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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 04.12.2009
Aktenzeichen: 8 W 439/09
Rechtsgebiete: RVG
Vorschriften:
RVG § 15a |
1. Der am 5. August 2009 in Kraft getretene § 15a RVG findet auf noch nicht abschließend entschiedene "Altfälle" Anwendung.
2. Das Hauptsacheverfahren und das sich daran anschließende Kostenfestsetzungsverfahren sind im Sinne des § 15a Abs. 2, Alternative 3 RVG nicht "dasselbe Verfahren".
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss
Geschäftsnummer: 8 W 439/09
04. Dezember 2009
In Sachen
wegen Forderung; hier: Kostenfestsetzung
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung von
Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Tolk Richterin am Oberlandesgericht Tschersich Richter am Oberlandesgericht Dr. Barth
beschlossen:
Tenor:
1. Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen den Abhilfebeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Stuttgart vom 20. August 2009, Az. 23 O 210/08, wird zurückgewiesen.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Beschwerdewert: 571,15 Euro
Gründe:
1. Zur Sachverhaltsdarstellung wird verwiesen auf den Beschluss des Senats vom 13. Mai 2009, Az. 8 W 202/09.
Wegen der Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr zu Lasten des Klägers war dessen sofortige Beschwerde gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss vom 18. Februar 2009 dem Oberlandesgericht nicht vorgelegt worden. Vielmehr hat die Rechtspflegerin unter Bezugnahme auf die - zwischenzeitlich rechtskräftig gewordene - Entscheidung des Senats vom 11. August 2009, Az. 8 W 339/09, AGS 2009, 371, im Wege der Abhilfe durch Beschluss vom 20. August 2009 die Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr abgelehnt und damit den von dem Beklagten an den Kläger zu erstattenden Betrag von 846,52 € (vgl. Beschluss des Senats vom 13. Mai 2009, Az. 8 W 202/09) auf 1.417,67 € heraufgesetzt.
Gegen diese am 24. August 2009 zugestellte Abhilfeentscheidung hat nunmehr der Beklagte durch seinen Prozessbevollmächtigten am 07./9. September 2009 Beschwerde eingelegt, der der Kläger entgegen getreten ist. Die Parteien streiten über die Anrechnungsproblematik.
Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
2.
a)
Die sofortige Beschwerde des Beklagten ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG).
Der Abhilfebeschluss kann vom ursprünglichen Beschwerdegegner mit der sofortigen Beschwerde angefochten werden, wenn sie - wie vorliegend - gem. § 567 ZPO statthaft ist (Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 30. Aufl. 2009, § 572 Rdnr. 5; Heßler in Zöller, ZPO, 28. Aufl. 2010, § 572 Rdnr. 15).
Sie wurde frist- und formgerecht eingelegt (§ 569 ZPO) und ist damit insgesamt zulässig.
b)
In der Sache ist sie jedoch unbegründet.
aa)
Die Anwendung des am 5. August 2009 in Kraft getretenen § 15a RVG bei der Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV ist nach der Rechtsprechung des Senats (OLG Stuttgart - rechtskräftig - AGS 2009, 371; ebenso: OLG Koblenz AGS 2009, 420; OLG Köln AGS 2009, 512; OLG München, Beschluss vom 13. Oktober 2009, Az. 11 W 2244/09, in juris; BGH/2. Zivilsenat NJW 2009, 3101) auf noch nicht abschließend entschiedene "Altfälle" - wie den vorliegenden - auszudehnen.
Danach kommt entgegen der Auffassung des Beklagten eine Reduzierung der geltend gemachten und von der Rechtspflegerin festgesetzten 1,3-Verfahrensgebühr infolge Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf 0,65 nicht in Betracht.
Nach § 15a Abs. 1 RVG wirkt sich die Anrechnungsvorschrift grundsätzlich im Verhältnis zu Dritten, damit insbesondere im Kostenfestsetzungsverfahren, nicht aus. In diesem musste und muss eine Verfahrensgebühr, von den in § 15a Abs. 2 RVG geregelten Ausnahmen abgesehen, stets auch dann in der geltend gemachten Höhe festgesetzt werden, wenn für den Bevollmächtigten des Erstattungsberechtigten eine Geschäftsgebühr entstanden ist (BGH NJW 2009, 3101).
bb)
Ein Ausnahmefall des § 15a Abs. 2 RVG ist nicht gegeben. Danach kann sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.
Unzweifelhaft ist die erstgenannte Alternative (Erfüllung) nicht gegeben.
Die mit der Klage vom 22. Oktober 2008 im Antrag Ziff. 2 als Nebenforderung beanspruchte Geschäftsgebühr von 1.196,43 € (einschließlich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) wurde auch nicht mit dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Prozessvergleich vom 16. Dezember 2008 tituliert. Denn er enthält insoweit keine Zahlungspflicht des Beklagten.
Vielmehr beruft sich dieser auf das Vorliegen der dritten Alternative des § 15a Abs. 2 RVG (Geltendmachung beider Gebühren in demselben Verfahren gegenüber dem Beklagten).
Was unter "demselben Verfahren" im Sinne des § 15 a Abs. 2 RVG zu verstehen ist, kann der Vorschrift nicht eindeutig entnommen werden. Sofern im Hauptsacheverfahren vor dem Richter und in dem sich auf Grund der dort getroffenen Kostenregelung anschließenden reinen Höheverfahren der Kostenfestsetzung vor dem Rechtspfleger überhaupt dasselbe Verfahren gesehen werden sollte (verneinend: OLG München, Beschluss vom13.10.2009, 11 W 2244/09, in juris; so wohl auch BGH/10.ZS, WRP 2009, 1554, in juris Rdnr. 25), kann jedenfalls nach dem Sinn und Zweck der Bestimmung des § 15 a Abs. 2 RVG die Berücksichtigung der Anrechnung nur auf die Fälle der erfolgreichen Geltendmachung einer der beiden Gebühren beschränkt werden (vgl. OLG Stuttgart/Senat, AGS 2009, 371). Eine solche ist hier nicht festzustellen.
cc)
Danach ist die Berufung des Beklagten auf die Anrechnung unter keinem Gesichtspunkt erfolgreich. Die Verfahrensgebühr musste vielmehr ungeschmälert festgesetzt werden. Der ursprünglich vom Kläger angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss war daher entsprechend abzuändern. Die Rechtspflegerin ist dieser Verpflichtung im Abhilfebeschluss vom 20. August 2009 zurecht nachgekommen und hat den Erstattungsbetrag auf 1.417,67 € heraufgesetzt.
c)
Die sofortige Beschwerde des Beklagten gegen diese Entscheidung war deshalb mit der Kostenfolge von Nr. 1812 GKG-KV und § 97 Abs. 1 ZPO als unbegründet zurückzuweisen.
d)
Unter Berücksichtigung der abweichenden obergerichtlichen Rechtsprechung zur Problematik der Anwendung des § 15a RVG auf Altfälle - unbedingter Auftrag zur Erledigung derselben Angelegenheit i. S. des § 15 RVG vor dem Inkrafttreten des § 15a RVG, wie vorliegend - (OLG Frankfurt RVGreport 2009, 392; KG Berlin RVGreport 2009, 391; OLGR Celle 2009, 749; KG Berlin, RVGreport 2009, 431; OLG Braunschweig NdsRpfl 2009, 358; OLGR Celle 2009, 930; KG Berlin, Beschluss vom 13. Oktober 2009, Az. 27 W 98/09, in juris; insbesondere: BGH/10.ZS, WRP 2009, 1554) wird die Rechtsbeschwerde gem. § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2, Abs. 3 Satz 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und zur Fortbildung des Rechts sowie zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Die Beantwortung der Streitfrage der Anwendung des § 15a RVG auf Altfälle ist vorliegend entscheidungserheblich. Denn nach der BGH-Rechtsprechung vor dem Inkrafttreten des § 15a RVG kam es für die Anrechnung einer einmal entstandenen vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die gerichtliche Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV) gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV nicht darauf an, ob wegen der Geschäftsgebühr ein materiellrechtlicher Erstattungsanspruch gegenüber dem Prozessgegner bestand. Es war danach unerheblich, ob die Geschäftsgebühr als Nebenforderung mit eingeklagt worden war oder ob der Kläger dies unterlassen hatte wegen etwaiger Einwendungen oder Einreden (z. B. Verjährungseinrede) oder ob mit der umfassenden Erledigungsklausel in einem gerichtlichen Vergleich bezüglich eines etwaigen Erstattungsanspruchs des Klägers zwischen den Parteien ein Erlassvertrag (§ 397 BGB) abgeschlossen worden war (Senat, OLGR Stuttgart 2009, 417).
Allein ausschlaggebend für die Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr auf die gerichtliche Verfahrensgebühr war der Anfall der Geschäftsgebühr - unabhängig von einem Erstattungsanspruch, weswegen im vorliegenden Fall nach der bisherigen BGH-Rechtsprechung vor der Geltung des § 15a RVG eine Anrechnung vorzunehmen wäre.
Weiterhin entscheidungserheblich ist die Frage, was unter der Geltendmachung beider Gebühren in "demselben Verfahren" im Sinne des § 15a Abs. 2, Alternative 3 RVG zu verstehen ist, nachdem hier eine 1,3-Geschäftsgebühr von 1.196,43 € (einschließlich Auslagenpauschale und Umsatzsteuer) im Hauptsacheverfahren klageweise als Nebenforderung geltend gemacht worden war und sodann im Kostenfestsetzungsverfahren die 1,3-Verfahrensgebühr in gleicher Höhe (Antrag vom 18. Dezember 2008) in Ansatz gebracht worden ist. Sollte das Hauptsache- und Kostenfestsetzungsverfahren als "dasselbe Verfahren" im Sinne des § 15a Abs. 2 RVG angesehen werden, wäre wiederum eine Anrechnung vorzunehmen.
Auch bezüglich dieser Problematik liegen die genannten Zulassungsvoraussetzungen vor.
Ende der Entscheidung
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