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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 19.10.2000
Aktenzeichen: 7 U 108/2000
Rechtsgebiete: VVG, AKB


Vorschriften:

VVG § 61
AKB § 12
§ 61 VVG; § 12 AKB

Raucht der ermüdete und angetrunkene Versicherungsnehmer im Führerhaus seines LKW eine letzte Zigarette vor dem Einschlafen, begibt sich hierfür aber nicht in die Schlafkoje, sondern verbleibt noch auf dem Beifahrersitz, dann stellt dies keine grob fahrlässige Herbeiführung des nach dem Einschlafen ausgebrochenen Brandes dar.


Oberlandesgericht Stuttgart - 7. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 7 U 108/2000 17 O 109/2000 LG Stuttgart

Verkündet am: 19.10.2000

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Mezger) Just.Ang.

wegen Forderung

In Sachen

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 31.08.2000 unter Mitwirkung

des Richters am OLG Uebe,

des Richters am OLG Ruf und

des Richters am LG Andelfinger

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 14.04.2000 dahin

abgeändert,

daß die Beklagte verurteilt wird, an die A Treuhand, H Weg, DM 130.200,00 nebst 4 % Zinsen hieraus seit 13.10.1999 zu bezahlen.

Die (im Zinssatz) weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 160.000,00 abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Streitwert der Berufung und Wert der Beschwer für die Beklagte: DM 130.200,00.

Tatbestand:

Der Kläger macht als Alleinerbe des bei einem Lkw-Brand umgekommenen Versicherungsnehmers Richard P Ansprüche aus der für diesen Lkw bei der Beklagten bestehenden Kaskoversicherung geltend. Das Fahrzeug war bei der Fa. A Treuhand GmbH & Leasing KG, geleast. Die Ansprüche sind an die Leasinggesellschaft abgetreten, die den Kläger - was in der Berufungsinstanz unstreitig geworden ist - zur gerichtlichen Geltendmachung ermächtigt hat.

Der Versicherungsnehmer ist Berufskraftfahrer. Er hatte am 18.06.1999 bei Bekannten in Maschen Station gemacht und in deren Wohnung den Nachmittag und Abend verbracht. Nach Genuß von Alkohol und - wegen seiner Zuckerkrankheit - Einnahme von Tabletten hatte er sich, obwohl ihm ein Schlafplatz in der Wohnung angeboten worden war, in seinen Lkw begeben, um dort, wie bei seinen Fahrten üblich, zu übernachten. Im Lkw befand sich hinter den Sitzen für Fahrer und Beifahrer eine Schlafkoje. In dieser Nacht wurde gegen 1.50 Uhr von Anwohnern festgestellt, daß der Lkw in Brand geraten war. Die benachrichtigte Polizei und Feuerwehr fand den Versicherungsnehmer tot mit stark verkohltem Körper im Fußraum vor dem Beifahrersitz liegend auf.

Am Lkw und Anhänger ist ein Totalschaden in Höhe von DM 132.200,00 entstanden, den der Kläger, abzüglich einer Selbstbeteiligung in Höhe von DM 2.000,00, auf der Grundlage des abgeschlossenen Versicherungsvertrags geltend macht. Die Beklagte hat durch vorprozessuales Schreiben vorn 13.10.1999 eine Leistung abgelehnt mit der Begründung, der Versicherungsnehmer habe den Brand durch grobe Fahrlässigkeit selbst herbeigeführt.

Erstinstanzlich hat der Kläger vorgetragen, der Brand sei zwar dadurch verursacht worden, daß der Versicherungsnehmer auf dem Beifahrersitz noch geraucht habe und dabei eingeschlafen sei. Dieses Verhalten könne aber nicht als grob fahrlässig bewertet werden, sondern lediglich als ein unglückliches Ereignis, wie es immer wieder vorkomme. Die Beklagte sei daher zur Leistung der Versicherungssumme verpflichtet sowie seit 13.10.1999 zur Zahlung von Verzugszinsen in Höhe von 10,5 %. Der Kläger müsse an die Leasinggesellschaft Zinsen in dieser Höhe zahlen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Treuhand, DM 130.200,00 nebst 10,5 % Zinsen hieraus seit 13.10.1999 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, das Rauchen in übermüdetem und alkoholisiertem Zustand und noch dazu unter dem Einfluß von Medikamenten in einem brandsensiblen Umfeld, wie es das Führerhaus eines Lkw mit Schlafkoje darstelle, könne nur als grob fahrlässig angesehen werden. Dies sei vergleichbar den in der Rechtsprechung regelmäßig als grob fahrlässiges Verhalten behandelten Fällen, in denen in müdem und/oder alkoholisiertem Zustand im Bett bzw. auf der Wohnzimmercouch geraucht worden ist. Überdies könne auch die Möglichkeit nicht ausgeschlossen werden, daß der Versicherungsnehmer den Brand wegen bestehender familiärer und wirtschaftlicher Schwierigkeiten absichtlich gelegt habe. Vorsorglich werde auch der geltend gemachte Zins nach Grund und Höhe bestritten.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen.

In seinem Urteil vom 14.04.2000 ist das Landgericht Stuttgart den Argumenten der Beklagten gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger frist- und formgerecht Berufung eingelegt.

In der Berufungsbegründung bestreitet er nun die dem erstinstanzlichen Urteil zugrundeliegende Annahme, daß Brandursache eine brennende Zigarette gewesen bzw., wenn doch, daß der Versicherungsnehmer mit brennender Zigarette eingeschlafen sei. Einen Nachweis gebe es hierfür nicht, lediglich entsprechende Vermutungen von Polizei und Feuerwehr. Brandursache könne auch ein ganz anderes Ereignis gewesen sein. Auch sei die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß der Versicherungsnehmer zwar geraucht habe, dabei aber, da zuckerkrank und auf Tabletten angewiesen, verstorben oder bewußtlos geworden sei. Für die Annahme einer vorsätzlichen Brandlegung gebe es keinerlei Anhaltspunkte.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts dahin abzuändern, daß die Beklagte entsprechend den erstinstanzlich gestellten Anträgen verurteilt werde.

die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil im wesentlichen mit den bereits erstinstanzlich vorgetragenen Argumenten, wobei insbesondere betont wird, daß eine andere Ursache als das Einschlafen mit brennender Zigarette nicht in Frage komme und dies nur als grob fahrlässig angesehen werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter nebst deren Anlagen Bezug genommen.

Dem Senat hat bei seiner Entscheidung die Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Lüneburg, 132 UJs 11 455/99 vorgelegen, auf deren Inhalt sich beide Parteien als unstreitig bezogen haben.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und in der Sache auch begründet.

1.

Für die Feststellung vorsätzlichen Handelns gibt es keine geeigneten Anhaltspunkte. Der bloße Umstand, daß der Versicherungsnehmer an diesem Tage gegenüber seinen Bekannten über Eheprobleme berichtet und in der Vergangenheit einmal Selbstmordabsichten geäußert hatte, reicht hierfür nicht aus. Andere Motive für ein vorsätzliches Handeln sind ohnehin nicht denkbar.

2.

Die festgestellten Tatsachen reichen selbst bei der Unterstellung, Brandursache sei tatsächlich das Einschlafen mit brennender Zigarette gewesen, auch nicht für die Schlußfolgerung aus, der Versicherungsnehmer habe die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich großem Maße außer acht gelassen und dasjenige nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten müsse, sein Verhalten sei dabei auch subjektiv unentschuldbar gewesen.

a)

Zwar geht die Rechtsprechung grundsätzlich davon aus, daß grobe Fahrlässigkeit vorliegt, wenn jemand im Bett in übermüdetem oder gar betrunkenem Zustand raucht, weil die Gefahr des Einschlafens und der Verlust der Kontrolle über die brennende Zigarette zu groß ist. Ein solcher oder dieser Situation von der objektiven Gefährlichkeit und der subjektiven Vorwerfbarkeit her vergleichbarer Sachverhalt kann hier aber gerade nicht angenommen werden.

Nach den bekannten Fakten kann allenfalls unterstellt werden, daß der Versicherungsnehmer angetrunken (wobei der Trunkenheitsgrad selbst nicht genau bekannt ist) und evtl. auch ziemlich müde (auch hier ist der Grad der Ermüdung aber nicht bekannt) aus der Wohnung seiner Bekannten in seinen Lkw gestiegen ist, um dort die Nacht zu verbringen, zuvor allerdings noch eine Zigarette zu rauchen. Er hat sich nun aber nicht bereits in die Schlafkoje begeben, um dort vor dem Einschlafen noch zu rauchen; sondern hat sich zu diesem Zweck auf den vor der Schlafkoje befindlichen Beifahrersitz gesetzt.

Auch dieses Verhalten ist zwar, zumal im angetrunkenen und ermüdeten Zustand, sicher gefährlich und fahrlässig, beweist aber noch einen gewissen Grad an Überlegung. Er hat offensichtlich - und was zu Gunsten des Klägers überdies unterstellt werden muß - bewußt die Zigarette nicht schon im Liegen kurz vor dem Einschlafen geraucht, sondern noch im Sitzen in einer Position, die zum vorzeitigen unkontrollierten Einschlafen bei weitem nicht so sehr animiert wie die liegende Position in der Schlafkoje.

Unter diesen Umständen ist der Vorwurf grober Fahrlässigkeit nicht möglich, zumal - ebenfalls zu Gunsten des Versicherungsnehmers - auch unterstellt werden darf, daß er, da er ja regelmäßig im Lkw übernachtet, ein solches Verhalten schon häufig gezeigt hatte, ohne daß irgend etwas passiert wäre, welches ihm die Erkenntnis der hohen Gefährlichkeit eines solchen Tuns hätte aufdrängen müssen. Zudem dürfte sich jedenfalls aus subjektiver Sicht auch die Frage der Brandgefahr durch eine herunterfallende brennende Zigarette im Führerhaus sicher weniger brisant stellen als für den Bereich der Schlafkoje.

b)

Der Umstand, daß er nach Angaben seiner Bekannten an diesem Abend bereits infolge Trunkenheit getorkelt und Zigaretten neben den Aschenbecher gelegt habe, ist nicht geeignet, eine andere Beurteilung zu rechtfertigen. Denn zum einen ist nicht klar, inwieweit er sich dieses Verhaltens überhaupt bewußt gewesen ist. Zum anderen ändert dies auch nichts an der Feststellung, daß er in der Lage gewesen war, zu seinem Lkw zu gehen, die Fahrertür aufzuschließen und die Entscheidung zu treffen, vor dem Einschlafen eine letzte Zigarette zu rauchen, aber nicht schon in der Schlafkoje liegend, sondern noch im Führerhaus sitzend.

c)

Im übrigen weist der Kläger auch zurecht darauf hin, daß noch nicht einmal die sichere Feststellung möglich ist, ob ein Einschlafen die Ursache für den Verlust der Kontrolle über die noch brennende Zigarette gesetzt hatte. Vielleicht ist der Versicherungsnehmer tatsächlich aus anderen Gründen in Ohnmacht gefallen oder sogar verstorben, bewirkt etwa durch seine - unstreitige - seelische Anspannung an diesem Abend in Verbindung mit dem erheblichen Genuß von Alkohol und dazu der Einnahme von Tabletten gegen seine Zuckererkrankung. Für diese Möglichkeit könnte sprechen, daß er sich wohl irgendwann zwischen 21.00 Uhr und 22.00 Uhr in den Lkw begeben und auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte, um zu rauchen, der Brand dann aber ersichtlich erst nach 1.00 Uhr so richtig ausbrach und dabei keinerlei Feststellungen getroffen werden konnten dahin, daß er durch die Brandentwicklung aufgewacht wäre und noch irgendwas zu seiner Rettung versucht hätte. Ein solches Verhalten eines "bloß" Eingeschlafenen ist sicher ungewöhnlich. Den Kontrollverlust über eine im Sitzen vor dem endgültigen Schlafengehen gerauchte Zigarette durch den plötzlichen Eintritt tiefer Bewußtlosigkeit oder gar des Todes mußte der Versicherungsnehmer aber nicht in Rechnung stellen, jedenfalls kann insoweit nicht gesagt werden, er habe hier etwas außer acht gelassen, was jedem hätte einleuchten müssen.

3.

Damit erweist sich die Berufung als begründet, so daß der Klage unter entsprechender Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung in der Hauptsache stattzugeben war. Bei den ab 13.10.99 (Datum der Leistugnsablehnung) zu zahlenden Verzugszinsen konnte dagegen lediglich der gesetzliche Zinssatz angesetzt werden. Die geltend gemachte Zinshöhe ist von der Beklagten bestritten und ein Beweis nicht erbracht worden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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