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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.01.2009
Aktenzeichen: 8 W 527/08
Rechtsgebiete: RVG, RVG-VV


Vorschriften:

RVG § 15 Abs. 3
RVG-VV Nr. 2300
RVG-VV Nr. 3100
RVG-VV Nr. 3101 Nr. 2
RVG-VV Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4
Die Anrechnung gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV hat auf die wegen desselben Gegenstandes später anfallende Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV zu erfolgen vor der Ermittlung der Verfahrensgebühr gem. § 15 Abs. 3 RVG und nicht auf diese.
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 527/08

09. Januar 2009

In dem Rechtsstreit

wegen Forderung; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Landgerichts Ravensburg vom 5. November 2008, Az. 6 O 180/07, abgeändert:

Aufgrund des rechtswirksamen Vergleichs des Landgerichts Ravensburg vom 22. Oktober 2007 sind von dem Kläger an die Beklagten an Kosten zu erstatten:

weitere 544,29 €,

damit insgesamt 6.191,60 €,

nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz nach § 247 BGB seit 29. August 2008.

2. Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei. Im übrigen hat der Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.

Beschwerdewert: 544,29 €

Gründe:

1.

Die Parteien streiten über die anteilige Anrechnung der bei den Beklagten für die vorgerichtliche Tätigkeit ihres Prozessbevollmächtigten angefallenen 1,3-Geschäftsgebühr gem. Nr. 2300 RVG-VV aus einem Gegenstandswert von 120.000 €. Dabei besteht Einigkeit über die Höhe der Anrechnung von 0,75. Lediglich die Art und Weise der Anrechnung ist im Streit.

Das Klageverfahren über einen Zahlungsanspruch von 120.000 € wurde beendet durch einen am 22. Oktober 2007 abgeschlossenen gerichtlichen Vergleich, durch den auch nicht rechtshängige Ansprüche mit erledigt wurden. Deswegen wurde der Mehrwert des Vergleichs auf 23.452 € festgesetzt. Die außergerichtliche Tätigkeit des Beklagtenvertreters bezog sich auf den rechtshängigen Zahlungsanspruch von 120.000 €. Bezüglich der Kosten des Rechtsstreits vereinbarten die Parteien eine Quote von 9/10 zu Lasten des Klägers und 1/10 zu Lasten der Beklagten als Gesamtschuldner.

In der Kostenfestsetzung nahm die Rechtspflegerin die Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Ermittlung der Verfahrensgebühr unter Berücksichtigung von § 15 Abs. 3 RVG vor, während die Beklagten beantragt hatten, die Anrechnung allein auf die Verfahrensgebühr aus dem rechtshängigen Zahlungsanspruch vorzunehmen. Hierdurch errechnet sich eine Differenz von 544,29 €, um die der Erstattungsanspruch der Beklagten gegen den Kläger mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss vom 5. November 2007 gekürzt wurde.

Wegen dieses Betrages haben die Beklagten gegen die am 17. November 2008 zugestellte Entscheidung am 1. Dezember 2008 sofortige Beschwerde eingelegt, der der Kläger entgegengetreten ist.

Die Rechtspflegerin hat nicht abgeholfen und die Akten dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 568 ff ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG) und in der Sache auch begründet.

Aufgrund der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH/8. Zivilsenat, NJW 2008, 1323; BGH/6. und 8. Zivilsenat, JurBüro 2008, 468 und 469; BGH/4. Zivilsenat, AGS 2008, 377; BGH/9. Zivilsenat, NJW 2008, 3641) zur Anrechnung der vorgerichtlichen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 RVG-VV auf die Verfahrensgebühr (Nr. 3100 RVG-VV; hier zuzüglich der Erhöhungsgebühr gem. Nr. 1008 RVG-VV) des gerichtlichen Verfahrens gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV besteht zwischen den Parteien zur Frage der grundsätzlichen Anrechnung und deren Höhe kein Streit, sondern lediglich zu Art und Weise dieser Anrechnung beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 RVG.

Ausgehend vom Wortlaut der Anrechnungsvorschrift gem. Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV und der vorgenannten Rechtsprechung des BGH ist von Folgendem auszugehen:

Die Anrechnungsvorschrift bezweckt unter einem aufwandsbezogenen Gesichtspunkt die Kürzung der Verfahrensgebühr, weil der Prozessbevollmächtigte auf Grund seiner vorprozessualen Befassung mit dem Streitstoff in der Regel nur einen geringeren Einarbeitungs- und Vorbereitungsaufwand hat. Dementsprechend besagt Teil 3 Vorbem. 3 Abs. 4 RVG-VV, dass die Anrechnung vorzunehmen ist, wenn "wegen desselben Gegenstands" die vorgerichtliche Geschäftsgebühr und die gerichtliche Verfahrensgebühr entstanden sind.

Dies trifft vorliegend aber nur zu bezüglich des rechtshängigen Zahlungsanspruchs von 120.000 €, weswegen die vom Beklagtenvertreter vorgenommene Anrechnung auf die Verfahrensgebühr aus diesem Streitwert vor Anwendung des § 15 Abs. 3 RVG gerechtfertigt erscheint.

Hierfür spricht außerdem, dass der BGH (u. a. BGH NJW 2007, 3500; BGH NJW 2008, 1323) klargestellt hat, dass sich allein die wegen desselben Gegenstands später anfallende Verfahrensgebühr infolge der Anrechnung reduziert durch den anrechenbaren Teil der zuvor entstandenen Geschäftsgebühr, die ihrerseits von der Anrechnung unangetastet bleibt. Damit konnte die Verfahrensgebühr bezüglich des rechtshängigen Zahlungsanspruchs nur in dem bereits geschmälerten Umfang im Rahmen des § 15 Abs. 3 RVG berücksichtigt werden.

Schließlich ist die um die anteilige Geschäftsgebühr geminderte Verfahrensgebühr nach Nr. 3100, Nr. 1008 RVG-VV aus dem rechtshängigen Zahlungsanspruch von 120.000 € zu einem früheren Zeitpunkt angefallen, als die Verfahrensgebühr aus dem Mehrwert des Vergleichs nach Nr. 3101 Nr. 2 und Nr. 1008 RVG-VV entstehen und damit die Voraussetzungen des § 15 Abs. 3 RVG eintreten konnten, sodass eine Umgehung dieser Vorschrift nicht gegeben ist. Denn wenn die Summe der Einzelgebühren die 1,6-Verfahrensgebühr aus dem Gesamtstreitwert nicht übersteigt, ist § 15 Abs. 3 RVG Genüge getan. Nr. 3101 Abs. 1 RVG-VV, der sich bezüglich Nr. 2 der Vorschrift auf § 15 Abs. 3 RVG bezieht, betrifft eine andere Fallkonstellation, die mit der vorliegenden nicht vergleichbar ist. Hier geht es ausschließlich um die Anrechnung der die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 RVG-VV übersteigenden Gebühr nach § 15 Abs. 3 RVG auf die Verfahrensgebühr, die in einem anderen Verfahren entstanden ist oder entsteht wegen der einbezogenen nicht rechtshängigen, aber in diesem anderen Verfahren geltend gemachten Ansprüche (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Nr. 3100 RVG-VV Rdnr. 99 ff).

Diese Argumente wurden von der Rechtspflegerin bei der Kostenfestsetzung in ihre Überlegungen offensichtlich nicht einbezogen, als sie die Minderung durch die anzurechnende Geschäftsgebühr erst nach der Ermittlung der 1,6-Verfahrensgebühr von 2.536 € aus den addierten Werten von Streitwert und Mehrwert des Vergleichs (143.452 €) gem. § 15 Abs. 3 RVG vornahm. Hierdurch erlitten die Beklagten eine nicht gerechtfertigte Herabsetzung ihres Erstattungsanspruchs um 544,29 €.

Auf ihre sofortige Beschwerde war deshalb der Kostenfestsetzungsbeschluss entsprechend abzuändern.

Nachdem die Beklagten mit ihrem Rechtsmittel in vollem Umfang obsiegt haben, ergeht die Beschwerdeentscheidung gem. Nr. 1812 GKG-KV gerichtsgebührenfrei und hat der Kläger die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens gem. § 91 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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