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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 11.01.2006
Aktenzeichen: 5 Ss 570/05
Rechtsgebiete: StPO, ZPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 1 Satz 2
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2
StPO § 40 Abs. 1
StPO § 40 Abs. 3
StPO § 37
ZPO § 186
1. Bei einer Revision gegen ein Verwerfungsurteil nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ist das Fehlen einer ordnungsgemäßen Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung mit der Verfahrensrüge geltend zu machen. Sämtliche hierfür maßgeblichen Umstände müssen gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vorgetragen werden.

2. Erfolgt die öffentliche Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung gemäß § 40 Abs. 3 StPO durch Aushang an der Gerichtstafel, so ist die Benachrichtigung nach §§ 40 Abs. 1, 37 StPO, § 186 ZPO an der Gerichtstafel des die öffentliche Zustellung anordnenden Landgerichts auszuhängen.


Oberlandesgericht Stuttgart - 5. Strafsenat - Beschluss

vom 11. Januar 2006

Geschäftsnummer: 5 Ss 570/2005

in der Strafsache gegen

wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln u. a.,

Tenor:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 18. Oktober 2005 wird als unzulässig verworfen.

Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht B. verurteilte den Angeklagten am 23. Februar 2005 wegen unerlaubten Erwerbs von Betäubungsmitteln in 52 Fällen zu der Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe wurde auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt. Ein vom Amtsgericht B. am 28. Oktober 2004 erlassener und seit 01. Dezember 2004 vollzogener Haftbefehl wurde zugleich aufgehoben.

Der Angeklagte legte gegen das Urteil mit Schriftsatz seines Pflichtverteidigers vom 01. März 2005 Rechtsmittel ein. Nach seiner Freilassung tauchte er unter. Zu einem weiteren vom Amtsgericht B. auf den 01. Juni 2005 bestimmten Hauptverhandlungstermin über einen im vorliegenden Verfahren abgetrennten Teil erschien er nicht.

Nachdem von der Strafkammer des Landgerichts sein Aufenthaltsort nicht ermittelt werden konnte, bestimmte der Vorsitzende mit Verfügung vom 09. September 2005 Termin zur Hauptverhandlung auf den 18. Oktober 2005. Mit Beschluss vom selben Tag ordnete er die öffentliche Zustellung der Ladung zur Hauptverhandlung an. In Ausführung des Beschlusses wurde die Benachrichtigung über die Ladung zur Berufungshauptverhandlung vom 16. September 2005 bis 04. Oktober 2005 an der Gerichtstafel des Landgerichts S. und zusätzlich vom 19. September 2005 bis 04. Oktober 2005 an der Gerichtstafel des Amtsgerichts B. ausgehängt. Die Benachrichtigung enthielt den Namen und die frühere Anschrift des Angeklagten, eine genaue Bezeichnung des zuzustellenden Schriftstücks sowie die Hinweise, dass die Ladung auf der Geschäftsstelle der Strafkammer beim Landgericht S. eingesehen werden kann und bei Versäumung des Termins Rechtsverluste drohen können.

Zum Hauptverhandlungstermin vor der Strafkammer erschien der Angeklagte nicht. Seine Berufung wurde vom Landgericht S. daher durch Urteil vom 18. Oktober 2005 gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen.

Gegen das Verwerfungsurteil hat der Angeklagte rechtzeitig Revision eingelegt und gerügt, dass keine ordnungsgemäße Ladung zur Berufungshauptverhandlung vorgelegen habe.

II.

Die innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 StPO erhobene Verfahrensrüge hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig, weil ihre Begründung nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form entspricht.

Eine ordnungsgemäße Ladung des Angeklagten als Berufungsführer ist Voraussetzung für den Erlass eines Verwerfungsurteils nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO. Das Fehlen dieser Voraussetzungen kann vom Angeklagten nur mit der Verfahrensrüge geltend gemacht werden, wobei sämtliche hierfür maßgeblichen Umstände gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO vorgetragen werden müssen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 329 Rn. 48, OLG Karlsruhe NStZ-RR 1996, 245). Nur wenn die Revisionsschrift diesen Anforderungen gerecht wird, ist vom Revisionsgericht im Wege des Freibeweises zu prüfen, ob die Ladung des Angeklagten zur Berufungshauptverhandlung ordnungsgemäß erfolgt ist (vgl. BGH NJW 1987, 1776 f.).

Das Vorbringen des Angeklagten in der Revisionsschrift ist jedoch lückenhaft. Es ermöglicht dem Senat nicht die Überprüfung der Frage, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen bewiesen werden.

Im Hinblick auf die Durchführung der öffentlichen Zustellung gemäß §§ 40 Abs. 1, 37 StPO, § 186 ZPO weist die Revision zwar zutreffend darauf hin, dass die Benachrichtigung keine zwei Wochen an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Böblingen als Gericht des ersten Rechtszuges ausgehängt war. Es wird jedoch, und dies ist entscheidend, nicht mitgeteilt, dass die Benachrichtigung zugleich vom 16. September bis 04. Oktober 2005 - und damit länger als zwei Wochen - an der Gerichtstafel des Landgerichts S. ausgehängt war. Ein solch lückenhafter und unzureichender Sachvortrag hat zur Folge, dass die Verfahrensrüge unzulässig ist.

III.

Die Rüge wäre auch unbegründet.

Durch den Aushang der Benachrichtigung an der Gerichtstafel des Landgerichts S. ist die öffentliche Zustellung der Ladung zur Berufungshauptverhandlung ordnungsgemäß erfolgt. Das Landgericht hat die öffentliche Zustellung der Ladung zum Hauptverhandlungstermin gemäß § 40 Abs. 3 StPO zu Recht angeordnet. Der bestellte Pflichtverteidiger war zu einer Empfangnahme von Ladungen nicht ermächtigt (§ 145 a Abs. 2 StPO). Die Zustellung an den Angeklagten war unter seiner bisherigen Anschrift nicht mehr möglich. Ihn traf aber als den alleinigen Berufungsführer von Gesetzes wegen insofern eine Mitwirkungspflicht, als er dafür zu sorgen hatte, dass seine Anschrift bzw. sein Aufenthalt dem Berufungsgericht bekannt war. Diesem sollen nämlich zeit- und arbeitsaufwändige Ermittlungen nach einem Angeklagten erspart bleiben, der das Berufungsverfahren einerseits in Gang gesetzt hat, es aber andererseits dadurch verzögert oder verzögern will, dass er seinen Wohnsitz aufgibt und sich an einem dem Gericht nicht bekannten Ort aufhält (Meyer-Goßner, aaO, § 40 Rn. 5).

Bei der Durchführung der öffentlichen Zustellung sieht § 40 Abs. 1 StPO jedoch nach seiner Änderung durch das Erste Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24. August 2004, in Kraft seit 01. September 2004 (BGBl. 2004, Teil I Nr. 45), die Notwendigkeit eines Aushangs "an der Gerichtstafel des Gerichts des ersten Rechtszuges" nicht (mehr) vor. Nach der Änderung der Norm gilt nunmehr eine Zustellung gemäß § 40 Abs. 1 S. 2 StPO als erfolgt, "wenn seit dem Aushang der Benachrichtigung zwei Wochen vergangen sind."

Die durch das 1. Justizmodernisierungsgesetz insoweit vorgenommene Veränderung der Norm steht im Zusammenhang mit weiteren Änderungen der Vorschrift, wobei nach dem Willen des Gesetzgebers insgesamt über die Verweisung in § 37 Abs. 1 StPO für die Ausführung der öffentlichen Zustellung die Regelungen der §§ 186, 187 ZPO gelten sollen. § 40 StPO regelt nur noch die spezifisch auf den Strafprozess zugeschnittenen und abgestuften Regeln zur Zulässigkeit der öffentlichen Zustellung und zur Dauer des Aushangs (BT-Drucksache 15/3482, S. 20).

Über die Anordnung der öffentlichen Zustellung entscheidet mithin nach § 37 StPO i. V. m. § 186 Abs. 1 ZPO das jeweilige "Prozessgericht" durch Beschluss. Nach § 186 Abs. 2 ZPO erfolgt die öffentliche Zustellung sodann durch Aushang einer Benachrichtigung an der Gerichtstafel. Aus der Benachrichtigung muss unter anderem hervorgehen, an welcher Stelle das zuzustellende Schriftstück eingesehen werden kann (§ 186 Abs. 2 Nr. 4 ZPO). Dies wird in aller Regel die Geschäftsstelle des anordnenden Gerichts sein.

Angesichts des Zusammenhangs dieser Regelungen zur Ausführung der öffentlichen Zustellung ist es somit nach dem eindeutigen Wortlaut nunmehr nicht nur zulässig, sondern auch aus praktischen Gründen nahe liegend und geboten, dass auch bei strafprozessualen öffentlichen Zustellungen der Aushang der Benachrichtigung an der Gerichtstafel des die Zustellung anordnenden Gerichts erfolgt. Nach der Zivilprozessordnung ist eine solche Ausführung der Zustellung schon immer möglich gewesen und wird auch entsprechend praktiziert (vgl. etwa BayObLG Rpfleger 1978, 446).



Ende der Entscheidung

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