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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 10.08.2000
Aktenzeichen: 7 U 83/00
Rechtsgebiete: ARB (75)


Vorschriften:

ARB (75) § 4 Abs. 1 k
ARB (75) § 4 Abs. 2 a
§ 4 Abs. 1 k, Abs. 2 a ARB (75)

1. Die Wahrnehmung der Rechte in einem Streit um die Frage, ob der Käufer einer mangelfrei errichteten Eigentumswohnung vom Verkäufer in hinreichender Weise über eine allein bauordnungsrechtliche Nutzungseinschränkung in einem Gewerbegebiet aufgeklärt worden ist, fällt in der Rechtsschutzversicherung nicht unter den Risikiausschluß des § 4 Abs. 1 k ARB.

2. Die Ausschlußnorm des § 4 Abs. 2 a ARB erfordert nicht eine Interessenwahrnehmung gegenüber demjenigen, dessen Rechte verletzt worden sind, sondern erfasst auch den Fall einer Auseinandersetzung mit demjenigen, der am Rechtsverstoß mitgewirkt hatte.


Oberlandesgericht Stuttgart - 7. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 7 U 83/2000 27 O 462/99 LG Stuttgart

Verkündet am: 10.08.2000

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle (Mauch) Obersekretärin

In Sachen

wegen Forderung

hat der 7. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 27.07.2000 unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am OLG Gramlich,

des Richters am OLG Ruf und

des Richters am LG Andelfinger

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 27. Zivilkammer Landgerichts Stuttgart vom 29.03.2000 dahin

abgeändert,

daß die Klage abgewiesen wird.

2. Die Anschlußberufung des Klägers wird zurückgewiesen.

3. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Wert der Beschwer des Klägers: bis DM 40.000,00.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, da der Rechtsstreit, für den der Kläger Rechtsschutz begehrt, gem. § 4 ARB (75) vom Versicherungsschutz ausgeschlossen ist.

1.

Dieser Ausschluß ergibt sich - entgegen der Ansicht der Beklagten - allerdings nicht bereits aus der Ausschlußklausel des § 4 Abs. 1 k ARB 75, da die Voraussetzungen dieser das Baurisiko betreffenden Klausel hier nicht gegeben sind.

Aus dem Vortrag der Parteien ist nicht eindeutig zu entnehmen, ob zum Zeitpunkt des Kaufvertrags die Eigentumswohnung bereits vollständig errichtet, also nur noch zu verkaufen war oder ob sie sich noch im Stadium der Fertigstellung befunden und der Vertrag daher (auch) die Verpflichtung zur vollständigen Herstellung enthalten hatte. Dies kann für die Prüfung der Ausschlußklausel des § 4 Abs. 1 k allerdings dahinstehen. Denn auch in ersterem Fall kann diese Norm Anwendung finden, wenn Maßnahmen der Planung und Errichtung noch in das Erwerbsgeschäft hineinwirken und für den Erwerber eine damit im Zusammenhang stehende Interessenwahrnehmung notwendig machen. Im Fall des gemischten Vertrags ist die Baurisikoklausel auch nicht stets anwendbar für alle nur irgendwie mit dem Bauwerk zusammenhängenden Probleme zwischen Käufer und Verkäufer/Hersteller. Nach der Rechtsprechung des BGH in den grundlegenden Entscheidungen VersR 89, 470, VersR 90, 485 und vor allem VersR 94, 44 ist zwischen dem grundsätzlich versicherten Erwerbsrisiko und dem nach § 4 Abs. 1 k ARB 75 ausgeschlossenen Baurisiko zu trennen. Die Ausschlußklausel greift nur, wenn das wahrzunehmende Interesse, für welches Rechtsschutz begehrt wird, nicht ausschließlich den Erwerbsvorgang betrifft, sondern auch mit Planung und Errichtung des Baus in einem unmittelbaren (qualifizierten) Zusammenhang steht. Ein solcher qualifizierter Zusammenhang kann hier aber nicht angenommen werden. Denn der Streit zwischen dem Kläger und seinem Verkäufer betrifft nicht eine Baumaßnahme bzw. einen eine solche Maßnahme unmittelbar begleitenden Vorgang, sondern entscheidet sich aus der Beantwortung der Frage, ob über die unstreitige und allein bauordnungsrechtlich begründete beschränkte Nutzungsmöglichkeit der mangelfrei geplanten und errichteten Eigentumswohnlage hinreichend aufgeklärt worden ist.

2.

Der vom Kläger begehrte Rechtsschutz ist jedoch deshalb ausgeschlossen, weil er den Versicherungsfall vorsätzlich und rechtswidrig im Sinne des § 4 Abs. 2 a ARB 75 verursacht hat.

a) Der Versicherungsfall ist hier die aus der Sicht des Klägers bestehende Notwendigkeit, sich mit seinem Verkäufer und Hersteller der WEG-Anlage wegen des Umstands rechtlich auseinandersetzen zu müssen, daß er eine Eigentumswohnung gekauft hat, die er wegen § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nicht nutzen darf, weil er nicht die Voraussetzungen einer Aufsichts- und Bereitschaftsperson für das im Gewerbegebiet errichtete Gebäude erfüllt. Diese Situation hat er aber selbst - im Zusammenwirken mit dem Verkäufer - herbeigeführt. Der Umstand, daß das Baurechtsamt durch die falsche Erklärung, er sei als Aufsichtsperson bestellt, getäuscht und damit die Nutzungsbeschränkung umgangen werden sollte, ist ihm bewußt gewesen. Festzustellen ist, daß jedenfalls bedingter Vorsatz vorgelegen hat. Möglicherweise hat er den Rechtsverstoß nicht direkt gewollt. Er hat ihn sich aber immerhin als möglich vorgestellt und für den Fall seines Eintritts gebilligt.

Dies ergibt sich zum einen aus § 16 des Kaufvertrags, der ausdrücklich die Erklärung beinhaltet:

Dem Erwerber ist bekannt, daß das Baugrundstück in einem Gewerbegebiet liegt und die beiden Dachgeschoßwohnungen gem. § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO nur als Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber oder Betriebsleiter der gewerblichen Einheiten zugelassen worden sind. Das Kaufobjekt darf daher nur von vorstehend genanntem Personenkreis genutzt werden. Der Erwerber ist verpflichtet, die vorstehenden Bestimmungen seinem Rechtsnachfolger aufzuerlegen und diesen wiederum zu verpflichten, das Kaufobjekt nur mit denselben Bestimmungen zu veräußern.

Ferner hat der Kläger durch Anwaltsschreiben vom 10.02.1999 gegenüber der Beklagten erklärt, der Verkäufer habe ihn vor dem Verkauf darauf hingewiesen, daß es mit der Wohnung ein kleines Problem gebe, das mit dem Baurechtsamt zu klären sei. Dem Kläger sei hierbei erläutert worden, daß er gegenüber dem Baurechtsamt als Aufsichtsperson gemeldet werden müßte, da die Wohnung nur an einen bestimmten Personenkreis veräußert werden dürfe; dies sei aber lediglich "pro forma", tatsächlich müsse keine Aufsicht ausgeübt werden.

Die Würdigung dieser beiden vom Kläger unterschriebenen bzw. in seinem Namen (und aufgrund der von ihm erteilten Information) abgegebenen Erklärungen bietet keinen Raum für Zweifel daran, daß er sich bei Vertragsabschluß darüber bewußt gewesen war bzw. es sich immerhin als möglich vorgestellt und billigend in Kauf genommen hatte, ihm solle durch Erklärungen, die zur Überwindung eines baurechtlichen Problems rein "pro forma" ohne den Willen zur tatsächlichen Umsetzung abzugeben seien, eine rechtlich unzulässige Nutzung des Objekts ermöglicht werden. Seiner Einlassung, er habe gemeint, es gehe hierbei lediglich um durch Vereinbarung abdingbare Aufsichtspflichten innerhalb der Miteigentümergemeinschaft, kann angesichts des klaren Wortlauts dieser Erklärungen nicht gefolgt werden.

b) Der Umstand, daß die Interessenwahrnehmung, für die hier Rechtsschutz begehrt wird, nicht gegenüber demjenigen erfolgt, dessen Rechte verletzt worden sind, steht der Anwendung des § 4 Abs. 2 a ARB nicht entgegen. Denn diese Norm setzt nicht voraus, daß das vorsätzliche und rechtswidrige Handeln gegen denjenigen gerichtet ist, der später dann Gegner der rechtlichen Auseinandersetzung wird. Es kommt vielmehr allein darauf an, ob der vorsätzlich begangene Rechtsverstoß die entscheidende Ursache für den Streit gesetzt hat, ohne Rücksicht darauf, ob der Streitgegner derjenige ist, der durch die verletzte Rechtsnorm eigentlich geschützt werden sollte. Denn der Zweck dieser Ausschlußklausel besteht nicht lediglich darin, die Solidargemeinschaft der Versicherten vor den Kosten rechtlicher Auseinandersetzungen zu bewahren, die der Versicherungsnehmer mit demjenigen führt, dessen Recht er gebrochen hat. Sondern es soll die Kostenerstattung für jedwede Rechtsstreitigkeit ausgeschlossen werden, für die der Versicherungsnehmer durch einen Rechtsverstoß vorsätzlich die entscheidende Ursache gesetzt hat, gleichgültig, mit wem diese Auseinandersetzung dann zu führen ist, also auch für eine Auseinandersetzung im Innenverhältnis mit demjenigen, der an diesem Verstoß gegen geltendes Recht mitgewirkt hatte (so im Ergebnis auch OLG Nürnberg, ZFS 87, 273; LG Darmstadt, VersR 97, 693 und AG Freiburg, R+S 91, 57 für die Auseinandersetzung zwischen Kaufvertragsparteien, die einen falschen Grundstückspreis haben notariell beurkunden lassen).

c) Auch das Argument, dem Kläger sei bei Abschluß des Kaufvertrags aber keinesfalls bewußt gewesen, hierdurch einen seinen Rechtsschutzversicherer mit Kosten belastenden Rechtsstreit herbeizuführen, steht einer Anwendung der Ausschlußnorm des § 4 Abs. 2 a ARB nicht entgegen. Denn dieser Vorsatzausschluß verlangt lediglich das Wissen und Wollen bezüglich der Tatsachen, die den Versicherungsfall darstellen, die Interessenwahrnehmung im Sinne des § 14 Abs. 1 ARB also notwendig gemacht haben sowie die allgemeine Vorstellung, daß sich hieraus nach der Lebenserfahrung und dem gewöhnlichen Lauf der Dinge rechtliche Weiterungen ergeben können. Das Vorliegen einer solchen allgemeinen Vorstellung kann bei einem die Nutzungsbeschränkung des § 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO bewußt durch falsche Erklärungen verletzenden Käufer nicht bezweifelt werden. Nicht notwendig ist dagegen, daß hier bereits das Bewußtsein vorhanden gewesen ist, dieser vorsätzliche Rechtsverstoß werde zu einer Kostenbelastung des Rechtsschutzversicherers führen (BGH r+s 97, 201 m.w.N.).

3.

Auf die Berufung der Beklagten war daher das zusprechende Urteil des Landgerichts dahin abzuändern, daß die Klage zurückgewiesen wird. Zugleich ergibt sich hieraus die Unbegründetheit der vom Kläger eingelegten Anschlußberufung.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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