Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 16.01.2002
Aktenzeichen: 8 W 517/2001
Rechtsgebiete: AktG


Vorschriften:

AktG § 192 Abs. 2
AktG § 221
Eine Kapitalbeschaffung durch "naked warrants" gehört nicht zu den Gestaltungen, die - erkennbar - nach Inhalt und Auswirkungen den in § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG genannten Fällen entsprechen. Das Registergericht darf bei neuen Finanzierungsinstrumenten in seinen Prüfungspflichten und -möglichkeiten nicht überfordert werden.
Oberlandesgericht Stuttgart - 8. Zivilsenat - Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 517/2001

vom 16. Januar 2002

In der Handelsregistersache

wegen Eintragung einer Satzungsänderung

Gründe:

I.

Die Hauptversammlung der seit April 1999 im Handelsregister eingetragenen Aktiengesellschaft - primärer Geschäftszweck: Wertpapier- und Terminhandelsgeschäfte - mit einem Grundkapital von ursprünglich 3 Mio €, eingeteilt in 3 Mio Stückaktien, hat im September 1999 den Vorstand u.a. ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrats bis zum 31.12.1999 30.000,-- "naked warrants" (= 1 % des Stammkapitals) auf Inhaberstückaktien der Gesellschaft auszugeben. Weiter wurde unter Punkt 8 beschlossen:

"Die "naked warrants" werden den Aktionären im Wege des unmittelbaren Bezugsrechts angeboten. Die Frist für die Annahme des Bezugsangebots endet zwei Wochen nach der Bekanntmachung des Bezugsangebots. Die Inhaber der "naked warrants" erhalten das unentziehbare Recht, eine bis 18.10.2001 im Verhältnis 1:1 in neue Inhaberaktien der Gesellschaft umzutauschen. Die neuen Inhaberaktien sind ab 1. Januar des Jahres ihrer Ausgabe dividendenberechtigt.

Der Vorstand ist ermächtigt, mit Zustimmung des Aufsichtsrates weitere Einzelheiten der Ausgabe der Optionsscheine und des Bezugsverfahrens festzusetzen.

Der Beschluss steht unter der aufschiebenden Bedingung, dass die Beschlüsse zu Tagesordnungspunkt 9 (bedingte Kapitalerhöhung und Satzungsänderung) gemäß den Anträgen der Verwaltung gefasst werden."

Unter Punkt 9 wurde beschlossen:

"Aufsichtsrat und Vorstand schlagen der Hauptversammlung vor, einen Beschluss über die Beschaffung eines bedingten Kapitals zu fassen:

a) Das Grundkapital wird um bis zu € 30.000,-- bedingt erhöht durch Ausgabe von bis zu 30.000 Stück neuer Inhaberstückaktien mit Gewinnberechtigung ab Beginn des im Jahr der Ausgabe laufenden Geschäftsjahrs. Die bedingte Kapitalerhöhung dient der Bedienung von Bezugsrechten der Inhaber von "naked warrants", zu deren Ausgabe der Vorstand gemäß Tagesordnungspunkt 8 ermächtigt wurde. ..."

Die Satzung wurde unter Berücksichtigung der Beschlussfassung ergänzt und die Änderung zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet.

Das Registergericht hat die - weitere Änderungen umfassende - Anmeldung in diesem Punkt zurückgewiesen, da kein Fall des § 192 Abs. 2 AktG vorliege. Hiergegen hat sich die Antragstellerin mit der Beschwerde gewandt, mit der sie geltend macht, dass zum einen die Ausgabe von "naked warrants" als zulässiges Finanzierungsinstrument anzusehen sei, weshalb zum zweiten in analoger Anwendung des § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG zur Bedienung der Bezugsrechte auch die Schaffung bedingten Kapitals möglich sein müsse.

Das Landgericht hat die Beschwerde zurückgewiesen mit der Begründung, dass die Schaffung bedingten Kapitals ausschließlich in den in § 192 Abs. 2 AktG vorgesehenen Fällen möglich sei, von denen hier keiner vorliege. Mit der weiteren Beschwerde verfolgt die Antragstellerin weiterhin die Eintragung der Satzungsänderung auch, soweit dort die Schaffung bedingten Kapitals zur Absicherung der reinen Bezugsrechte vorgesehen ist.

II.

Die nach §§ 27 FGG, 550 a. F. ZPO als Rechtsbeschwerde statthafte und auch sonst zulässige weitere Beschwerde der Antragstellerin hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die von der Antragstellerin gewählte Form der Beschaffung von Eigenkapital durch die Begebung von reinen Optionsrechten verbunden mit der Bereitstellung eines bedingten Kapitals zur Bedienung der Optionsinhaber ist im Aktiengesetz - ausdrücklich - nicht vorgesehen. § 192 Abs. 2 AktG nennt nur drei Fallgruppen, zu deren Umsetzung die in Abs. 1 beschriebene bedingte Kapitalerhöhung vorgenommen werden soll:

1. zur Gewährung von Umtausch- oder Bezugsrechten an Gläubiger von Wandelschuldverschreibungen;

2. zur Vorbereitung des Zusammenschlusses mehrerer Unternehmen;

3. zur Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung der Gesellschaft oder eines verbundenen Unternehmens im Wege des Zustimmungs- oder Ermächtigungsbeschlusses.

Nr. 2 und 3 liegen unzweifelhaft nicht vor. Auch Nr. 1 ist unmittelbar nicht gegeben, da die Bezugsrechte hier nicht an Gläubiger von Wandelschuldverschreibungen oder Optionsanleihen gegeben werden, sondern gerade ohne eine solche Verknüpfung als "nackte" Optionsrechte. Diese Begrenzung auf abschließend beschriebene Zwecke soll den Ausnahmecharakter der bedingten Kapitalerhöhung gegenüber der ordentlichen Kapitalerhöhung deutlich machen.

Gleichwohl ist inzwischen weitgehend die grundsätzliche Analogiefähigkeit des § 192 Abs. 2 AktG anerkannt (vgl. m.w.N. Hüffer, AktG, 4. Aufl., § 192 Nr. 8; zur Darstellung des Streitstands vgl. auch Martens, AG 1989, 69, 70 f.; Fuchs, AG, 433, 445). Danach ist die bedingte Kapitalerhöhung auch für andere als die in Abs. 2 genannten Zwecke zulässig, soweit sie mit ihnen verwandt sind. So ist inzwischen weitgehend unbestritten, dass die Gesellschaft ein bedingtes Kapital auch zur Sicherung der Gläubiger von Optionsanleihen eines ausländischen Tochterunternehmens beschließen kann, obwohl §§ 192, 221 AktG von der Identität des Emittenten der Anleihe und der durch das bedingte Kapital zu sichernden Bezugsrechte ausgehen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Optionsanleihe von einer konzernverbundenen Tochter emittiert wird, auch dem Finanzierungsinteresse der Mutter dient und diese eine eigene Verpflichtung gegenüber den Anleihegläubigern übernimmt, der die Hauptversammlung in entsprechenden Anwendung des § 221 AktG zustimmen muss (Bungeroth in Geßler/Hefermehl/Eckardt/Kropff, AktG, Bd. 4, § 192 Rn. 20 f.; Karollus in Geßler/Hefermehl, § 221 Rn. 40; Hüffer a.a.O., § 221 Rn. 70 f., 74; Lutter in Kölner Kommentar zum AktG, 2. Aufl., §221 Rn. 175; Martens a.a.O., m.w.N.). Die analoge Anwendung wird auch für Wandel- und Optionsgenussrechte angenommen (Bungeroth a.a.O., Rn. 27; Hüffer a.a.O., § 192 Rn. 9; Krieger in Münch. Hdb. des Gesellschaftsrechts Bd. 4, § 57 Rn. 3; Lutter a.a.O., § 192 Rn. 5).

Daraus ergibt sich, dass die Schaffung bedingten Kapitals über die in § 192 Abs. 2 AktG aufgeführten Zwecke hinaus im Schrifttum dort akzeptiert wird, wo § 221 AktG entsprechende Anwendung findet. Für die Optionsrechte ohne Anleihe, also die "naked warrants" ist dies umstritten. Auch diese Norm ist als lex spezialis zu § 187 AktG so auszulegen, dass sie zwar einerseits die Gesellschaft nicht zu sehr in ihren Finanzmittelbeschaffungsmöglichkeiten einschränkt, andererseits aber auch nicht § 187 vollständig ausgehebelt wird (zum Streitstand vgl. Fuchs a.a.O., § 433 f.; dafür Karollus a.a.O., Rn. 227; Krieger a.a.O., Rn. 22; dagegen Hüffer a.a.O., § 221 Rn. 75; Lutter a.a.O., § 221 Rn. 185; vgl. auch Steiner, WM 90, 1776; Martens a.a.O., 69 f.).

2. Es kann hier dahingestellt bleiben, ob die ohne Verbindung mit einer Anleihe begebenen Optionsrechte ein nach dem Aktiengesetz grundsätzlich zulässiges Finanzierungsinstrument sind oder nicht, da jedenfalls § 192 Abs. 2 Nr. 1 AktG eine bedingte Kapitalerhöhung zu ihrer Bedienung nicht erlaubt. Wie oben bereits ausgeführt, herrscht weitgehende Übereinstimmung dahingehend, dass § 192 AktG grundsätzlich analogiefähig ist, d. h. dass eine entsprechende Anwendung auf solche Gestaltungen möglich ist, die in der Sache einen der in Nr. 1 - 3 ausdrücklich genannten Fälle hinreichend ähnlich sind.

Die im vorliegenden Fall gewählte Form der Kapitalbeschaffung durch "naked warrants" gehört jedoch nicht zu den Gestaltungen, die - erkennbar - nach Inhalt und Auswirkungen den in Abs. 2 Nr. 1 genannten Fällen entsprechen. Das Registergericht darf dabei in seinen Prüfungspflichten und -möglichkeiten nicht überfordert werden, d. h. die Vergleichbarkeit der Zwecke muss sich auch dem Bearbeiter ohne wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Hintergrund bei realistischem Prüfungsaufwand erschließen. Wie schwierig dies im Einzelfall sein kann, zeigt sich gerade am Beispiel der "naked warrants", deren Vereinbarkeit mit den aktienrechtlichen Vorgaben in zahlreichen Aufsätzen und der Kommentarliteratur von kompetenter Seite mit großem Spezialwissen sehr differenziert erörtert wird. Dort wird - durchaus nachvollziehbar und überzeugend - insbesondere auch unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gesichtspunkte das Für und Wider der reinen Optionsrechte dargelegt. Im Rahmen der registergerichtlichen Prüfung kann eine so differenzierte Aufarbeitung und Einordnung der ständig variierten Finanzbeschaffungsmethoden, mit denen den wechselnden Bedürfnissen im Wirtschaftsleben Rechnung getragen werden soll, nicht erwartet werden, sondern nur eine am Wort des Gesetzeswortlaut ausgerichtete Prüfung, die erkennbar vergleichbare Fälle berücksichtigt.

An der erkennbaren Vergleichbarkeit fehlt es aber im vorliegenden Fall, weshalb das Registergericht die beantragte Eintragung der Satzungsänderung zu Recht abgelehnt hat. Im Hinblick darauf, dass die bedingte Kapitalerhöhung gegenüber der ordentlichen Kapitalerhöhung nach dem Willen des Gesetzgebers den Ausnahmefall darstellt und die grundsätzlich zulässige analoge Anwendung deshalb eher restriktiv zu erfolgen hat, kann eine solche analoge Anwendung auf den vorliegenden Fall nicht ohne juristische "Finessen" begründet werden und erscheint in ihrer Zulässigkeit deshalb eher zweifelhaft. Dies führt, wenn das Registergericht sich der Zulässigkeit nicht sicher ist, zu Recht zur Versagung der Eintragung.

Der Gesetzgeber hätte im übrigen seit Beginn der Diskussion um die "naked warrants" und deren Absicherung durch eine bedingte Kapitalerhöhung, die nunmehr über 10 Jahre geführt wird, bei den zahlreichen umfassenden Änderungen des Aktiengesetzes der letzten Jahre die Möglichkeit gehabt, durch eine Anpassung der §§ 221 u. 192 der zunehmend praktizierten Abkoppelung der Bezugsrechte von den Anleihen auch hinsichtlich ihrer Finanzierungsmöglichkeiten Rechnung zu tragen. Dies ist jedoch nicht geschehen. Deshalb kann eine entsprechende Anwendung dieser Vorschriften auf die "naked warrants" auch nicht damit gerechtfertigt werden, der Gesetzgeber habe diese Entwicklung bei Einführung der bedingten Kapitalerhöhung (1937) nicht berücksichtigen können, er habe aber keineswegs künftige Entwicklungen abblocken wollen.

Unter Berücksichtigung des Regel-Ausnahmeprinzips hinsichtlich der Kapitalerhöhungsmöglichkeiten und aus Gründen der Praktikabilität erscheint es nicht angebracht, im Vorgriff auf ein Handeln des Gesetzgebers § 192 auch auf reine Bezugsrechte anzuwenden, zumal deren Begebung - sofern man sie nicht an § 221 AktG scheitern lassen will - auch durch genehmigtes Kapital abgesichert werden kann.

Ende der Entscheidung

Zurück