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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 01.12.1999
Aktenzeichen: 1 Ws 643/99
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 3
StPO § 44 Satz 1
Beruht die Versäumung der Berufungshauptverhandlung auf einer unzutreffenden Auskunft des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle über den Hauptverhandlungstermin, trifft den anwaltlich nicht (mehr) vertretenen Angeklagten regelmäßig kein Verschulden.
1 Ws 643/99 7011 Js 3206/98 StA Landau in der Pfalz

PFÄLZISCHES OBERLANDESGERICHT ZWEIBRÜCKEN

Beschluss

In dem Strafverfahren gegen

wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte u.a.,

hier: Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungshauptverhandlung

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer sowie den Richter am Landgericht Wolpert

am 1. Dezember 1999

beschlossen:

Tenor:

1. Auf die sofortige Beschwerde des Angeklagten wird der Beschluß der 3. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 4. November 1999 aufgehoben.

2. Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungshauptverhandlung gewährt.

3. Damit ist das Verwerfungsurteil der 3. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Landau in der Pfalz vom 15. Oktober 1999 gegenstandslos.

Gründe:

Die Ladung zur (zuvor bereits einmal verlegten) Berufungshauptverhandlung am 15. Oktober 1999 ist dem Angeklagten am 18. August 1999 durch Niederlegung wirksam zugestellt worden. Nachdem sein Verteidiger das Mandat niedergelegt hatte, rief der Angeklagte Ende September oder Anfang Oktober 1999 beim Landgericht an, weil - so sein Vorbringen im Wiedereinsetzungsgesuch - er durch den Ausfall seines Anwalts nicht genau gewußt habe, ob in diesem Monat eine Verhandlung sei. Als man ihm erklärt habe, der Termin sei vertagt und ein neuer Termin noch nicht anberaumt, habe er zugewartet. Bestätigt wird diese Anfrage durch einen Vermerk der zuständigen Geschäftsstellenbeamtin des Landgerichts vom 26. Oktober 1999, der Angeklagte habe wissen wollen, ob sein Berufungsverfahren bereits terminiert sei. Sie habe ihm mitgeteilt, dass dies ausweislich der Karteikarte bisher nicht geschehen sei und noch etwas dauern werde.

Die Berufung des zur Hauptverhandlung am 15. Oktober 1999 nicht erschienenen Angeklagten ist durch Urteil vom gleichen Tag gemäß § 329 Abs.1 S.1 StPO verworfen worden. Mit Beschluß vom 4. November 1999 hat das Landgericht sein Wiedereinsetzungsgesuch verworfen, weil der Angeklagte aufgrund der vorangegangenen Terminsverlegung gewusst habe, dass Terminsaufhebung oder -verlegung regelmäßig schriftlich erfolgten, ferner zwei im selben Anwesen wohnhafte Zeuginnen, die ebenfalls geladen gewesen seien, keine Ab- oder Umladung erhalten hätten und es sich ihm bei verbleibenden Unsicherheiten hätten aufdrängen müssen, bei seinem Verteidiger nachzufragen.

Die gegen diesen Beschluß gerichtete zulässige sofortige Beschwerde des Angeklagten ist begründet.

Die Frage des Verschuldens des Angeklagten an der Versäumung der Berufungshauptverhandlung beantwortet sich danach, ob ihm bei Abwägung aller Umstände des Einzelfalles billigerweise sein Ausbleiben vorgeworfen werden kann. Dabei ist auf seine persönlichen Verhältnissen, seinen Anspruch auf ein faires Verfahren und den Verantwortungsbereich, in den die Fristversäumung ganz oder überwiegend fällt, abzustellen (Kleinknecht/MeyerGoßner, StPO 44. Aufl., Rn.23 zu § 329 StPO; Heidelberger Kommentar zur StPO, Rn.14 f zu § 44 StPO). Bei der danach vorzunehmenden Abwägung ist für die Verschuldensfrage zugunsten des Angeklagten eine weite Auslegung geboten (Kleinknecht/Meyer-Goßner, aaO; BGHSt 17, 188, 189 m.w.N.)

Nach diesen Grundsätzen hat das Landgericht seiner Entscheidung überhöhte Anforderungen an die Sorgfaltspflicht des Angeklagten zugrundegelegt. Bei der diesem auf seine Nachfrage erteilten unzutreffenden Auskunft, die für sein Fernbleiben ursächlich gewesen ist, handelt es sich um einen allein dem Bereich des Gerichts zuzuordnenden Fehler, der es grundsätzlich ausschließt, die Verantwortung für die Säumnis auf den Angeklagten abzuwälzen (BVerfG NJW 1996, S. 1811). In vergleichbaren Fällen unrichtiger, dem Justizbereich im weiteren Sinne zuzuordnender Auskünfte, die zu einer Säumnis führten, hat die Rechtsprechung ein Verschulden des Angeklagten regelmäßig verneint (vgl. BGHR StPO § 44 Satz 1 - Verhinderung 13: unrichtig mitgeteilte Rechtsmittelfrist durch einen Vollzugsbediensteten trotz Rechtsmittelbelehrung nach Schluß der Hauptverhandlung; OLG Karlsruhe AnwBl. 1977, 224 und OLG Hamm VRS 93, 72: zur unrichtigen Terminsmitteilung durch den Verteidiger).

Den Angeklagten trifft an der Säumnis auch kein (Mit-) Verschulden, das die Wiedereinsetzung verbieten könnte. Dies widerlegen die in dem angefochtenen Beschluß dargelegten Erwägungen nicht. Zum einen bestehen schon erhebliche Zweifel daran, ob die Schlussfolgerung des Landgerichts gerechtfertigt ist, der Angeklagte habe aus der vorausgegangenen Terminsverlegung gewusst, dass solche Anordnungen regelmäßig schriftlich erfolgen. Zwar haben nach § 216 StPO Ladungen - und damit auch Umladungen schriftlich zu erfolgen, nicht aber bloße Abladungen; bei der Mitteilung, es sei bisher kein Termin bestimmt, handelte es sich jedoch (zumindest aus der Sicht des Angeklagten) um eine solche. Zu dem durfte der Angeklagte als juristischer Laie auf die Richtigkeit der unbedingten und uneingeschränkten Auskunft der Urkundsbeamtin vertrauen, bei der es sich um die für ihn maßgebliche gerichtliche Ansprechpartnerin handelte, zumal die Auskunft seine Auffassung bestätigte, dass die Mandatsniederlegung seines Verteidigers Grund für ein Nichtstattfinden der Berufungshauptverhandlung sein könnte.

Auch das Ausbleiben einer schriftlichen Abladung trotz der bis zum anberaumten Termin noch verbleibenden Zeit führt zu keiner anderen Beurteilung. Dies mag zwar bei einer mit gerichtlichen Abläufen vertrauten Person Zweifel erzeugen, nicht aber im vorliegenden Fall angesichts der zugunsten des Angeklagten gebotenen restriktiven Auslegung des Verschuldens im Sinne des § 329 StPO (S.O.).

Die Auffassung des Landgerichts, der Angeklagte habe gewusst, dass zwei Zeuginnen keine Terminsabladung erhalten hätten (und habe deshalb Zweifel haben müssen), läßt sich dem Akteninhalt nicht entnehmen.

Des Weiteren gereicht es dem Angeklagten nicht zum Vorwurf, dass er es unterließ, bei seinem früheren Verteidiger Rückfrage zu halten. Abgesehen davon, dass der Angeklagte vorgetragen hat, er habe seinen Anwalt schon deshalb nicht anrufen können, weil "die Streitigkeiten (mit diesem) zu schlimm" gewesen seien, mussten sich ihm nach Sachlage gerade keine Zweifel an der Richtigkeit der ihm erteilten Auskunft aufdrängen, wenn er der vom Gericht als der sachnäheren Instanz erteilten Auskunft vertraute.

Schließlich deutet auch nichts auf ein dem Zweck des 329 StPO zuwiderlaufendes Verhalten des Angeklagten hin. Die Vorschrift soll im Interesse einer zügigen Verfahrensabwicklung dazu dienen, eine Verzögerung der Entscheidung durch den sich der Verhandlung entziehenden Angeklagten zu vermeiden (BGHSt 17, 188, 189). Eine derartige Absicht des Angeklagten ist nicht ersichtlich.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 473 Abs.7 StPO.

Ende der Entscheidung

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