb.

Der Angeklagte beantragt mit seiner Revision, das angefochtene Urteil aufzuheben und ihn vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freizusprechen, hilfsweise die Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts S. zurückzuverweisen.

Er erhebt die Sachrüge. Soweit er das Urteil "der Prüfung des Senats hinsichtlich des Verfahrens unterstellt", mangelt es an einer näher bezeichneten und gemäß § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ausgeführten Verfahrensrüge.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt ebenfalls, den Angeklagten freizusprechen. Sie führt aus, dass sich aus der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht des Angeklagten als Bauherrn keine Haftung für solche Schäden ergäbe, die den Arbeitern des beauftragten Bauunternehmers durch dessen mangelnde Beaufsichtigung des Arbeitsablaufes und nachlässige Handhabung der im Eigeninteresse der Bauausführenden aufgestellten Unfallverhütungsvorschriften entstünden.

II.

Die Sachrüge ist nicht begründet. Die Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben. Die Feststellungen des erkennenden Gerichts tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen fahrlässiger Tötung.

Die Strafkammer ist der Sache nach zu Recht von der sich aus seiner Verkehrssicherungspflicht ergebenden Garantenstellung des Angeklagten ausgegangen. Dieser war als Auftraggeber des Hallenabbruchs angesichts der damit verbundenen Schaffung einer Gefahrenquelle zur Verkehrssicherung gegenüber jedem Dritten, der die Baustelle betrat, verpflichtet, mithin auch gegenüber den die Abbrucharbeiten ausführenden (Leih)arbeitern des Abbruchunternehmers.

Die Auffassung, die Arbeiter seien vom Schutzbereich der Verkehrssicherungspflicht des Auftraggebers bzw. Bauherrn ausgenommen (so OLG Stuttgart NJW 1984, 2897, 2898 mit abl. Anmerkung Henke NStZ 1985, 124 f.) findet im Gesetz keine Grundlage; sie wird auch nicht dadurch gestützt, dass der Bauunternehmer im Rahmen eines späteren zivilrechtlichen Gesamtschuldnerausgleichs den Schaden seines Arbeitnehmers im Verhältnis zum ebenfalls verkehrssicherungspflichtigen Bauherrn möglicherweise allein zu tragen hat (ebenso Henke aaO S. 124 zu BGH NJW 1971, 752 ff.).

Zwar hat der Bauherr ohne besondere Anhaltspunkte für Mängel in der Bauausführung keine Pflicht, das von ihm ausgewählte Unternehmen zu überwachen (Henke aaO S. 124), da die Verantwortlichkeit für die Ausführung der Arbeiten und insbesondere für die Einhaltung von Unfallverhütungsvorschriften mit der Auftragserteilung grundsätzlich auf den Unternehmer übergeht. Nimmt der Bauherr jedoch wahr, dass der Bauunternehmer nachlässig arbeitet, muss er einschreiten (BGHSt 19, 286 ff., 289). Er wird (wieder) selbst verkehrssicherungspflichtig, wenn er Gefahrenquellen erkennt oder erkennen müsste und Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der von ihm beauftragte Unternehmer im Hinblick auf die Einhaltung der Verkehrssicherheit nicht genügend zuverlässig ist und den auch einem Laien einsichtigen Sicherheitserfordernissen nicht in ausreichender Weise Rechnung trägt (OLG Düsseldorf NJW-RR 1999, 318 m.w.N.).

Nach den rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen des Landgerichts waren dem Angeklagten sowohl die Gefahrenlage als auch die Tatsache bekannt, dass der von ihm beauftragte Bauunternehmer entgegen vorheriger Absprache keine ausreichenden Sicherheitsmaßnahmen ergriffen hatte, um die Gefahr für seine Mitarbeiter abzuwenden, infolge eines Sturzes vom Hallendach zu Tode zu kommen. Auch stellt die Strafkammer als Anknüpfungspunkt für die Garantenstellung des Angeklagten im Ergebnis zutreffend nicht auf die an den Bauunternehmer gerichteten Unfallverhütungsvorschriften ab, sondern auf die dem Angeklagten als Auftraggeber und Bauherr obliegende allgemeine Verkehrssicherungspflicht: "Auch ohne Kenntnis der Unfallverhütungsvorschriften ist ... selbst für einen Laien ... erkennbar, ... dass gegen diese Gefahr besondere, über die Verwendung von Laufdielen hinausgehende Vorkehrungen getroffen werden müssen" (UA S. 7).

Auch die Ausführungen des Landgerichts zur Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Unfalls für den Angeklagten sowie zur Zumutbarkeit eines pflichtgemäßen Handelns lassen keinen Rechtsfehler erkennen.

III.

Die Rechtsfolgenentscheidung begegnet keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken, auch wenn sich die Kammer nicht ausdrücklich mit der Vorschrift des § 13 Abs. 2 StGB auseinandergesetzt hat. Danach kann die Strafe bei einem unechten Unterlassungsdelikt gemildert werden. Im Bereich der Fahrlässigkeitsdelikte, in dem die Begehung durch Unterlassen große Bedeutung hat, wiegen Unterlassungstaten jedoch in der Regel ebenso schwer wie die durch aktives Tun begangenen (Bruns, Strafzumessungsrecht, Allgemeiner Teil S. 409). Eine zur Strafrahmenverschiebung führende Schuldminderung ist deshalb bei Fahrlässigkeitsdelikten regelmäßig abzulehnen (Schäfer, Praxis der Strafzumessung, 3. Aufl., Rdnr. 519). Anhaltspunkte dafür, dass die Kammer hier rechtsfehlerhaft eine Ausnahme nicht erkannt hätte, sind nicht ersichtlich.

Der Senat verkennt nicht, dass die Verantwortlichkeit des früheren Mitangeklagten D. für die fahrlässige Tötung im Vergleich zu der des Angeklagten größer ist. Dieser Umstand hätte eine strengere Bestrafung des früheren Mitangeklagten, gegen den ebenfalls (nur) eine Geldstrafe in Höhe von 120 Tagessätzen ausgesprochen wurde, nahegelegt. Allein dies rechtfertigt jedoch keine Herabsetzung der vom Landgericht rechtsfehlerfrei als tat- und schuldangemessen gegen den Angeklagten festgesetzten Strafe.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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