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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 19.01.2007
Aktenzeichen: 8 AR 1/07
Rechtsgebiete: FGG, AdWirkG, BGB


Vorschriften:

FGG § 43b Abs. 2 S. 2
AdWirkG § 5 Abs. 1 S. 1
AdWirkG § 5 Abs. 2
BGB §§ 1741 ff
1. Die Zuständigkeitskonzentration in Angelegenheiten, die die Annahme eines Kindes betreffen und bei denen ausländische Sachvorschriften zur Anwendung kommen, bezieht sich gem. § 43b Abs. 2 S. 2 FGG i. V. m. § 5 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 AdWirkG nur auf die Verfahren, indenen der Anzunehmende zur Zeit der Annahme des 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hat (ebenso: Schleswig-Holsteinisches OLG FamRZ 2006, 1462; entgegen: OLG Köln FGPrax 2006, 211).

2. Die Zuständigkeitskonzentration für das Verfahren der Minderjährigenadoption endet mit dem Eintritt der Volljährigkeit. Für das sich anschließende Verfahren der Annahme eines Volljährigen ist eine örtliche Zuständigkeit des "Konzentrationsgerichts" auch nicht nach dem Grundsatz der perpetuatio fori gegeben (Fortführung zum Beschluss des Senats vom 20. 11. 2006, Az. 8 AR 42/06).


Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 8 AR 1/07

vom 19. Januar 2007

In der Adoptionssache

wegen Zuständigkeitsbestimmung gem. § 5 FGG

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Bräuning Richter am Oberlandesgericht Grüßhaber Richterin am Oberlandesgericht Tschersich

beschlossen:

Tenor:

Für das Adoptionsverfahren ist das Amtsgericht Ulm - Vormundschaftsgericht - örtlich zuständig.

Gründe:

I.

Der am 1. September 1988 geborene Anzunehmende ist bei den Annehmenden aufgewachsen bis zu deren Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland im Sommer 2003. Danach kehrte er zu seinen leiblichen Eltern zurück, die jedoch bei einem Verkehrsunfall im September 2003 verstarben. Seitdem stand er unter der Vormundschaft einer Tante und lebt wieder im Haushalt der Annehmenden.

Am 29. Juni 2006 ging beim Amtsgericht Stuttgart - Vormundschaftsgericht - ein notariell beurkundeter Adoptionsantrag vom 26. Juni 2006 ein, mit dem der Ausspruch der Annahme des Anzunehmenden durch die Annehmenden beantragt wurde. Gleichzeitig wurde die Zustimmung des noch minderjährigen Anzunehmenden durch diesen selbst erklärt und von den Annehmenden vorsorglich auch der Antrag auf die Annahme des Anzunehmenden als Volljährigen gestellt. Die notariell beurkundete Adoptionseinwilligung der gesetzlichen Vertreterin des Anzunehmenden erfolgte am 25. Juli 2006. Danach wurden weitere Unterlagen angefordert und eingereicht. Nach Eintritt der Volljährigkeit des Anzunehmenden erklärte dieser zur notariellen Niederschrift den seinerseits nunmehr erforderlichen eigenen Adoptionsantrag am 19. Oktober 2006, der am 23. Oktober 2006 beim Amtsgericht Stuttgart einging.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das Amtsgericht Stuttgart mit Beschluss vom 31. Oktober 2006 das Verfahren an das Amtsgericht - Vormundschaftsgericht - Ulm abgegeben, weil nach Eintritt der Volljährigkeit des Anzunehmenden seine Zuständigkeit als "Konzentrationsgericht" nicht mehr gegeben sei. Das Amtsgericht Ulm hat mit Beschluss vom 1. Dezember 2006 die Übernahme abgelehnt, da es die Zuständigkeit des "Konzentrationsgerichts" nach wie vor für gegeben erachtet. Das Amtsgericht Stuttgart hat sich mit Beschluss vom 29. Dezember 2006 für unzuständig erklärt und das Verfahren zur Zuständigkeitsbestimmung gem. § 5 FGG dem Oberlandesgericht Stuttgart vorgelegt.

II.

1.

Das Oberlandesgericht Stuttgart ist als gemeinsames nächsthöheres Gericht gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG zur Entscheidung des Zuständigkeitsstreites berufen, weil die Amtsgerichte Stuttgart und Ulm zu verschiedenen Landgerichtsbezirken innerhalb des OLG-Bezirks gehören und beide Amtsgerichte sich in der Adoptionssache als unzuständig erachten (Sternal in Keidel/Kuntze/Winkler, FG, 15. Aufl. 2003/2005, § 5 Rdnr. 38).

2.

Örtlich zuständig für das Adoptionsverfahren ist gem. § 43b Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 FGG das Amtsgericht Ulm. Denn in dessen Bezirk befindet sich der Wohnsitz der beiden Annehmenden.

Eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Stuttgart als "Konzentrationsgericht" gem. § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG ist nicht gegeben, weil sich diese Zuständigkeitszuweisung nicht auf die Annahme Volljähriger erstreckt:

a.

Der Anwendungsbereich des § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 des Adoptionswirkungsgesetzes vom 5. November 2001 (BGBl Teil I 2001, Bd. 3, Seite 2950, 2953) wird in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte bezüglich der Adoption von Volljährigen unterschiedlich behandelt (Schleswig-Holsteinisches OLG FamRZ 2006, 1462; OLG Köln FGPrax 2006, 211). Das Schleswig-Holsteinische OLG beschränkt die vorgenannte Konzentrationsvorschrift auf Anzunehmende, die zur Zeit der Annahme noch nicht das 18. Lebensjahr vollendet haben, während das OLG Köln diese Einschränkung nicht vornimmt.

b.

Der Senat folgt der vom Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht vertretenen Rechtsmeinung.

Die Einfügung von Satz 2 in § 43b Abs. 2 FGG erfolgte durch Gesetz zur Regelung von Rechtsfragen auf dem Gebiet der internationalen Adoption und zur Weiterentwicklung des Adoptionsvermittlungsrechts vom 5.11.2001 (BGBl. I, 2950). Dieses Gesetz umfasst das Gesetz zur Ausführung des Haager Übereinkommens vom 29.5.1993 über den Schutz von Kindern und die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der internationalen Adoption (AdÜbAG), das Gesetz über Wirkungen der Annahme als Kind nach ausländischem Recht (AdWirkG), Änderungen des Adoptionsvermittlungsgesetzes und in Art. 4 damit zusammenhängende Änderungen sonstigen Bundesrechts, u. a. unter Abs. 2 die Einführung des § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG. Das Haager Übereinkommen und das AdWirkG betreffen ausschließlich die Minderjährigenadoption (Art. 3 des Haager Abkommens; § 1 AdWirkG). Zentrales Anliegen des Haager Übereinkommens ist die Gewährleistung größtmöglichen Schutzes der betroffenen Minderjährigen. Dem dient auch die Konzentration der Zuständigkeit auf die den örtlichen Vormundschaftsgerichten übergeordneten Oberlandesgerichte; damit soll die Fachkompetenz der zuständigen Richter gestärkt werden (vgl. Steiger, Das neue Recht der internationalen Adoption und Adoptionsvermittlung, Bundesanzeiger Verlag, Teil A RN 302).

Die Begründung zum Regierungsentwurf macht sichtbar, dass die Zuständigkeitskonzentration - dem auf den Minderjährigenschutz gerichteten Ziel des Haager Abkommens und des AdWirkG entsprechend - lediglich die Minderjährigenadoption bei Anwendung ausländischer Sachvorschriften erfassen sollte. Dort wird ausgeführt:

Artikel 2 Abs. 2 beinhaltet eine Änderung des § 43b FGG. Der neue Satz 2 ..... normiert für Fälle, in denen das Vormundschaftsgericht bei seiner Entscheidung ausländisches Adoptionsrecht anzuwenden hat, eine Zuständigkeitskonzentration. Da in diesen Fällen zugleich die Vorschriften des Adoptionswirkungsgesetzes zu beachten sind, wird die Zuständigkeit für das gesamte Verfahren dem nach § 5 Abs. 1 Satz 1 AdWirkG zuständigen Vormundschaftsgericht am Sitz des jeweiligen Oberlandesgerichts ....übertragen.

(zitiert nach Steiger, aaO, Teil B RN 743)

Regelungsanlass war nach Darstellung von Steiger die Erstreckung des AdWirkG auf Fallgestaltungen, in denen die Adoption im Inland ausgesprochen wird, jedoch gemäß Art. 22 Abs. 1 EGBGB ausländischem Sachrecht unterliegt (Steiger aaO, RN 744). An die Erweiterung der Zuständigkeitskonzentration auf Erwachsenenadoptionen war danach nicht gedacht.

Bei dieser Ausgangslage kann nach Auffassung des Senats (entgegen OLG Köln FGPrax 2006, 211) § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG nicht als bloße Rechtsfolgenverweisung verstanden werden. Vielmehr ist die Verweisung dahin auszulegen, dass die Zuständigkeitskonzentration für Adoptionsverfahren gelten soll, die vom AdWirkG erfasst werden und bei denen ausländische Sachvorschriften zur Anwendung kommen. Dem entspricht auch der derzeit diskutierte Reformentwurf zum FamFG (dort §§ 197 und 207). Dieser sieht die hier strittige Zuständigkeitskonzentration ebenfalls nur für Fälle vor, die unter das AdWirkG fallen. Die Begründung lässt nicht erkennen, dass der Verfasser hierin etwa eine Änderung der bisherigen Rechtslage sieht.

c.

Da hier aus den dargestellten Gründen kein Fall der Zuständigkeitskonzentration nach § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG vorliegt, bedarf es keiner Entscheidung über die andere Frage, ob die Konzentrationswirkung gem. § 43b Abs. 2 Satz 2 FGG auch dann eingreift, wenn nach dem Adoptionsstatut deutsches Recht berufen ist, hinsichtlich eines etwaigen Zustimmungserfordernisses aber zusätzlich ausländisches Recht anzuwenden ist - wie vorliegend gem. Art. 22 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2, 14 Abs. 1 Nr. 1, 23 Satz 1 EGBGB (bejahend der Senat: OLG Stuttgart FamRZ 2004, 1124 m. w. N., sowie OLG Zweibrücken Rpfleger 2005, 256; BayObLG FGPrax 2005, 65; OLG Düsseldorf RNotZ 2006, 147; OLG Köln FGPrax 2006, 72; OLG Karlsruhe FamRZ 2006, 1464 unter Aufgabe von OLG Karlsruhe OLGR Karlsruhe 2004, 125; je m. w. N.; anderer Auffassung: OLG Hamm FamRZ 2003, 1042; Schleswig-Holsteinisches OLG FamRZ 2006, 1142; je m. w. N.).

3.

Im Hinblick auf die Abweichung von der Rechtsauffassung des OLG Köln kommt eine Vorlage an den Bundesgerichtshof nicht in Betracht, weil § 5 FGG im Gegensatz zu § 36 Abs. 3 ZPO eine Vorlage nicht vorsieht.

4.

Der Grundsatz der perpetuatio fori steht einer Abgabe des Verfahrens vom Amtsgericht Stuttgart an das Amtsgericht Ulm nicht entgegen.

Zwar ist maßgebender Zeitpunkt für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit grundsätzlich derjenige, in dem das angegangene Gericht erstmals mit der Angelegenheit befasst wird, also in Adoptionsverfahren ein Antrag auf Ersetzung einer Einwilligung, auf Ausspruch der Annahme oder auf Aufhebung des Annahmeverhältnisses usw. bei dem sachlich zuständigen Gericht eingereicht wird (Engelhardt in Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 15. Aufl. 2003/2005, § 43b Rdnr. 15 m. w. N.; BGH NJW-RR 1993, 1091). Hier geht es aber nicht um eine spätere Veränderung der Verhältnisse, die die einmal begründete Zuständigkeit unberührt lässt, sondern um einen neuen Verfahrensgegenstand, für den andere Voraussetzungen und Regeln gelten (Diederichsen in Palandt, BGB, 66. Aufl. 2007, § 1741 Rdnr. 1 und 2).

Bis zum Eintritt der Volljährigkeit des Anzunehmenden unterlag die Adoption den Vorschriften der §§ 1741 bis 1766 BGB und danach der §§ 1767 bis 1772 BGB. Das Verfahren der Minderjährigenadoption endete kraft Gesetzes mit Vollendung des 18. Lebensjahres des Anzunehmenden (§ 2 BGB). Denn wesentlicher Zeitpunkt für die zur Anwendung kommenden Vorschriften ist nicht der Eingang des ersten Antrages, sondern der Zeitpunkt des Annahmebeschlusses (Diederichsen, a. a. O.). Damit begann nach dem 1. September 2006 in Folge des vorsorglich gestellten Antrags der Annehmenden auf Annahme des Anzunehmenden als Volljährigen ein neues Verfahren, das sich nunmehr nach §§ 1767 ff BGB richtet und zusätzlich eines Adoptionsantrages des Anzunehmenden bedurfte (§ 1768 Abs. 1 BGB), der am 23. Oktober 2006 beim Amtsgericht Stuttgart einging. Der Antrag auf Volljährigenadoption durch die Annehmenden konnte eine rechtliche Relevanz erst erlangen mit dem Eintritt der Volljährigkeit des Anzunehmenden, weil es sich bis dahin um eine Minderjährigenadoption handelte. Es kann demzufolge für die örtliche Zuständigkeit nicht auf den Eingang des Adoptionsantrags am 29. Juni 2006 beim Amtsgericht Stuttgart abgestellt werden, da der Antrag sich zu diesem Zeitpunkt nur auf das Verfahren der Annahme eines Minderjährigen beziehen konnte. Nach Vollendung des 18. Lebensjahres des Anzunehmenden endete aber dieses Verfahren, für das das Amtsgericht Stuttgart als "Konzentrationsgericht" örtlich zuständig war. Das nunmehr eingeleitete Verfahren der Annahme eines Volljährigen wurde dagegen im Hinblick auf die obigen Ausführungen unter Ziffer II 2. beim örtlich unzuständigen Gericht anhängig gemacht (§ 43b Abs. 2 Satz 1 FGG). Der Grundsatz der perpetuatio fori bindet aber nicht das örtlich unzuständige, sondern nur das bei Einleitung des Verfahrens örtlich zuständig gewesene Gericht. Nachträgliche Änderungen in demselben Verfahren können die einmal gegebene örtliche Zuständigkeit nicht entfallen lassen.

Damit lässt sich eine Zuständigkeit des Amtsgerichts Stuttgart auch nicht unter dem Gesichtspunkt der perpetuatio fori begründen, sodass das Amtsgericht Ulm für das Verfahren der Volljährigenadoption gem. § 43b Abs. 2 Satz 1 FGG örtlich zuständig ist.

Ende der Entscheidung

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