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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 24.09.2009
Aktenzeichen: 8 WF 155/09
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 269 Abs. 3 Satz 3
ZPO § 103 Abs. 1
ZPO § 118 Abs. 1 Satz 4
Bei der Rücknahme der beabsichtigten Klage im Prozesskostenhilfeverfahren bleibt es ungeachtet des § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO bei dem Ausschluss der Kostenerstattung.

Die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer zu Lasten des PKH-Antragstellers ergangenen Kostengrundentscheidung ist dem Beschwerdeverfahren gem. § 269 Abs. 5 ZPO vorbehalten und kann nicht auf den Rechtspfleger im Kostenfestsetzungsverfahren abgewälzt werden.

Dieser hat auf Grund eigener Prüfungskompetenz gem. § 21 Nr. 1 RpflG i. V. m. §§ 103 ff ZPO festzustellen, welche Kosten des Rechtsstreits i. S. des § 91 ZPO für den Fall der Klagezustellung erstattungsfähig gewesen wären. Hierzu zählen nicht die im Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahren dem Gegner entstandenen Kosten (§ 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO), sodass der richterliche Kostenbeschluss inhaltlich ins Leere geht.


Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 WF 155/09

24. September 2009

In der Familiensache

wegen Scheidung und Folgesachen; hier: Kostenfestsetzung

hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. § 568 S. 1 ZPO

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Kostenfestsetzungsbeschluss der Rechtspflegerin des Amtsgerichts Reutlingen - Familiengericht - vom 12. August 2009, Az. 11 F 848/07, aufgehoben.

2. Der Kostenantrag der Antragsgegnerin vom 9./10. Juli 2009 wird zurückgewiesen.

3. Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei. Im übrigern trägt die Antragsgegnerin die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Beschwerdewert: 1.359,58 Euro

Gründe:

1.

Am 30. Juli 2007 reichte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 27. Juli 2007 einen Antrag auf Ehescheidung ein und beantragte gleichzeitig, ihm Prozesskostenhilfe zu bewilligen. In der Begründung des PKH-Antrags ist die Rede vom "beabsichtigten Rechtsstreit" und der "beabsichtigten Rechtsverteidigung" - (gemeint ist wohl: "Rechtsverfolgung").

Der Schriftsatz wurde formlos an die Antragsgegnerin zur Stellungnahme binnen zwei Wochen zu dem Prozesskostenhilfeantrag übersandt. Hierauf legitimierte sich der Antragsgegnervertreter und beantragte mit Schriftsatz vom 13. August 2007 die Zurückweisung des PKH-Antrags.

Mit Verfügung vom 10. September 2007 wurde ein Termin zur "mündlichen Verhandlung" im Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren anberaumt, an dem die Parteien mit ihren Verfahrensbevollmächtigten teilnahmen, der Antragstellervertreter die Bewilligung der Prozesskostenhilfe beantragte und der Antragsgegnervertreter die Zurückweisung des Antrags. Danach - offensichtlich aufgrund entsprechender Erörterung und Hinweisen des Gerichts - nahm der Antragstellervertreter die Anträge auf Ehescheidung und Prozesskostenhilfebewilligung zurück. Der Gegenstandswert für das Scheidungsverfahren wurde auf 9.000 € festgesetzt und mit Beschluss vom 3. Juli 2009 wurden dem Antragsteller infolge seiner Antragsrücknahme die Kosten des Verfahrens auferlegt.

Dem hierauf eingereichten Kostenantrag der Antragsgegnerin vom 10. Juli 2009 hat die Rechtspflegerin mit Beschluss vom 12. August 2009 in vollem Umfang stattgegeben und die vom Antragsteller an die Antragsgegnerin zu erstattenden Kosten auf 1.359,58 € festgesetzt.

Gegen die am 18. August 2009 zugestellte Entscheidung hat der Antragsteller durch seinen Verfahrensbevollmächtigten am 19. August 2009 Rechtsmittel (Erinnerung) eingelegt, weil eine Kostenerstattung nach § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO im Prozesskostenhilfe-Prüfungsverfahren nicht stattfinde. Die Antragsgegnerin hat sich hierzu nicht geäußert.

Die Rechtspflegerin hat die Akte ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht mit Beschluss vom 16. September 2009 zur Entscheidung vorgelegt.

2.

Die als sofortige Beschwerde zu behandelnde Erinnerung des Antragstellers ist zulässig (§§ 104 Abs. 3 Satz 1, 567 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 ZPO, § 11 Abs. 1 RpflG) und begründet.

Mit Beschluss vom 3. Juli 2009 wurden dem Antragsteller nach Antragsrücknahme vor Zustellung gem. § 269 Abs. 2 Satz 2 ZPO (?) auf den entsprechenden Antrag der Antragsgegnerin die Kosten des Verfahrens auferlegt. Gegen die am 8. Juli 2009 dem Antragstellervertreter zugestellte Entscheidung war das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde gem. § 269 Abs. 5 ZPO gegeben, das vom Antragsteller nicht eingelegt wurde, weswegen die Kostengrundentscheidung vom 3. Juli 2009 rechtskräftig geworden ist.

Diese kann nicht mehr zusammen mit dem Kostenfestsetzungsbeschluss gem. §§ 103 ff ZPO vom 12. August 2009 angefochten werden. Vielmehr ist die Rechtspflegerin zu einer Überprüfung der Richtigkeit der von der Familienrichterin getroffenen Kostengrundentscheidung nicht befugt und an diese gebunden.

Ihr obliegt allerdings im nachfolgenden Kostenfestsetzungsverfahren die inhaltliche Ausfüllung des richterlichen Kostenbeschlusses durch die Feststellung, welche Kosten angefallen und darüber hinaus erstattungsfähig im Sinne von § 91 ZPO sind.

Zunächst einmal besteht aber für sie die Bindung an den Kostentitel im Sinne des § 103 Abs. 1 ZPO.

Auch wenn dieser keine Begründung und Ermessensabwägung gem. § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO enthält und die zu Grunde liegende Norm unkorrekt zitiert, beruht er offensichtlich auf der zuvor vom Antragsgegnervertreter vorgelegten Entscheidung des BGH (NJW-RR 2005, 1015 = MDR 2005, 824) und damit auf § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO, wonach eine Kostengrundentscheidung bei Klagerücknahme vor Rechtshängigkeit zulässig ist.

Die Fehlerhaftigkeit des Kostenbeschlusses wegen der unterlassenen Begründung und Ermessensabwägung hätte insoweit zwar im Beschwerdeverfahren gem. § 269 Abs. 5 ZPO geltend gemacht werden müssen. Und die Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Kostengrundentscheidung kann nicht auf den Rechtspfleger im Rahmen des Kostenfestsetzungsverfahrens abgewälzt werden, da er nicht die Rechtsmittelinstanz für richterliche Entscheidungen ist, aufgrund deren er die ihm nach § 21 Nr. 1 RpflG allein übertragene Kostenfestsetzung gem. § 103 Abs. 1 ZPO vornimmt.

Der Antragsteller hatte aber im Gegensatz zu der von der Antragsgegnerin vorgelegten Entscheidung des BGH (MDR 2005, 824 = NJW-RR 2005, 1015 unter Verweis auf BGH NJW 2004, 1530; vgl. auch: OLGR Koblenz 2009, 462; OLGR Brandenburg 2009, 507; OLGR Jena 2007, 565; OLG Hamm FamRZ 2005, 1185; OLGR Schleswig 2003, 445; OLGR Köln 2003, 68) nicht bereits einen unbedingten Antrag auf Scheidung eingereicht, sondern diesen von der vorherigen Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht. Dies ergibt sich aus der Begründung des PKH-Antrags, in der vom beabsichtigten Rechtsstreit und der beabsichtigten Rechtsverfolgung (-verteidigung) die Rede ist. Diesen Fall betrifft aber die Entscheidung des BGH (MDR 2005, 824 = NJW-RR 2005, 1015) gerade nicht, sondern ausschließlich den der unbedingten Klageeinreichung mit gleichzeitigem PKH-Antrag, in dem eine Kostengrundentscheidung nach § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO möglich ist und unter den "Kosten des Rechtsstreits" diejenigen zu verstehen sind, die im Falle der Rücknahme der Klage nach deren Zustellung erstattungsfähig gewesen wären (BGH NJW 2006, 775; Greger in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 269 Rdnr. 18e; Becker-Eberhard in Münchener Kommentar, ZPO, Bd. 1, 3. Aufl. 2008, § 269 Rdnr. 66).

Vorliegend geht jedoch der richterliche Kostenbeschluss vom 3. Juli 2009 inhaltlich ins Leere. Denn es können mangels eines Prozessrechtsverhältnisses vor Klageerhebung/Klagezustellung keine Kosten festgestellt werden, die im Falle der Rücknahme des Scheidungsantrags nach dessen Rechtshängigkeit erstattungsfähig gewesen wären.

Die auf Antragsgegnerseite angefallenen Anwaltskosten bezogen sich ausschließlich nach formloser Übermittlung des PKH-Antrags zur Stellungnahme und Anberaumung sowie Durchführung eines Erörterungstermins gem. § 118 Abs. 1 Satz 3 ZPO auf das Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahren, in dem Gerichtskosten nicht entstehen und die dem Gegner entstandenen Kosten gem. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht erstattet werden (Müller-Rabe in Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, Nr. 3100 RVG-VV Rdnr. 178 ff; Müller-Rabe, a. a. O., Nr. 3335 RVG-VV Rdnr. 79 ff; Motzer in Münchener Kommentar, ZPO, Bd. 1, 3. Aufl. 2008, § 118 Rdnr. 23 ff; Philippi in Zöller, ZPO, 27. Aufl. 2009, § 118 Rdnr. 24 ff; je m. w. N.).

Insoweit war die Rechtspflegerin zwar nicht gehalten, die richterliche Kostengrundentscheidung auf ihre Rechtmäßigkeit zu überprüfen. Sie hätte aber in der Kostenfestsetzung - ausgehend von ihrer Bindung an einen auch falschen, jedoch unangefochten gebliebenen Kostenbeschluss - aufgrund eigener Prüfungskompetenz feststellen müssen, welche Kosten des Rechtsstreits im Sinne des § 91 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO für den Fall der Klagezustellung (BGH NJW 2006, 775) erstattungsfähig gewesen wären.

Hierzu zählen die im Prozesskostenhilfe-Bewilligungsverfahren dem Gegner entstandenen Kosten gerade nicht, da diese gem. § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO nicht zu erstatten sind, selbst wenn der Antragsteller im Hauptsacheverfahren unterliegt und ihm die Kosten des Rechtsstreits auferlegt werden, z. B. im Falle der Klagerücknahme nach Rechtshängigkeit gem. § 269 Abs. 3 Satz 2, Abs. 4 ZPO (Motzer, a. a. O., § 118 Rdnr. 25, § 123 Rdnr. 2; Philippi, a. a. O., § 118 Rdnr. 26 und 27; Gierl in Mayer/Kroiß, RVG, 4. Aufl. 2009, Nr. 3335 RVG-VV Rdnr. 21; je m. w. N.). Die Erstattungspflicht nach § 123 ZPO erstreckt sich nicht auf die Kosten des Gegners aus dem PKH-Verfahren, da insoweit die Kostenerstattung nach § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO ausgeschlossen ist.

Damit geht die richterliche Kostengrundentscheidung ins Leere. Es gibt keine Kosten des Rechtsstreits, die hätten festgesetzt und mit denen der Kostentitel hätte ausgefüllt werden können, weswegen der falsche Kostenbeschluss keine Wirkungen entfaltet, vielmehr ausnahmsweise trotz der eingetretenen Rechtskraft seine Korrektur im Kostenfestsetzungsverfahren findet (Müller-Rabe, a. a. O., Nr. 3100 RVG-VV Rdnr. 178, m. w. N.).

Der Kostenfestsetzungsbeschluss war deshalb auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers unter Zurückweisung des Kostenantrags der Antragsgegnerin aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf Nr. 1812 GKG-KV und § 91 ZPO.

Ende der Entscheidung

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