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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 13.11.2006
Aktenzeichen: 6 U 165/06
Rechtsgebiete: ZPO, StGB


Vorschriften:

ZPO § 142
ZPO § 384
ZPO § 387
StGB § 78
StGB § 78a
StGB § 78c
StGB § 263
StGB § 291
1. Nach Eintritt der strafrechtlichen Verjährung besteht kein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 2. Alt. ZPO mehr

2. Wer einen Emissionsprospekt herausgegeben hat, kann dessen Vorlage nicht nach §§ 142 Abs. 2 S. 1, 384 Nr. 2 1. Alt ZPO mit der Begründung verweigern, dass die Vorlage ihm zur Unehre gereiche. Eine Beeinträchtigung der Ehre begründet auch keine Unzumutbarkeit der Vorlage im Sinne des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO.

3. Die Befürchtung, dass nach § 142 Abs. 1 ZPO vorzulegende Unterlagen in weiteren Verfahren gegen den Vorlegenden verwendet werden, begründet jedenfalls dann keine Unzumutbarkeit der Vorlage der Unterlagen, wenn der Vorlegende der Partei, die sich auf die Unterlagen bezogen hat, ohnehin materiell-rechtlich zur Gewährung von Einsicht verpflichtet ist.

4. Die objektive Beweislast für das Vorliegen der Weigerungsgründe des § 142 Abs. 2 ZPO liegt beim Dritten.

5. Im Zwischenstreit nach §§ 142 Abs. 2 S. 2, 390 ZPO werden lediglich die Unzumutbarkeit der Vorlage und das Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechts geprüft, nicht hingegen, ob auch die übrigen Voraussetzungen für die Anordnung der Vorlage der Urkunden vorlagen. Einwendungen des Dritten hierzu sind aber als Anregung zur Prüfung zu verstehen, die Anordnung von Amts wegen abzuändern oder aufzuheben.

6. Das Gericht ist bei der Auswahl des Adressaten der Vorlageverfügung nach § 142 Abs. 1 ZPO nicht an den Kreis derer gebunden, die die Parteien als mögliche Adressaten benannt haben.


Oberlandesgericht Stuttgart 6. Zivilsenat Im Namen des Volkes Zwischen-Urteil

Geschäftsnummer: 6 U 165/06

Verkündet am 13. November 2006

In dem Zwischenstreit

wegen Vorlage von Unterlagen nach § 142 ZPO

hat der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 07. November 2006 unter Mitwirkung von

Vors. Richterin am Oberlandesgericht Dr. Kluge Richter am Oberlandesgericht Bross Richter am Oberlandesgericht Schreiber

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die xxx Treuhand GmbH ist nicht berechtigt, die Vorlage des Emissionsprospekts des Fonds "xxx Immo GbR III" nach § 384 Nr. 2 ZPO oder wegen Unzumutbarkeit zu verweigern.

2. Die xxx Treuhand GmbH trägt die zusätzlichen Kosten des Zwischenstreits.

3. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Zwischenstreits: bis 6.000 €

Tatbestand:

Von einer Darstellung wird nach § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

I. Die xxx Treuhand GmbH ist aufgrund der von ihr vorgebrachten Gründe nicht zur Verweigerung der Vorlage des Emissionsprospekts berechtigt. Sie erfüllen nicht die Voraussetzungen des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO. Im Einzelnen:

1. Das geltend gemachte Zeugnisverweigerungsrecht nach § 384 Nr. 2 ZPO besteht nicht.

a. Die Verantwortlichen der xxx Treuhand GmbH ziehen sich bei Vorlage des Prospekts nicht die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung (§ 384 Nr. 2 2. Alt ZPO) zu. Die diskutierten Straftatbestände sind verjährt.

Wie bereits in der Verfügung vom 10.10.2006 dargelegt, entspricht es der vom Senat geteilten allgemeinen Auffassung, dass eine Gefahr strafrechtlicher Verfolgung nicht besteht, wenn strafrechtliche Verjährung eingetreten ist (statt vieler: Damrau in Münchener Kommentar zur ZPO 2. Auflage § 384 Rdnr. 10 mwN, auch zur Rechtsprechung des BVerfG). Dies liegt darin begründet, dass die Strafverfolgungsbehörden die Verjährung - anders als im Zivilrecht - von Amts wegen zu berücksichtigen haben und daher ein Strafverfahren, sofern es überhaupt zu Vorermittlungen und der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens kommen sollte, ohne weitere Befassung und damit ohne Belastung der Verantwortlichen der xxx Treuhand GmbH einzustellen wäre.

Wie ebenfalls bereits in der o.g. Verfügung dargestellt und von den Bevollmächtigten der xxx Treuhand GmbH auch nicht angegriffen, ist für sämtliche in Betracht kommenden Straftatbestände (dies gilt erst recht für Ordnungswidrigkeiten) die strafrechtliche Verjährung bereits spätestens 1999 eingetreten. Keiner der diskutierten Straftatbestände des Betrugs sowie des Wuchers ist mit einer Freiheitsstrafe von mehr als fünf Jahren bedroht - die Strafschärfungen in § 263 Abs. 3 StGB und §§ 302a Abs. 2 StGB aF/ 291 Abs. 2 StGB nF bleiben bei der Bestimmung der Verjährungsfrist außer Betracht (§ 78 Abs. 4 StGB) -, womit die Verjährungsfrist des § 78 Abs. 3 StGB nach dessen Nr. 4 fünf Jahre beträgt. Selbst wenn die Verjährung unterbrochen worden wäre, wäre die absolute Grenze der Verjährung nach 10 Jahren erreicht gewesen (§ 78 c Abs. 3 S. 2 StGB) und zwar gerechnet ab Beendigung der Tat bzw. dem Eintritt des strafrechtlichen Erfolgs (§ 78a StGB). Letzterer trat bereits 1989 ein, weil sich der Beklagte - wie sich aus dem Schließungstermin des Fonds 30.06.1989 und dem Einkommensteuerbescheid des Beklagten für 1989 ergibt - in diesem Jahr beteiligt und seine Einlage als Einmalzahlung erbracht hatte, womit evtl. Schädigern die Früchte der Tat auch in diesem Jahr zugute gekommen waren (vgl. hierzu als Kriterium BGH NJW 1984, 376; Tröndle/Fischer StGB 53. Auflage § 78a Rdnr. 8).

b. Die Vorlage des Emissionsprospekts gereicht der xxx Treuhand GmbH oder ihren Verantwortlichen auch nicht zur Unehre (§ 384 Nr. 2 1. Alt ZPO).

Dies folgt allerdings nicht schon daraus, dass die Handlung der Vorlage eines Prospekts allenfalls in seltenen Fällen unehrenhaft sein kann und ein solcher Fall hier nicht vorliegt. Vielmehr ist zu fragen, ob der Inhalts des Prospekts, wenn er bekannt wird, geeignet ist, das Ansehen der xxx Treuhand GmbH in den Augen der allgemeinen Bevölkerung unter Berücksichtigung der örtlichen und gesellschaftlichen Verhältnisse und der Wertungen des Grundgesetzes spürbar herabzusetzen (z.B. Huber in Musielak ZPO 4. Auflage § 384 Rdnr. 4), weil es den Schluss auf ein unehrenhaftes Verhalten gestattet (Berger in Stein/Jonas ZPO 21. Auflage § 384 Rdnr. 7), von dem diese Kreise bislang nicht ausgegangen waren. Diese Frage ist vorliegend zu verneinen.

Es fehlt bereits daran, dass das Ansehen der xxx Treuhand GmbH durch ihren eigenen Emissionsprospekt spürbar herabgesetzt werden könnte. Ein solcher Prospekt dient dazu, in der Öffentlichkeit für eine bestimmte Anlage zu werben, ist mithin für die Öffentlichkeit bestimmt, dieser im Rahmen der Emission frei zugänglich und wurde im konkreten Fall nach der eigenen Darstellung der xxx Treuhand GmbH jedenfalls noch 1998 und damit neun Jahre nach der Emission auf Anfrage versandt. Wird damit das Bild der xxx Treuhand GmbH ohnehin durch den Prospekt mitgeprägt, so kann seine Vorlage in einem bestimmten Prozess, selbst wenn er Vorbildcharakter für weitere Rechtsstreite um Beteiligungen an diesem Fonds haben sollte, das Ansehen der xxx Treuhand GmbH in der Öffentlichkeit nicht herabsetzen, einerlei wie viel - aus Sicht der xxx Treuhand GmbH unbegründete - unehrenhaften Vorwürfe die Beklagtenvertreterin aus dem Prospekt auch herleiten mag.

2. Die Vorlage des Prospekts ist der xxx Treuhand GmbH weiter nicht unzumutbar iSd § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO.

a. Vertraulichkeitsinteressen sind an dieser Stelle nicht zu prüfen, insoweit sind die Regelungen der §§ 384 - 386 ZPO abschließend (Greger in Zöller ZPO 25. Auflage § 142 Rdnr. 4a). Dies folgt daraus, dass die Verweisung in § 142 Abs. 2 ZPO auf diese Vorschriften sinnlos wäre, wenn die dort im Einzelnen vorgenommene Abwägung durch pauschale Überlegungen der Unzumutbarkeit gegenstandlos würden.

b. Weiter besteht nicht deshalb eine Unzumutbarkeit der Vorlage, weil die Beklagtenvertreterin den Prospekt in späteren Mandatsverhältnissen direkt gegen die xxx Treuhand GmbH oder deren Verantwortliche verwenden könnte und die xxx Treuhand GmbH ihren künftigen Gegnern damit einzig wegen der Regelung des § 142 ZPO einen ungerechtfertigten Vorteil verschaffen müsste.

Allerdings ist entgegen der Auffassung der Beklagtenvertreterin zu berücksichtigen, dass sie in ihrem Internetauftritt auch mit diesem, in erster Instanz gewonnenen, Prozess wirbt und damit vermutet werden kann bzw. aus Sicht der xxx Treuhand GmbH die Gefahr besteht, dass sie weitere Mandanten akquirieren wird, die diesen Fonds gezeichnet haben. Dann besteht auch die Möglichkeit, dass sie zumindest bei diesen Mandanten Ansprüche gegen die xxx Treuhand GmbH prüft und geltend macht.

Trotzdem ist der xxx Treuhand GmbH die Vorlage des Prospekts in diesem Rechtsstreit zuzumuten und zwar deshalb, weil sie schon materiell-rechtlich gegenüber ihren Mitgesellschaftern im Fonds und damit auch dem Beklagten gegenüber zumindest dazu verpflichtet ist, Einsicht in die Unterlagen zu gewähren, wenn die Mitgesellschafter über kein Exemplar des Prospekts (mehr) verfügen. Die Pflicht folgt aus der nicht nur zwischen dem Gesellschafter und seiner Gesellschaft, sondern auch unter den Gesellschaftern einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts bestehenden Treuepflicht (K. Schmidt Gesellschaftsrecht 4. Auflage § 59 III 1 b; Ulmer in Münchener Kommentar zum BGB 4. Auflage § 705 Rdnr. 229). Sie kann auch Handlungspflichten begründen und dementsprechend hat der BGH (Urteil vom 9.09.2002 II ZR 198/00 = NJW-RR 2003, 169) entschieden, dass Informationspflichten zwischen Gesellschaftern bestehen können, namentlich dann, wenn ein Gesellschafter über Informationen verfügt, die andere Gesellschafter nicht haben können. Dem ist es gleich zu stellen, wenn ein Gesellschafter 17 Jahre nach seinem Beitritt nicht mehr über sämtliche Unterlagen verfügt, weil er sie im Laufe der Zeit für entbehrlich halten durfte.

Die Treuepflicht würde auch dann bestehen, wenn - was der Prozessbevollmächtigte der xxx Treuhand GmbH im Termin des Senats nicht aufklären konnte - die xxx Treuhand GmbH inzwischen nicht mehr Gesellschafterin der Fondsgesellschaft sein sollte. Die Treuepflicht wirkt nämlich nach (Sprau in Palandt BGB 65. Auflage § 738 Rdnr. 2aE).

Diese Pflicht ist nicht durch eine Übersendung des Prospekts im Jahre 1998 erfüllt, wobei die objektive Beweislast hierfür - wie immer, wenn Erfüllung behauptet wird - beim Schuldner der Pflicht, hier also bei der xxx Treuhand GmbH, liegt. Nach der Beweisaufnahme durch den Senat steht nicht fest, dass der Beklagte den Prospekt damals (ggfs. nochmals) erhalten hätte. Dabei kann unterstellt werden, dass die xxx Treuhand GmbH tatsächlich mit dem vorgelegten Schreiben vom 26. März 1998 ein Exemplar des Prospekts an den Beklagten abgesandt hatte, weshalb auch eine Vernehmung der damaligen Mitarbeiterin Scheu der xxx Treuhand GmbH zur Behauptung der Absendung entfällt. Es fehlt aber am Nachweis des Zugangs beim Beklagten. Das einzig erkennbare Beweismittel ist das Zeugnis der Ehefrau des Beklagten. Diese hat der Senat vernommen. Ihrer Aussage kann der Zugang aber nicht entnommen werden. Dies gälte selbst dann, wenn man die Glaubwürdigkeit der Zeugin bezweifeln wollte.

c. Schließlich ist der xxx Treuhand GmbH die Vorlage des Prospekts auch nicht deshalb unzumutbar, weil der Beklagte den Prospekt schon zweimal von ihr erhalten hätte. Davon kann nämlich nicht ausgegangen werden. Auch im Rahmen der Unzumutbarkeit liegt die objektive Beweislast bei der xxx Treuhand GmbH, wie sich bereits aus der Formulierung des § 142 Abs. 2 S. 1 ZPO ergibt ("sind ... nicht verpflichtet, soweit ..."). 3. Der Bevollmächtigte der xxx Treuhand GmbH hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat weiter eingewandt, dass die Vorlageanordnung nicht hätte ergehen dürfen, weil es sich um einen Ausforschungsbeweis handele. Diese Frage ist im Zwischenstreit nicht zu untersuchen.

Nach der eindeutigen Regelung des § 142 Abs. 2 S. 2 ZPO werden im Zwischenstreit (§ 387 ZPO) nur Einwendungen zur Zumutbarkeit der Vorlage und das Vorliegen von Zeugnisverweigerungsrechten überprüft. I.Ü. bleibt es dabei, dass die Anordnung der Vorlage nicht mit Rechtsbehelfen überprüfbar ist (Greger aaO § 142 Rdnr. 2 am Anfang). Es gilt nichts anderes als bei Beweisbeschlüssen nach § 358 ZPO. Auch in diesen Fällen kann ein Zeuge lediglich sein Zeugnisverweigerungsrecht geltend machen, nicht aber den Beweisbeschluss an sich zur Überprüfung stellen.

Abschließend zu diesem Komplex sei noch angemerkt, dass der Senat den Einwand (auch) als Anregung verstanden hat, die Vorlageanordnung von Amts wegen zu überprüfen. Die Prüfung hat indes ergeben, dass die Grenzen zum Ausforschungsbeweis nicht überschritten sind.

4. Dasselbe gilt für den Einwand, dass die Anordnung der Vorlage nicht gegenüber der xxx Treuhand GmbH, sondern nur gegenüber der DIMA GmbH hätte erfolgen dürfen.

I. Ü. ist der Senat bei der Anordnung der Vorlage auch nicht daran gebunden, denjenigen Dritten zu verpflichten, der von einer der Parteien benannt wird. Es genügt für eine Anordnung schon nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes, dass sich eine Partei auf die Urkunde bezieht und der Verpflichtete tatsächlich in ihrem Besitz ist. Das Gesetz setzt für die Anordnung der Vorlage also keinen Antrag einer Partei voraus (so z.B. auch Wöstmann in Saenger ZPO § 142 Rdnr. 1 aE), weswegen der Senat nicht gegen den Grundsatz "ne ultra petita" verstoßen konnte.

Zudem hat sich die Beklagtenvertreterin inzwischen ausdrücklich die Anordnung gegenüber der xxx Treuhand GmbH zu eigen gemacht.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

III. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht veranlasst, da die aufgeworfenen Fragen keine grundsätzliche Bedeutung haben.

IV. Die Festsetzung des Streitwertes des Zwischenstreits richtet sich nach der Bedeutung der Vorlage des Prospekts für den Rechtsstreit (BGH KostRspr § 3 ZPO Nr. 1034) aus heutiger Sicht. Da erst nach der Vernehmung des Vermittlers als Zeuge zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 3 HWiG feststeht, ob es auf Schadensersatzansprüche ankommt, für die wiederum die Prospektvorlage zentraler Punkt ist, kann nicht der volle Wert der Hauptsache angesetzt werden, sondern - weil die Klage auf zwei Beine gestellt ist - allenfalls die Hälfte. Weil Schadensersatzansprüche wegen der Vorteilsausgleichung der verbleibenden Steuervorteile niedriger ausfallen als die Klageforderung, hat der Streitwert sogar etwas unter der Hälfte des Streitwertes der Hauptsache zu bleiben. Ausgehend davon, dass sich der Streitwert der Hauptsache nach der offenen Darlehenshauptforderung richtet, ist der Streitwert damit auf bis 6.000 € festzusetzen.

Ende der Entscheidung

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