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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 03.02.2009
Aktenzeichen: 8 W 29/09
Rechtsgebiete: ZPO, RVG-VV


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 2 S. 1 HS 2
ZPO §§ 103 ff
RVG-VV Nr. 7003
RVG-VV Nr. 7004
RVG-VV Nr. 7005
RVG-VV Nr. 7006
Zur Erstattungsfähigkeit der Reisekosten im Kostenfestsetzungsverfahren, wenn:

a) der "Hausanwalt" am Geschäftssitz der Beklagten beauftragt wird, obwohl deren rechtliche Angelegenheiten in Teilzeit von einem Juristen betreut werden

b) und der sachbearbeitende Rechtsanwalt einer überörtlichen Anwaltssozietät angehört, die zwar nicht am Ort des Prozessgerichts, aber in einer geringeren Entfernung zu diesem mit dort postulationsfähigen Rechtsanwälten vertreten ist

c) und einer dieser Anwälte den ersten von mehreren Verhandlungsterminen wahrgenommen hat.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 29/09

03. Februar 2009

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung;

hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Heilbronn vom 1. Oktober 2008, Az. 4 O 47/07, abgeändert:

Auf Grund des rechtswirksamen Vergleichs des Landgerichts Heilbronn vom 25. Juni 2008 sind von der Beklagten an die Klägerin an Kosten zu erstatten: 2.096,28 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 1. Juli 2008.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 401,27 Euro

Gründe:

1.

Die Parteien streiten im Kostenfestsetzungsverfahren über die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten des Beklagtenvertreters von insgesamt 1.433,10 Euro, von denen die Klägerin 401,27 Euro zu tragen hätte im Hinblick auf die im gerichtlichen Vergleich vom 25. Juni 2008 zwischen ihnen getroffene Kostenquote von 28% zu Lasten der Klägerin und 72% zu Lasten der Beklagten.

Die Rechtspflegerin hat die Reisekosten als nicht erstattungsfähig abgesetzt. Wegen der hierdurch verursachten höheren Kostenbelastung mit 401,27 Euro hat die Beklagte gegen den am 6. Oktober 2008 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss vom 1. Oktober 2008 am 16./20. Oktober 2008 sofortige Beschwerde eingelegt, der die Klägerin entgegengetreten ist.

Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Das Rechtsmittel ist gem. §§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG zulässig und in der Sache begründet.

a)

Die Rechtspflegerin hat zu Unrecht die für den Beklagtenvertreter in Ansatz gebrachten Reisekosten nach Nr. 7003 bis 7006 RVG-VV von insgesamt 1.433,10 Euro bei dem im Rahmen der Festsetzung vorzunehmenden Kostenausgleich unberücksichtigt gelassen.

Seit der Entscheidung des BGH vom 16. Oktober 2002 (NJW 2003, 898; vgl. auch BGH NJW-RR 2004, 430 zum sog. "Outsourcing" sowie BGH NJW-RR 2005, 1662; BGH VersR 2006, 1089; BGH NJW 2006, 3008) ist die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftssitz der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig i. S. v. § 91 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 ZPO anzusehen.

Die Beklagte mit Geschäftssitz in Hamburg hatte ihren "Hausanwalt" mit Kanzleisitz ebenfalls in Hamburg mit der Wahrnehmung ihrer Interessen beauftragt, wonach sie auch unter kostenrechtlichen Gesichtspunkten im Hinblick auf die obige Rechtsprechung berechtigt war.

Auf Grund der eidesstattlichen Versicherung des Herrn Jens H vom 26. November 2008 hat die Beklagte hinreichend glaubhaft gemacht (§ 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO), dass sie nicht über eine eigene Rechtsabteilung verfügt, die es ihr ermöglicht hätte, einen Rechtsanwalt am Gerichtsort umfassend zu informieren.

Denn Herr ... hat bestätigt, dass er seit 2005 die rechtlichen Angelegenheiten der Beklagten allein und lediglich in Teilzeit betreut. Angesichts seiner zeitlich gesehen beschränkten Tätigkeit könne er nur Vorarbeiten ausführen und sei gezwungen, die vorprozessuale Tätigkeit größtenteils sowie die prozessuale Bearbeitung der Fälle vollständig auf Anwälte zu übertragen.

Hierin kann nicht die Einrichtung einer eigenen Rechtsabteilung gesehen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Beklagte deren Aufgaben zumindest zum Teil auf den hier als Hauptbevollmächtigten eingeschalteten Rechtsanwalt ("Outsourcing"; BGH NJW-RR 2004, 430; BGH VersR 2006, 1089) überträgt und lediglich "Vorarbeiten" selbst - durch Herrn H - durchführt.

Diese Organisation ist eine unternehmerische Entscheidung, die die Klägerin hinzunehmen hat (BGH NJW-RR 2004, 857; BGH NJW 2006, 3008).

Nachdem die Beklagte ihren "Hausanwalt" an ihrem Geschäftssitz beauftragt hat, kommt es wegen des bereits bestehenden Vertrauensverhältnisses nicht auf die Notwendigkeit eines persönlichen Mandantengesprächs bei der Erteilung des Prozessauftrags an (KGR Berlin 2007, 418; BGH NJW 2006, 3008; BGH VersR 2006, 1089; BGH FamRZ 2004, 866).

Der Beklagten kann auch nicht vorgehalten werden, sie hätte zur Kostenreduzierung einen Terminsvertreter einschalten müssen (BGH NJW-RR 2005, 1662). Dies ist insbesondere vom BGH entschieden worden bei Beauftragung eines Prozessbevollmächtigten mit Zugehörigkeit zu einer am Prozessgericht vertretenen oder in dessen Nähe ebenfalls ansässigen überörtlichen Sozietät (BGH Rpfleger 2006, 506; BGH NJW 2008, 2122).

In der letztgenannten Entscheidung stellt der BGH im Leitsatz klar, dass die durch die Terminswahrnehmung anfallenden Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftssitz der auswärtigen Partei ansässigen Prozessbevollmächtigten nach § 91 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 ZPO als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig anzusehen und damit erstattungsfähig sind und dass dieser Grundsatz selbst dann gilt, wenn der sachbearbeitende Rechtsanwalt einer überörtlichen Anwaltssozietät angehört, die auch am Sitz des Prozessgerichts mit dort postulationsfähigen Rechtsanwälten vertreten ist. Hieran ändere auch nichts die Tatsache, dass ein Termin von einem Anwalt eines dem Gerichtsort näheren Büros der mandatierten Sozietät - hier durch einen Anwalt des Frankfurter Büros - wahrgenommen worden sei.

Im Einzelnen wird Bezug genommen auf die Begründung des BGH-Beschlusses vom 16. April 2008, Az. XII ZB 214/04 (NJW 2008, 2122), mit dem die bisherige herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung (vgl. die dortigen Zitate) abgelehnt wurde.

Damit sind die geltend gemachten Reisekosten dem Grunde nach erstattungsfähig (§ 91 Abs. 2 Satz 1, Halbs. 2 ZPO).

b)

Auch der Höhe nach sind diese nicht zu beanstanden.

Die abgerechneten Auslagen wurden entsprechend § 104 Abs. 2 Satz 1 ZPO durch die Vorlage von Belegen hinreichend glaubhaft gemacht.

Soweit die Höhe der Flugkosten für die Terminswahrnehmung am 30. November 2007 von der Klägerin in Frage gestellt wurde, hat der Beklagtenvertreter plausibel dargelegt, weshalb es ihm nur für die Terminswahrnehmung am 25. Juni 2008 möglich war, eine wesentlich günstigere Buchung über die Beklagte selbst zu erlangen.

Im übrigen ist gleichermaßen entscheidend für die Inanspruchnahme von Billigflügen eine möglichst frühzeitige Buchung - jedoch ohne die Option eines kostengünstigen Rücktritts. Diese war - bedingt durch die Ladung zum Termin erst am 30. Oktober 2007 und die Übermittlung eines gerichtlichen Vergleichsvorschlags gem. § 278 Abs. 6 ZPO am 8./9. November 2007 mit Fristsetzung bis Freitag 23. November 2007 - erst unmittelbar vor dem Verhandlungstermin am 28. November 2007 durchführbar, während die Buchung für den 25. Juni 2008 bereits am 10. Juni 2008 erfolgen konnte.

c)

Damit sind die von der Beklagten in Ansatz gebrachten Reisekosten von insgesamt 1.433,10 Euro beim Kostenausgleich zu berücksichtigen.

Von diesen hat die Klägerin 28%, mithin 401,27 Euro zu tragen, um die sich ihr im angefochtenen Beschluss vom 1. Oktober 2008 festgesetzter Erstattungsbetrag gegenüber der Beklagten von 2.497,55 Euro auf 2.096,28 Euro verringert. Entsprechend war auf die sofortige Beschwerde der Beklagten der Kostenfestsetzungsbeschluss abzuändern.

Die Entscheidung ergeht gemäß Nr. 1812 GKG-KV gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin gemäß § 91 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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