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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 09.11.2000
Aktenzeichen: 8 WF 32/99
Rechtsgebiete: BRAGO, BGB


Vorschriften:

BRAGO § 23
BRAGO § 121
BGB § 779
Ein eine Vergleichsgebühr auslösender Vergleich setzt grundsätzlich ein gegenseitiges Nachgeben voraus; ein beiderseitiges (sukzessives) Nachgeben in Form von Teil-Klagerücknahme und anschließendem Anerkenntnis im Anschluss an die Mitteilung des Gerichts über seine Rechtsansicht erfüllt diese Voraussetzung regelmäßig nicht.
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss

Geschäftsnummer: 8 WF 32/99 8 F 263/97 AG Ravensburg - FamilienG -

vom 9. November 2000

In der Familiensache

wegen Ehescheidung u. a.,

hier: Vergütungsfestsetzung nach § 121 ff. BRAGO für die 2. Instanz

Gründe:

Die nach § 128 Abs. 4 BRAGO zulässige Beschwerde gegen die Erinnerungsentscheidung des Amtsrichters hat in der Sache keinen Erfolg.

Zurecht hat der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle in seinem Festsetzungsbeschluss über die im Rahmen der bewilligten Prozesskostenhilfe zu gewährende Vergütung für die Vertretung der Antragsgegnerin in 2. Instanz die beantragte Vergleichsgebühr abgesetzt.

a) Zutreffend ist allerdings die Ansicht des Beschwerdeführers, dass bereits ein Vergleich über die Hauptsache ausreicht, die Vergleichsgebühr auszulösen. Die Ansicht des Kostenbeamten und der Bezirksrevisorin, ein prozessbeendender Vergleich liege schon deshalb nicht vor, weil die Parteien im Anschluss an Teil-Rücknahme und Anerkenntnis gegensätzliche Kostenanträge gestellt haben und das Gericht über diese Kosten streitig entschieden hat, ist rechtlich nicht haltbar. Dies ergibt sich bereits aus der in § 23 BRAGO enthaltenen ausdrücklichen Verweisung auf § 779 BGB. Vergleichen sich die Parteien nur über einen Teil des streitigen Rechtsverhältnisses, fällt die Vergleichsgebühr (nur) aus diesem Teil des Gegenstandswerts an (vgl. Gerold/Schmidt/von Eicken, 14. Aufl., Rn 18 aE; Hansens, 8. Aufl., Rn 6; Riedel/Sußbauer/Fraunholz, 8. Aufl., Rn 16, 33, je zu § 23 BRAGO). Da die Kosten für die Bemessung des Gegenstandswerts unerheblich sind (§ 22 Abs. 1 GKG), bemisst sich bei einem Vergleich nur über die Hauptsache die Vergleichsgebühr aus dem gesamten Streitwert.

b) Jedoch setzt der Anfall einer Vergleichsgebühr nach § 23 BRAGO den Abschluss eines materiell-rechtlichen Vergleichs im Sinne des § 779 BGB voraus. Da hier ein gerichtlicher Vergleich (vgl. § 794 a ZPO) mangels entsprechender Protokollierung nicht abgeschlossen worden ist, muss geprüft werden, ob die Prozessparteien vor Gericht einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen haben. Ein solcher nicht unmittelbar zur Prozessbeendigung führender Vergleich setzt einen Vertragsschluss (Einigung) des Inhalts voraus, dass sich beide Parteien gegenseitig verpflichten, jeweils prozessbeendende Erklärungen gegenüber dem Gericht abzugeben (so deutlich zB OLG Köln JurBüro 1982, 553; ähnlich OLG München JurBüro 1992, 681; OLG Hamburg JurBüro 1991, 221).

Zwar ist es rechtlich möglich, dass die Parteien eine solche Einigung untereinander im Rahmen der Erörterung der Sach- und Rechtslage vor Erklärung von Teil-Rücknahme und Anerkenntnis über den Rest herbeiführen; in einem solchen Fall ist Raum für die Anfall einer Vergleichsgebühr (so zB im Falle OLG Hamm JurBüro 1972,1082; JurBüro 1980, 1665; LG Berlin JurBüro 1984, 1517; OLG München JurBüro 1992, 322; GVG Münster JurBüro 1994, 485).

Indes kann keinesfalls in jedem Fall von Teil-Rücknahme und Anerkenntnis über den Rest ein solcher Vertragsschluss angenommen werden. Jede Partei kann auch gegenüber dem Gericht eine entsprechende Prozesserklärung abgeben, ohne dass zuvor die jeweiligen Erklärungen im Wege einer Einigung in ein gegenseitiges Abhängigkeitsverhältnis (Synallagma) gebracht worden sind. Das sukzessive Nachgeben zweier Parteien durch Erklärungen gegenüber dem Gericht begründet keinen Vertrag.

Eine solche Fallgestaltung liegt insbesondere dann nahe, wenn das Gericht seine (vorläufige) Beurteilung der Rechtslage bekannt gibt und dann jede Partei daraus ihre Folgerungen zieht und prozessual umsetzt. Die Tatsache, dass jede Partei von ihrer ursprünglich geltend gemachten Rechtsposition Abstriche macht, also "nachgibt", reicht für sich allein noch nicht zur Annahme einer Einigung i. S. des § 779 BGB. Nicht beiderseitiges, sondern gegenseitiges Nachgeben ist Voraussetzung. Deshalb heißt es in den einschlägigen Kommentierungen der entsprechenden Verfahrenslagen regelmäßig nur, dass ein Vergleich "vorliegen kann" (zB Gerold/Schmidt/von Eicken Rn. 10; Hansens, Rn. 5, je zu § 23 BRAGO),

Hinzukommt, dass ein solcher Vertragsschluss - auch wenn er nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent erfolgen kann - für die Festsetzung einer Vergleichsgebühr hinreichend glaubhaft gemacht werden muss (§§ 128 Abs. 1 S. 2 BRAGO, 104 Abs. 2 S. 1 ZPO). Eine Niederlegung einer solchen Einigung im Protokoll der gerichtlichen Verhandlung ist zwar anerkanntermaßen nicht Voraussetzung für eine Vergleichsgebühr, aber für das Festsetzungsverfahren hilfreich.

Im vorliegenden Fall ist ein derartiger Vertragsschluss zwischen den Parteien nicht glaubhaft gemacht. Ausweislich des Protokolls hat der Senat nach Erörterung der Sach- und Rechtslage seine vorläufige Rechtsansicht mitgeteilt und detailliert vorgerechnet, dass der Antragsgegnerin ein nachehelicher Unterhaltsanspruch in genau bezifferter Höhe zustehe. Wenn daraufhin die Berufungsklägerin ihren weitergehen den Zahlungsantrag zurücknimmt und der Berufungsbeklagte den verbleibenden Betrag anerkennt, spricht dies für die Abgabe von eigenständigen Prozesserklärungen jeder Partei gegenüber dem Gericht ohne vorherigen gegenseitig verpflichtenden Vergleichsvertrag.

c) Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, "selbstverständlich" sei in der Sache selbst tatsächlich ein Vergleich geschlossen worden, "der lediglich in die Form eines Anerkenntnisses und teilweiser Klagrücknahme gekleidet worden ist", kann auch dies dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg verhelfen.

Wählen anwaltlich vertretene Parteien anstelle eines formgerechten Vergleichs mit entsprechenden Kostenfolgen absichtlich eine abweichende Form, die diese kostenrechtlichen Folgen vermeidet, so muss darin seitens des Anwalts auf einen Verzicht auf die entsprechenden Kosten geschlossen werden. Dies hat der Senat bereits widerholt in (unveröffentlichten) Entscheidungen in Fällen normaler Kostenerstattung entschieden. Es wäre treuwidrig ("venire contra factum proprium"), wenn ein Anwalt im Kosteninteresse seiner Partei eine kostengünstigere prozessuale Erledigungsform wählt und dann dennoch die höheren Kosten fordert, die angefallen wären, wenn die an sich dafür vorgesehene Erledigungsform gewählt worden wäre. Vielmehr muss sich der Anwalt nach Überzeugung des Senats an den kostenrechtlichen Konsequenzen der von ihm gewählten Form festhalten lassen, und zwar auch dann, wenn sich dies - wie hier - zugunsten der Staatskasse auswirkt.

Ende der Entscheidung

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