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Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 12.06.2008
Aktenzeichen: 8 WF 85/08
Rechtsgebiete: BGB, RVG, RVG-VV
Vorschriften:
BGB § 1684 | |
RVG § 48 Abs. 3 | |
RVG-VV Nr. 1000 Abs. 1 S. 1 |
Der Anfall der Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV erfordert beim Abschluss des Einigungsvertrages kein gegenseitiges Nachgeben im Sinne des § 779 BGB. Beim Vorliegen nur eines einseitigen Nachgebens kann nicht ohne weiteres das negative Tatbestandsmerkmal des "ausschließlichen Anerkenntnisses oder Verzichts" als erfüllt angenommen werden. Vielmehr ist davon auszugehen, dass beim einseitigen Nachgeben in den Fällen der sorgsamen Abwägung der Für und Wider und schließlich Vernachlässigung der eigenen Rechtsposition zu Gunsten des Rechtsfriedens sich der zwischen den Beteiligten abgeschlossene Einigungsvertrag nicht "ausschließlich" auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt und damit die Einigungsgebühr entstehen lässt.
Oberlandesgericht Stuttgart 8. Zivilsenat Beschluss
Geschäftsnummer: 8 WF 85/08
12. Juni 2008
In der Familiensache
wegen Regelung des Umgangs mit dem Kind
hier: Festsetzung der aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gem. § 55 RVG; sofortige Beschwerde gem. §§ 56, 33 RVG
hat der 8. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart durch Richterin am Oberlandesgericht Tschersich als Einzelrichterin gem. §§ 56 Abs. 2 S. 1, 33 Abs. 8 S. 1 ZPO
beschlossen:
Tenor:
1. Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Amtsgerichts Biberach - Familiengericht - vom 28. Mai 2008, Az. 4 F 893/07, abgeändert:
Auf die Erinnerung des Beschwerdeführers wird zu seinen Gunsten in Abänderung der Vergütungsfestsetzung des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Amtsgerichts Biberach- Familiengericht - vom 26. März 2008, Az. 4 F 893/07, eine weitere Vergütung von 224,91 € festgesetzt.
2. Das Erinnerungs- und das Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe:
1.
In der Familiensache wegen Regelung des Umgangs mit dem gemeinsamen Kind wurde der Kindesmutter/Antragsgegnerin durch das Amtsgericht Biberach- Familiengericht - am 30. November 2007 Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung und unter Beiordnung des Beschwerdeführers bewilligt.
Das Verfahren war eingeleitet worden auf Antrag des Kindes/Antragstellers. Der Vater erklärte sich mit der von seinem Sohn vorgeschlagenen Umgangsregelung einverstanden. Die Mutter gab zunächst am 30. November 2007 ihre Zustimmung ab, trat dann jedoch am 24. Dezember 2007 dem Antrag entgegen, weil sich die ihrer Zustimmung zu Grunde gelegte Änderung der familiären Verhältnisse des Vaters noch nicht realisiert hatte. Am 1. Februar 2008 teilte sie erneut ihre Zustimmung mit und bat um Entscheidung im schriftlichen Verfahren, die mit Beschluss des Familiengerichts vom 4. Februar 2008 auf der Grundlage der Einigung der Kindeseltern, die dem Wunsch des Kindes entsprach, erging. Die Kosten wurden bei einem Gegenstandswert von 3.000 € gegeneinander aufgehoben.
Am 12. Februar 2008 beantragte der Beschwerdeführer die Festsetzung seiner aus der Staatskasse zu zahlenden Vergütung gem. § 55 RVG. Dem Antrag wurde entsprochen. Jedoch wurde die geltend gemachte Einigungsgebühr von 189 € zuzüglich 19% Umsatzsteuer (35,91 €), insgesamt ein Betrag von 224,91 €, nicht in Ansatz gebracht - wie auch die beanspruchte Terminsgebühr nebst Umsatzsteuer, die aber nicht Gegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist.
Gegen die Vergütungsfestsetzung vom 26. März 2008 hat der Beschwerdeführer wegen der nicht bewilligten Einigungsgebühr nebst MWSt. am 3. April 2008 Rechtsmittel (Erinnerung) eingelegt. Die Bezirksrevisorin war deren Berücksichtigung bereits im Festsetzungsverfahren entgegengetreten und der Referatsrichter hat die Erinnerung mit Beschluss vom 28. Mai 2008 zurückgewiesen. Diese am 3. Juni 2008 zugestellte Entscheidung hat der Beschwerdeführer am 5. Juni 2008 ebenfalls angefochten.
Der Familienrichter hat die Akte ohne Abhilfe dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt.
2.
Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers ist statthaft, form- und fristgerecht erhoben und der Beschwerdewert übersteigt 200 €, so dass das Rechtsmittel zulässig ist (§§ 56 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1, 33 Abs. 3 Satz 1 und 3, Abs. 7 RVG).
Es hat auch in der Sache Erfolg.
Bereits aus der gesetzlichen Regelung in § 48 Abs. 3 RVG ergibt sich mittelbar die Möglichkeit, dass der als Verfahrensbevollmächtigter beigeordnete Rechtsanwalt die Einigungsgebühr nach Nr. 1000, 1003 RVG-VV auch in einem Verfahren wegen Regelung des Umgangs des Kindes mit den Eltern (§ 1684 BGB) verdienen kann.
Dabei reicht es nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 2007, 2187) für die Festsetzbarkeit einer Einigungsgebühr aus, dass glaubhaft gemacht wird, dass die Parteien eine Vereinbarung im Sinne von Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV geschlossen haben. Die Protokollierung eines als Vollstreckungstitel tauglichen Vergleichs nach § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist nicht erforderlich (OLG Stuttgart/Senat in NJW 2007, 3218). Der Einigungsvertrag kann vielmehr auch stillschweigend geschlossen werden und ist nicht formbedürftig, sofern dies materiell-rechtlich nicht besonders vorgeschrieben ist (BGH, a. a. O.).
Die Gebühr gemäß Nrn. 1000, 1003 RVG-VV entsteht für die Mitwirkung des Rechtsanwalts beim Abschluss eines Vertrags, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird, es sei denn, der Vertrag beschränkt sich ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht.
Für das Entstehen der Einigungsgebühr wird nicht mehr ein beiderseitiges Nachgeben im Sinne des § 779 BGB gefordert, sondern durch diese Erfolgsgebühr soll jegliche vertragliche Beilegung eines Streits der Parteien honoriert und dadurch ein Anreiz geschaffen werden, diesen Weg der Erledigung eines Rechtsstreits bzw. Verfahrens zu beschreiten. Es kommt deswegen nicht mehr auf einen Vergleich im Sinne des § 779 BGB an, sondern nur noch auf eine Einigung (BGH, a. a. O.), so dass ein einseitiges Nachgeben und damit Akzeptieren des Rechtsanliegens der Gegenpartei den Anfall dieser Gebühr nicht ausschließt, solange noch ein Vertrag abgeschlossen wird, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis beseitigt wird.
Die Abgrenzung einer solchen die Gebühr auslösenden Einigung zur Beschränkung des Vertrags "ausschließlich auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht" ist schwierig und am Einzelfall auszurichten. Keinesfalls kann allein aus dem einseitigen Nachgeben in einem Vertrag auf ein "ausschließliches Anerkenntnis" oder einen "ausschließlichen Verzicht" geschlossen und der Anfall der Einigungsgebühr verneint werden. Denn dies würde der Intention des Gesetzgebers zuwiderlaufen und wie bei der früheren Vergleichsgebühr des § 23 BRAGO ein gegenseitiges Nachgeben im Sinne des § 779 BGB zur Voraussetzung des Entstehens der Einigungsgebühr nach Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV machen. Es muss deshalb jeweils auch bei einem nur einseitigen Nachgeben hinterfragt werden, ob nicht doch ein Einigungsvertrag im Sinne der Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV zur Beseitigung des Streites oder der Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis geschlossen wurde.
Die Einigungsgebühr soll den Rechtsfrieden fördern, die mit der Einigung verbundene Mehrbelastung und erhöhte Verantwortung des beteiligten Rechtsanwalts vergüten sowie die Gerichte entlasten (BGH, a. a. O.). Diese Zielsetzung darf nicht durch eine rigorose Bejahung der negativen Tatbestandsmerkmale verhindert werden (von Eicken in Gerold/Schmidt/von Eicken/Madert/Müller-Rabe, RVG, 17. Aufl. 2006, RVG-VV Nr. 1000 Rdnr. 27 und 28).
Zudem bedeutet Anerkenntnis oder Verzicht nicht immer, dass sich die betreffende Partei freiwillig in die Rolle des Unterlegenen begibt, sondern es können der Erklärung andere Motive zu Grunde liegen, wie etwa die Aufrechterhaltung oder Verbesserung der geschäftlichen, familiären oder sonstigen privaten Beziehungen, die der Partei wichtiger erscheinen als die Durchsetzung oder Verteidigung ihres streitgegenständlichen Anspruchs. In diesen Fällen der sorgsamen Abwägung der Für und Wider und schließlich Vernachlässigung der eigenen Rechtsposition zu Gunsten des Rechtsfriedens wird nicht davon ausgegangen werden können, dass sich der Einigungsvertrag "ausschließlich" auf ein Anerkenntnis oder einen Verzicht beschränkt und damit die Einigungsgebühr nicht entsteht (von Eicken, a. a. O., RVG-VV Nr. 1000 Rdnr. 29).
Vorliegend haben beide Elternteile der vom Kind vorgeschlagenen Umgangsregelung im Interesse der Aufrechterhaltung und Verbesserung der Eltern-Kind-Beziehungen zugestimmt. Die Mutter hat dies nach vorheriger Ablehnung schließlich auf Grund der Mitwirkung ihres Verfahrensbevollmächtigten unter Zurückstellung ihrer ursprünglichen Bedenken bezüglich der familiären Verhältnisse des Vaters und unter Vernachlässigung ihrer eigenen Interessen beim Umgang mit dem Kind zu Gunsten des von ihrem Sohn geäußerten Wunsches getan. Ob hierin überhaupt ein "Anerkenntnis" im Sinne des Anerkennens einer Schuld (§§ 780, 781 BGB) gesehen werden kann, ist bereits fraglich. Auf jeden Fall liegt in der gegebenen Zustimmung nicht nur ein "bloßes (ausschließliches) Anerkenntnis" des Antrages des Kindes, sondern eine vertragliche Einigung der Beteiligten zur Beilegung des Streits über die Umgangsregelung. Sie haben dadurch mit dem erforderlichen Rechtsbindungswillen die Erklärung einer Willensübereinstimmung abgegeben über die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges - die Regelung des Umgangs mit dem Kind - (Heinrichs in Palandt, BGB, 67. Auflage 2008, Einführung Rdnr. 1 vor § 145), der dann seine Umsetzung gem. § 1684 BGB in dem Beschluss vom 4. Februar 2008 gefunden hat. Denn dieser stützt sich auf die "Einigung der Kindeseltern, die offensichtlich dem Wunsch des Kindes entspricht" und ordnet gemäß "dem übereinstimmenden Wunsch der Verfahrensbeteiligten nach einer Abänderung der Umgangsregelung" diese vereinbarte Änderung an. Infolgedessen konnte als Entlastung des Gerichts auf die bereits vorgesehene Durchführung eines Verhandlungstermins mit persönlicher Anhörung der Beteiligten und etwaiger weiterer Beweiserhebungen sowie auf eine ausführliche, die gegenseitigen Rechtspositionen abwägende, beweiswürdigende und streitentscheidende Beschlussbegründung verzichtet werden.
Die Zielsetzung der Einigungsgebühr gem. Nr. 1000 Abs. 1 Satz 1 RVG-VV ist damit erreicht, ohne dass von einem "ausschließlichen Anerkenntnis" im Sinne dieser Vorschrift ausgegangen werden kann.
Demzufolge ist die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Einigungsgebühr von insgesamt 224,91 € (einschließlich Mehrwertsteuer) gemäß Nrn. 1000, 1003 RVG-VV nicht nur entstanden, sondern auch im Vergütungsfestsetzungsverfahren gem. § 55 RVG erstattungsfähig, weil sie durch den Akteninhalt hinreichend glaubhaft gemacht ist.
Auf die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers war deshalb unter Abänderung der angefochtenen Entscheidung und der zu Grunde liegenden Vergütungsfestsetzung ein weiterer Betrag von 224,91 € festzusetzen.
Das Erinnerungs- und das Beschwerdeverfahren sind gerichtsgebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 Satz 2 und 3 RVG).
Ende der Entscheidung
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