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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 20.11.2009
Aktenzeichen: 8 W 459/09
Rechtsgebiete: RVG, ZPO, BGB


Vorschriften:

RVG § 7 Abs. 1
RVG § 7 Abs. 2 S. 1
RVG § 15 Abs. 2 S. 1
ZPO § 91 Abs. 1 S. 1
BGB § 426 Abs. 1 S. 1
1. Ein Parteiwechsel innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens rechtfertigt nur die einmalige Erhebung der in dem Rechtszug anfallenden Gebühren (§§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 Satz 1 RVG) unabhängig davon, ob der gemeinsame Rechtsanwalt gleichzeitig oder nacheinander für mehrere Auftraggeber in derselben Angelegenheit tätig wird.

2. Der Mehrvertretungszuschlag (Nr. 1008 RVG-VV) setzt einen entsprechenden Antrag gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 ZPO voraus.

3. Bei der Kostenfestsetzung nach der Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung beim vorzeitigen Ausscheiden eines Streitgenossen durch Parteiwechsel ist zu beachten, dass der ausgeschiedene obsiegende Streitgenosse von dem unterlegenen Gegner nur in Höhe des seiner Beteiligung am Rechtsstreit entsprechenden Bruchteils und nicht entsprechend seinem Haftungsanteil nach § 7 Abs. 2 Satz 1 RVG Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten verlangen kann.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 459/09

20. November 2009

In Sachen

wegen Schadensersatz; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Klägerin wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Tübingen vom 13. August 2009, Az. 7 O 323/09, abgeändert:

Auf Grund des Beschlusses des Landgerichts Stuttgart vom 31. März 2009, Az. 15 O 407/08, sind an Kosten von der Klägerin an den Beklagten Ziff. 1 zu erstatten 880,54 Euro, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 2. April 2009.

2. Der weitergehende Kostenfestsetzungsantrag des Beklagten Ziff. 1 wird zurückgewiesen.

3. Im übrigen wird die sofortige Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen.

4. Die für diese Entscheidung anfallende Gerichtsgebühr wird auf die Hälfte ermäßigt. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Beschwerdewert: 1.761,08 Euro

Gründe:

1.

Im Hauptsacheverfahren wegen Amtshaftung in Höhe von 54.800 Euro hat die Klägerin mit der Klage vom 30. Dezember 2008 zunächst den Beklagten Ziff. 1 auf Zahlung in Anspruch genommen und sodann mit Schriftsatz vom 28. Februar 2009 durch Parteiwechsel die Beklagte Ziff. 2, die von dem selben Rechtsanwalt wie der Beklagte Ziff. 1 vertreten wird, wegen des selben Klagebegehrens verklagt. Zuvor hatte der Beklagte Ziff. 1 mit Schriftsatz vom 23. Februar 2009 auf seine fehlende Passivlegitimation hingewiesen und Klageabweisung beantragt.

Durch Beschluss vom 31. März 2009 (Az. 15 O 407/08) wurden der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Beklagten Ziff. 1 entsprechend § 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO auferlegt und im übrigen der Rechtsstreit an das Landgericht Tübingen verwiesen, wo er noch anhängig ist. Die gegen den Kostenbeschluss von der Klägerin erhobene sofortige Beschwerde wurde durch den 4. Zivilsenat am 21. April 2009 (Az. 4 W 26/09) zurückgewiesen.

Entsprechend dem Antrag des Beklagten Ziff. 1 vom 1. April 2009 wurden durch die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 13. August 2009 die von der Klägerin an den Beklagten Ziff. 1 zu erstattenden Kosten des Klageverfahrens in Höhe von 1.761,08 Euro festgesetzt. Gegen die am 18. August 2009 zugestellte Entscheidung hat die Klägerin am 20. August 2009 sofortige Beschwerde eingelegt, der der Beklagte Ziff. 1 entgegengetreten ist.

Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG) und hat in der Sache teilweise Erfolg.

Entsprechend der Kostengrundentscheidung des Landgerichts Stuttgart waren die beim Beklagten Ziff. 1 angefallenen und erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten gem. § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO auf seinen Antrag gegenüber der Klägerin festzusetzen - unabhängig vom Ausgang des Rechtsstreits zwischen ihr und der jetzigen Beklagten Ziff. 2.

Die Rechtspflegerin hat jedoch zu Unrecht die vom Beklagtenvertreter in Ansatz gebrachten Gebühren und Auslagen als Erstattungsbetrag zu Gunsten des aus dem Rechtsstreit ausgeschiedenen Beklagten Ziff. 1 in voller Höhe berücksichtigt. Denn richtiger Weise hätte die Festsetzung nur zu einem Bruchteil von 1/2 erfolgen dürfen.

Die Klägerin weist zu Recht daraufhin, dass bei der Abrechnung der auf Beklagtenseite entstandenen Anwaltsgebühren trotz des Parteiwechsels nur eine Angelegenheit zu Grunde gelegt werden kann.

Nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2007, 769; vgl. auch Beschluss des Senats vom 11. November 2008, Az. 8 W 467/08, sowie Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Nr. 1008 RVG-VV Rdnr. 98 und 99; je m. w. N.) führt ein Parteiwechsel innerhalb eines gerichtlichen Verfahrens nie dazu, dass zwei Angelegenheiten vorliegen. Es bleibt eine Angelegenheit, die nur die einmalige Erhebung der in dem Rechtszug anfallenden Gebühren (§§ 7 Abs. 1, 15 Abs. 2 Satz 1 RVG) rechtfertigt und zwar unabhängig davon, ob der Rechtsanwalt gleichzeitig oder nacheinander für mehrere Auftraggeber in derselben Angelegenheit tätig wird.

Zu berücksichtigen ist dabei zum Ausgleich des Mehraufwandes und des erhöhten Haftungsrisikos des Anwalts bei der Verfahrens- bzw. Geschäftsgebühr der Mehrvertretungszuschlag (Nr. 1008 RVG-VV) - sofern ein entsprechender Antrag gem. § 103 Abs. 2 Satz 1 ZPO als unerlässliche Verfahrensvoraussetzung (Herget in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 104 Rdnr. 3 m. w. N.) gestellt wurde, an dem es vorliegend jedoch fehlt.

Da es nicht darauf ankommt, ob der Rechtsanwalt zeitweilig beide Parteien gleichzeitig oder nur nacheinander vertreten hat, sind sie kostenrechtlich als Streitgenossen zu behandeln.

Bei der Beauftragung eines gemeinsamen Rechtsanwalts durch Streitgenossen kann der obsiegende Streitgenosse von dem unterlegenen Gegner nur in Höhe des seiner Beteiligung am Rechtsstreit entsprechenden Bruchteils und nicht entsprechend seinem Haftungsanteil nach § 7 Abs. 2 Satz 1 RVG Erstattung seiner außergerichtlichen Kosten verlangen (BGH NJW-RR 2003, 1217; BGH VersR 2006, 808; BGH NJW-RR 2006, 1508; OLG Koblenz AGS 2007, 544; Beschlüsse des Senats vom 4. Mai 2007, Az. 8 W 172/07, und vom 24. Oktober 2007, Az. 8 W 437/07; je m. w. N.). Denn im Innenausgleich ist die gesetzliche Auslegungsregel des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zu beachten, wonach die Kostentragung die beiden Beklagten zu gleichen Teilen trifft, so dass für den obsiegenden Beklagten Ziff. 1 notwendige Kosten im Sinne von § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO nur in Höhe seines Kopfteils, also der Hälfte der Anwaltsvergütung entstanden sind.

Im Einzelnen wird verwiesen auf die ausführliche Begründung in den zuvor zitierten Beschlüssen des BGH.

Die beiden Beklagten sind an der angefallenen 1,3-Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV - der Ermäßigungstatbestand nach Nr. 3101 Ziff. 1 RVG-VV liegt wegen der Sachanträge und -vorträge beider Beklagter nicht vor - aus dem Gegenstandswert von 54.800 € nebst Pauschale (Nr. 7002 RVG-VV) und Umsatzsteuer (Nr. 7008 RVG-VV) in gleichem Umfang beteiligt.

Auszugehen ist von dem Klagebegehren, wonach die Beklagten aus Amtshaftung auf Zahlung von 54.800 € in Anspruch genommen wurden. Dies hätte bei einem Nebeneinander der Haftung bzw. gleichzeitiger Inanspruchnahme gesamtschuldnerisch erfolgen müssen. Denn nicht jeder von ihnen sollte in diesem Fall gesondert und unabhängig vom anderen in Höhe des Klagebetrages haften mit der Folge einer Schadensersatzforderung der Klägerin von insgesamt 109.600 €, sondern sie wären nur gemeinsam in Höhe von 54.800 € verklagt worden.

Danach aber trifft die Kostentragung die beiden Beklagten im Innenausgleich gem. § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zu gleichen Teilen. Sie waren an den die Gebühren auslösenden Verfahrenshandlungen ihres Prozessbevollmächtigten gleichermaßen beteiligt.

Die vom Beklagtenvertreter vorgeschlagene Lösung, in der Kostenfestsetzung zwischen der Klägerin und der Beklagten Ziff. 2 eine Verfahrensgebühr nicht mehr geltend zu machen wäre nur dann sachgerecht, wenn der Klägerin auch in diesem Prozessrechtsverhältnis die Kosten des Rechtsstreits auferlegt würden. Anderenfalls würde sie mit der auf Seiten der Beklagten nur einmal angefallenen Verfahrensgebühr in voller Höhe belastet, obwohl dies nach dem Ausgang des Rechtsstreits und der entsprechend zu treffenden Kostengrundentscheidung nicht gerechtfertigt wäre.

Die Klägerin kann infolge der zulässigen Durchbrechung des Grundsatzes der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung beim vorzeitigen Ausscheiden eines Streitgenossen nicht schlechter gestellt werden als bei einer einheitlichen Entscheidung.

Die Aufteilung der in Bezug auf beide Beklagte angefallenen und erstattungsfähigen Anwaltskosten unter ihnen zu je 1/2 führt deshalb zu einer Reduzierung der Erstattungspflicht der Klägerin in dem angefochtenen Kostenfestsetzungsbeschluss vom 13. August 2009 auf 880,54 €. Dieser war unter Zurückweisung des weitergehenden Kostenantrags des Beklagten Ziff. 1 entsprechend abzuändern.

Die sofortige Beschwerde der Klägerin war im übrigen als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1812 GKG-KV und §§ 91, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO. Dabei entsprach die Ermäßigung der Gerichtsgebühr auf die Hälfte billigem Ermessen.

Ende der Entscheidung

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