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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 02.02.2009
Aktenzeichen: 8 W 35/09
Rechtsgebiete: ZPO, RVG-VV


Vorschriften:

ZPO § 91 Abs. 1 Satz 1
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 91 Abs. 2 Satz 2
ZPO §§ 103 ff
RVG-VV Nr. 3305
RVG-VV Nr. 7003
1. Für die Tätigkeit eines Rechtsbeistands im Mahnverfahren ist die 1,0-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3305 RVG-VV nicht erstattungsfähig gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO, wenn die Höhe der geltend gemachten Hauptforderung für das Streitverfahren die Zuständigkeit des Landgerichts begründete.

2. Es liegen auch nicht die Voraussetzungen für die "Notwendigkeit" eines Anwaltswechsels im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO vor.

3. Die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines "Hausanwalts" am "dritten Ort" nach Nr. 7003 RVG-VV ist gem. § 91 Abs. 2 Satz 1 ZPO nur in wenigen Ausnahmefällen gegeben. Ansonsten sind lediglich die fiktiven Reisekosten vom Wohn-/Geschäftssitz der Partei zum Gerichtsort erstattungsfähig.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 35/09

02. Februar 2009

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Heilbronn vom 19. August 2008, Az. 8 O 84/08, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 264,52 Euro

Gründe:

1.

Die Klägerin hat im Hauptsacheverfahren Ansprüche der Firma " .... GmbH & Co. KG" gegenüber dem Beklagten geltend gemacht, die ihr zum Einzug im eigenen Namen abgetreten worden waren. Die Hauptforderung belief sich auf 6.858,75 Euro. Dem streitigen Verfahren war ein Mahnverfahren vorgeschaltet, in dem sich die Klägerin ausweislich des Mahnbescheids vom 2. November 2006 selbst als Rechtsbeistand vertreten hatte. Der Rechtsstreit wurde beendet durch gerichtlichen Vergleich vom 28. Mai 2008, mit dem u. a. eine Kostenquote zu Lasten der Klägerin von 53% und des Beklagten von 47% und bezüglich der Vergleichskosten Aufhebung vereinbart wurden.

Mit Antrag vom 11. Juni 2008 verlangte die Klägerin u. a. für das Mahnverfahren eine 1,0-Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 RVG-VV von 375 €, die von der Rechtspflegerin beim Kostenausgleich nicht in Ansatz gebracht wurde, und an Fahrtkosten für ihren Rechtsanwalt nach Nr. 7003 RVG-VV für die Strecke Hannover-Heilbronn-Hannover 283,20 Euro (2 x 472 km x 0,30 Euro), die bei der Kostenfestsetzung nur vom Sitz der Klägerin zum Gerichtsort in Höhe von 95,40 Euro (2 x 159 km x 0,30 Euro) berücksichtigt wurden.

Wegen dieser Kürzungen, durch die die Klägerin im Kostenausgleich bei Zugrundelegung der vereinbarten Quote mit insgesamt 264,52 Euro beschwert ist, hat sie am 29. August 2008 gegen den am 21. August 2008 zugestellten Kostenfestsetzungsbeschluss vom 19. August 2008 sofortige Beschwerde eingelegt, der der Beklagte entgegengetreten ist.

Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akte dem Oberlandesgericht mit Beschluss vom 10. Dezember 2008, eingegangen am 30. Januar 2009, zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

a)

Die Rechtspflegerin hat zu Recht die von der Klägerin für ihre eigene Tätigkeit im Mahnverfahren geltend gemachte 1,0-Verfahrensgebühr gemäß Nr. 3305 RVG-VV als nicht erstattungsfähig gem. § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 ZPO behandelt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist auf die vorliegende Fallkonstellation die Entscheidung des BGH vom 20. Oktober 2005, Az. VII ZB 53/05, (NJW 2006, 446) anwendbar.

Die Klägerin hat sich in dem Mahnverfahren selbst als Rechtsbeistand vertreten. Die Hauptforderung belief sich auf über 5.000 €, sodass die Zuständigkeit des Landgerichts (§ 23 Nr. 1 i. V. m. § 71 Abs. 1 GVG) gegeben war, vor dem sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen (§ 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

Die in einem Anwaltsprozess anfallenden Mehrkosten, die durch die Beauftragung eines Rechtsbeistands im Mahnverfahren anfallen, sind jedoch neben den Kosten des im streitigen Verfahren tätigen Rechtsanwalts grundsätzlich nicht erstattungsfähig - unabhängig davon, ob bei Einleitung des Mahnverfahrens mit der Erhebung eines Widerspruchs zu rechnen war oder nicht (BGH, a. a. O.).

Im Anwaltsprozess ist der Kläger mit Rücksicht auf die ihm obliegende Wahl der kostengünstigsten Rechtsverfolgungsmaßnahme gehalten, mit der Einleitung des Mahnverfahrens, sofern er sich in diesem vertreten lassen will, sogleich einen Rechtsanwalt zu beauftragen. Die Einschaltung eines Rechtsbeistands ist nicht sachdienlich, weil die im Falle eines Widerspruchs entstehenden Mehrkosten durch die Beauftragung eines Rechtsanwalts bereits im Mahnverfahren vermeidbar sind. Dabei kommt es nach der BGH-Rechtsprechung nicht darauf an, ob der Kläger mit einem Widerspruch des Beklagten rechnen musste oder nicht.

Die Mehrkosten durch die Einschaltung des Rechtsbeistands im Mahnverfahren - auch wenn sich die Klägerin hier selbst vertreten hat - sind deshalb bereits nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nicht erstattungsfähig.

Die Klägerin wäre im übrigen auch nicht berechtigt gewesen, die Kosten eines an ihrem Sitz ansässigen Rechtsanwalts für die Vertretung im Mahnverfahren und eines weiteren Rechtsanwalts für die Vertretung im nachfolgenden streitigen Verfahren nach § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO erstattet zu verlangen.

Mit Beschluss vom 22. Mai 2001, Az. 8 W 583/2000, (MDR 2002, 176) hat der Senat bezüglich dieser Fragestellung schon entschieden, dass mit dem Wegfall der auf ein Landgericht beschränkten Postulationsfähigkeit die Abgabe vom Mahngericht am (Wohn-)Sitz des Klägers an das in einem anderen Bezirk gelegene Landgericht am Sitz des Beklagten nicht mehr die "Notwendigkeit" eines Anwaltswechsels im Sinne des § 91 Abs. 2 Satz 2 ZPO begründet, was auch gilt, wenn der Kläger zunächst einen Rechtsbeistand beauftragt hat. An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest.

Die Klägerin hätte deshalb bei Einschaltung zweier Rechtsanwälte für das Mahn- und Streitverfahren mangels Vorliegens eines notwendigen Anwaltswechsels die Anrechnungsvorschrift nach Nr. 3305 RVG-VV (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Nr. 3305-3308 RVG-VV Rdnr. 60) ebenfalls nicht umgehen können.

Die geltend gemachte Verfahrensgebühr nach Nr. 3305 RVG-VV ist damit nicht erstattungsfähig.

b)

Auch die auf Klägerseite von der Rechtspflegerin in Ansatz gebrachten Reisekosten gemäß Nr. 7003 RVG-VV von lediglich 95,40 Euro sind nicht zu beanstanden.

Der Bundesgerichtshof hat wiederholt entschieden, dass die Reisekosten eines an einem dritten Ort, der weder der Gerichtsort noch der Wohn- oder Geschäftssitz der Partei ist, ansässigen Prozessbevollmächtigten bis zur Höhe der fiktiven Reisekosten eines am Wohn- oder Geschäftsort der Partei ansässigen Rechtsanwalts erstattungsfähig sind, wenn dessen Beauftragung zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung erforderlich gewesen wäre (BGH NJW-RR 2004, 855; BGH AGS 2004, 260). Nach der Entscheidung des BGH vom 16. Oktober 2002 (NJW 2003, 898; vgl. auch BGH NJW-RR 2004, 430 zum sog. "Outsourcing" sowie BGH VersR 2006, 1089 und BGH NJW 2006, 3008) ist die Zuziehung eines am Wohn- oder Geschäftssitz der auswärtigen Partei ansässigen Rechtsanwalts regelmäßig als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder -verteidigung notwendig i. S. v. § 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbs. ZPO anzusehen.

Dagegen ist die Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines "Hausanwalts" am dritten Ort entgegen der Auffassung der Klägerin dem BGH-Beschluss vom 16. Oktober 2002 gerade nicht zu entnehmen. Dies folgt auch nicht aus den weiteren von der Klägerin in Bezug genommenen Entscheidungen des BGH vom 12. Dezember 2002 (NJW 2003, 901) und vom 13. September 2005 (NJW-RR 2005, 1662).

In dem älteren Beschluss wird gerade festgestellt, dass die Mehrkosten eines auswärtigen Rechtsanwalts in der dort abgehandelten Fallkonstellation nicht erstattungsfähig sind. In der neueren Entscheidung werden entgegen der Behauptung der Klägerin nicht die Reisekosten des am dritten Ort (Hamburg) ansässigen Anwalts zum Gerichtsort (München) als erstattungsfähig angesehen, sondern lediglich die fiktiven Reisekosten vom Geschäftssitz der Klägerin zum Gerichtsort entsprechend der ständigen Rechtsprechung des BGH, die in dem Beschluss im Einzelnen zitiert wird.

Demgemäß hat die Rechtspflegerin zutreffend nur Fahrtkosten für die Strecke Münster-Heilbronn-Münster als erstattungsfähig in den Kostenausgleich einbezogen.

Gründe, die es ausnahmsweise gerechtfertigt erscheinen lassen, dass die Klägerin die erheblich höheren Kosten eines Prozessbevollmächtigten am dritten Ort vom Beklagten erstattet verlangen kann, liegen nicht vor.

Die Bearbeitung des Falles, bei dem es um die Geltendmachung von im BGB geregelten Ansprüchen ging, erforderte keine Spezialkenntnisse, über die nur bestimmte Anwälte verfügen und in die sich nicht jeder Rechtsanwalt einarbeiten könnte und müsste (vgl. u. a. Beschluss des Senats vom 8. November 2006, Az. 8 W 447/06).

Es trifft auch nicht der Ausnahmefall zu, dass die Klägerin zur Führung des Prozesses bei dem für sie auswärtigen Landgericht Heilbronn einen Rechtsanwalt an dem Ort beauftragt hatte, an dem sich zwar nicht der Sitz ihres Unternehmens befindet, an dem die Sache aber nach der unternehmensinternen Organisation vorprozessual bearbeitet worden war (vgl. hierzu: BGH NJW-RR 2007, 1561). Vielmehr hatte die Klägerin ihren in Hannover ansässigen Rechtsanwalt erst zur Durchführung des streitigen Verfahrens eingeschaltet.

Im übrigen wird zur restriktiven Rechtsprechung des BGH bezüglich der Kosten des an einem dritten Ort ansässigen "Hausanwalts" auch auf die Entscheidung vom 20. Mai 2008, Az. VIII ZB 92/07, (MDR 2008, 946; vorgehend Beschluss des Senats vom 2. Oktober 2007, Az. 8 W 388/07) verwiesen. Danach ist es allein kein ausreichender Grund, einen weder am Sitz des Prozessgerichts noch der Partei niedergelassenen Rechtsanwalt mit der Prozessvertretung zu beauftragen, wenn eine zu einer Unternehmensgruppe gehörende Handelsgesellschaft den an einem dritten Ort niedergelassenen Rechtsanwalt nur deshalb wählt, weil dieser mit den Gesellschaftern der zur Unternehmensgruppe gehörenden Gesellschaften durch eine langjährige vertrauensvolle Zusammenarbeit verbunden ist und daher für alle Gesellschaften dieser Gruppe tätig wird.

Die Begründung der Klägerin in ihrer Beschwerde vom 28. August 2008, auf die Bezug genommen wird, kann im Hinblick auf die obige Rechtsprechung zur Erstattungsfähigkeit der Reisekosten eines an einem dritten Ort ansässigen Rechtsanwalts zu keiner anderen Entscheidung führen als zu der von der Rechtspflegerin getroffenen.

Ergänzend wird noch verwiesen auf die Rechtsprechung weiterer Oberlandesgerichte (z. B. OLG Düsseldorf AGS 2007, 51; OLGR Hamburg 2006, 505; OLGR Schleswig 2005, 408; OLGR Rostock 2004, 418).

Dem sachlichen Interesse der Klägerin, von einem Anwalt ihres Vertrauens vertreten zu werden, wird allein durch die Erweiterung der Postulationsfähigkeit Rechnung getragen, ohne dass hieran - bei Fehlen eines Ausnahmefalls - die Erstattung der entsprechenden Reisekosten geknüpft werden kann.

Damit sind lediglich die Fahrtkosten vom Sitz der Klägerin in Münster zum Landgericht Heilbronn und zurück erstattungsfähig (Nr. 7003 RVG-VV) - wie von der Rechtspflegerin bereits berücksichtigt.

c)

Die sofortige Beschwerde war deshalb mit der Kostenfolge von Nr. 1812 GKG-KV und § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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