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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 05.11.2001
Aktenzeichen: 6 U 125/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 519 b Abs. 1
ZPO § 97 Abs. 7
Ein Rechtsanwalt genügt seiner Pflicht, fristwahrende Schriftsätze persönlich zu überprüfen, bei "blanko" unterzeichneten Fristverlängerungsanträgen nicht durch Nachfrage beim Büropersonal, ob der Schriftsatz rechtzeitig und zutreffend adressiert versandt worden sei.
Oberlandesgericht Stuttgart - 6. Zivilsenat - Beschluß

Geschäftsnummer: 6 U 125/01

vom 05.11.2001

In Sachen

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Hub, des Richters am Oberlandesgericht Ellinger und des Richters am Oberlandesgericht Dr. Foth

beschlossen:

Tenor:

I. Der Wiedereinsetzungsantrag der Klägerin vom 29.10.2001 bezüglich der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

II. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 27.07.01 - AZ: 3 O 74/01 - wird als unzulässig verworfen.

III. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Streitwert in zweiter Instanz: 330.000,00 DM.

Gründe:

Die Klägerin hat innerhalb der Berufungsbegründungsfrist die Berufung nicht begründet. Die Berufungsfrist endete am 01.10.2001. Der Antrag vom 02.10.2001 (Bl. 103), die Begründungsfrist zu verlängern, ging beim OLG Stuttgart am 02.10.2001 nach Ablauf der Berufungsbegründungsfrist und damit verspätet ein. Die Verspätung dieses Antragsschriftsatzes beruht auf Verschulden des Prozeßbevollmächtigten, das der Klägerin zuzurechnen ist (vgl. Thomas-Putzo ZPO 21. Aufl. § 233 Rn. 13); Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war daher gem. § 233 ZPO nicht zu gewähren.

Die Berufung ist deshalb gem. § 519 b Abs. 1 ZPO als unzulässig zu verwerfen.

1.

Nach der Rechtsprechung ist der Rechtsanwalt grundsätzlich verpflichtet, fristwahrende Schriftstücke persönlich auf ihre Richtigkeit, insbesondere Rechtzeitigkeit und richtige Adressierung zu überprüfen (BGH VersR 86, 1209; 76, 493; NJW 63, 1779). Dieser Anforderung wird eine telefonische Anweisung an das Büropersonal, unter Verwendung blanko unterzeichneter Schriftstücke fristwahrende Schriftsätze zu versenden, auch dann nicht gerecht, wenn der Anwalt nach Absendung des Schriftstückes bei seinem Büropersonal nachfragt, ob das Schriftstück versandt worden sei. Entscheidend ist vielmehr, ob das Schriftstück selbst vom Rechtsanwalt auf Vollständigkeit und Richtigkeit überprüft worden ist. Das war vorliegend nicht der Fall. Daher ist der Fristverlängerungsantrag versehentlich an das unzuständige Landgericht Tübingen statt an das zuständige Oberlandesgericht Stuttgart versandt worden.

2.

Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, das Landgericht Tübingen habe versäumt, den Fristverlängerungsantrag rechtzeitig an das zuständige Oberlandesgericht Stuttgart weiterzuleiten oder den Klägervertreter noch rechtzeitig vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist telefonisch auf die unzutreffende Adressierung hinzuweisen. Das Landgericht Tübingen war nicht verpflichtet, das Schriftstück unverzüglich weiterzuleiten (vgl. BGH VersR 92, 1154; 81, 63), sondern nur eine vorwerfbare Verzögerung bei der Weiterleitung zu vermeiden (BVerfG NJW 95, 3173; NJW 83, 2187; BGH NJW87, 440). Das bedeutet, daß das unzuständige Gericht nur verpflichtet ist, den Antrag im ordnungsgemäßen Geschäftsgang an das zuständige Gericht weiterzuleiten. Geht der Antrag dort dennoch verspätet ein, kann sich die Partei nicht auf ein Verschulden des Erstgerichtes berufen, um die Kausalität seines eigenen Versäumnisses oder des Versäumnisses seines Prozeßbevollmächtigten auszuräumen.

Der Fristverlängerungsantrag vom 25.09.2001 ging beim Landgericht Tübingen am 27.09.2001, einem Donnerstag, ein. Der rechtzeitige Eingang dieses Schriftsatzes beim OLG konnte nur durch eine Weiterleitung noch am 27.09., spätestens aber am 28.09.2001 sichergestellt werden. Die Klägerin konnte sich aber nicht darauf verlassen, daß das Schriftstück spätestens am 28.09.2001 im ordnungsgemäßen Geschäftsgang weitergeleitet werden würde.

Angesichts der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit und der erforderlichen Erledigung durch verschiedene Stellen des Gerichts (Posteingangsstelle, Geschäftsstelle, Vorlage an den Richter und Bearbeitung, Rückgabe an die Geschäftsstelle und Weiterleitung an die Postausgangsstelle) konnte bereits bei einem zutreffend bezeichneten Schriftstück nicht erwartet werden, daß es innerhalb eines Tages an das OLG Stuttgart weitergeleitet worden wäre. Im vorliegenden Fall kam hinzu, daß das Schreiben kein Aktenzeichen enthielt, sondern nur die Bezeichnungen der Parteien, wodurch die Zuordnung und Vorlage des Schreibens an den Richter erheblich erschwert wurde.

Dem Landgericht Tübingen, das den Klägervertreter bereits am 02.10.2001 telefonisch darauf hinwies, daß das Fristverlängerungsgesuch an das OLG Stuttgart zu richten gewesen sei, kann nach alledem nicht angelastet werden, das Schreiben nicht im Rahmen des ordentlichen Geschäftsgangs behandelt und den Klägervertreter nicht umgehend informiert zu haben. Auch die Weiterleitung des Antrags an das OLG hätte keinen fristwahrenden Eingang beim OLG mehr bewirken können.

Unter den gegebenen Umständen war die telefonische Information des Klägervertreters, zu der das Landgericht nicht verpflichtet war, der schnellste Weg, den Klägervertreter von der fehlerhaften Adressierung des Schriftsatzes zu verständigen und ihm so die Möglichkeit zu verschaffen, den Schriftsatz gegebenenfalls per Fax der zuständigen Stelle zuzuleiten. Daß dies nicht mehr rechtzeitig geschehen konnte, ist dem Landgericht nicht anzulasten.

Die Berufungsklägerin hat die Berufungsbegründungsfrist daher schuldhaft versäumt mit der Folge der Verwerfung der Berufung als unzulässig (§ 519 Abs. 1 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 7 ZPO.

Ende der Entscheidung

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