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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 20.12.2004
Aktenzeichen: 5 U 108/04
Rechtsgebiete: CISG, EGBGB, codice civile
Vorschriften:
CISG Art. 53 | |
EGBGB Art. 28 Abs. 2 | |
codice civile Art. 1243 | |
codice civile Art. 1252 |
Oberlandesgericht Stuttgart 5. Zivilsenat Im Namen des Volkes Urteil
Geschäftsnummer: 5 U 108/04
Verkündet am 20. Dezember 2004
In dem Rechtsstreit
wegen Forderung
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 25. Oktober 2004 unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Würthwein Richter am Oberlandesgericht Dr. Schmidt Richter am Landgericht Grewe
für Recht erkannt:
Tenor:
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Ravensburg - Kammer für Handelssachen - vom 09.03.2004, Az.: 8 O 206/2003 KfH 2, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 172.309,67 €
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Lieferung von Dekorationspapieren einerseits und der Möglichkeit einer Geltendmachung von Gegenansprüchen aus einem Handelsvertretervertrag andererseits.
Die Klägerin ist eine Aktiengesellschaft italienischen Rechts und stellt Dekorationspapier her, die Beklagte vertreibt Dekorationspapier. Im Jahr 2000 lieferte die Klägerin Waren im Gesamtrechnungsbetrag von 186.422,14 € an die Beklagte. Diese Lieferungen sind Gegenstand der Klage. Am 22.02.1996 vereinbarten die Parteien einen Handelsvertretervertrag. Danach wurde der Beklagten - mit einer Ausnahme - die ausschließliche Handelsvertretung für Deutschland übertragen. Für unterschiedliche Produkte wurden verschiedene Provisionshöhen vereinbart. Einen restlichen Provisionsanspruch aus diesem Handelsvertretervertrag zugunsten der Beklagten verrechnet die Klägerin.
Die Beklagte hat die Klägerin am 26.03.2002 zu einer Abrechnung der Provisionen aufgefordert; eine solche Abrechnung ist nach Auffassung der Beklagten bis heute nicht in ausreichender Form vorgelegt. In dem Handelsvertretervertrag ist die Geltung deutschen Handelsrechts vereinbart und als Gerichtsort das Gericht in Mailand/Italien bestimmt.
Die Klägerin hat vorgetragen, dass die Lieferungen mangelfrei gewesen seien, der von der Beklagten errechnete Provisionsanspruch nicht bestehe, sie im Übrigen die internationale Zuständigkeit des Gerichts zur Entscheidung über die Aufrechnungsforderung rüge.
Die Beklagte hat die Lieferungen als nicht ordnungsgemäß bestritten. Ihr stünden Provisonsansprüche aus dem Handelsvertretervertrag in die Klagforderung übersteigender Höhe zu, mit welchen sie aufrechne. Im Übrigen stehe ihr ein Zurückbehaltungsrecht wegen der nicht erfolgten Abrechnung zu.
Wegen des weiteren Sachvortrages wird auf die Schriftsätze der Parteien in erster Instanz samt Anlagen sowie auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 101/102 d.A.) ergänzend Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass sich der Anspruch aus Art. 53 CISG ergebe und die Ordnungsgemäßheit der Lieferung nicht mehr bestritten werden könne. Die Frage der Zuständigkeit für die Aufrechnungsforderung hat das Landgericht offen gelassen, weil der Vortrag der Beklagten zu ihren Provisonsansprüchen nicht nachvollziehbar sei.
Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten, welche im Wesentlichen geltend macht, dass das Urteil überraschend sei, da keine Beweisaufnahme erfolgt sei, die Parteien kein Verrechnungsverbot vereinbart hätten, sondern im Gegenteil eine Verrechnungsvereinbarung und das Landgericht das ihr zustehende Zurückbehaltungsrecht übergangen habe. Ihr stünden Provisionen in Höhe von insgesamt 764.000,-- € zu, sie habe jedoch nur 424.750,-- € erhalten. Mit dem verbleibenden Betrag von 339.249,60 € rechne sie gegen die Klagforderung auf.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Ravensburg - Kammer für Handelssachen - vom 09.03.2004, Az. 8 O 206/2003 KfH 2, aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Wegen des weiteren Sachvortrages in 2. Instanz wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.
1. Zuständigkeit:
Die internationale Zuständigkeit ist auch vom Berufungsgericht zu prüfen; § 513 Abs. 2 ZPO bezieht sich nicht auf die internationale Zuständigkeit (BGH NJW 2003, 426). Maßgeblich für die mit Mahnbescheid vom 15.08.2003 eingeleitete Klage ist die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und Anerkennung und Vollstreckung in Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO), hier Art. 2 Abs. 1, 60 Abs. 1. Danach ist abzustellen auf den Wohnort des Beklagten, bei juristischen Personen nach Art. 60 Abs. 1a EuGVVO auf deren satzungsgemäßen Sitz. Für die Klage gegen die in Leutkirch ansässige Beklagte sind danach die deutschen Gericht international zuständig.
2. Anspruch der Klägerin:
2.1. Auf das Vertragsverhältnis der Parteien bezüglich der gelieferten Dekorationspapiere findet nach Art. 1 Abs. 1a CISG das CISG Anwendung, da beide Parteien ihren Sitz in Vertragsstaaten des CISG haben.
Die Klägerin hat nach Art. 53 CISG gegen die Beklagte einen Anspruch auf Bezahlung des Kaufpreises. Die Rüge der Beklagten hinsichtlich der fehlenden Ordnungsgemäßheit der Lieferungen erhebt die Beklagte in der Berufung nicht mehr. Sie ist, da erstmals nach 2 Jahren erfolgt, wegen Verletzung der Untersuchungspflicht aus Art. 38 CISG nach Art. 39 Abs. 2 CISG auch verspätet und im Übrigen unsubstantiiert.
2.2. Der Anspruch der Klägerin ist nicht durch Aufrechnung erloschen. Die von der Beklagten geltend gemachte Aufrechnung ist unzulässig.
Maßgeblich für die Voraussetzungen, nach denen eine Aufrechnung zulässig ist, ist das italienische Recht. Da das CSIG keine Regelungen zur Aufrechnung enthält, ist die Frage ob Ansprüche aufrechenbar sind auf der Grundlage des über das internationale Privatrecht berufene Recht zu entscheiden (Ferrari in Schlechtriem, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, 3. Aufl., Rn. 39 zu Art. 4). Abzustellen ist danach auf das Vertragsstatut des Kaufvertrages über die Lieferung von Dekorationspapieren. Nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 EGBGB ist beim Kaufvertrag der gewöhnliche Aufenthalt des Verkäufers als der Sitz desjenigen, der die vertragstypische Leistung erbringt, maßgeblich, hier der Sitz der Klägerin in Italien. Damit ist Vertragsstatut für den Kaufvertrag das italienische Recht.
Das italienische Recht kennt drei mögliche Formen der Aufrechnung (vgl. Kindler, Einführung in das italienische Recht, § 14, 3. Rn. 15-18), die Legalkompensation (compensazione legale, Art. 1243 Abs. 1 codice civile), die gerichtliche Aufrechnung (compensazione guizidale, Art. 1243 Abs. 2 codice civile) und die einvernehmliche Aufrechnung (compensazione volontaria, Art. 1252 codice civile). Keine dieser Aufrechnungsformen kommt vorliegend zur Anwendung:
Eine einvernehmliche Aufrechnung (compensazione volontaria) scheidet aus, da die Klägerin nicht mit einer Aufrechnung einverstanden ist und sich gegen diese wehrt.
Voraussetzungen einer Legalkompensation (compensazione legale) sind die Gegenseitigkeit (reciprocità), Gleichartigkeit (omogeneità), Eintreibbarkeit (esigibilità) sowie Entscheidungsreife (liquidità). Letztere bedeutet, dass die Forderung nach Grund und Höhe feststehen muss. Hier streiten die Parteien substantiiert sowohl über die konkreten Geschäfte, als auch über die jeweilige Provisionshöhe. Das Bestreiten der Klägerin bezüglich der Provisionsforderung ist nicht offensichtlich unbegründet.
Die fehlende Entscheidungsreife (liquidità) kann nicht durch die gerichtliche Aufrechnung (compensazione guizidale) ersetzt werden. Denn diese setzt voraus, dass die Gegenforderung leicht und schnell festzustellen ist. Eine Beweisaufnahme zu den einzelnen Geschäften, die die Beklagte vermittelt hat, zum Umfang der Lieferungen und zur Einordnung hinsichtlich der jeweiligen Provisionshöhe wäre erheblich zeitaufwendig (ggf. wären Zeugen im Wege der Rechtshilfe in Italien zu vernehmen). Damit ist auch die Voraussetzung einer gerichtlichen Aufrechnung (compensazione guizidale) nicht gegeben.
Die Beklagte darf somit nach keiner der Aufrechnungsvarianten des italienischen Rechts mit der beaupteten Provisionsforderung aufrechnen, weshalb die Aufrechnung unzulässig ist und der Senat über das Bestehen oder Nichtbestehen der Forderung nicht entscheidet.
Offenbleiben kann, ob der Senat für die Aufrechnungsforderung überhaupt zuständig wäre und ob die im Handelsvertretervertrag getroffene Zuständigkeitsvereinbarung Mailand eine Ausschließliche ist. Denn zu der Frage, inwieweit eine Regelung der Zuständigkeit auch die Aufrechenbarkeit regelt, enthält der Vertrag keine ausdrückliche Bestimmung. Insoweit müsste der Vertragsinhalt durch Auslegung ermittelt werden, wobei die Tatsache, dass die Parteien die Geltung deutschen Handelsrechts gewählt haben, zu berücksichtigen wäre (vgl. zu den Auslegungskriterien BGH NJW 1993, 1399). Gegen diese Ansicht des BGH ist in der Literatur vertreten worden, dass eine "gewöhnliche" Zuständigkeitsvereinbarung im Zweifel eine aufrechnungsweise Geltendmachung nicht ausschließt (vgl. zum Meinungsstand Geimer in Geimer/Schütze, Europ. Zivilverfahrensrecht, 2. Aufl., Rn. 193 zu Art. 23 EuGVVO; Koppholler, Europ. Zivilprozessrecht, 4. Aufl., Rn. 99 f. zu Art. 23 EuGVVO). Da die Aufrechnung bereits aus Gründen des italienischen Rechts unzulässig ist, kann der Senat diese Streitfrage offen lassen.
Aus gleichem Grund kann der Senat offen lassen, ob für eine Aufrechnungsforderung eine internationale Zuständigkeit erforderlich ist oder ob sich die prozessuale Zulässigkeit der Aufrechnung grundsätzlich nach der lex fori, hier dem deutschen Recht, ergibt (vgl. zum Meinungsstand BGHZ 149, 120). Damit kann der Senat auch die Streitfrage offen lassen, inwieweit Art. 6 Nr. 3 EuGVO auf inkonnexe Forderungen analog anzuwenden ist und ob die Entscheidung des EuGH vom 13.07.1995 (NJW 1996, 42) eine solche verneint oder gerade offen gelassen hat (vgl. Geimer, a.a.O., Rn. 72 ff. zu Art. 6).
2.3. Zurückbehaltungsrecht:
Die Beklagte kann ein Zurückbehaltungsrecht nicht geltend machen. In Betracht kommt ein Anspruch nach § 87c HGB. Das Zurückbehaltungsrecht ist im CISG nicht geregelt. Ob überhaupt ein Zurückbehaltungsrecht besteht, richtet sich nach dem Recht, welches nach dem internationalen Privatrecht zur Beurteilung berufen wäre (Magnus in Staudinger, Kommentar zur BGB mit Einführungsgesetzen (1999) Rn. 47a zu Art. 4 CISG, Ferrari in Schlechtriem, Kommentar zum einheitlichen UN-Kaufrecht, 3. Aufl., 2000, Rn. 39 zu Art. 4). Abzustellen ist damit auf das Vertragsstatut für den Kaufvertrag, das nach Art. 32 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB auch maßgeblich für das Zurückbehaltungsrecht ist (Heldrich in Palandt, Kommentar zum BGB, 63. Aufl., Rn. 6 zu Art. 32 EGBGB). Im italienischen Recht ist ein allgemeines Zurückbehaltungsrecht, etwa entsprechend der Regelung in § 273 BGB, nicht normiert. Nur bei besonderen, hier nicht gegebenen Konstellationen ist im italienischen Recht ein Zurückbehaltungsrecht denkbar (Kindler, Einführung in das italienische Recht, Rn. 66 zu § 14). Da ein Zurückbehaltungsrecht nach dem Vertragsstatut nicht entgegen gehalten werden kann, kann auch der dem CISG unterliegenden Klagforderung ein Zurückbehaltungsrecht nicht entgegen gehalten werden, unbeschadet der Frage, ob ein solcher Anspruch besteht.
Im Übrigen könnte wegen fehlender Konnexität der Ansprüche aus Lieferung und aus dem Handelsvertretervertrag auch nach der deutschen Regelung in § 273 BGB ein Zurückbehaltungsrecht nicht geltend gemacht werden (Heinrichs in Palandt, Kommentar zum BGB, 63. Aufl., Rn. 9 zu § 273 )
2.4. Der Zinsanspruch ergibt sich aus Art. 78 CISG i.V.m. den Vorschriften des italienischen Rechts. Der Zinsanspruch ist schlüssig dargetan und weder nach Grund noch nach Höhe bestritten.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da diese Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision nicht gebieten, § 543 Abs. 2 ZPO.
Ende der Entscheidung
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