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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 05.02.2009
Aktenzeichen: 8 W 42/09
Rechtsgebiete: ZPO, RVG-VV


Vorschriften:

ZPO §§ 103 ff
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
RVG-VV Nr. 2300
RVG-VV Nr. 3100
RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4
1. Nach der BGH-Rechtsprechung kommt es für die Anrechnung einer einmal entstandenen vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV nicht darauf an, ob wegen der Geschäftsgebühr ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch gegenüber dem Prozessgegner besteht.

2. Es ist deshalb unerheblich, ob die Geschäftsgebühr als Nebenforderung mit eingeklagt oder ob der Kläger dies unterlassen hat wegen der vom Beklagten erhobenen Verjährungseinrede und ob mit der umfassenden Erledigungsklausel in einem gerichtlichen Vergleich bezüglich eines etwaigen Erstattungsanspruchs des Klägers zwischen den Parteien ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) abgeschlossen wurde.

3. Eine Auslegung des Prozessvergleichs bezüglich seiner Erledigungsklausel und der in ihm getroffenen Kostenregelung erübrigt sich damit.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 42/09

05. Februar 2009

In dem Rechtsstreit

wegen Pflichtteil; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Tübingen vom 24. November 2008, Az. 4 O 98/08, abgeändert:

Aufgrund des rechtswirksamen Vergleichs des Landgerichts Tübingen vom 25. September 2008 sind von dem Beklagten an die Klägerin an Kosten zu erstatten: 1.730,84 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 8. Oktober 2008.

2. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 481,50 Euro

Gründe:

1.

Im Hauptsacheverfahren machte die Klägerin gegen den Beklagten Pflichtteilsansprüche in Höhe von 33.327,71 Euro geltend. Die Parteien schlossen am 25. September 2008 einen gerichtlichen Vergleich, in dem sich der Beklagte verpflichtete 25.000 € zu bezahlen. Damit waren sämtliche Ansprüche der Parteien gegeneinander erledigt und abgegolten. Von den Kosten des Rechtsstreits übernahmen die Klägerin 25% und der Beklagte 75%.

Bei den Kostenausgleichungsanträgen berücksichtigte der Beklagte die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr und reduzierte die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV auf 0,65 und damit auf 539,50 € netto, während die Klägerin trotz unstreitiger vorgerichtlicher Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten die volle 1,3-Verfahrensgebühr mit einem 1.079 € netto in Ansatz brachte.

Die Rechtspflegerin ging beim Kostenausgleich von den jeweiligen Anträgen aus und setzte mit Beschluss vom 24. November 2008 die von dem Beklagten an die Klägerin zu erstattenden Kosten auf 2.212,34 € fest.

Gegen die am 26. November 2008 zugestellte Entscheidung hat der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten am 28. November 2008 Beschwerde eingelegt, der die Klägerin entgegengetreten ist.

Die Parteien streiten über die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die von der Klägerin geltend gemachte Verfahrensgebühr. Bei Berücksichtigung der Anrechnung und infolgedessen Reduzierung der Verfahrensgebühr auf 0,65 würde der Beklagte im Kostenausgleich unter Zugrundelegung der vereinbarten Quote mit einem um 481,50 € brutto geringeren Erstattungsbetrag belastet werden.

Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akte mit Verfügung (Beschluss) vom 2. Februar 2009 dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG) und in der Sache begründet.

In dem Beschluss vom 22. Januar 2008, Az. VIII ZB 57/07, veröffentlicht u. a. in AGS 2008, 158 und NJW 2008, 1323, sowie bestätigt durch weitere Entscheidungen (BGH NJW 2008, 3641; JurBüro 2008, 468 und 469; AGS 2008, 377) hat der Bundesgerichtshof klargestellt, dass die anteilige Anrechnung einer vorgerichtlich entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) des gerichtlichen Verfahrens gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV vorzunehmen ist unabhängig davon, ob die Geschäftsgebühr auf materiellrechtlicher Grundlage vom Prozessgegner zu erstatten und ob sie unstreitig, geltend gemacht, tituliert oder bereits beglichen ist.

Das Entstehen der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV ist zwischen den Parteien unstreitig und ergibt sich aus der Anlage K 7. Mit diesem Schreiben vom 3. August 2007 zeigt der Prozessbevollmächtigte der Klägerin deren Vertretung gegenüber dem Beklagten an und macht einen Pflichtteilsanspruchs von 33.327,71 € geltend. Das Mahnverfahren wurde eingeleitet am 10. September 2007.

Nachdem der BGH unmissverständlich klargestellt hat, dass es für die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV nicht darauf ankommt, ob wegen dieser ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch gegenüber dem Prozessgegner besteht, ist es unerheblich, ob die Klägerin die vorgerichtliche Geschäftsgebühr als Nebenforderung mit eingeklagt oder ob sie dies unterlassen hat wegen der vom Beklagten erhobenen Verjährungseinrede und ob mit der umfassenden Erledigungsklausel in dem gerichtlichen Vergleich bezüglich eines etwaigen Erstattungsanspruchs der Klägerin zwischen den Parteien ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) abgeschlossen wurde.

Der BGH stellt allein auf das Entstehen der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV ab. Diese fiel aber mit der vorgerichtlichen Tätigkeit des Klägervertreters im Verhältnis zu seiner Mandantin an - unabhängig davon, ob dieser ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Beklagten zu irgend einem Zeitpunkt zustand.

Denn die Anrechnungsvorschrift bezweckt unter einem aufwandsbezogenen Gesichtspunkt die Kürzung der Verfahrensgebühr, weil der Prozessbevollmächtigte auf Grund seiner vorprozessualen Befassung mit dem Streitstoff in der Regel nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat. Damit kann er gegenüber dem eigenen Mandanten auch nur die volle Geschäftsgebühr und die durch Anrechnung der hälftigen Geschäftsgebühr (maximal 0,75) reduzierte Verfahrensgebühr beanspruchen.

Würde die Anrechnung bei der Kostenerstattung gegenüber dem Prozessgegner nicht berücksichtigt, so würde dies zu dem Ergebnis führen, dass der Obsiegende von seinem Gegner die volle Verfahrensgebühr im Kostenfestsetzungsverfahren gem. §§ 103 ff ZPO ersetzt erhielte und im Falle eines materiellrechtlichen Erstattungsanspruchs zusätzlich die volle Geschäftsgebühr, während er an seinen Anwalt lediglich die volle Geschäftsgebühr und die reduzierte Verfahrensgebühr zu zahlen hätte. Hierdurch wäre er ungerechtfertigt bereichert, denn § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO sieht lediglich die Erstattung der "erwachsenen Kosten" vom unterliegenden Prozessgegner vor.

Im Hinblick auf diese Erwägungen kommt es auf eine Auslegung des zwischen den Parteien geschlossenen Prozessvergleichs nicht an.

Die vom Klägervertreter zitierte Entscheidung des KG Berlin vom 23. Oktober 2008, Az. 1 W 375/07, befasst sich im übrigen mit der Auslegung der Kostenregelung eines Prozessvergleichs aus dem Jahr 2006, während der vorliegende am 25. September 2008 geschlossen wurde und damit zu einer Zeit, als die Rechtsprechung des BGH längst bekannt und die frühere Rechtsauffassung des Senats, der in den vom Klägervertreter zitierten Entscheidungen (OLG Stuttgart JurBüro 2008, 23 und AGS 2008, 43) jeweils die Rechtsbeschwerde zum BGH zuließ, überholt war.

Nachdem die vorgerichtliche Geschäftsgebühr (Nr. 2300 RVG-VV) auf Klägerseite angefallen war und sie durch den gerichtlichen Vergleich nicht mehr in Wegfall geraten konnte, allenfalls ein etwaiger diesbezüglicher Erstattungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten, worauf es nach der BGH-Rechtsprechung nicht ankommt, war diese auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV hälftig anzurechnen, sodass sich letztere auf 0,65 und damit auf 539,50 € netto und 642 € brutto reduzierte. Unter Berücksichtigung der vereinbarten Kostenquote ist der Beklagte mit diesem zu Unrecht für die Klägerin in Ansatz gebrachten Betrag in Höhe von 75% (= 481,50 €) belastet worden.

Der mit dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss zu Gunsten der Klägerin festgelegte Erstattungsbetrag von 2.212,34 € verringert sich demnach um 481,50 € auf 1.730,84 € und war entsprechend abzuändern.

Die Entscheidung ergeht gemäß § 1812 GKG-KV gerichtsgebührenfrei. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin nach § 91 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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