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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Stuttgart
Urteil verkündet am 09.05.2001
Aktenzeichen: 9 U 18/01
Rechtsgebiete: BGB, TDG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 278
TDG § 3
TDG § 5 Abs. 3
TDG § 3 Nr. 1
ZPO § 97
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 711
Leitsatz:

Telefonsexverträge unter 0190-Servicenummern sind sittenwidrig. Ein Anspruch des Telekommunikationsunternehmens gegen den Telefonkunden besteht insoweit auch nicht aus dem auf Herstellung/Aufrechterhaltung der Telefonverbindung gerichteten Telefonvertrag und aus der Inkassotätigkeit für den Telefonsexanbieter.


Oberlandesgericht Stuttgart - 9. Zivilsenat - Im Namen des Volkes Urteil

Geschäftsnummer: 9 U 18/01 12 O 343/00 LG Stuttgart

Verkündet am: 09. Mai 2001

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle Lindauer, Just.Ang.'e

In Sachen

wegen Forderung

hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart auf die mündliche Verhandlung vom 02. Mai 2001 unter Mitwirkung von

Vors. Richter am OLG Dr. Keihl Richter am OLG Böhm Richterin am OLG Weitbrecht

für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 12. Zivilkammer des Landgerichts Stuttgart vom 15.12.2000 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 13.000,-- DM abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Streitwert des Berufungsverfahrens und Beschwer der Klägerin: je 108.283,87 DM.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Zahlung von Telefongebühren. Die Klägerin ist eine Telefon-Provider-Firma. Sie bietet für bei ihr angemeldete Kunden unter anderem einen Call-by-Call-Service.

Der Beklagte hat sich als Kunde bei der Klägerin registrieren lassen. In der Zeit von März 2000 bis Mai 2000 hat er über die Klägerin ausschließlich die Nr. 0190 angewählt und sogenannte Telefonsexgespräche geführt. Dabei hat der 22jährige Beklagte, der transsexuell ist und bei dem eine Geschlechtsumwandlung zum Mann durchgeführt wird, immer mit derselben Frau gesprochen.

Die Klägerin hat für diese Telefongespräche am 01.04.2000, 01.05.2000 und 01.06.2000 Rechnungen über insgesamt 108.283,87 DM ausgestellt. Der Beklagte hat diese Rechnungen nicht bezahlt.

Die Klägerin meint, es sei unerheblich, daß es sich bei der vom Beklagten ausschließlich angewählten Nummer um eine sogenannte Telefonsexnummer handle. Sie verkaufe als Telefon-Provider nur Telefoneinheiten und habe keinen Einfluß darauf, welche Telefonnummern der bei ihre angemeldete Kunde wähle und nutze.

Die Klägerin hat beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 108.283, 87 DM nebst 4 % Zinsen auf 54.454, 41 DM seit 05.05.2000, auf 48.358, 46 DM seit 31.05. 2000, auf 5.471,-- DM seit 19.06.2000 sowie 2.472,68 DM vorgerichtliche Mahnkosten nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat geltend gemacht, vor dem Hintergrund seiner Transsexualität und der laufenden Geschlechtsumwandlung sei er hinsichtlich der Telefonsexgespräche nicht geschäftsfähig gewesen. Trotz Kenntnis der finanziellen Folgen habe er nicht anders gekonnt als in jeder freien Minute diese Nummer anzuwählen. Im übrigen seien Telefonsexgespräche sittenwidrig.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf das angefochtene Urteil wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Prozeßbevollmächtigten am 21.12.2000 zugestellte Urteil mit einem am Montag, 22.01.2001, beim Oberlandesgericht eingegangenen Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die sie am 22.02.2001 mit einer Begründung versehen hat.

Die Klägerin macht im wesentlichen geltend, Telefonsexgespräche seien nicht sittenwidrig. Im übrigen sei ihre Tätigkeit als neutrales Hilfsgeschäft zu werten.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 15.12.2000 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 108.283,87 DM nebst 4 % Zinsen auf 54.454, 41 DM seit dem 05.05.2000, auf 48.358, 46 DM seit dem 31.05.2000, auf 5.471,-- DM seit dem 19.06.2000 sowie 2.472,68 DM vorgerichtliche Mahnkosten nebst 4 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt im wesentlichen das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft sein Vorbringen erster Instanz.

Wegen des Vorbringens der Parteien im einzelnen wird auf ihre im zweiten Rechtszug vorgelegten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

I.

Die Berufung der Klägerin ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg.

II.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf eine Vergütung für die am 01.04., 01.05. und 01.06.2000 abgerechneten Telefongebühren.

Der Beklagte hat im fraglichen Zeitraum von März bis Mai 2000 unstreitig nur die Nummer 0190 angerufen und sogenannte Telefonsexgespräche geführt.

Der Senat hält im Anschluß an das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09.06.1998 (NJW 1998, 2895 = MDR 1998, 1195) daran fest, daß ein Telefonsexvertrag sittenwidrig ist (OLGR Stuttgart 1999, 225; OLGR Stuttgart 1999, 421).

Streitig ist allerdings, wie die Rechtsbeziehungen zwischen den Parteien im einzelnen ausgestaltet sind, insbesondere wer Vertragspartner des Beklagten hinsichtlich bestimmter Leistungen ist. Teilweise wird die Auffassung vertreten, das Telekommunikationsunternehmen biete das Telefonsexgespräch als eigenes Endkundenprodukt an (Schütz/Lober, MMR 1999, Heft 8 VI), teilweise, Vertragspartner sei hinsichtlich der gesamten Leistung das Telekommunikationsunternehmen, das nach § 278 BGB für das sittenwidrige Verhalten des Telefonsexanbieters als seines Erfüllungsgehilfen einzustehen habe (Helmut Hoffmann, MMR 1999, 483, 486), teils wird unterschieden zwischen dem Telefonvertrag mit dem Telekommunikationsunternehmen und dem Telefondienstvertrag mit dem Telefonsexanbieter (OLGR Celle 2001, 40). Dabei wird die Annahme unterschiedlicher Vertragspartner auf § 3 TDG (OLG Celle, a.a.O.) oder auf § 5 Abs. 3 TDG (Jürgen Hoffmann, MMR 1999, 673, 675) gestützt, ohne die Frage zu erörtern, ob das Teledienstgesetz bei sogenannten Erotik-Mehrwertdiensten mit Rücksicht auf den Vorrang des Telekommunikationsgesetzes vom 25.07.1999 (BGBl. I, 1120) überhaupt anwendbar ist (§ 5 Abs. 4 Nr. 1 TDG, vgl. zur Differenzierung von Telefondienstleistungen: Piepenbrock/Müller, MMR-Beilage 12 aus 1999).

Gegen die Annahme eines besonderen Vertrags zwischen dem Telefonkunden und dem Telekommunikationsunternehmen über die Herstellung der Verbindung einerseits und zwischen dem Telefonkunden und dem Anbieter der Information bzw. des Telefonsexgespräches spricht, daß der Kunde die Herstellung der Verbindung und das Telefonsexgespräch als einheitliche Leistung unter einer bestimmten Rufnummer entgegennimmt, daß er einen einheitlichen Betrag zu entrichten hat, der, jedenfalls für ihn erkennbar, nicht differenziert zwischen der Herstellung der Verbindung und dem in Anspruch genommenen Dienst und daß der Dienstanbieter für ihn anonym bleibt. Aus dem Teledienstgesetz vom 22.07.1997 (BGBl. I 1997, 1870) läßt sich für die zivilrechtliche Beziehung zwischen dem Telefonkunden, dem Telekommunikationsunternehmen und dem Anbieter des Dienstes nichts herleiten. Nach § 3 Nr. 1 TDG kann nämlich ein "Diensteanbieter" eigene oder fremde Teledienste zur Nutzung bereit halten oder den Zugang zur Nutzung vermitteln. § 5 Abs. 3 TDG regelt die Verantwortlichkeit des Diensteanbieters für fremde Inhalte, besagt jedoch ebenfalls nichts über die Frage, wer Vertragspartner des "Nutzers", also des Telefonkunden, ist (vgl. zur zivilrechtlichen Zuordnung der sogennanten 0190-Dienste: Graf von Westphalen u.a., Der Telefondienstvertrag, S. 36 ff).

Die Frage, ob der Beklagte im Zusammenhang mit den von ihm geführten Telefonsexgesprächen einen Vertrag geschlossen hat, nämlich nur mit dem Telekommunikationsunternehmen, oder ob er bei jeder Anwahl dieser Nummer zwei Verträge geschlossen hat, mit dem Telekommunikationsunternehmen und mit dem Telefonsexanbieter, kann dahinstehen. Das Verdikt der Sittenwidrigkeit trifft auch die von der Klägerin im Zusammenhang mit der Anwahl der 0190-Nummer erbrachten Leistungen. Der Senat vermag dem Oberlandesgericht Celle (OLGR Celle 2001, 40) nicht zu folgen. Es stellt zu Unrecht darauf ab, bei dem reinen Telefonvertrag, gerichtet auf die Herstellung der Verbindung, handle es sich um ein wertneutrales Hilfsgeschäft, das objektiv nicht darauf gerichtet sei, Telefonsex zu fördern. Es ist nicht darauf abzustellen, ob das Hilfsgeschäft wertneutral und vom Hauptgeschäft klar abtrennbar ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, ob es sich um ein

- untergeordnetes Hilfsgeschäft handelt, das nur einen entfernten Zusammenhang mit dem beanstandeten Tun aufweist oder

- ob die Klägerin unmittelbar von den durch die sittenwidrige Betätigung zu erzielenden Einnahmen profitieren sollte bzw. ob die Leistungen der Klägerin unmittelbar auch dazu dienten, sittenwidrige Leistungen des Anbieters zu erbringen.

So hat der Bundesgerichtshof die Getränkelieferung für ein Bordell nicht als sittenwidrig angesehen, weil dies nicht der unmittelbaren Anbahnung des Geschlechtsverkehrs diene, wohl aber den Ausschank dieser Getränke. (BGH WM 1987, 1106 = MDR 1987, 1005). Beim Mietvertrag mit einer Prostituierten hat es der Bundesgerichtshof für maßgeblich angesehen, ob bei einer Rechtswirksamkeit des Vertrags "die Unzucht gefördert" oder "eher Mißstände vermieden werden" (BGH NJW 1970, 1179 = MDR 1970, 742). Ebenso hat er bei einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts über den Betrieb eines Bordells darauf abgestellt, ob dadurch die Ausübung der Prostitution durch Maßnahmen gefördert wird, die über das bloße Gewähren von Wohnung, Unterkunft oder Aufenthalt und damit verbundene Nebenleistungen hinausgehen (BGH NJW-RR 1988, 1379; vgl. auch BGH WM 1990, 799 "Schwimmendes Bordell"). Insgesamt kommt es sonach darauf an, ob durch das Hilfsgeschäft ein wesentlicher, fördernder Beitrag für das sittenwidrige Hauptgeschäft geleistet wird. Das ist bereits für das Herstellen der Telefonverbindung zu bejahen, weil Telefonsex ohne die Telefonverbindung nicht denkbar ist. Die Klägerin profitiert unmittelbar und wie der Anbieter der Telefonsexgespräche zeitabhängig von der Dauer dieser Telefongespräche. Darüberhinaus hat die Klägerin für den Anbieter das Inkasso für dessen Vergütung übernommen, sei es unmittelbar diesem gegenüber, sei es über die deutsche Telekom AG.

Nach alldem ist der Gedanke, das Telekommunikationsunternehmen biete nur ein wertneutrales Hilfsgeschäft an, fernliegend.

Da - wie ausgeführt - der dem Telefonsexgespräch zugrundeliegende Vertrag sittenwidrig ist, kann die Klage auch nicht damit gerechtfertigt werden, daß die Klägerin mit dem Einzug des Entgelts lediglich ein wertneutrales Geschäft ausübe. Der Übergang der Forderung auf die Klägerin beseitigt insoweit die Sittenwidrigkeit des Geschäftes nicht (§§ 398 Satz 2, 404 BGB).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO. Die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Ende der Entscheidung

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