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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 04.02.2009
Aktenzeichen: 8 W 39/09
Rechtsgebiete: RVG-VV, ZPO, InsO


Vorschriften:

RVG-VV Nr. 3100
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
ZPO § 91 Abs. 2 S. 1
ZPO § 145 Abs. 1
ZPO § 145 Abs. 2
ZPO § 240 S. 1
InsO § 86 Abs. 1 Nr. 2
InsO § 85 Abs. 2
Zur Höhe der Verfahrensgebühr des Klägervertreters und deren Erstattungsfähigkeit, wenn:

a) der Streitwert durch die Erhebung einer Widerklage erhöht wird,

b) danach der Rechtsstreit unterbrochen wird durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten/Widerklägers,

c) lediglich der Passivprozesses (Klage) durch die Klägerin wieder aufgenommen wird, nicht aber der Aktivprozess (Widerklage) durch den Insolvenzverwalter,

d) eine Abtrennung der Verfahren über die Klage und die Widerklage stattfindet

e) und im Passivprozess (Klage) ein Urteil ergeht, in dem über die insgesamt bisher angefallenen Kosten des Rechtsstreits entschieden wird.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 39/09

04. Februar 2009

In dem Rechtsstreit

wegen Duldung der Zwangsvollstreckung; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Rechtspflegers des Landgerichts Heilbronn vom 1. Dezember 2008, Az. 6 O 47/06, wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 2.772,22 Euro

Gründe:

1.

Im Hauptsacheverfahren beanspruchte die Klägerin gegen den Gemeinschuldner die Duldung der Zwangsvollstreckung in ein Wohnungs- und Teileigentum wegen eines Teilbetrages von 100.000 Euro aus einer Grundschuld von 1.000.000 DM (= 511.291,88 Euro). Der Gemeinschuldner erhob Widerklage auf Zustimmung zur Löschung dieser Grundschuld. Danach - am 30. Januar 2007 - wurde über das Vermögen des Gemeinschuldners das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte als Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2007 nahm die Klägerin den unterbrochenen Rechtsstreit gem. § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO wieder auf. Bezüglich der Widerklage erfolgte eine entsprechende Erklärung des Beklagten nicht. Vielmehr stellten die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 23. Juni 2008 klar, dass der Rechtsstreit nur hinsichtlich der Klage wieder aufgenommen worden sei, nicht jedoch wegen der Widerklage.

Am 21. Juni 2008 erging ein Urteil, mit dem dem Klagantrag stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits dem Beklagten auferlegt wurden. Gleichzeitig wurde eine zeitlich differenzierte Streitwertfestsetzung vorgenommen, die unter Einbeziehung des Gegenstands der Widerklage sich auf 511.291,88 Euro und im übrigen auf 100.000 Euro belief. (Die Festsetzung auf 20.000 Euro ist hier nicht entscheidungserheblich.)

Am 11. September 2008 beantragte die Klägerin die Kostenfestsetzung in Höhe von 6.902,83 Euro, die mit Beschluss vom 1. Dezember 2008 antragsgemäß erfolgte.

Gegen die am 04. Dezember 2008 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte am 18. Dezember 2008 "Erinnerung" eingelegt, der die Klägerin entgegengetreten ist.

Die Parteien streiten über die Höhe der 1,3-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 RVG-VV. Die Klägerin hat diese berechnet aus dem Streitwert von 511.291,88 Euro und damit in Höhe von 4.089,80 Euro zuzüglich 19% Umsatzsteuer von 777,06 Euro, insgesamt 4.866,86 Euro. Der Beklagte hält wegen der Nichtaufnahme der Widerklage lediglich den Ansatz aus einem Gegenstandswert von 100.000 Euro, danach von 1.760,20 Euro zuzüglich 19% Umsatzsteuer von 334,44 Euro, insgesamt 2.094,64 Euro für gerechtfertigt, woraus sich seine Beschwer von 2.772,22 Euro errechnet.

Der Rechtspfleger hat nicht abgeholfen und die Akte mit Beschluss vom 27. Januar 2009 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt. Er verweist auf seine Bindung im Festsetzungsverfahren an die Kostengrundentscheidung und die Streitwertfestsetzung in dem Urteil vom 21. Juli 2008.

2.

Das als sofortige Beschwerde zu behandelnde Rechtsmittel des Beklagten ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG), hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Kostenfestsetzung des Rechtspflegers ist im Ergebnis aus den folgenden Gründen nicht zu beanstanden:

a)

Durch die Erhebung der Widerklage hat sich der Streitwert entsprechend der Festsetzung des Landgerichts für die 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV auf 511.291,88 Euro erhöht.

Nachdem der höchste Gegenstandswert während der Tätigkeit des Rechtsanwalts ausschlaggebend ist, änderte die spätere Reduzierung des Streitwerts auf 100.000 Euro wegen der Nichtaufnahme der Widerklage an der Höhe der bereits verdienten Verfahrensgebühr nichts. Denn eine einmal aus einem höheren Wert entstandene Gebühr wird durch spätere Änderungen nicht wieder hinfällig (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Auflage 2008, Nr. 3100 RVG-VV Rdnr. 114).

Damit war auf Klägerseite die in Ansatz gebrachte Verfahrensgebühr von brutto 4.866,86 Euro angefallen und wurde durch den späteren Prozessverlauf nicht mehr beeinflusst.

b)

Dieser wurde geprägt durch die Unterbrechung gem. § 240 Satz 1 ZPO infolge der Insolvenzeröffnung über das Vermögen der Gemeinschuldnerin und die Wiederaufnahme lediglich des Passivprozesses durch die Klägerin gem. § 86 Abs. 1 Nr. 2 InsO, die nicht zugleich die Widerklage erfasste wegen deren Selbstständigkeit - auch im Insolvenzverfahren.

Vielmehr konnten Klage und Widerklage eine getrennte Entwicklung nehmen, da die Klage als Passivprozess wieder aufzunehmen war, die Widerklage dagegen als Aktivprozess (§ 85 InsO; Thüringer OLG NZI 2002, 112; BGH NJW-RR 2004, 925; OLGR Zweibrücken 2005, 26; je m. w. N.).

Dabei bedurfte es keiner ausdrücklichen Ablehnung der Wiederaufnahme der Widerklage als Aktivprozess durch den Insolvenzverwalter/Beklagten (§ 85 Abs. 2 InsO). Sie ist nicht an eine bestimmte Form gebunden und kann durch schlüssiges Verhalten wirksam erfolgen.

Der Rechtsstreit blieb deshalb wegen der Widerklage gem. § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen (BGH NJW-RR 2007, 845 m. w. N.).

c)

Nachdem das Landgericht trotz der nach wie vor rechtshängigen Widerklage über die Klageforderung kein Teilurteil gem. § 301 Abs. 1 Satz 1 ZPO erließ, bei dem die Kostenentscheidung dem Schlussurteil hätte vorbehalten werden müssen (Vollkommer in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 301 Rdnr. 11; Musielak in Münchener Kommentar, ZPO, 3. Aufl. 2008, Bd. 1, § 301 Rdnr. 25; Musielak in Musielak, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 301 Rdnr. 27; je m. w. N.), sondern ein Endurteil mit einer Kostenentscheidung, ist davon auszugehen, dass die Vorinstanz stillschweigend eine Verfahrenstrennung im Sinne des § 145 Abs. 1 und 2 ZPO vorgenommen hat (OLG München NJW-RR 1996, 1279 m. w. N.). Es wurde danach ausschließlich über die Klage verhandelt und durch Endurteil - nicht Teilurteil - nur in diesem Verfahren über die Hauptsache und die Kosten entschieden.

d)

Wird ein Rechtsstreit - wie hier - in mehrere Prozesse geteilt, dann sind dem Anwalt Gebühren zunächst aus dem Gesamtstreitwert erwachsen.

Nach der Trennung fallen die gleichen Gebühren jeweils aus den geringeren Streitwerten erneut an. Wegen der Degression der Anwaltsgebühren ist die Summe aus den beiden geringeren Gebühren nicht identisch mit der Gebühr aus dem addierten Wert.

Eine einmal entstandene Anwaltsgebühr kann aber nicht mehr untergehen. Sie kann nur auf eine später anfallende Gebühr anrechnungspflichtig sein (Wagner in Münchener Kommentar, a. a. O., § 145 Rdnr. 15).

Deshalb wird dem Rechtsanwalt ein Wahlrecht zwischen der Gebühr aus dem addierten Streitwert und den beiden Gebühren aus den geringeren Streitwerten zugebilligt (Greger in Zöller, a. a. O., § 145 Rdnr. 28 und § 147 Rdnr. 10; Stadler in Musielak, a. a. O., § 145 Rdnr. 35; Müller-Rabe, a. a. O., Nr. 3100 RVG-VV Rdnr. 81 und Rdnr. 96 ff; je m. w. N.).

Danach stand es dem Klägervertreter frei, die vor der Verfahrenstrennung aus dem höchsten Gegenstandswert verdiente 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV von brutto 4.866,86 Euro geltend zu machen.

Über eine Anrechnungspflichtigkeit ist derzeit nicht zu entscheiden, da das abgetrennte Widerklageverfahren noch nicht mit einer diesbezüglichen Kostengrundentscheidung und einer hieraus resultierenden Kostenfestsetzung beendet worden ist.

e)

Der Beklagte kann nicht darauf verweisen, dass die einmal angefallene Verfahrensgebühr des Klägervertreters nicht die von ihm zu verwaltende Insolvenzmasse betreffe, da er den Aktivprozess nicht aufgenommen habe und deshalb die Insolvenzmasse nicht mit Kosten (§§ 53 ff InsO) belastet werden könne. Vielmehr müsse ein etwaiger Erstattungsanspruch, der vor der Insolvenzeröffnung begründet worden sei, als einfache Insolvenzforderung gem. §§ 38, 87, 174 ff InsO am Insolvenzverfahren teilnehmen.

Der durch die Insolvenzeröffnung unterbrochene Prozess wird in der Lage aufgenommen, in der er sich befindet. Der Insolvenzverwalter muss somit die vorherige Prozessführung des Schuldners, einschließlich eventueller Anerkenntnisse, Verzichte, Geständnisse und Fristversäumnisse gegen sich gelten lassen, sofern er nicht im Einzelfall solche Rechtshandlungen gem. §§ 129 ff InsO wegen objektiver Gläubigerbenachteiligung anfechten kann.

Als der Passivprozess von der Klägerin wieder aufgenommen wurde, hatte zuvor der Gemeinschuldner durch die Erhebung der Widerklage den Gegenstandswert auf 511.291,88 Euro anwachsen lassen, aus dem der Klägervertreter seine 1,3-Verfahrensgebühr gem. Nr. 3100 RVG-VV verdiente, die durch die spätere Verfahrenstrennung und Reduzierung des Streitwerts auf 100.000 Euro nicht mehr in Wegfall geraten konnte.

Mit den einmal angefallenen Gebühren der Anwälte wurde der Rechtsstreit bezüglich der Klage wieder aufgenommen. Hieran muss sich der Beklagte festhalten lassen.

f)

Das im wieder aufgenommenen Klageverfahren ergangene Urteil enthält eine Kostenentscheidung bezüglich der insgesamt bisher angefallenen Kosten des Rechtsstreits und damit auch der hier streitigen Verfahrensgebühr des klägerischen Anwalts aus dem höchsten Gegenstandswert von 511.291,88 Euro.

Die Frage, ob der Kostenerstattungsanspruch der Klägerin insgesamt als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) oder hinsichtlich der vor Verfahrenseröffnung bereits vollendeten Gebührentatbestände nur als Insolvenzforderung (§ 38 InsO) zu behandeln ist, kann nicht in das Kostenfestsetzungsverfahren (§§ 103 ff ZPO) verlagert werden. Die Organe dieses Verfahrens sind an die Kostengrundentscheidung - wie auch an die Streitwertfestsetzung - gebunden. Werden einer Partei die gesamten Prozesskosten unterschiedslos auferlegt, ist eine Differenzierung in der nachfolgenden Verfahrensstufe grundsätzlich nicht mehr zulässig (BGH NJW-RR 2007, 397 m. w. N.).

Im übrigen vertritt der BGH in der genannten Entscheidung die Auffassung, dass in dem von ihm zu entscheidenden Streitfall der Unterbrechung des Verfahrens vor Abschluss der ersten Instanz und sogar noch vor der mündlichen Verhandlung - wie vorliegend - eine Auflösung des einheitlichen Kostenerstattungsanspruchs dahingehend, dass auch in diesem frühen Stadium des Verfahrens die Qualifizierung als Masseverbindlichkeit auf die Mehrkosten nach der Aufnahme des Verfahrens beschränkt wird, im Blick auf die durch die Verfahrensgebühren geprägten Gebührenordnungen nicht in Betracht komme (vgl. auch Schumacher in Münchener Kommentar, InsO, 2. Aufl. 2007, § 85 Rdnr. 19; Wittkowski in Nerlich/Römermann, InsO, § 86 Rdnr. 12; OLG Koblenz Rpfleger 1991, 335; OLG Frankfurt AnwBl 1983, 569; OLG Schleswig ZIP 1981, 1359; je m. w. N.).

g)

Damit hat sich der Rechtspfleger im Ergebnis zurecht an die in dem Urteil vom 21. Juli 2008 getroffene Kostengrundentscheidung und Streitwertfestsetzung gebunden gesehen und die vom Klägervertreter in Ausübung seines Wahlrechts geltend gemachte 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV aus dem höchsten Gegenstandswert von 511.291,88 Euro bei der Kostenfestsetzung zu Lasten des Beklagten mit brutto 4.866,86 Euro berücksichtigt. Denn diese ist nach den obigen Ausführungen nicht nur angefallenen, sondern auch erstattungsfähig gem. § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO.

Das hiergegen gerichtete Rechtsmittel des Beklagten war mit der Kostenfolge von Nr. 1812 GKG-KV und § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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