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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.07.2008
Aktenzeichen: 8 W 222/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 234 Abs. 1 S. 1
ZPO § 234 Abs. 2
ZPO § 237
ZPO § 569 Abs. 1 S. 1
ZPO § 572 Abs. 1
Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der sofortigen Beschwerde ist beim Beschwerdegericht einzureichen, sobald das Untergericht nach Durchführung des Abhilfeverfahrens durch Nichtabhilfe- und Vorlagebeschluss die Sache an das Beschwerdegericht abgegeben hat, wodurch das Ausgangsgericht damit nicht mehr befasst ist (Devolutiveffekt).
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 222/08

03. Juli 2008

In dem Rechtsstreit

wegen Darlehensforderung; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Hechingen vom 25. Januar 2008, Az. 1 O 208/07, wird als unzulässig verworfen.

2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist wird der Klägerin nicht gewährt.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 13.255 €

Gründe:

1.

Die Klägerin hatte gegen die Beklagten jeweils ein Mahnverfahren eingeleitet mit einem Gegenstandswert von 1.091.413,57 €. Nach Widerspruch der Beklagten ging die Klägerin ins streitige Verfahren lediglich mit einem Teilbetrag von 50.000 € und erwirkte beim Landgericht Hechingen nach Verbindung der beiden Rechtsstreitigkeiten in der mündlichen Verhandlung vom 29. Oktober 2007 gegen die beiden Beklagten als Gesamtschuldner ein Versäumnisurteil des selben Tages über die Hauptforderung von 50.000 €. Die Kosten des Rechtsstreits wurden den Beklagten auferlegt.

Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 13. November 2007 verlangte die Klägerin von den Beklagten die Erstattung von 19.292,52 Euro einschließlich der Verfahrensgebühren für die Mahnverfahren.

Der Rechtspfleger hat unter Hinweis darauf, dass die Kostengrundentscheidung im Versäumnisurteil nur die Kosten aus dem Wert des streitigen Verfahrens von 50.000 € erfasse, den Erstattungsbetrag entsprechend reduziert auf 6.067,52 Euro.

Diese Entscheidung wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 2. April 2008 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 14. April 2008, eingegangen beim Landgericht am 17. April 2008, erhob dieser wegen der nicht berücksichtigten Verfahrensgebühren der Mahnverfahren sofortige Beschwerde.

Mit Vorlagebeschluss vom 23. Mai 2008 hat der Rechtspfleger dem Rechtsmittel nicht abgeholfen und auf die Begründung des Kostenfestsetzungsbeschlusses verwiesen.

Nach Eingang beim Oberlandesgericht wurde der Klägerin mit Verfügung vom 11. Juni 2008 mitgeteilt, dass die sofortige Beschwerde verspätet am 17. April 2008 beim Landgericht Hechingen eingegangen ist. Diese Verfügung wurde dem Klägervertreter am 12. Juni 2008 zugestellt. Am 30. Juni 2008 ging beim Oberlandesgericht ein Schriftsatz des Klägervertreters vom 26. Juni 2008 ein, mit dem zur Kenntnisnahme ein Schriftsatz des selben Tages an das Landgericht Hechingen in Kopie (ohne Unterschrift) übersandt wurde. Durch diesen wurde beim Landgericht Hechingen erneut sofortige Beschwerde eingelegt verbunden mit einem Wiedereinsetzungsgesuch wegen der Versäumung der Beschwerdefrist.

2.

a)

Die sofortige Beschwerde ist unzulässig, weil sie nicht fristgerecht eingelegt wurde (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG).

Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss vom 25. Januar 2008 wurde dem Klägervertreter am 2. April 2008 zugestellt. Die sofortige Beschwerde ging am 17. April 2008 beim Landgericht Hechingen ein, nachdem die zweiwöchige Notfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 ZPO bereits am 16. April 2008 abgelaufen war.

b)

Ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Frist zur Beschwerdeeinlegung ging beim Oberlandesgericht innerhalb der zweiwöchigen Wiedereinsetzungsfrist nicht ein.

Mit Verfügung vom 11. Juni 2008, zugestellt am 12. Juni 2008, wurde der Prozessbevollmächtigte der Klägerin darauf hingewiesen, dass die sofortige Beschwerde verspätet am 17. April 2008 beim Landgericht Hechingen eingegangen war. Mit Zugang der Verfügung war der Klägerin bzw. ihrem Bevollmächtigten bekannt, dass die fristgebundene Prozesshandlung versäumt war. Mit diesem Zeitpunkt begann die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist zu laufen und endete am 26. Juni 2008 (§ 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO; Hüßtege in Thomas/Putzo, ZPO, 28. Aufl. 2007, § 234 Rdnr. 5 m. w. N.).

Ein Wiedereinsetzungsantrag wurde beim Oberlandesgericht nicht gestellt.

c)

Die Einreichung des Wiedereinsetzungsgesuchs verbunden mit der erneuten Einlegung der sofortigen Beschwerde, dessen Eingang innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist dem Senat nicht bekannt ist, erfolgte nicht beim Oberlandesgericht, sondern beim Landgericht Hechingen, bei dem eine Empfangszuständigkeit nicht mehr gegeben ist.

§ 237 ZPO regelt die Entscheidungszuständigkeit für das Wiedereinsetzungsgesuch, die von der Empfangszuständigkeit zu unterscheiden ist (Gehrlein in Münchener Kommentar, ZPO, Band 1, §§ 1-510c, 3. Aufl. 2008, § 237 Rdnr. 2).

Die sofortige Beschwerde kann gem. § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO sowohl bei dem Gericht, dessen Entscheidung angefochten wird (Untergericht, iudex a quo), oder bei dem Beschwerdegericht (iudex ad quem) eingelegt werden (Empfangszuständigkeit). Letzteres darf jedoch nicht sofort selbst entscheiden, sondern hat die Sache zunächst zur Durchführung des Abhilfeverfahrens (§ 572 Abs. 1 ZPO) an das Ausgangsgericht abzugeben (Lipp in Münchener Kommentar, ZPO, Band 2, §§ 511-945, 3. Aufl. 2007, § 569 Rdnr. 2). In diesem Verfahrensstadium ist die Erstinstanz im Rahmen ihrer Abhilfebefugnis zuständig zur Überprüfung der Beschwerde und eines gestellten Wiedereinsetzungsantrags auf deren Zulässigkeit und Begründetheit, soweit sie dem Rechtsmittel - zumindest teilweise - abhilft (OLG Koblenz NJW-RR 2002, 1219; OLG Brandenburg OLG-NL 2005, 208; OLG Stuttgart/Senat Rpfleger 2008, 368; dieser Entscheidung liegt allerdings eine andere Sachverhaltskonstellation zu Grunde.). Anderenfalls steht dem Untergericht keine Entscheidungskompetenz zu, weil bei Nichtabhilfe das Beschwerdegericht über die nachgeholte Prozesshandlung zu entscheiden hat (§ 237 ZPO).

Vorliegend war das Abhilfeverfahren beim Landgericht bereits abgeschlossen, weil der Rechtspfleger ohne Abhilfe - aus sachlichen Gründen - die Akten mit Vorlagebeschluss vom 23. Mai 2008 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt hatte. Demgemäß wurde der Klägervertreter auch vom Senat und nicht vom Landgericht auf die Versäumung der Beschwerdefrist hingewiesen.

Mit der Vorlage an das Beschwerdegericht fällt die Sache dort an; das Untergericht ist damit nicht mehr befasst (Devolutiveffekt). Eine nachträgliche Abänderung der angefochtenen Entscheidung durch das Ausgangsgericht ist nicht mehr zulässig (Ball in Musielak, ZPO, 6. Aufl. 2008, § 572 Rdnr. 9, vor § 511 Rdnr. 1; Baumbach/Lauter-bach/Albers/Hartmann, ZPO, 66. Aufl. 2008, § 572 Rdnr. 9, Grundzüge § 511 Rdnr. 3; Lipp, a. a. O., § 572 Rdnr. 13; Gummer in Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 572 Rdnr. 16; Reichold in Thomas/Putzo, a. a. O., § 572 Rdnr. 11; je m. w. N.).

Eine Entscheidungszuständigkeit der unteren Instanz ist damit für das Wiedereinsetzungsgesuch gem. § 237 ZPO unzweifelhaft nicht mehr gegeben, vielmehr ist das Beschwerdeverfahren nur noch beim Oberlandesgericht anhängig. Nachdem aber das Landgericht mit der Sache nicht mehr befasst ist und - zulässigerweise - befasst werden kann, besteht bei ihm auch keine Empfangszuständigkeit mehr. Diese entfiel mit der Vorlage beim Oberlandesgericht (BGH NJW-RR 1993, 1084 zur identischen Problematik der Empfangszuständigkeit für einen Wiedereinsetzungsantrag wegen der Versäumung der Revisionsfrist beim Bayerischen Obersten Landesgericht nach einem Abgabebeschluss an den Bundesgerichtshof).

Ein rechtzeitiges Wiedereinsetzungsgesuch liegt deshalb mit dem beim Landgericht Hechingen eingereichten Antrag nicht vor.

d)

Eine Wiedereinsetzung kann auch nicht von Amts wegen gem. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO gewährt werden.

Dies wäre nur möglich, wenn die die Wiedereinsetzung rechtfertigenden Tatsachen akten- oder offenkundig (§ 291 ZPO) wären. Ist dies nicht der Fall - wie vorliegend -, dann müssen solche Tatsachen innerhalb der Frist des § 234 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 ZPO dargelegt werden (Hüßtege, a. a. O., § 236 Rdnr. 9; Greger in Zöller, a. a. O., § 236 Rdnr. 5; Gehrlein, a. a. O., § 237 Rdnr. 16; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, a. a. O., § 236 Rdnr. 16 bis 18; Grandel in Musielak, a. a. O., § 236 Rdnr. 8; je m. w. N.; BGH NJW 1985, 2650; BGH NJW-RR 2000, 1590; BGH NJW-RR 2007, 793).

Nachdem die Wiedereinsetzungsgründe dem Oberlandesgericht als dem zuständigen Beschwerdegericht erst nach Ablauf (26. Juni 2008) der Wiedereinsetzungsfrist am 30. Juni 2008 mitgeteilt wurden, kann der Klägerin auch nicht von Amts wegen gem. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist gewährt werden.

e)

Infolgedessen verbleibt es bei der Verfristung der eingelegten sofortigen Beschwerde, die deshalb - wie geschehen - als unzulässig zu verwerfen ist.

f)

Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1812 GKG-KV und § 97 Abs. 1 ZPO.

g)

Ergänzend wird noch darauf hingewiesen, dass sich der Rechtspfleger zurecht auf den Standpunkt stellt, dass von der Kostengrundentscheidung des Versäumnisurteils (§ 103 Abs. 1 ZPO) nur der ins streitige Verfahren übergegangene Teilbetrag von 50.000 € als dessen Gegenstandswert erfasst wird.

Ende der Entscheidung

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