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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 07.02.2001
Aktenzeichen: 9 U 171/00
Rechtsgebiete: ZPO, StGB, BGB, AGBG


Vorschriften:

ZPO § 543 Abs. 1
ZPO § 91
ZPO § 92 Abs. 2
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
ZPO § 713
StGB § 315 c
BGB § 823 Abs. 1
BGB § 558 Abs. 1
BGB § 225
BGB § 558
AGBG § 9
AGBG § 9 Abs. 2 Nr. 1
Leitsatz:

Der Vermieter eines Kraftfahrzeuges hat ein berechtigtes Interesse, die Fälligkeit seines Ersatzanspruches gegen den Mieter und damit den Beginn der Verjährung angemessen hinauszuschieben.


Oberlandesgericht Stuttgart - 9. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 9 U 171/00 14 O 96/00 LG Stuttgart

Verkündet am: 7. Februar 2001

Die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle - Lindauer -(Justizangestellte)

In Sachen

wegen Schadensersatz

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 17. Januar 2001 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am OLG Dr. Keihl,

Richter am OLG Ehmann,

Richter am OLG Böhm

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 14. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 24.7.2000 abgeändert:

Der Beklagte wird verurteilt, 10.254,- DM nebst 5,75 % Zinsen hieraus seit 26.11.1999 an die Klägerin zu bezahlen.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

3. Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Streitwert der Berufung: 10.564,- DM, Beschwer der Parteien: jeweils unter 60.000,- DM.

Von der Abfassung des Tatbestandes wird gem. § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist auch in der Sache im wesentlichen erfolgreich. Der Beklagte schuldet Schadensersatz wegen der Beschädigung eines Mietfahrzeuges der Klägerin. Der Verjährungseinwand ist nicht begründet.

I.

Der Beklagte verlor am 1.5.1999 in einer innerörtlichen langgezogenen Rechtskurve die Kontrolle über das Mietfahrzeug, kam von der Straße ab und beschädigte dadurch das Fahrzeug erheblich, weil er aufgrund von Übermüdung (Schlafentzug von 27 Stunden nach eigener polizeilicher Einlassung), insbesondere aber aufgrund erheblicher Alkoholisierung (BAK 0,84 Promille) nicht in der Lage war, ein Kraftfahrzeug sicher zu führen. Der Beklagte wurde hierwegen rechtskräftig wegen fahrlässiger Straßenverkehrsgefährdung gem. § 315 c StGB verurteilt, die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen.

Der Beklagte hat damit rechtswidrig und grob fahrlässig das Eigentum der Klägerin und zugleich seine Pflichten aus dem Mietvertrag vom 27.4.1999 verletzt, weshalb er der Klägerin Schadensersatz sowohl gem. § 823 Abs. 1 BGB als auch wegen Verletzung mietvertraglicher Pflichten in vollem Umfange schuldet. Soweit in Ziff. 10 e) der vereinbarten Allgemeinen Vermietbedingungen (AVB) eine Haftungsbefreiung nach den Grundsätzen einer Vollkaskoversicherung vorgesehen ist, kann sich der Beklagte gem. Ziff. 10 b) der AVB hierauf nicht berufen, weil er die Schäden zumindest grob fahrlässig und durch alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit herbeigeführt hat.

Die AVB sind Bestandteil des Mietvertrages vom 27.4.1999 geworden. Der vom Beklagten unterzeichnete Mietvertrag weist ausdrücklich oberhalb der Unterschrift des Beklagten auf die "umseitigen Bedingungen" der Klägerin hin, wobei der Mietvertrag auf, dem Deckblatt eines Formularsatzes niedergelegt wurde, welcher aus mehreren zusammengefügten Blättern bestand; zu denen auch die genannten AVB gehörten. Unschädlich ist insoweit, dass die Klägerin erstinstanzlich AVB eines anderen Fahrzeugvermieters vorgelegt hatte, da die vereinbarten Vertragsbestimmungen jeweils schriftsätzlich zutreffend zitiert worden waren.

II.

Die hier geltende kurze Verjährungsfrist des § 558 Abs. 1 BGB wurde durch Einleitung des Mahnverfahrens am 2.12.1999 unterbrochen, weil die Frist nicht vor August 1999 zu laufen begann, was aus der Regelung in Ziff. 12 der Allgemeinen Vermietbedingungen folgt. Dort heißt es: "Sofern der Unfall polizeilich aufgenommen wurde, werden Schadensersatzansprüche von Autovermietung GmbH gegen en Mieter erst fällig, wenn Autovermietung GmbH Gelegenheit hatte, die Ermittlungsakte einzusehen. Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt spätestens sechs Monate nach Rückgabe des Fahrzeugs. Im Falle der Akteneinsicht wird Europcar den Mieter über den Zeitpunkt der Akteneinsicht unverzüglich benachrichtigen."

Im vorliegenden Fall hatte der Beklagte die zuständige Polizeidienststelle erst am 22.7.1999 gegenüber der Klägerin benennen lassen, welche ihn am 12.8.1999 von der beabsichtigten Einsichtnahme in die Ermittlungsakte benachrichtigte. Diese Akteneinsicht erfolgte nach Abschluß des Strafverfahrens nach dem 24.9.1999.

Die streitgegenständliche formularvertragliche Regelung stellt keinen Verstoß gegen § 225 BGB dar (BGH NJW 86, 1608) und hält auch einer Inhaltskontrolle gem. § 9 AGBG stand. Einem Fahrzeugvermieter kann ein berechtigtes Interesse an dem Hinausschieben der Fälligkeit seiner Ersatzansprüche und damit an einem Hinausschieben des Beginns des Laufes der Verjährungsfrist nicht abgesprochen werden.

Die berechtigten Interessen des Beklagten als Mieter sind gewahrt. Nach der Klausel ist für den Mieter klar erkennbar, wann die Fälligkeit eines evtl. gegen ihn gerichteten Schadensersatzanspruchs eintritt und damit der Lauf der Verjährungsfrist beginnt. Hierfür genügt, dass der Mieter vom Vermieter von der Notwendigkeit einer Akteneinsicht oder der Tatsache der Akteneinsicht unterrichtet wird wie hier vereinbart. Die Klausel enthält eine Verpflichtung des Vermieters zur unverzüglichen Benachrichtigung des Mieters. Darüberhinaus ist für das Hinausschieben der Fälligkeit eine klare zeitliche Obergrenze vereinbart (BGH NJW 94,1788).

Der Senat teilt nicht die Auffassung des Landgerichtes, die zeitliche Obergrenze des Hinausschiebens der Fälligkeit sei unangemessen lang und die Klausel deshalb insgesamt gem. § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG unwirksam.

Die Klausel bezieht sich auf Ansprüche, deren Bestehen oder Nichtbestehender Vermieter aus von ihm nicht zu vertretenen Gründen nicht ohne weiteres beurteilen kann. Anders als bei den Ansprüchen, die § 558 BGB regelt, genügt hier nicht die mit der Rückgabe verbundene Änderung der Besitzverhältnisse, um anspruchsbegründende Feststellungen treffen zu können. In Fällen einer grundsätzlichen Haftungsfreistellung der hier vereinbarten Art, bei denen Ersatzansprüche nur bei grober Fahrlässigkeit oder bei Vorsatz oder bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen in Betracht kommen, die nicht im Zustand der zurückerlangten Mietsache begründet sind, muß das Unfallgeschehen in allen Einzelheiten bekannt sein, soll die Haftungsfrage beantwortet werden können.

Die Haftungsbefreiung orientiert sich an den Bestimmungen des VVG, darlegungs- und beweisbelastet für eine Haftung trotz vereinbarter Freistellung ist der Vermieter, der deshalb darauf angewiesen ist, eigene Ermittlungen über den Unfallhergang anzustellen und dabei insbesondere Einsicht in polizeiliche Ermittlungsakten zu nehmen (BGH NJW 86, 1609).

Der Fälligkeitseintritt steht schon wegen der vereinbarten zeitlichen Obergrenze nicht im freien Ermessen des Vermieters. Die streitgegenständliche Klausel ist dahin auszulegen, dass der Vermieter nicht nach Belieben sich um Akteneinsicht bemühen darf, sondern bei Vorliegen von Anhaltspunkten für eine unbeschränkte Haftung des Mieters verpflichtet sich, sich um Akteneinsicht auch zu bemühen. Dass insoweit berechtigten Belangen des Mieters nicht Rechnung getragen wäre, weil dem Mieter keine Möglichkeit an die Hand gegeben wäre, die Einhaltung der Vermieterpflichten zu überprüfen, vermag der Senat abweichend vom Landgericht nicht einzusehen. Sollte es im Streitfalle darauf ankommen, wäre nicht der Mieter, sondern der Vermieter darlegung- und beweisbelastet, dass frühere Akteneinsicht nicht möglich war.

Die Verpflichtung, den Mieter vom Beginn der Verjährung zu unterrichten, ist in der Klausel eindeutig enthalten, auch wenn dies nicht wörtlich so ausgedrückt ist. Die Verpflichtung, den Mieter über den Zeitpunkt der Akteneinsicht unverzüglich zu unterrichten, ist deshalb ausreichend, weil der Mieter gegebenenfalls erkennen muß, dass - sollten nicht bereits sechs Monate seit Rückgabe des Fahrzeugs verstrichen sein - die Verjährungsfrist zu laufen begonnen hat. Die Verjährungsregelung des § 558 Abs. 1 BGB enthält nicht nur reine Zweckmäßigkeitserwägungen, sie dient vielmehr auch dem Rechtsfrieden und der Sicherheit des Rechtsverkehrs und damit öffentlichen Interessen und weist damit einen hohen Gerechtigkeitsgehalt auf, der gem. § 9 Abs. 2 Nr. 1 AGBG grundsätzlich zu respektieren ist. Ginge es somit lediglich um die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen wegen positiver Verletzung des Mietvertrages oder wegen unerlaubter Handlung aufgrund bloßer Veränderung, Verschlechterung oder Beschädigung der Mietsache, wären Fälligkeitsklauseln, die im Ergebnis eine Verdoppelung der gesetzlichen Verjährungsfrist bewirken können, in der Tat bedenklich. Diese Überlegung würde aber nicht dem Umstand hinreichend Rechnung tragen, dass die streitgegenständliche Klausel Teil eines Regelungswerkes ist, welches abweichend vom Gesetz anstelle grundsätzlich gegebener Schadensersatzverpflichtung eine Haftungsfreistellung nach den Grundsätzen einer Vollkaskoversicherung bei einer geringen Selbstbeteiligung vorsieht. Damit ist gegenüber der von § 558 BGB vorausgesetzten Interessenlage eine unvergleichlich günstigere Ausgangssituation für den Mieter generell gewährleistet, während für den Vermieter von § 558 BGB nicht berücksichtigte Schwierigkeiten bestehen, die tatsächlichen Grundlagen einer etwaigen Haftung des Mieters zu eruieren. Insoweit genügt eben nicht die mit der Rückgabe der Mietsache gewährleistete Möglichkeit einer Augenscheinseinnahme, gegebenenfalls einer Sachverständigenbegutachtung. Erforderlich ist vielmehr stets die Erforschung eines in der Vergangenheit liegenden Lebenssachverhaltes, auf welchen der Zustand der Mietsache Rückschlüsse nicht erlaubt, da es um die Ursachen des Unfallschadens, dabei insbesondere um alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit und um die Feststellung des Grades eines etwaigen Verschuldens geht. Der BGH hat im Urteil vom 8.1.1986 (NJW 86, 1608) darauf hingewiesen, dass unvermeidliche eigene Ermittlungen des Vermieters oder die Einsichtnahme in polizeiliche Ermittlungsakten nicht immer innerhalb von sechs Monaten nach Rückgabe des gemieteten Fahrzeugs möglich sein werden. Für die durch die vorliegenden allgemeinen Geschäftsbedingungen geregelten Sachverhalte müssen deshalb an den genannten Sachzwängen orientierte und damit im Vergleich zur kurzen gesetzlichen Verjährungsfrist hohe zeitliche Obergrenzen als interessengerecht und im Ergebnis für den Mieter nicht unangemessen hingenommen werden. Die durch das Hinausschieben des Fälligkeitszeitpunktes auszugleichenden Interessen der Vertragsparteien sind eben nicht identisch mit denjenigen, denen die Regelung des § 558 BGB genüge tun will. Das Gesetz hat eine rasche Abwicklung von Nebenansprüchen aus dem Mietverhältnis im Auge, die vom Zustand der Mietsache im Zeitpunkt der Rückgabe abhängen. Diese dem gesetzlichen Regelfall entsprechende Fallgruppe wird von der streitgegenständlichen Klausel gerade nicht erfaßt, die über die Verschlechterung der Mietsache und einfaches Verschulden hinaus weitergehende strenge Haftungsvoraussetzungen erfordert.

III.

Dahinstehen kann, ob im vorliegenden Fall dem Beklagten die Berufung auf die Anspruchsverjährung nicht ohnehin deshalb versagt werden muß, weil dem der Arglisteinwand entgegenstünde, nachdem nach nicht bestrittenem Vorbringen der Klägerin der Beklagte zunächst eine vorsätzlich unrichtige Schadensmeldung abgegeben hatte, in welcher nicht nur die alkoholbedingte Beeinträchtigung seiner Fahrtüchtigkeit nicht erwähnt wurde, sondern insbesondere wahrheitswidrig behauptet worden war, eine polizeiliche Unfallaufnahme habe nicht stattgefunden. Es liegt auf der Hand, dass hierdurch die Ermittlungen der Unfallursache behindert und insbesondere das spätere Akteneinsichtsgesuch der Klägerin hinausgezögert wurde.

IV.

Hinsichtlich der Schadenshöhe bestand zuletzt kein Streit zwischen den Parteien abgesehen vom Umfang pauschaler Unkosten und angeblichen Mahnaufwendungen. Hinsichtlich beider Positionen war die Klagforderung geringfügig zu Lasten der Klägerin zu korrigieren. Berücksichtigen mußte der Senat darüberhinaus den Einwand des Beklagten, er habe den Selbstbehalt, sonach 300,- DM, gezahlt.

V.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 92 Abs. 2, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Ende der Entscheidung

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