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Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 12.01.2006
Aktenzeichen: 1 Ss 159/05
Rechtsgebiete: OWiG, StVG
Vorschriften:
OWiG § 67 Abs. 1 Nr. 1 | |
StVG § 25 Abs. 1 |
Entscheidung wurde am 06.03.2006 korrigiert: die Rechtsgebiete und Vorschriften wurden geändert und ein amtlicher Leitsatz wurde hinzugefügt
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss
Aktenzeichen 1 Ss 159/05 In dem Bußgeldverfahren gegen
wegen Verkehrsordnungswidrigkeit
hier: Rechtsbeschwerde
hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Jung
am 12. Januar 2006
beschlossen:
Tenor: Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 9. August 2005 wird auf Kosten der Beschwerdeführerin als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Amtsgericht hat gegen die Betroffene, die ihren Einspruch gegen den Bußgeldbescheid der Kreisverwaltung Rhein-Pfalz-Kreis vom 27. Mai 2005 in der Hauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt hat, wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerorts (Bundesautobahn A 65) um 62 km/h (§§ 41 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, § 24 StVG) eine Geldbuße von 275 € und ein Fahrverbot von zwei Monaten Dauer verhängt. Mit ihrer Rechtsbeschwerde rügt die Betroffene die Verletzung sachlichen Rechts; sie wendet sich insbesondere gegen das Fahrverbot.
Das zulässige Rechtsmittel, bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Amtsgericht ist zutreffend von der Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs ausgegangen, so dass auch die Rechtsbeschwerde lediglich zur rechtlichen Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs führt. Dem steht nicht entgegen, dass der Bußgeldbescheid keine Angaben zur Schuldform enthält. Da die Verwaltungsbehörde die Regelsätze der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) angewendet hat, die für fahrlässige Begehungsweise gelten, konnte das Amtsgericht ohne weiteres von einer Fahrlässigkeitstat ausgehen (vgl. OLG Celle VRS 97, 258; OLG Rostock NZV 2002, 137; KG NZV 2002, 466; Lemke OWiG § 67 Rn 31; differenzierend OLG Jena DAR 2001, 7). Die im (eingeschränkt) angefochtenen Bußgeldbescheid festgestellte fahrlässige Überschreitung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Bundesautobahn A 65 auf 100 km/h um 62 km/h mit einem PKW war somit der Sanktionsentscheidung des Bußgeldrichters zu Grunde zu legen.
Ebenfalls in zulässiger Weise hat der Bußgeldrichter ergänzende Feststellungen zur äußeren und inneren Tatseite des Verkehrsverstoßes getroffen, um die Voraussetzungen des Regelfalles des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV zu überprüfen und dabei etwaige Einschränkungen des Regelfahrverbots berücksichtigen zu können. Auch dem steht die Beschränkung des Einspruchs, die die Rechtskraft des von ihm nicht erfassten Teils des Bußgeldbescheids zur Folge hat, nicht entgegen. Zwar ergänzen und konkretisieren diese Feststellungen zu den Einzelheiten der Geschwindigkeitsbeschränkung vor und an der Kontrollstelle sowohl die objektive wie auch subjektive Begehungsweise des Verkehrsverstoßes und haben damit tatbestandliche Auswirkungen, die über die Ermittlung der Sanktionsbedingungen hinausreichen. Insbesondere werden dadurch Handlungsunwert und Schwere des Fahrlässigkeitsvorwurfs über die Beschreibung der Ordnungswidrigkeit im Bescheid hinaus konkretisiert, indem Umstände festgestellt werden, welche - entgegen der Verteidigung der Betroffenen - die durch das Regelbeispiel des § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV indizierte grobe Pflichtverletzung bestätigen.
Gegen den Grundsatz der Bestandskraft des nicht angefochtenen Teils des Bußgeldbescheids hat der Bußgeldrichter durch die in der Hauptverhandlung getroffenen ergänzenden Feststellungen nicht verstoßen. Im Unterschied zu den strafrechtlichen Erkenntnissen kann der Bußgeldbescheid eine solche strikte Sperrwirkung für den Bußgeldrichter nicht entfalten. Ansonsten würde die vom Gesetz aus Gründen der Verfahrensökonomie dem Betroffenen eingeräumte Dispositionsbefugnis weitgehend ins Leere laufen. Während im Urteilsverfahren für den Bußgeldrichter im gleichen Maß wie für den Strafrichter als inhaltliche Mindestanforderung gilt, dass das objektive und subjektive Tatgeschehen so konkret und exakt wiedergegeben wird, dass dem Rechtsmittelgericht die Überprüfung der Rechtsanwendung hinsichtlich der inneren und äußeren Tatseite möglich ist (vgl. OLG Jena aaO, 324), ist dies vom Bußgeldbescheid nicht zu fordern. Dessen Inhalt beschränkt sich in der Regel auf die standardisierte Erfassung des äußeren Sachverhalts, so dass die Ordnungswidrigkeit nach Person, Tatzeit und Tatort daten- und rastermäßig individualisiert wird. Feststellungen zur inneren Tatseite fehlen im Allgemeinen völlig. Dem wird die neuere Rechtssprechung zur Wirksamkeit der Beschränkung des Einspruchs auch bei Minimalangaben im Bescheid gerecht (vgl. Nachweise oben). Wenn der Bußgeldrichter in solchen Fällen bei Anwendung der Regelsätze von fahrlässigem Verhalten ausgehen darf, so kann es ihm andererseits bei wirksamer Beschränkung seiner Erkenntnis auf die Rechtsfolgen nicht verwehrt sein, ergänzende Feststellungen zum Maß des schuldhaften Verhaltens zu treffen. Andernfalls würde man der Beschränkung des Einspruchs auf den Sanktionsteil des Bescheids, dem durch Art. 1 Nr. 10 OWiGÄndG vom 26. Januar 1998 gerade besondere praktische Bedeutung zukommen soll (vgl. BayObLG OLGSt 1; Katholnigg NStZ 1998, 570 f), äußerst enge Grenzen setzen. Diese Befugnis des Bußgeldrichters findet somit ihre Grenze erst im Postulat der inneren Einheit (Widerspruchfreiheit) der Sachentscheidung im gesamten Verfahren: Er darf sich mit seinen ergänzenden Feststellung nicht in Widerspruch zum angefochtenen Bescheid setzen. Gegen diesen Grundsatz ist mit dem angefochtenen Urteil nicht verstoßen worden.
Der Senat war somit gehalten, die in zulässiger Weise getroffenen ergänzenden Feststellungen des Bußgeldrichters zur äußeren und inneren Tatseite der Geschwindigkeitsüberschreitung in die rechtliche Überprüfung einzubeziehen. Das angefochtene Urteil hält dieser Kontrolle stand. Das Fahrverbot ist eingehend und im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes begründet (vgl. BGHSt 38, 125 und 231). Danach kann das Fahrverbot unter Geltung der Bußgeldkatalog-Verordnung (BKatV) und angesichts erheblich angewachsener Verkehrsdichte nicht mehr lediglich als "ultima ratio" angesehen werden, die in aller Regel erst dann angewendet werden dürfte, wenn auch durch verschärfte Geldbußen nicht auf den Betroffenen eingewirkt werden konnte (vgl. BVerfG DAR 1996, 196).
Bereits nach dem rechtskräftig festgestellten Sachverhalt im Bußgeldbescheid sind die Voraussetzungen eines Regelfalles gemäß § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV erfüllt, so dass die Anordnung eines Fahrverbotes wegen grober Verletzung der Pflichten eines Kraftfahrzeugführers grundsätzlich angezeigt war. Darüber hinaus ist die neuere Rechtsprechung für die Fälle sogenannter einfacher Fahrlässigkeit im angefochtenen Urteil bedacht (vgl. BGH NJW 1997, 3252). Die Feststellung, dass der Messstelle ein so genannter Geschwindigkeitstrichter mit stufenweiser Herabsetzung der zulässigen Geschwindigkeit vorausgegangen und deutlich durch Verkehrszeichen ausgeschildert war, bestätigt die Indizwirkung des Regeltatbestandes. Auch die durch Mitinsassen des Fahrzeuges angeblich verursachte Ablenkung der Betroffenen ist nicht geeignet, ihre grob pflichtwidrige Fahrweise im Bereich einer unfallträchtigen Auffahrt zu entschuldigen. Bei der Mitnahme von Kindern sieht sich ein Fahrzeugführer derartigen Unannehmlichkeiten häufig ausgesetzt und darf sich dadurch in seiner Aufmerksamkeit nicht beeinträchtigen lassen.
Hinreichenden Anlass dafür, ausnahmsweise von der Maßnahme der Verhängung des Regelfahrverbots von zwei Monaten abzusehen, hat das Amtsgericht trotz sorgfältiger Prüfung nicht gesehen. Diese tatrichterliche Würdigung (vgl. BGH a.a.O., 237) lässt Rechtsfehler nicht erkennen und ist deshalb vom Beschwerdegericht hinzunehmen. Zutreffend ist insbesondere der Standpunkt des Amtsrichters, wonach eine Ausnahme vom Fahrverbot nicht allein deshalb gewährt werden muss, weil die Betroffene als Polizeibeamtin beruflich auf die Fahrerlaubnis angewiesen ist, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen (vgl. BayObLG DAR 1994, 368; OLG Frankfurt NZV 1994, 77; OLG Oldenburg NZV 1993, 198; OLG Düsseldorf NZV 1993, 37). Ihre Behörde wird in der Lage sein, auch bei der Einteilung des Schichtdienstes ihren Belangen entgegen zu kommen.
Ende der Entscheidung
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