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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 05.03.2002
Aktenzeichen: 5 Ss 624/2001
Rechtsgebiete: AsylVfG


Vorschriften:

AsylVfG § 56
AsylVfG § 58 Abs. 4
AsylVfG § 85 Nr. 2
Der Strafrichter hat im Verfahren wegen wiederholter Zuwiderhandlung gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 AsylVfG die Voraussetzungen der Erlaubnisnorm des § 58 Abs. 4 Satz 1 Var. 3 AsylVfG eigenständig zu prüfen.
Oberlandesgericht Stuttgart Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 5 Ss 624/2001

In der Strafsache gegen

wegen Verstoßes gegen das Asylverfahrensgesetz,

hat der 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart in der Sitzung vom 5. März 2002, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter am OLG - als Vorsitzender -

Richterin am OLG Richter am OLG - als beisitzende Richter -

Staatsanwalt - als Vertreter der Generalstaatsanwaltschaft -

Rechtsanwalt - als Verteidiger -

Justizsekretärin - als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle -

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Amtsgerichts Nürtingen vom 2. Oktober 2001 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere jugendrichterliche Abteilung des Amtsgerichts zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Nürtingen hat den Angeklagten durch Urteil vom 2. Oktober 2001 aus rechtlichen Gründen vom Vorwurf des wiederholten Verstoßes gegen eine Aufenthaltsbeschränkung nach § 56 Abs. 1 AsylVfG freigesprochen.

Dem Angeklagten war vorgeworfen worden, sich als Asylbewerber mit einer auf den Landkreis E. beschränkten Aufenthaltsgestattung mehrfach ohne behördliche Bewilligung außerhalb des genannten Landkreises, zuletzt in der Nacht vom 19. auf den 20. Juni 2001 in W. und am 25. Juni 2001 in S. aufgehalten zu haben. Das Amtsgericht hat den Freispruch damit begründet, dass der Angeklagte gemäß § 58 Abs. 4 AsylVfG berechtigt gewesen sei, den Geltungsbereich der Aufenthaltsgestattung zu verlassen, weil "eine Abschiebung nach derzeitiger Auffassung sowohl aus rechtlichen wie auch aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen" sei.

II.

Die auf die Sachrüge gestützte, zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte (Sprung-)Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht.

1. § 58 Abs. 4 Satz 1 Variante 3 AsylVfG erweitert die Befugnis eines Asylbewerbers, über dessen Asylantrag noch nicht (unanfechtbar) entschieden wurde, zum vorübergehenden erlaubnisfreien Verlassen des nach § 56 AsylVfG beschränkten Aufenthaltsbereichs, wenn seine Abschiebung aus sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auf Dauer ausgeschlossen ist. Die Regelung wirkt ihrem eindeutigen Wortlaut nach im Rahmen der Strafnorm des § 85 Nr. 2 AsylVfG bereits bei Vorliegen ihrer Voraussetzungen tatbestandsausschließend, ohne dass es - im Gegensatz zu den ersten beiden Varianten des § 58 Abs. 4 AsylVfG - insoweit auf eine vorherige behördliche oder gerichtliche Feststellung ankäme. Die Voraussetzungen dieser Erlaubnisnorm zu prüfen ist Aufgabe des Strafrichters (ebenso OLG Celle, StV 1995, 474, 475).

Die verschiedentlich vertretene Auffassung, es handele sich dabei um eine von der Verwaltungsbehörde zu entscheidende Vorfrage mit der Folge, dass die Strafgerichte auch den Erlaubnistatbestand des § 58 Abs. 4 Satz 1 Variante 3 AsylVfG nur dann annehmen dürften, wenn zuvor die zuständige Verwaltungsbehörde eine positive Einzelfallentscheidung über das Vorliegen eines Abschiebungshindernisses getroffen, hätte, findet im Gesetz keine Stütze.

Insbesondere lässt sie sich weder mit der Vorschrift des § 42 AsylVfG noch mit der des § 24 Abs. 2 AsylVfG begründen, die ausschließlich den möglichen verwaltungsinternen Kompetenzkonflikt zwischen Ausländerbehörde und Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge bei der Feststellung von Abschiebungshindernissen zum Gegenstand haben (ebenso für die erstgenannte Vorschrift Renner, Ausländerrecht 7. Aufl., § 42 AsylVfG Rn. 2). Eine ausschließliche Kompetenz des Bundesamts für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zur Prüfung der Voraussetzungen dieses Erlaubnistatbestandes im Rahmen der Strafnorm des § 85 Nr. 2 AsylVfG wäre überdies unpraktikabel. So ergehen Entscheidungen des Bundesamts zum Vorliegen von Abschiebungshindernissen in der Regel erst im Zusammenhang mit dem abschließenden Bescheid über den Asylantrag (etwa gemäß § 31 Abs. 3 AsylVfG; vgl. auch Renner aaO Rn. 4), mithin zu einem Zeitpunkt, in dem der Tatbestand des § 85 Nr. 2 AsylVfG bereits im Hinblick auf die das Erlöschen der Aufenthaltsgestattung regelnde Vorschrift des § 67 Abs. 1 AsylVfG zeitlich nur noch sehr eingeschränkt verwirklicht werden kann, da ein Verstoß gegen die räumliche Beschränkung des § 56 AsylVfG begrifflich nur denkbar ist, solange eine Aufenthaltsgestattung gemäß § 55 AsylVfG besteht (vgl. OLG Stuttgart NStZ RR 1999, 315). Die im Strafverfahren in diesem Zusammenhang allein interessierende Frage, ob gerade zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Tat(en) ein dauerndes Abschiebungshindernis vorgelegen hat, wird aber durch eine nachträgliche Entscheidung des Bundesamts regelmäßig nicht beantwortet.

Der Strafrichter hat daher über das Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen des § 58 Abs. 4 Satz 1 Variante 3 AsylVfG selbst Beweis zu erheben und eigenständig zu befinden. Ist etwa fraglich, welche Staatsangehörigkeit der Asylbewerber besitzt oder ob Angehörige bestimmter Staaten im entscheidungserheblichen Zeitraum tatsächlich abgeschoben wurden, kann dies durch Vernehmung des Sachbearbeiters beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge oder eines Mitarbeiters der für die Organisation der Abschiebung zuständigen Ausländerbehörde erfolgen, in geeigneten Fällen auch durch Einholung eines behördlichen Zeugnisses oder Gutachtens gemäß § 256 StPO.

2. Das angefochtene Urteil enthält keine ausreichenden Feststellungen zu den tatsächlichen Voraussetzungen des vom Strafrichter angenommenen Erlaubnistatbestands in § 58 Abs. 4 Satz 1 AsylVfG; insbesondere ist nicht dargelegt, aus welchen Gründen die Abschiebung des Angeklagten ausgeschlossen sein soll. Der Senat hat daher nicht die Möglichkeit zu überprüfen, ob die Voraussetzungen der tatbestandsausschließenden Erlaubnisnorm vom Tatrichter zu Recht oder zu Unrecht bejaht wurden.

Das Amtsgericht stellt zwar fest, der Angeklagte sei s. Staatsangehöriger, gibt allerdings nicht an, wie es zu dieser Feststellung gelangt. Eine Beweiswürdigung ist beim Freispruch aus rechtlichen Gründen aber nur dann entbehrlich, wenn ausschließlich Rechtsfragen zu erörtern sind (LR-Gollwitzer, StPO 25. Aufl., § 267 Rn. 152). Vorliegend hatte der Strafrichter im Rahmen der Prüfung der Voraussetzungen des § 58 Abs. 4 AsylVfG - zu denen wesentlich auch die Frage der Staatsangehörigkeit des Asylbewerbers gehört - tatsächliche Feststellungen zu treffen. Diese beruhen auf einer Beweisaufnahme, die im Urteil zu würdigen ist. Daran fehlt es hier.

Auf beiden Darlegungsmängeln kann das freisprechende Urteil beruhen.

Ende der Entscheidung

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