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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 15.06.2004
Aktenzeichen: 8 W 509/03
Rechtsgebiete: BGB, FGG


Vorschriften:

BGB § 1835 ff
FGG § 56g
FGG § 69e
Der Zeit- und Kostenaufwand, den der vorgesehene Betreuer 3 Tage vor seiner Bestellung zum Betreuer geleistet hat, ist mangels gesetzlicher Grundlage nicht vergütungsfähig. Dass der Betreuungsrichter einen Auftrag zu dieser Tätigkeit - "Vorführung" des Betroffenen beim Vormundschaftsgericht - erteilt hat, rechtfertigt keine abweichende Beurteilung.
Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 509/03

vom 15. Juni 2004

In dem Betreuungsverfahren

wegen Betreuerbestellung

hier: Betreuervergütung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart unter Mitwirkung

des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgericht Bräuning, des Richters am Oberlandesgericht Dr. Müller-Gugenberger und des Richters am Oberlandesgericht Grüßhaber

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige weitere Beschwerde des Bezirksrevisors wird der Beschluss der 19. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 24. November 2003 aufgehoben

und der Beschluss des Notariats II - Vormundschaftsgericht - Böblingen dahin abgeändert,

dass die aus der Staatskasse an die Verfahrenspflegerin zu zahlende Vergütung auf 982,36 € festgesetzt wird.

Gründe:

I.

Für den mittellosen Betroffenen, der hochgradig alkoholkrank in einem Obdachlosenheim lebte, war im Herbst 2002 die Anordnung einer umfassenden Betreuung mit dem Ziel einer anderweitigen Unterbringung dringend erforderlich geworden. Nachdem der Notar zweimal vergeblich versucht hatte, den Betroffenen in seiner Unterkunft anzutreffen, und nachdem er mit der Betreuungsbehörde die Person des zu bestellenden Berufsbetreuers abgeklärt hatte, hat er die vorgesehene Betreuerin beauftragt, den Betroffenen am 22.10.2002 in seiner Unterkunft abzuholen und zum Anhörungstermin beim Vormundschaftsgericht mitzubringen. Die auswärts wohnende Beteiligte zu 2 ist zum vorgegebenen Termin angereist, hat aber den Betroffenen in seiner Unterkunft nicht angetroffen, so dass sie nach entsprechender Unterrichtung des Notars unverrichteter Dinge heimgekehrt ist. Bei einem nochmaligen Versuch am 25.10.2002 hat die Beteiligte 2 den Betroffenen veranlassen können, mit ihr das Notariat aufzusuchen; dort ist sie am gleichen Tag nach persönlicher Anhörung im Einverständnis mit dem Betroffenen zu dessen Betreuerin bestellt worden.

Im Dezember 2002 hat die Betreuerin ihre bis dahin erbrachte Tätigkeit mit 1.041,80 € der Staatskasse in Rechnung gestellt. Darin ist als erste Position ihre Tätigkeit am 22.10.2002 in Höhe von insgesamt 59,44 € (einschließlich Mehrwertsteuer) enthalten. Der Bezirksrevisor hat die Vergütungsfähigkeit dieser Position unter Berufung auf die Rechtsprechung des Senats und des Landgerichts Stuttgart als nicht vergütungsfähig angesehen, weil diese Tätigkeit vor Betreuerbestellung erbracht wurde. Der Notar ist den Bedenken des Bezirksrevisors nicht gefolgt und hat durch Beschluss vom 18.2.2003 dem Antrag der Betreuerin mit näherer Begründung in voller Höhe stattgegeben.

Auf die wiederholten Einwendungen des Bezirksrevisors hat das Vormundschaftsgericht durch Beschluss vom 28.3.2003 seine Festsetzung bestätigt und wegen grundsätzlicher Bedeutung die sofortige Beschwerde zugelassen, in der Folge jedoch die Auszahlungsanweisung auf die unstrittige Vergütung in Höhe von 982,36 € begrenzt.

Die daraufhin vom Bezirksrevisor eingelegte sofortige Beschwerde hat das Landgericht durch Beschluss vom 24.11.2003 zurückgewiesen, aber gleichzeitig die sofortige weitere Beschwerde zugelassen. Der Bezirksrevisor hat alsbald sofortige weitere Beschwerde unter Aufrechterhaltung seiner bisherigen Begründung eingelegt.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde des Bezirksrevisors ist nach § 56g Abs. 5 Satz 2 iVm § 69e S. 1 FGG statthaft und auch im übrigen zulässig. Sie hat in der Sache auch Erfolg.

1. Es ist in der Rechtsprechung inzwischen anerkannt, dass rechtliche Voraussetzung sowohl einer Betreuervergütung als auch einer Aufwandsentschädigung aus der Staatskasse gem. §§ 1835 ff iVm § 1908i BGB die Bestellung zum Betreuer ist und dass die Zeit, die ein vorgesehener Betreuer vor seiner Bestellung aufwendet, mangels gesetzlicher Grundlage nicht vergütungsfähig ist (OLG Schleswig FamRZ 1998, 1536 = RPfl 1998,470; BayObLGZ 2001,9 = FamRZ 2001,575 = BtPrax 2001,123 = JurBüro 2001,267; Palandt / Diederichsen, BGB 63. Aufl., § 1835 Rn 1, § 1836 Rn 9; Soergel / Zimmermann, BGB 13. Aufl., § 1836a Rn 23; Erman / Holzhauer, BGB 11. Aufl., § 1896 Rn 23).

Dieser Rechtansicht ist der Senat bereits in der vom Bezirksrevisor herangezogenen (unveröffentlichten) Entscheidung vom 22.10.2001 (8 W 503/2001; ebenso LG Stuttgart - 2 T 431/00 - Beschl. v. 5.6.2001) beigetreten. An dieser Ansicht hält der Senat auch für den vorliegenden Fall fest.

Nur soweit der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts (aaO) zu entnehmen ist, dem vorgesehenen Betreuer sei auch ein Anspruch auf Ersatz des Zeit- und Kostenaufwands, der ihm bei der Anfahrt zum Vormundschaftsgericht zwecks Bestellung entsteht, nach §§ 1835 ff. BGB zu versagen, vermag dem der Senat nicht zu folgen; insoweit handelt es sich um eine unumgängliche Voraussetzung jeder Betreuerbestellung, die eine "Vorwirkung" der nachfolgenden Bestellung rechtfertigt (vgl. Erman / Holzhauer aaO). Der Rückgriff auf die Vorschriften des ZSEG stellt eine vermeidbare Verkomplizierung des Betreuer-Vergütungsverfahrens dar.

Dies bedarf hier jedoch keiner weiteren Erörterung, denn die Vergütungsfähigkeit der Tätigkeit am 25.10.2003 - dem Tag der Bestellung - ist hier nicht im Streit und auch vom Bezirksrevisor nicht in Zweifel gezogen. Gegenstand dieses Verfahrens ist allein die Streitfrage, ob die 3 Tage vor der Bestellung zum Betreuer (in Absprache mit dem Vormundschaftsgericht) entfaltete Tätigkeit nach §§ 1835 ff BGB vergütungs- bzw. entschädigungsfähig ist. Eine solch weitreichende "Vorwirkung" vermag der Senat in Abweichung von den Vorinstanzen nicht zu akzeptieren.

2. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht daraus, dass das Vormundschaftsgericht den vorgesehenen Betreuer vor förmlicher (vorläufiger oder endgültiger) Bestellung mit bestimmten Tätigkeiten, hier mit der "Vorführung" des Betroffenen beim Vormundschaftsgericht, beauftragt hat (so aber zB LG Hamburg BtPrax 1996,76). Diese in der genannten Senatsentscheidung vom 22.10.2001 angesprochene Frage ist damals ausdrücklich offen geblieben, weil der dort zu beurteilende Sachverhalt eine Entscheidung dieser Frage nicht erfordert hatte.

a) Zwar hat der Senat wiederholt entschieden, dass dann, wenn das Gericht einem Verfahrenspfleger für das Kind (§ 50 FGG) eine über den gesetzlichen Aufgabenbereich hinausgehende Aufgabe überträgt, etwa die Mitwirkung bei der Suche nach einer anderen Unterbringung oder beim Umgang mit dem Kind, auch Anspruch auf Vergütung für diese weiter gehende Tätigkeit besteht, wenn bei Beauftragung auf die Vergütungsfähigkeit vertraut werden durfte (z. B. Beschluss v. 6.11.2000, Die Justiz 2002,411 = OLGRep 2002,269; v. 10.1.2003, Die Justiz 2003,478; v. 29.1.2003, Die Justiz 2003,479). In allen diesen Fällen liegt jedoch eine den Vergütungsanspruch begründende Bestellung zum Verfahrenspfleger vor und es geht nur darum, die - in der Rechtsprechung zunächst unterschiedlich beurteilte - Reichweite der Bestellung festzustellen.

b) Anders verhält es sich indes, wenn ein noch nicht bestellter Betreuer (oder Verfahrenspfleger) vor seiner Bestellung für den (eventuell) zu Betreuenden tätig wird. In diesem Falle fehlt es an einer vertrauensbegründenden Lage, denn der Betreuer weiß, dass er erst auf Grund seiner Betreuerbestellung einen Vergütungsanspruch nach den §§ 1835 ff BGB erwirbt. Sollte allein die Aufforderung des Vormundschaftsgerichts an den vorgesehenen Betreuer als Anspruchsgrundlage genügen, müsste auch dann eine Vergütung zugestanden werden, wenn das Gericht entgegen der Erwartung keine Betreuerbestellung ausspricht (oder einen anderen Betreuer bestellt).

Es dient der Rechtsklarheit und der einfachen Handhabung, wenn ein Vergütungsanspruch von der in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang erfolgenden Betreuerbestellung abhängig gemacht wird. Die Erstreckung des Vergütungsanspruch auf davor liegende Zeiträume ist streitanfällig und schwer abgrenzbar; im Einzelfall führt sie leicht dazu, dass schwierige Abwägungen über die Erforderlichkeit der einzelnen Tätigkeiten und über die Berechtigung des Vertrauens in die Vergütungsfähigkeit zu treffen sind. Darüber hinaus besteht einerseits die Gefahr, dass (Berufs-)Betreuer im Hinblick auf die erstrebte Übertragung von Betreuungen eigene Initiativen entwickeln; die 2. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart (2 T 431/01 - aaO) hat anschaulich von "Aquisitionstätigkeit" gesprochen. Andererseits besteht die Versuchung, dass Vormundschaftsgerichte - auch unter dem Druck ihrer Belastung - ihnen obliegende Aufgaben, etwa die Durchführung von Amtsermittlungen (§ 12 FGG), auf künftige Betreuer verlagern und sie schon vor ihrer Bestellung als "gerichtliche Hilfspersonen" einsetzen.

Auch wenn nicht zu verkennen ist, dass im konkreten Fall die hier strittige Tätigkeit der Rechtsbeschwerdegegnerin dem Wohl des Betreuten gedient hat und dass das vom Notar gewählte Verfahren "praktisch" war, genügt dies allein nicht, den Zeitaufwand des späteren Betreuers vor seiner Bestellung vergütungsfähig zu machen. Deshalb vermag der Senat der Auffassung beider Vorinstanzen im Ergebnis nicht zu folgen. Auch die relative Geringfügigkeit der strittigen Vergütung rechtfertigt keine abweichende Beurteilung, denn die Erfahrung zeigt, dass schnell auch größere Beträge zusammen kommen, wenn auf diese zeitliche Begrenzung am Anfang der Betreuertätigkeit verzichtet wird.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtskostenfrei. Für die Anordnung einer Erstattung außergerichtlicher Kosten besteht kein Anlass.



Ende der Entscheidung

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