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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 28.10.1999
Aktenzeichen: 1 Ss 248/99
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 40 Abs. 2
Zur Berechnung des Nettotagessatzes bei deutlich höherem Einkommen der Ehefrau.

Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken - 1. Strafsenat Beschluss vom 28. Oktober 1999 - 1 Ss 248/99


1 Ss 248/99 5365 Js 24 922/98 - 4 Ns - Landgericht Frankenthal (Pfalz)

PFÄLZISCHES OBERLANDESGERICHT ZWEIBRÜCKEN

Beschluss

In dem Strafverfahren gegen

H K U geboren am, wohnhaft in

wegen Trunkenheim im Verkehr

hier: Revision

hat der l. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Ohler sowie die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Friemel am 28. Oktober 1999 beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 10. August 1999 mit den dazugehörenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen.

Gründe

Der Angeklagte ist durch Strafbefehl des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 20. November 1998 wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe verurteilt worden; ferner wurde ihm die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist von 7 Monaten festgesetzt. Auf den Einspruch des Angeklagten, den dieser auf die Höhe des Tagessatzes beschränkt hatte, hat der Strafrichter bei dem Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein die Höhe des einzelnen Tagessatzes auf 55,-- DM festgesetzt. Die dagegen gerichtete Berufung des Angeklagten, die ebenfalls auf die Höhe des Tagessatzes beschränkt gewesen ist, hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil verworfen. Dagegen hat der Angeklagte in zulässiger Weise Revision eingelegt; er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Das Rechtmittel führt bereits mit der Sachrüge zu einem vorläufigen Erfolg.

Die Beschränkung des Einspruchs gegen den Strafbefehl war zulässig. Die Bemessung der Höhe eines Tagessatzes ist ein bestimmter Beschwerdepunkt, der regelmäßig losgelöst vom übrigen Entscheidungsinhalt überprüft werden kann. Der Ausspruch über die Zahl und über die Höhe der Tagessätze sind zwei verschiedene Vorgänge, die unterschiedliche Zielrichtungen haben (BGHR StGB § 40 Abs. 2 Satz 1 Einkommen 1 m. w. N.). Einer der Fälle, in denen eine Wechselwirkung zwischen der Anzahl der Tagessätze und der Höhe eines Tagessatzes vorkommen kann, liegt nach dem Inhalt der Urteilsgründe ersichtlich nicht vor.

Die Strafkammer hat zur Berechnung der Tagessatzhöhe folgendes ausgeführt:

"Zur Frage des einzelnen Tagessatzes hat der nunmehr 35-jährige Angeklagte in der Berufungshauptverhandlung angegeben:

Er sei als Gas- und Wasserinstallateur in dem Betrieb seiner Schwiegermutter angestellt. Sein monatlicher Bruttolohn betrage 1.000,-- DM. Nach Einbehalt der üblichen Abzüge erhalte er 550,-- DM ausbezahlt. Er sei mit diesem geringen Lohn für seine Arbeit einverstanden, da der Betrieb nur auf diese Weise erhalten werden könne. Der Betrieb habe nicht unerhebliche Außenstände, die jedoch nicht hereinkämen. Er - der Angeklagte - sei verheiratet. Seine Ehefrau habe als Bankkauffrau einen monatlichen Nettoverdienst von 3.300,-- DM. Kinder seien aus der Ehe nicht hervorgegangen. Von den Einkommen müssten monatliche Belastungen in Höhe von 1.840,-- DM bezahlt werden. Hierbei handele es sich um eine Rate für das von den Eheleuten bewohnte Haus, eine Rate für einen Pkw sowie 290,-- DM, die der Angeklagte für Schulden seiner Eltern aufbringen müsse. Unter Berücksichtigung dieser Umstände sei allenfalls ein Tagessatz von 30,-- DM angemessen. ... Die Kammer hat ihrer Berechnung die Angaben des Angeklagten zugrunde gelegt.

Danach hat der Angeklagte im Betrieb seiner Schwiegermutter eine Netto-Entlohnung von monatlich 550,-- DM. Seine Ehefrau verdient als Bankkauffrau monatlich netto 3.300,-- DM. Unter dem Gesichtspunkt der im Strafrecht angebrachten wirtschaftlichen Betrachtungsweise (Tröndle/Fischer, StPO, 49. Aufl. 1999; § 40 RdNr. 7) steht dem kinderlosen Ehepaar ein monatliches Gesamteinkommen von 3.850,-- DM zur Verfügung. Die von dem Angeklagten angegebenen monatlichen Raten in Höhe von 1.840,-- DM für Kredite können nur in Höhe von 290,-- DM in Abzug gebracht werden. Den übrigen Beträgen liegen Kredite zugrunde, denen mit Haus und Pkw Gegenwerte gegenüberstehen, die dem Vermögen der Eheleute zugehören. Lediglich die 290,-- DM sind dazu bestimmt, Fremdschulden zu tilgen. Das verbleibende Gesamteinkommen von 3.560,-- DM ist wirtschaftlich gesehen jedem der Ehegatten hälftig zuzurechnen. Die dem Angeklagten zustehende Hälfte von 1.780,-- DM ergibt einen Tagessatz von 59,-- DM. Dieser liegt über dem von dem Erstgericht bestimmten Betrag von 55,-- DM.

Nicht anders ist das Ergebnis, wenn die Kammer die Angaben des Angeklagten zum Grund seines niedrigen Einkommens in die Berechnung einbezieht. Er hat insoweit angegeben: Er sei als Gas- und Wasserinstallateur im Betrieb seiner Schwiegermutter tätig. Er erhalte nur deshalb einen so geringen Lohn von monatlich brutto 1.000,-- DM = netto 550,-- DM, weil der Betrieb im Hinblick auf erhebliche Außenstände keine höhere Zahlung verkraften könne. Er - der Angeklagte - trage praktisch durch seine gering bezahlte Arbeit zum Erhalt des Betriebes bei. Für die strafrechtliche Betrachtung hat dieser Gesichtspunkt zurückzustehen. Insoweit kommt es auf den tatsächlichen wirtschaftlichen Wert der Arbeit an (Tröndle/Fischer a.a.O.). Bei Annahme eines durchschnittlichen monatlichen Netto-Verdienstes eines Installateurs von 2.400,-- DM ergibt sich allein aus dem Einkommen des Angeklagten ein Tagessatz von 80,-- DM. Auch dieser liegt über dem erstgerichtlichen Satz."

Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

Bei der Berechnung der Höhe des Tagessatzes ist in der Regel von dem Nettoeinkommen auszugehen, das der Täter durchschnittlich an einem Tag hat oder haben könnte. Dabei hat der Tatrichter allerdings einen weiten Beurteilungsspielraum, weshalb das Revisionsgericht dessen Wertung "bis zur Grenze des Vertretbaren" hinnehmen muss (BGHSt 27, 215; R StGB § 40 Abs. 2 Satz 1, Einkommen 4; Senat, Beschluss vom 24. Juni 1994 - 1 Ss 92/94 - m. w. N.). Nach umfassender Berücksichtigung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters darf der rechnerische Tagessatz sowohl unterschritten, als auch überschritten werden (BGHR aaO, Einkommen 1, 4). Zur Berechnung dürfen insbesondere auch Einkommen Dritter - hier der Ehefrau - berücksichtigt werden, vorausgesetzt diese Einkünfte fließen dem Täter unmittelbar oder mittelbar zu oder kommen ihm sonst zugute (BGHR aaO, Einkommen 4; DAR 1983, 246; Kleinknecht/MeyerGoßner, StGB, 49, Aufl., § 40 Rdnr. 9). All das bedarf aber näherer Darlegung, insbesondere welche Umstände für die Abweichung vom rechnerisch festzustellenden Nettotagessatz maßgebend waren (BGHR aaO, Einkommen 1).

Die Berechnung des Landgerichts kann schon deshalb keinen Bestand haben, weil sie (nach Abzug eines Teils der geltend gemachten Schulden) das Nettoeinkommen beider Ehegatten addiert und den rechnerischen Hälftebetrag als Beurteilungsgrundlage für die Höhe des Tagessatzes annimmt. Zwar ist auch eine solche Berechnungsweise angenommen worden (vgl. OLG Hamm NJW 1976, 722). Diese Auffassung ist jedoch zu Recht wegen der ihr innewohnenden möglichen Unstimmigkeiten auf Ablehnung gestoßen (vgl. OLG Düsseldorf NJW 1977, 260; MDR 1984, 959 m. w. N.; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 40 Rdnr. 9 m. w. N.). Auch der Senat vertritt insoweit die herrschende Auffassung, dass sich für die Berechnung der Tagessatzhöhe keine starren Regeln und bindende Grundsätze aufstellen lassen (BGHSt 27 212, 228; OLG Düsseldorf MDR aaO; LK-Tröndle, StGB, 10. Aufl., § 40 Rdnr. 43). Deshalb wäre es auch nicht sachgemäß - wie offenbar die Revision meint -, das Nettoeinkommen danach zu bestimmen, was dem Angeklagten im Falle einer Scheidung oder des Getrenntlebens zustünde (vgl. auch Dreher/Tröndle, aaO, § 40 Rdnr., 9).

Das Tatgericht muss vielmehr der Frage nachgehen, ob und wie sich das höhere Nettoeinkommen seiner Ehefrau auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Angeklagten konkret auswirkt. Hierzu gehört insbesondere die Frage, zu welchen Teilen die Ehegatten für die gemeinsamen Lasten aufkommen, ob der Angeklagte über das Einkommen seiner Ehefrau ganz oder teilweise (mit-)verfügen kann u. ä.. Auf Letzteres deutet zwar die Einlassung des Angeklagten, der selbst eine Tagessatzhöhe von 30,-- DM (entsprechend einem Nettoeinkommen von etwa 900,-- DM) für angemessen hält. Die nähere Bestimmung dieser Teilhabe bedarf jedoch weiterer Aufklärung, da erst dann seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse so ausreichend festgestellt sind, dass sie in rechtsfehlerfreier Weise berücksichtigt werden können.

Auch die Hilfserwägung des Landgerichts kann keinen Bestand haben. Zwar kann auch auf das potentielle Einkommen eines Angeklagten abgestellt werden (§ 40 Abs. 2 Satz 2 2. Alternative BGB). Das gilt aber nur dann, wenn ein höheres Einkommen zumutbar erzielt werden könnte. Potentielles Einkommen darf insbesondere dann nicht zugrunde gelegt werden, wenn der Täter die Einkommensminderung nicht bewußt herbeigeführt hat (Dreher/Tröndle, aaO, § 40 Rdnr. 14). Nach den Feststellungen des Landgerichts unterlässt der Angeklagte es nicht vorwerfbar, ein höheres Einkommen zu erzielen. Sein niedriger Verdienst beruht vielmehr darauf, dass sein Arbeitgeber wegen offener Außenstände ohne Gefährdung des Betriebs zu höheren Leistungen (angeblich) nicht in der Lage ist.

Da der Senat die fehlenden Feststellungen, in welchem Umfang der Angeklagte an dem (höheren) Einkommen seiner Ehefrau teil hat, nicht selbst treffen kann, ist die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

In der erneuten Hauptverhandlung wird auch zu prüfen sein, ob den Angaben des Angeklagten, dass er im Betrieb seiner Schwiegermutter wegen der beschriebenen Schwierigkeiten nur ein außergewöhnlich niedriges Einkommen erziele, gefolgt werden kann oder ob er das nur behauptet hat, um eine höhere Geldstrafe zu vermeiden. Sollten die Angaben des Angeklagten zutreffen, müsste geprüft werden, ob es sich nicht nur um einen vorübergehenden wirtschaftlichen Engpass handelt, der selbst wenn er mehrere Monate andauern würde, in der Regel außer Betracht bleiben kann.



Ende der Entscheidung

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