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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 30.03.2004
Aktenzeichen: 8 W 108/04
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 724
ZPO § 726
Zur Zwangsvollstreckung aus einem in bestimmter Frist widerruflichen, aber nicht widerrufenen Vergleich genügt eine einfache Vollstreckungsklausel nach § 724 ZPO, die von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle des Gerichts zu erteilen ist. Eine qualifizierte Vollstreckungsklausel nach § 726 ZPO ist nicht erforderlich (entgegen BAG, Beschluss vom 5.11.2003 - 10 AZB 38/03 -).
Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 108/04

vom 30. März 2004

In der Zwangsvollstreckungssache

wegen Forderung aus Leasingvertrag

hier: Erteilung der Vollstreckungsklausel für Widerrufs-Vergleich

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart gemäß § 568 Satz 2 ZPO durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Bräuning Richter am Oberlandesgericht Dr. Müller-Gugenberger und Richterin am Oberlandesgericht Dr. Zeller-Lorenz

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluss der Rechtspflegerin beim Landgericht Heilbronn vom15.3.2004 wird kostenpflichtig

zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Beschwerdewert: 9.000,00 €

Gründe:

I.

Die Parteien haben im ersten Termin zur mündlichen Verhandlung vom 29.1.2004 einen Vergleich geschlossen mit folgendem Inhalt:

1. "Zur Erledigung aller gegenseitigen Ansprüche verpflichtet sich der Beklagte, an die Klägerin 9.000,-- € zu bezahlen.

Der Betrag ist ab 20.2.2004 mit 9 % zu verzinsen.

2. (Kosten) ....

3. Beiden Parteien wird nachgelassen, diesen Vergleich durch an das Gericht zu richtenden Schriftsatz binnen 3 Wochen zu widerrufen."

Ein Widerruf dieses Vergleichs ist nicht erfolgt. Auf Antrag der Klägerin / Gläubigerin vom 24./25.2.2004 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle das mit einem Vermerk der Geschäftsstelle über den Nicht-Eingang eines Widerrufs versehene Sitzungsprotokoll vom 29.1.2004 mit der Vollstreckungsklausel versehen. Weil der Schuldnervertreter die Zustellung dieser vollstreckbaren Ausfertigung unter Hinweis auf die neueste Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zurückgewiesen hat, hat die Gläubigerin unter dem 8./9.3.2004 beantragt, ihr nach § 726 ZPO eine qualifizierte Vollstreckungsklausel durch den Rechtspfleger zu erteilen.

Durch Beschluss vom 15.3.2004 (Bl. 89 ff d.A.) hat die Rechtspflegerin des Landgerichts die Erteilung der beantragten Vollstreckungsklausel abgelehnt mit der Begründung, entgegen der Ansicht des BAG seien die Voraussetzungen für die Erteilung einer qualifizierten Vollstreckungsklausel durch den Rechtspfleger nicht erfüllt, denn nicht die Vollstreckung des Titels, sondern dessen Wirksamkeit insgesamt hänge vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung, nämlich Fristablauf ohne Widerruf, ab; § 726 ZPO gelte nach seinem Wortlaut nur, wenn allein die Vollstreckung von einer Bedingung abhängig sei.

Dagegen wendet sich die Gläubigerin mit der Beschwerde vom 19./22.3.2004, mit der sie ihr Begehren auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel nach § 726 ZPO weiter verfolgt; ihr dürfe die Vollstreckbarkeit des Vergleichs nicht durch einen - für einen Laien nicht nachvollziehbaren - Streit um die "richtige" Klausel erschwert werden. Der Schuldner hat sich im Beschwerdeverfahren nicht geäußert.

II.

1. Das Rechtsmittel der Klägerin ist als sofortige Beschwerde gegen die ablehnende Rechtspflegerentscheidung statthaft und zulässig (§§ 793, 567 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 RPflG). Die im Rahmen der Parteizustellung erfolgte Zurückweisung der erteilten Klausel durch den Schuldner als unwirksam - da nicht vom zuständigen Rechtspflegeorgan erteilt - begründet ein Rechtschutzbedürfnis.

2. In der Sache hat das Rechtsmittel keinen Erfolg.

Der Senat teilt im Ergebnis die Auffassung der Rechtspflegerin, die die Rechtsansicht vertreten hat, dass im Falle eines während einer bestimmten Frist widerruflichen, aber nicht widerrufenen Vergleichs nur eine einfache Vollstreckungsklausel nach § 724 ZPO durch den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erforderlich ist, so dass die Erteilung einer qualifizierten Klausel nach § 726 ZPO abzulehnen war. Der neuerdings vom Bundesarbeitsgericht (Beschluss v. 5.11.2003 -10 AZB 38/03 - NJW 2004, 701) vertretenen abweichenden Ansicht vermag der Senat nicht zu folgen.

a) Zwar erscheint die vom OLG Braunschweig (RPfl 1972,421) getroffene und von der Rechtspflegerin für durchschlagend erachtete Unterscheidung zwischen einer Bedingung, von der die Wirksamkeit des Titels abhängt - dann einfache Klausel nach § 724 ZPO - , und einer Bedingung, von der allein die Vollstreckung des Titels abhängt - dann qualifizierte Klausel nach § 726 ZPO -, nicht als tragfähig. Für den dort entschiedenen Fall der Abhängigkeit der Vollstreckbarkeit eines Unterhaltsvergleichs von der Rechtskraft des Scheidungsurteils ist seither ganz überwiegend die gegenteilige Auffassung befürwortet worden (zB OLG München RPfl 1984,106; JurBüro 2001,438 = FamRZ 2002,405; KG InVo 2001,63; vgl. auch Blomeyer RPfl 1972,385; 1973,80 und Hornung RPfl 1973,77). In der Kommentarliteratur wird diese Unterscheidung verbreitet abgelehnt (insbes. Wolfsteiner in MünchKomm/ZPO, 2.Aufl., § 726 Rn 9; Musielak / Lackmann, ZPO 3. Aufl., § 726 Rn 3, § 794 Rn 58; § 794 Rn 11; Stein / Jonas / Münzberg, ZPO 21. Aufl., § 726 Rn 1,4; Wieczorek / Schütze / Paulus, ZPO 3. Aufl., § 726 Rn 8 (Fn 14); Thomas / Putzo, ZPO 25. Aufl., § 726 Rn 2; Baumbach / Hartmann, ZPO 61. Aufl, § 726 Rn 4; § 794 Rn 8) und geltend gemacht, dass nach dem Wortlaut des § 726 Abs. 1 ZPO nicht danach unterschieden werden könne, ob der Titel als solcher von einer Bedingung abhängt oder nur dessen Vollstreckung. Angesichts der Vielzahl möglicher Bedingungen (anschaulich: Zöller / Stöber, ZPO 24. Aufl., § 726 Rn 2; vgl. auch Senat NJW-RR 1986,549) ist dem BAG insoweit zuzustimmen.

Anerkannt ist weiter, dass es sich bei dem im Rahmen eines Vergleichsabschlusses vereinbarten Vorbehalt, der Vergleich könne innerhalb einer bestimmten Frist schriftsätzlich widerrufen werden, im Hinblick auf die Beendigung des Rechtsstreits und damit für das Entstehen eines Vollstreckungstitels (§ 794 Nr. 1 ZPO) regelmäßig um eine aufschiebende Bedingung handelt (vgl. BGHZ 46,277 = NJW 1967,440; BGHZ 88,367 = NJW 1984,312; BVerwG NJW 1993,2193; BAG aaO). Ebenso wie bei einem Urteil ist die Wirksamkeit des Vergleichs als Vollstreckungstitel notwendige Voraussetzung für eine Zwangsvollstreckung auf Grund dieses Titels.

b) Gleichwohl bildet der "nicht widerrufene Widerrufsvergleich" einen Sonderfall eines Vollstreckungstitels, der nach Ansicht des Senats der qualifizierten Vollstreckungsklausel nicht bedarf.

aa) Ist die vereinbarte Frist ohne Widerruf verstrichen, ist der Vergleich wirksam geworden und der Rechtsstreit beendet. Der Nicht-Eingang eines Widerrufs bei Gericht erfordert weder einen Sachvortrag seitens des Gläubigers noch gar einen Nachweis, weshalb für eine qualifizierte Prüfung nach § 726 ZPO kein Raum ist. Die Beendigung des Rechtsstreits ist von der Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, bei der auch ein eventueller Widerruf einzugehen hat, von Amts wegen festzustellen, damit die Sache als "Erledigung" ausgetragen werden kann. Diese Feststellung wird von der Urkundsbeamtin auf die Urschrift des den Vergleich enthaltenen Protokolls gesetzt unabhängig davon, ob es zu einer nachfolgenden Zwangsvollstreckung kommt und ob der Vergleich überhaupt einen vollstreckbaren Inhalt hat. Mit Ablauf der Widerrufsfrist ohne Widerruf ist bei einem Vergleich mit vorstehendem Inhalt unbedingte Vollstreckbarkeit eingetreten.

Nach dem Inhalt des Vergleichs hat weder der Gläubiger bei Antrag auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel noch der Schuldner einen "Eintritt von Tatsachen" zu beweisen. Ein eventueller Streit über den rechtzeitigen Widerruf des Vergleichs ist regelmäßig im alten Rechtsstreit zu klären; auch das Erinnerungsverfahren nach § 732 ZPO eröffnet dem Schuldner die Möglichkeit, seinen rechtzeitigen Widerruf geltend zu machen. Deshalb kommt es beim Antrag auf Erteilung der Vollstreckungsklausel auf eine Beweislastverteilung überhaupt nicht an. Die Frage, ob der Gläubiger über den Titel hinaus weitere Voraussetzungen der Vollstreckbarkeit zu beweisen hat oder ob eine Beweislast des Schuldners anzunehmen ist (so bes. Sauer / Meiendresch, RPfl 1997,289, 290 f - die allerdings eine zu weitgehende Prüfungspflicht bei Vergleichen befürworten), bedarf für den vorliegenden Fall keiner Entscheidung.

In Abweichung zur Ansicht des BAG befürwortet der Senat eine einschränkende Auslegung des § 726 ZPO dahin, dass ein Bedarf nach einer qualifizierten Prüfung von Bedingungen für den Eintritt der Vollstreckbarkeit vorliegen muss, auch wenn diese dem Wortlaut der Bestimmung nicht zu entnehmen ist. Die Auslegung gesetzlicher Normen ist nicht auf den isolierten Wortlaut beschränkt; daneben sind auch der systematische Zusammenhang einer Norm und ihr erkennbarer Sinn heranzuziehen (vgl. nur Palandt / Heinrichs, BGB 63. Aufl., vor § 1 Rn 50 ff m.RsprNw).

Das Erfordernis einer qualifizierten Vollstreckungsklausel auf Grund qualifizierter Prüfung durch den Rechtspfleger hat angesichts der gesetzlichen Systematik von § 724 (iVm § 725) ZPO als Vorschrift für den Regelfall einerseits und den Sonderfällen der §§ 726 - 729 ZPO andererseits nur dann eine sachliche Berechtigung, wenn prüfungsfähige Tatsachen zur Prüfung anstehen. Aus der gesetzlichen Aufgabenteilung zwischen Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einerseits und Rechtspfleger andererseits lässt sich ohne weiteres entnehmen, dass die qualifizierte Prüfung durch den Rechtspfleger auf Ausnahmefälle mit konkretem Prüfungsbedarf beschränkt sein soll; nur dort, wo die Prüfung auf ohne weiteres feststellbare Förmlichkeiten durch den Urkundsbeamten nicht ausreicht, besteht Anlass für eine qualifizierte Prüfung durch den Rechtspfleger ebenso wie im Falle der Rechtsnachfolge usw. Der Schuldnerschutz, dem das zwischen Erkenntnisverfahren und Vollstreckungsverfahren angesiedelte Klauselerteilungsverfahren dient, wird durch Erteilung einer einfachen Klausel bei Widerrufsvergleichen nicht verkürzt; durch das Erinnerungsverfahren nach § 732 ZPO ist der Zugang zu einer umfassenden Nachprüfung durch den Richter eröffnet.

bb) Gegen die Entscheidung des BAG spricht vor allem die Verfahrensökonomie; am Ende seiner Entscheidung ist ausgeführt:

"Dieses Ergebnis ist zwar unbefriedigend, weil es den Geschäftsgang im täglichen Massengeschäft der Behandlung von Widerrufsvergleichen verkompliziert, und dürfte auch der Praxis der meisten Gerichte widersprechen, jedoch ist es Sache des Gesetzgebers, diese Kompetenzverteilung zu verändern. Eine einschränkende Auslegung des § 726 Abs. 1 ZPO kann dieses Ziel nicht erreichen."

Der erkennende Senat ist demgegenüber der Ansicht, dass es nicht nur rechtlich zulässig, sondern hier geboten ist, gesetzliche Normen nach den anerkannten Regeln so auszulegen, dass auch praktisch befriedigende Ergebnisse herauskommen, die die Bewältigung des Massengeschäfts nicht in vermeidbarer Weise erschweren, sondern möglichst erleichtern, zumal das Klauselverfahren als eigenständiges Zwischenverfahren ohnehin nicht der Umständlichkeit entbehrt (vgl. Wolfsteiner aaO § 724 Rn 2). Gerade in Zeiten knapper Resourcen ist schwer einzusehen, warum eine über Jahrzehnte gefestigte Auslegungspraxis einer über 100-jährigen Norm geändert und eine bis vor kurzem unangefochtene, unter dem Gesichtspunkt des Prüfungsumfangs sachgerechte Aufgabenteilung für einen bedeutenden Teil der Verfahrenserledigungen zugunsten eines aufwendigeren und häufig auch zeitraubenderen Verfahrens der höheren Stufe aufgegeben werden soll.

c) Auch eine Verpflichtung der Rechtspflegerin, eine qualifizierte Vollstreckungsklausel nach § 726 ZPO schon dann gleichsam zur Sicherheit zu erteilen, wenn Unsicherheiten über die richtige Klausel aufgetreten sind, damit die Gläubigerin möglichst schnell und einwendungsfrei vollstrecken kann, sieht der Senat nicht. Zwar wird überwiegend angenommen, dass eine durch den Urkundsbeamten erteilte Klausel, deren Erteilung gemäß § 726 ZPO dem Rechtspfleger vorbehalten ist, unwirksam ist (BAG aaO; OLG München FamRZ 2002,405(406)), während umgekehrt § 8 Abs. 5 RPflG gilt. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, den Anwendungsbereich der qualifizierten Klausel nur deshalb - entgegen der gesetzlichen Aufgabenverteilung - so weit zu ziehen, wie es das BAG getan hat.

3. Da sich der Senat mit dieser Entscheidung in Widerspruch zu einer neuen Entscheidung eines obersten Bundesgerichts setzt, sind die Voraussetzungen der Zulassung einer Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Nr. 2 iVm Abs. 3 und Abs. 2 ZPO) erfüllt. Es bedarf einer alsbaldigen Klärung durch den Bundesgerichtshof, ob er der Rechtsansicht des BAG trotz des "unbefriedigenden Ergebnisses" folgt oder nicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.



Ende der Entscheidung

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