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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 08.09.2006
Aktenzeichen: 8 W 359/06
Rechtsgebiete: ZPO, BRAGO, VV-RVG
Vorschriften:
ZPO §§ 485 ff | |
BRAGO § 31 Abs. 1 Nr. 1 | |
BRAGO § 48 | |
VV-RVG Nr. 3100 |
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss
Geschäftsnummer: 8 W 359/06
08. September 2006
In dem Rechtsstreit
wegen Schadensersatzes und Feststellung
hier: Kostenfestsetzung
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Bräuning Richterin am Oberlandesgericht Tschersich Richterin am Landgericht Wagner
beschlossen:
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde der Klägerin gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin beim Landgericht Ravensburg vom 11.7.2006 wird zurückgewiesen.
2. Die Beschwerdeführerin hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen und der Beklagten deren außergerichtliche Kosten zu erstatten.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 1.143,06 €
Gründe:
1. Aufgrund der Kostenentscheidung im Urteil des Landgerichts Ravensburg vom 11.4.2006 hat die Beklagte die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der Kosten des selbständigen Beweisverfahrens zu tragen; diese trägt die Klägerin.
Mit Kostenfestsetzungsantrag vom 9./10.5.2006 hat die Klägerin unter anderem die Festsetzung einer 1,3 Verfahrensgebühr von 985,40 € zuzüglich 157,66 € MwSt. beantragt.
Die Rechtspflegerin hat mit Kostenfestsetzungsbeschluss vom 11.7.2006 die Verfahrensgebühr abgesetzt. Sie ist der Ansicht, dass auf diese die in dem nach BRAGO abzurechnenden selbständigen Beweisverfahren angefallene Prozessgebühr (aus 78.000,00 €) in Höhe von 1.200,00 € anzurechnen ist.
Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 19.7.2006 zugestellten Beschluss wendet sich die Klägerin mit der sofortigen Beschwerde vom 2.8.2006. Die vorgenommene Anrechnung widerspreche dem Wortlaut der Vorbemerkung 3 Abs. 5 VV-RVG und sei auch nicht durch eine Analogie dieser Vorschrift zu rechtfertigen. Anzurechnen sei danach die Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs. Die Anrechnung einer in einem selbständigen Beweisverfahren nach BRAGO angefallenen Prozessgebühr auf die später im streitigen Verfahren nach RVG anfallende Verfahrensgebühr sei demnach vom eindeutigen Wortlaut der Vorschrift nicht gedeckt. Ebenso komme eine analoge Anwendung nicht in Betracht, da diese voraussetze, dass das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthalte. Daran fehle es jedoch vorliegend offensichtlich, da der Gesetzgeber in die Übergangs- und Schlussvorschriften der §§ 60 und 61 RVG die Problematik konkurrierender Vorschriften der BRAGO und des RVG erkannt, gleichwohl keine Regelung zur Anrechnung einer früher nach der BRAGO angefallenen Gebühr auf die später angefallene Gebühr nach dem RVG getroffen habe.
Die Beschwerdegegnerin ist dem Rechtsmittel entgegengetreten.
Die Rechtspflegerin hat der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
2. Die sofortige Beschwerde ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, da die Rechtspflegerin zu Recht die nach BRAGO angefallene Prozessgebühr im selbständigen Beweisverfahren auf die nach Nr. 3100 VV-RVG im Hauptsacheverfahren angefallene 1,3 Verfahrensgebühr angerechnet hat. Nach altem Recht stellten die im selbständigen Beweisverfahren entstandenen gerichtlichen Kosten, also die Gebühren und Auslagen gerichtliche Kosten des nachfolgenden Hauptsacheverfahrens dar, wenn Parteien und Streitgegenstand des Beweisverfahrens sowie des Hauptprozesses identisch waren. Nach § 37 Nr. 3 BRAGO gehörte das selbständige Beweisverfahren für die Rechtsanwaltsgebühren zum Rechtszug. Soweit Identität der Parteien und des Streitgegenstands bestand. Diese Regelung hat durch das RVG insoweit eine Änderung erfahren, als nunmehr das selbständige Beweisverfahren und das Hauptsacheverfahren zwei verschiedene Verfahren und somit zwei Angelegenheiten sind, weshalb der Rechtsanwalt in beiden Verfahren gesondert die Gebühren des VV 3100 f. VV-RVG verdient. Hinsichtlich der Verfahrensgebühr nach 3100 VV-RVG bestimmt Vorbemerkung 3 Abs. 5 allerdings, dass die Verfahrensgebühr des selbständigen Beweisverfahrens auf die Verfahrensgebühr des Rechtszugs angerechnet wird.
Wenn der Auftrag für das selbständige Beweisverfahren noch unter der Geltung der BRAGO erteilt wurde, der Auftrag für das Hauptsacheverfahren allerdings unter der Geltung des RVG, ist streitig, ob damit im Hinblick auf § 37 BRAGO - eine Angelegenheit - insgesamt die BRAGO Anwendung findet oder ob auf den jeweiligen Zeitpunkt der Auftragserteilung abzustellen ist, mit der Folge, dass für das selbständige Beweisverfahren die BRAGO Anwendung findet und für das Hauptsacheverfahren die RVG. Für letzteren Fall ist wiederum streitig, ob dann eine Anrechnung der nach BRAGO angefallenen 10/10 Prozessgebühr auf die 1,3 Verfahrensgebühren nach RVG zu erfolgen hat.
Die Meinung, die selbständiges Beweisverfahren und Hauptsacheverfahren insgesamt nach BRAGO abrechnen will, verweist auf die Übergangsvorschriften §§ 60, 61 RVG. Nach §§ 60 Abs. 1 Satz 1, 61 Abs. 1 Satz 1 RVG ist die Vergütung nach bisherigem Recht zu berechnen, wenn der unbedingte Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 RVG vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung erteilt worden ist. Der Auftrag zur Vertretung im selbständigen Beweisverfahren sei ein unbedingter Auftrag und nach altem Recht sei das selbständige Beweisverfahren dieselbe Angelegenheit wie die nachfolgende Hauptsache (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 1.8.2006, 6 W 82/06 zitiert nach Juris; OLG Zweibrücken AGS 06, 293). Dies überzeugt nach Ansicht des Senats dann nicht, wenn, wie im Regelfall, zunächst nur ein unbedingter Auftrag zur Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens erteilt wird, da zu diesem Zeitpunkt nicht abzusehen ist, ob es zu einem Hauptsacheverfahren kommen wird. Allenfalls kann der Auftrag auf Antragstellerseite bedingt erteilt werden, für den Fall, dass das selbständige Beweisverfahren nicht zu einer Erledigung des Streits führt. Der Senat schließt sich der Ansicht an, die auf den Zeitpunkt des bei der jeweiligen Auftragserteilung geltenden Rechts abstellt, dann aber die nach BRAGO angefallene 10/10 Prozessgebühr für das selbständige Beweisverfahren mit der 1,3 Verfahrensgebühr nach 3100 VVRVG für die Hauptsache verrechnet (OLG München AGS 06, 345; OLG Koblenz AGS 06, 61; OLG Hamm AGS 06, 62 mit Anmerkung zu beiden Entscheidungen von Hansens S. 63, OLG Köln AGS 06, 241, in der dortigen Anmerkung von Norbert Schneider erklärt dieser, dass die bisher von ihm vertretene gegenteilige Auffassung in RVG, 2. Aufl. § 61 Rdnr. 41 in der 3. Aufl. ausdrücklich aufgegeben werde). Das Oberlandesgericht München setzt sich auch mit der verfassungsrechtlichen Problematik auseinander.
Die sofortige Beschwerde der Klägerin war deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
4. Im Hinblick auf die unterschiedliche Rechtsprechung der Oberlandesgerichte wird die Rechtsbeschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO zugelassen.
Ende der Entscheidung
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