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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 20.02.2001
Aktenzeichen: 8 W 555/2000
Rechtsgebiete: WEG


Vorschriften:

WEG § 13
WEG § 14
Schranken eines Sondernutzungsrechts

Aus dem Gemeinschaftsverhältnis der Wohnungseigentümer kann sich aus den konkreten Verhältnissen des Einzelfalls ergeben, dass ein Eigentümer mit einem Sondernutzungsrecht an einer Gartenfläche verpflichtet ist, dem benachbarten Miteigentümer, der keinen äußeren Zugang zu seiner ebenfalls mit Sondernutzungsrecht stehenden Gartenfläche hat, zu deren ordnungsgemäßer Bewirtschaftung zu bestimmten Zeiten Durchgang zu gewähren.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 W 555/2000 19 T 295/2000 LG Stuttgart 3 GR I 18/2000 WEG AG Ludwigsburg

vom 20. Februar 2001

In der Wohnungseigentumssache

wegen Umfang eines Sondernutzungsrechts

Gründe:

I.

Die Beteiligten bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft, die 10 Wohneinheiten in einem mehrstöckigen, neu errichteten Gebäude sowie Kfz.-Stellplätze in der Tiefgarage umfasst auf der Grundlage einer Teilungserklärung von 1995. Die Eigentümer der beiden im Erdgeschoss liegenden Wohnungen, denen jeweils im Grundbuch eingetragene Sondernutzungsrechte an den anliegenden Freiflächen - in der Anlage zur Teilungserklärung als "Terasse, Grünfläche und Garten" bezeichnet - zustehen, streiten darüber, ob das Sondernutzungsrecht des Antragsgegners Ziff. 1 (im folgenden: Beschwerdeführer) durch ein "Wegerecht" zugunsten der Antragsteller beschränkt ist.

Die örtlichen Verhältnisse an dem 6,81 a großen Grundstück stellen sich ... wie folgt dar:

- Der Beschwerdeführer ist Eigentümer der mit Nr. 1 bezeichneten, im Erdgeschoss rechts gelegenen Wohnung, der das Sondernutzungsrecht an der gesamten freien Grundstücksfläche südlich, östlich und nördlich seiner Wohnung - mit Ausnahme eines schmalen Bereichs an der Straße für Mülleimer - zugeordnet ist.

- Die Antragsteller sind Eigentümer der mit Nr. 2 bezeichneten, im Erdgeschoss links gelegenen Wohnung; ihnen ist das Sondernutzungsrecht an zwei Grundstücksflächen südlich und nördlich ihrer Wohnung eingeräumt, die jedoch untereinander in keiner Verbindung stehen, da auf der Westseite des Hauses der Freiraum bis zur Grundstücksgrenze in voller Breite durch die Tiefgarageneinfahrt in Anspruch genommen wird. Während die südliche Freifläche (ca 30 qm) an der Straße liegt, ist die nördlich gelegene (= rückwärtige) Gartenfläche mit einer Größe von ca. 130 qm nur durch die Wohnung erreichbar; ein Durchgang durch das Kellergeschoss bzw. die Tiefgarage besteht nicht.

§ 11 Nr. 2 der Teilungserklärung bestimmt, dass die Sondernutzungsrechte hinsichtlich Instandhaltung und Verkehrssicherungspflicht wie Sondereigentum zu behandeln sind. Nr. 3 gestattet den Sondernutzungsberechtigten, an der nördlich gelegenen Terrasse auf eigene Kosten jeweils einen Wintergarten zu errichten.

Die Antragsteller halten sich für berechtigt, den Gartenteil des Beschwerdeführers insoweit mitbenützen zu dürfen, als dies zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung ihres rückwärtigen Gartens erforderlich ist. Sie machen geltend, eine Bewirtschaftung dieses Grundstücksteils ohne Zugang über den benachbarten Sondernutzungsbereich sei unmöglich, jedenfalls aber unzumutbar.

Der Beschwerdeführer vertritt demgegenüber die Ansicht, er habe ein unbeschränktes und unbeschränkbares Alleinbenutzungsrecht der ihm zugewiesenen Gartenfläche; dass der nördliche Garten der Wohneinheit Nr. 2 keinen freien Zugang habe, sei aus dem Grundbuch und den Teilungsplänen für jedermann ersichtlich und auch den Antragstellern beim Erwerb der letzten freien Wohnung der Anlage bekannt gewesen.

Nachdem der Beschwerdeführer - in Abweichung von seinem anfänglichen Verhalten - den Antragstellern den Durchgang über seine Gartenfläche verweigert hatte, haben die Antragsteller beim Amtsgericht beantragt, ihn zu verpflichten, ihnen für die Instandhaltung ihres rückwärtigen Gartens das Überqueren seines seitlichen und rückwärtigen Gartenteils, insbesondere mit Rasenmäher, Schubkarre und Grüngut, zu ermöglichen und im einzelnen bezeichnete Durchgangshindernisse zu entfernen. Außerdem haben sie beantragt, die Eigentümergemeinschaft solle verpflichtet werden, entsprechende Beschlüsse zu fassen.

Das Amtsgericht hat den Beschwerdeführer unter Hinweis auf die sich aus dem Gemeinschaftsverhältnis ergebenden immanenten Schranken des Sondernutzungsrechts verpflichtet, "... den Antragstellern alle zwei Wochen für zwei Stunden zu einem festen Termin auf einem einen Meter breiten Streifen entlang der nördlichen und östlichen Grundstücksgrenze den Durchgang zu gewähren" und "die insoweit dem Durchgang entgegenstehenden Neuanpflanzungen zu entfernen". Die weitergehenden Anträge der Antragsteller hat das Amtsgericht zurückgewiesen, insbesondere auch, soweit sie sich auf eine bestimmte Beschlussfassung gerichtet haben.

Auf die sofortige Beschwerde - nur - des Antragsgegners Ziff. 1 hat das Landgericht die amtsgerichtliche Entscheidung abgeändert und auch die erfolgreichen Anträge der Antragsteller zurückgewiesen, weil sich aus dem Aufteilungsplan ein Anhaltspunkt für einen Durchgang nicht ergebe; die zwischen den beiden Sondernutzungsbereichen eingezeichnete gestrichelte Linie, die als Zaun zu deuten sei, sei durchgehend und auch im übrigen ergäben sich aus der Teilungserklärung keine Einschränkungen des Alleinbenutzungsrechts, insbesondere keine Duldungspflichten. Es sei zumutbar, auch sperrige Gartengeräte und Grüngut durch die Wohnung zu transportieren; vor Inanspruchnahme des dem Beschwerdeführer zugeordneten Gartenteils hätten die Antragsteller versuchen müssen, die Genehmigung der Eigentümergemeinschaft zur Aufstellung einer Geschirrhütte zu erlangen.

Mit der sofortigen weiteren Beschwerde verfolgen die Antragsteller ihre Anträge auf ein "Wegerecht" über den Sondernutzungsbereich des Beschwerdeführers weiter.

II.

Die sofortige weitere Beschwerde der Antragsteller ist als Rechtsbeschwerde statthaft (§§ 45 Abs. 1, 43 Abs. 1 WEG, 27 Abs. 1. FGG) und auch im übrigen zulässig.

Das Rechtsmittel der Antragsteller ist auch in der Sache begründet und führt zur Wiederherstellung der amtsgerichtlichen Entscheidung. Die Entscheidung des Landgerichts zugunsten des Beschwerdeführers hält der rechtlichen Nachprüfung nicht Stand.

1. Das Landgericht verkennt im vorliegenden Fall die allgemeinen Schranken, die sich aus dem Sondernutzungsrecht am Gemeinschaftseigentum auf Grund des Gemeinschaftsverhältnisses unter Wohnungseigentümern auch ohne Verlautbarung im Grundbuch bzw. in der in Bezug genommenen Teilungserklärung samt Aufteilungsplan ergeben.

Der Beschwerdeführer ist unter den konkreten Verhältnissen der vorliegenden Wohnanlage nicht mit einem Alleineigentümer eines Reihenmittelhauses mit "gefangenem" Garten gleichzustellen, wie es das Landgericht erkennbar getan hat. Vielmehr ergeben sich - wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat - aus dem gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer am Grundstück "immanente" Beschränkungen, die der Sondernutzungsberechtigte kraft des Gemeinschaftsverhältnisses hinzunehmen hat. Ansatzweise haben solche Beschränkungen schon in §§ 13 und 14 WEG, insbesondere auch in § 14 Nr. 4, ihren Ausdruck gefunden. Diese immanenten Schranken des Eigentums, die letztlich auf der Sozialbindung jeglichen Eigentums (Art. 14 Abs. 2 GG) beruhen und die im allgemeinen Grundstücksrecht vielfältigen Niederschlag gefunden haben (vgl. §§ 905 ff BGB, insbesondere § 917 BGB sowie die landesrechtlichen Nachbarschaftsgesetze), sind in einer Wohnungseigentümergemeinschaft auf Grund der Kombination von Sondereigentum und Gemeinschaftseigentum zwangsläufig von größerem Gewicht als unter benachbarten Volleigentümern. Dies ist bereits daran erkennbar, dass an Freiflächen eines gemeinschaftlichen Grundstücks ein "Sondereigentum" rechtlich ausgeschlossen und nur um ein geringerwertiges "Sondernutzungsrecht" überhaupt möglich ist.

Auch wenn der Inhaber eines (aus dem Grundbuch ersichtlichen) Sondernutzungsrechts grundsätzlich befugt ist, die anderen Miteigentümer vom Mitgebrauch auszuschließen, ist die besondere Ausprägung der immanenten Schranken eines solchen Sondernutzungsrechts allgemein anerkannt (vgl. zB Weitnauer, WEG 8. Aufl., Rn 27; Bärmann / Pick / Merle, Rn 17; Niedenführ / Schulze, WEG 5. Aufl., Rn 13; Staudinger / Kreuzer Rn 77; auch Rn 96 ff, je zu § 15; Belz, Handb des WE, 3. Aufl., Rn 118; Horst Müller, Prakt. Fragen, 3. Aufl. Rn 69, 80 ff). Wiederholt hat die obergerichtliche Rechtsprechung im Hinblick auf die jeweiligen konkreten Verhältnisse und unter Abwägung der jeweiligen Interessen das Bestehen solcher Schranken bestätigt (vgl. bes. KG NJW-RR 1990, 333 = ZMR 1990, 151 = WE 1990, 74 (LS); BayObLG WE 1991, 163 (164);. auch LG Wuppertal MittRhNotK 1998, 327 sowie allgemeiner - BayObLG NJW-RR 1992, 81; DWE 1995, 28 = WE 1995, 345; OLG Köln NJW-RR 1997, 14; KG NJW-RR 1996, 464). Dabei kann davon ausgegangen werden, dass viele derartige Entscheidungen wegen ihrer Einzelfallbezogenheit unveröffentlicht geblieben sind (z8 KG, Beschl 1 W 1956/79 v. 21. 12. 1979).

Wenn es auch zur Streitvermeidung wünschenswert ist, gewichtige Einschränkungen eines Sondernutzungsrechts in der Teilungserklärung oder einer Vereinbarung (zur Eintragungsfähigkeit vgl. OLG Zweibrücken Rpfl 1990, 19) niederzulegen, so ist der Bestand einer solchen immanenten Schranke gerade nicht von ihrer Verlautbarung im Grundbuch abhängig, weil sie ihre Grundlage im Gemeinschaftsverhältnis hat.

Diese auf dem Gemeinschaftsverhältnis der Miteigentümer beruhenden Schranken des Individualrechts sind unabhängig von eventuellen öffentlich-rechtlichen Beschränkungen, die durch andere Interessen bestimmt sind, und haben den Vorrang vor den Schranken, die das allgemeine Nachbarrecht (vgl. OLG Köln aaO mwNw) errichtet. Die gesetzliche Wertung, die dem - ebenfalls aus dem Grundbuch nicht ersichtlichen - Notwegrecht (§ 917 BGB) zugrundeliegt, macht allerdings deutlich, welche Grenzen einer ausschließlichen Nutzung unter Privatpersonen gesetzt sind. Für eine Verpflichtung zur Zahlung einer Notweg-Rente (§ 917 Abs. 2 BGB) ist indes unter Wohnungseigentümern - jedenfalls in der hier gegebenen Gestaltung - kein Raum.

2. Diesem anerkannten Rechtszustand wird die landgerichtliche Entscheidung im vorliegenden Falle nicht gerecht.

Ein Mitbenutzungsrecht am Sondernutzungsbereich des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls auch am Bereich der Antragsteller) besteht nicht nur zur - in den Vorinstanzen unter dem Gesichtspunkt des Zugangs für die Feuerwehr näher erörterten - Gefahrenabwehr, sondern auch zur Instandhaltung und Instandsetzung des Gemeinschaftseigentums, etwa bei notwendigen Arbeiten an der Fassade oder am Dach oder an der Überdeckelung der unter den Freiflächen liegenden Tiefgarage (vgl. § 14 Nr. 4 WEG). Auch dann, wenn die Antragsteller von ihrem in der Teilungserklärung eingeräumten Recht auf Errichtung eines Wintergartens im rückwärtigen Garten Gebrauch machen wollten, setzt dies nach dem konkreten Zuschnitt des Grundstücks sowie des Gebäudes und der Anordnung der Ein- und Ausgänge voraus, dass eine solche Maßnahme unter Benützung des Gartenteils des Antragsgegners durchgeführt wird. Der Transport sperriger Bauteile und Gerätschaften, Materialien oder Erdaushub durch das gemeinschaftliche Treppenhaus und - um zwei Ecken herum - durch die Wohnung überschreitet die Grenze des Zumutbaren angesichts des unproblematischen Zugangs über den Gartenteil des Antragsgegners.

Dasselbe gilt für die Instandhaltung des rückwärtigen Gartens der Antragsteller, die nicht nur eine Berechtigung, sondern auch eine Verpflichtung gegenüber der Gemeinschaft darstellt (vgl. § 11 Abs. 2 TE). Eine ordnungsgemäße Bepflanzung und Pflege der im Sondernutzungsrecht stehenden Freiflächen ist für alle Miteigentümer von Bedeutung und auch mitbestimmend für den Wert ihrer Wohnungen. Wenn auch das Amtsgericht zutreffend (und abschließend) entschieden hat, dass die Antragsteller gegenüber den Antragsgegnern 2 - 12 keinen Anspruch auf eine das Sondernutzungsrecht des Beschwerdeführers einschränkende Beschlussfassung haben; darf nicht außer Acht gelassen werden, dass alle Miteigentümer gegenüber den Antragstellern (und auch dem Beschwerdeführer) kraft Gemeinschaftsrechts einen Anspruch auf ordnungsgemäße Pflege der trotz Sondernutzungsrecht im Gemeinschaftseigentum stehenden Freiflächen haben und diesen Anspruch auf ordnungsgemäße Instandhaltung auch nach § 21 Abs. 3, Abs. 4 WEG durchsetzen können.

Auch die Ansicht des Landgerichts, die gestrichelte Linie zwischen den Sondernutzungsbereichen von Antragstellern und Beschwerdeführer sei als durchgehender Zaun anzusehen, begegnet nachhaltigen Bedenken (wird ausgeführt).

3. Auch die vom Landgericht vorgenommene Abwägung zwischen den Interessen, des Beschwerdeführers am grundsätzlich bestehenden Recht auf Alleingebrauch einerseits und den Interessen der Antragsteller andererseits und schließlich der übrigen Miteigentümer hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.

Zutreffend hat das Amtsgericht den Antragstellern nicht ein in ihrem Belieben stehendes, jederzeitiges Durchgangsrecht am benachbarten Gartenteil - wie zunächst beantragt - zugebilligt, sondern nur ein zeitlich und räumlich beschränktes Betretungsrecht. Dieses Mitbenutzungsrecht der Antragsteller ist seinerseits insoweit immanent begrenzt, als es der Pflege und Instandhaltung ihres rückwärtigen Gartens dienen muss, also etwa im Winter weitgehend ruht. Damit hat das Amtsgericht zu einem Interessenausgleich gefunden, der als rechtsfehlerfrei zu beurteilen ist. Die nähere Ausgestaltung durfte dabei zunächst den Beteiligten überlassen bleiben; sollte ein Einvernehmen nicht erreichbar sein, müsste das Amtsgericht eine konkrete Regelung (§ 44 Abs. 4 WEG) in einem weiteren Verfahren treffen. Der Senat als Rechtsbeschwerdegericht ist dagegen nicht berufen, weitere Einzelheiten des Betretungsrechts zu bestimmen. ...

Insbesondere wird die Erwägung des Landgerichts, die Antragsteller seien vor einer Mitbenützung des benachbarten Gartenteils vorrangig auf die Errichtung einer Gerätehütte in ihrem Gartenteil zu verweisen, den im Wohnungseigentumsrecht geltenden Maßstäben nicht gerecht. Dabei handelt es sich - was das Landgericht zwar nicht verkannt, aber rechtsfehlerhaft gewichtet hat - um eine bauliche Änderung (§ 22 Abs. 1 WEG), die den Gesamteindruck des Grundstücks möglicherweise beeinträchtigt und die Interessen der übrigen Miteigentümer einschließlich des Beschwerdeführers an einer grünen Umgebung berühren kann. Im Vergleich dazu ist das vom Amtsgericht zugebilligte sporadische Durchgangsrecht das deutlich mildere Mittel.

4. Da weitere tatsächliche Feststellungen nicht erforderlich sind, kann der Senat abschließend entscheiden. Danach war die landgerichtliche Entscheidung insoweit aufzuheben und die Erstbeschwerde in der Hauptsache zurückzuweisen mit der Folge, dass die amtsgerichtliche Sachentscheidung Geltung beanspruchen kann.

Ende der Entscheidung

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