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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Beschluss verkündet am 24.08.2000
Aktenzeichen: 9 U 124/00
Rechtsgebiete: BRAGO, ZPO, BRAO


Vorschriften:

BRAGO § 53 Abs. 2 Satz 1
ZPO § 85 Abs. 2
ZPO § 519 b Abs. 2
ZPO § 233
ZPO § 519 b
ZPO § 238
ZPO § 97 Abs. 1
BRAO § 53 Abs. 2 Satz 1
BRAO § 53
Leitsatz:

1. Der Urlaubsvertreter gem. § 53 Abs. 2 Satz 1 BRAGO ist Vertreter der Partei i.S. § 85 Abs. 2 ZPO.

2. Auch der Urlaubsvertreter ist verpflichtet, das Büropersonal zu überwachen und dessen Fehler durch rechtzeitiges Eingreifen zu korrigieren.


Oberlandesgericht Stuttgart - 9. Zivilsenat - Beschluß

Geschäftsnummer: 9 U 124/00 2 O 2/00 LG Ravensburg

vom 24.8.2000

wegen Schadensersatzforderung

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart ohne mündliche Verhandlung nach § 519 b Abs. 2 ZPO unter Mitwirkung von

Vors. Richter am Oberlandesgericht Dr. Keihl,

Richter am Oberlandesgericht Ehmann und

Richterin am Oberlandesgericht Weitbrecht

beschlossen:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Ravensburg vom 31.3.2000 wird als unzulässig verworfen.

2. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumnis der Berufungsfrist wird zurückgewiesen.

3. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Wert des Berufungsverfahrens: 250.000,00 DM

Gründe:

I.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 7.4.2000 zugestellte Urteil durch einen am 5.5.2000 beim Oberlandesgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt. Der Schriftsatz war von der beim Oberlandesgericht Stuttgart nicht zugelassenen Rechtsanwältin K unterschrieben. Mit Schriftsatz vom 17.8.2000 - eingegangen beim Oberlandesgericht am 18.8.2000 - beantragte sie wegen der versäumten Berufungsfrist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Dieser Schriftsatz wurde vom beim Oberlandesgericht Stuttgart zugelassenen Rechtsanwalt S unterzeichnet.

Zur Begründung ihres Wiedereinsetzungsantrages nach § 233 ZPO trägt die Klägerin vor, ihr Prozeßbevollmächtigter Rechtsanwalt S habe vor einem vom 21.4. bis 6.5.2000 dauernden Auslandsaufenthalt die Berufungsschrift diktiert und bereits unterschrieben gehabt, seine Sekretärin, Frau D, jedoch angewiesen, zur Ausschöpfung der Berufungsfrist den Schriftsatz erst am 4.5.2000 abzusenden.

Da zum 4.5.2000 wegen Eintritts von Rechtsanwältin K in die Anwaltskanzlei ihres Prozeßbevollmächtigten ein veränderter Briefkopf eingeführt worden sei, habe sich die Mitarbeiterin D veranlaßt gesehen, den im Computer gespeicherten Text der Berufungsschrift auf neuem Papier mit neuem Briefkopf zu drucken und im gleichen Zuge den von Rechtsanwalt S bereits unterschriebenen Schriftsatz zu vernichten. Den neu ausgedruckten Schriftsatz habe sie Rechtsanwältin K vorgelegt, die ihn, ohne ihn zu lesen, unterschrieben habe. Rechtsanwältin K habe zu diesem Zeitpunkt in Vertretung ihres Prozeßbevollmächtigten allein die Kanzleigeschäfte versehen.

II.

Die Berufung der Klägerin war gemäß § 519 b ZPO als unzulässig zu verwerfen. Der innerhalb der Berufungsfrist eingegangene Berufungsschriftsatz war nicht formgerecht, weil er von der beim Oberlandesgericht Stuttgart nicht zugelassenen Rechtsanwältin K unterzeichnet war. Die Berufungsschrift muß jedoch von einem postulationsfähigen Anwalt eigenhändig unterschrieben sein (Zöller, Zivilprozeßordnung, § 518 Rn. 22 m.w.N.). Die nach Ablauf der Berufungsfrist bei Gericht eingereichte Berufungsschrift vom 17.8.2000, welche von dem postulationsfähigen Prozeßbevollmächtigten der Klägerin unterschrieben ist, kann eine zulässige Berufung nicht begründen, weil die einmonatige Berufungsfrist versäumt war.

Die von der Klägerin beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand war zu versagen, da die Säumnis der Klägerin nicht unverschuldet im Sinne des § 233 ZPO war.

Rechtsanwältin K hätte den Berufungsschriftsatz nicht unterschreiben dürfen, sondern statt dessen die Mitarbeiterin D auf ihre fehlende Zulassung beim Oberlandesgericht aufmerksam machen müssen, wodurch sich deren Fehler, der in der Vernichtung des von Rechtsanwalt S unterschriebenen Berufungsschriftsatzes gelegen hatte, offenbar geworden wäre, so daß er noch innerhalb der Berufungsfrist, die am 8.5.2000 ablief, hätte bereinigt werden können, und zwar entweder in der Weise, daß Rechtsanwältin K einen postulationsfähigen Kollegen mit der Einlegung der Berufung betraute oder aber, was hier nähergelegen hätte, die Rückkehr von Rechtsanwalt S abwartete, um am 8.5.2000 per Telefax noch rechtzeitig die Berufung einzulegen.

Das Verschulden von Rechtsanwältin K hat sich die Klägerin zurechnen zu lassen, selbst wenn sie Rechtsanwältin K selbst weder bevollmächtigt noch in anderer Weise mit der Sache betraut hatte. Rechtsanwältin K war von Rechtsanwalt S als seine allgemeine Vertreterin im Sinne des § 53 Abs. 2 Satz 1 BRAO bestellt worden. Urlaubsvertreter bzw. Abwesenheitsvertreter nach § 53 BRAO sind aber Vertreter der Partei im Sinne des § 85 Abs. 2 ZPO (BGH VersR 1975, 1150; BVerwG NJW 1995,1443; OVG Hamburg NJW 1993, 747 f m.w.N.). Mit der Beauftragung eines Abwesenheitsvertreters hält sich der Rechtsanwalt und Prozeßbevollmächtigte auch im Rahmen seiner ihm vom Mandanten eingeräumten Befugnisse, denn bei Erteilung eines Auftrags wird der Mandant selbst es als erforderlich ansehen, zumindest es stillschweigend billigen, daß während der Abwesenheit seines Prozeßbevollmächtigten für eine Vertretung zur Erledigung der auch in seiner Sache etwa erforderlich werdenden Arbeiten gesorgt wird.

Rechtsanwältin K hatte zwar nicht den Auftrag, die Berufung einzulegen, als allgemeine Kanzleivertreterin war ihr aber auch in dieser Sache die Aufgabe übertragen, das Personal zu überwachen und dessen Fehler durch rechtzeitiges Eingreifen zu korrigieren. Diese Aufgabe hat sie schuldhaft verletzt, indem sie die vorgelegte Berufungsschrift - ungelesen, wie die Klägerin behauptet - unterzeichnet hat.

Da sich die Klägerin das Verschulden von Rechtsanwältin K zurechnen lassen muß, kann dahingestellt bleiben, ob auch dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin selbst ein Organisationsverschulden zur Last fällt. Ein solches könnte darin liegen, daß er weder für die von der Rechtsprechung zur Vermeidung solcher Fehler geforderte Ausgangskontrolle (BGH Urteil vom 1.4.1993, Az.: VII ZB 1/93 = HFR 1994, 235 f) noch für ein bei seiner Mitarbeiterin D insoweit bestehendes Problembewußtsein gesorgt hat. Hätte er seiner Mitarbeiterin erklärt, daß der Sinn einer vorzeitigen Anfertigung des Berufungsschriftsatzes mit seiner Unterschrift unter Ausweisung eines späteren Datums nicht nur in der Ausschöpfung der Berufungsfrist bestand, sondern auch deshalb geschah, weil, seine Vertreterin mangels Zulassung zum Berufungsgericht die Berufung nicht werde einlegen können, wäre der Fehler nicht geschehen.

Nach § 238 ZPO war der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand mit dem Verfahren nach § 519 b ZPO zu verbinden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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