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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 09.09.2005
Aktenzeichen: 3 W 121/05
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1741
BGB § 1767 Abs. 1
BGB § 1767 Abs. 2
1. Eine sittliche Rechtfertigung der Erwachsenenadoption kommt nicht nur dann in Betracht, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist, sondern auch dann, wenn bei objektiver Betrachtung bestehender Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten zu erwarten ist, dass sich eine dem Alter der Beteiligten entsprechende Eltern-Kind-Beziehung noch ausbilden wird.

2. Die Adoption ist jedoch dann sittlich nicht gerechtfertigt, wenn die Absicht der Beteiligten ausschließlich oder in Wahrheit von nicht familienbezogenen Motiven, wie etwa von wirtschaftlichen Interessen getragen ist.


Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

Aktenzeichen: 3 W 121/05

In dem Verfahren

betreffend die Adoption einer Erwachsenen,

hat der 3. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Richter am Oberlandesgericht Petry, die Richterin am Oberlandesgericht Simon-Bach und den Richter am Oberlandesgericht Jenet auf die weitere Beschwerde der Beteiligten zu 1) und 2) vom 23. Mai 2005 gegen den Beschluss des Einzelrichters der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bad Kreuznach vom 12. April 2005

ohne mündliche Verhandlung

am 9. September 2005

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Landgericht Bad Kreuznach zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 2) leidet an Multipler Sklerose und war zweimal kinderlos verheiratet. Nachdem sie im Jahre 2000 erfolglos versucht hatte, die Mutter der Beteiligten zu 1) zu adoptieren, hat sie nunmehr beantragt, die Annahme der im Jahre 1977 geborenen Beteiligten zu 1) als Kind auszusprechen. Die Beteiligte zu 1) ist rumänische Staatsangehörige und hat eine Tochter im Alter von drei Jahren. Sie lebt mit ihren Eltern und ihrem Bruder in Rumänien, wohin auch die Beteiligte zu 2) übersiedeln möchte. In - visumsbedingten - Abständen von drei Monaten besucht die Beteiligte zu 1) die Beteiligte zu 2) in Deutschland jeweils für drei Monate. Amts- und Landgericht haben den Antrag der jeweils nach Anhörung der Beteiligten abgelehnt. Das Landgericht hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, es bestünden Zweifel daran, dass zwischen den Beteiligten in Zukunft eine Eltern-Kind-Beziehung entstehen würde, da die Beteiligte zu 2) zunächst habe die Mutter der Beteiligten zu 1) adoptieren wollen und die Beteiligte zu 1) in Rumänien in einer intakten Familie lebe.

II.

Die weitere Beschwerde ist zulässig (§§ 27 Abs. 1, 29 Abs. 1 Sätze 1 und 2 FGG). In der Sache führt sie zu einem vorläufigen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Rechts (§ 27 Abs. 1 FGG, § 546 ZPO).

Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts ist nicht frei von Rechtsfehlern, da sie auf unzureichender Tatsachenermittlung beruht. Nach § 1767 Abs. 1 BGB kann ein Volljähriger als Kind angenommen werden, wenn die Annahme sittlich gerechtfertigt ist; davon ist insbesondere dann auszugehen, wenn zwischen dem Annehmenden und dem Anzunehmenden bereits ein Eltern-Kind-Verhältnis entstanden ist. Eine sittliche Rechtfertigung der Erwachsenenadoption kommt jedoch nach § 1767 Abs. 2 i.V.m. § 1741 Abs. 1 Satz 1 BGB auch dann in Betracht, wenn bei objektiver Betrachtung bestehender Bindungen und ihrer Entwicklungsmöglichkeiten zu erwarten ist, dass sich eine - dem Alter der Beteiligten entsprechende - Eltern-Kind-Beziehung noch ausbilden wird (Senat OLGR 2000, 122 ff; BayObLG FamRZ 2001, 118; KG FamRZ 1082, 641). Bei der Frage, ob die Annahme eines Volljährigen als Kind "sittlich gerechtfertigt" ist, handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff. Das bedeutet, dass die Feststellung der einzelnen Tatumstände dem Tatrichter vorbehalten ist. Die Frage aber, ob diese Umstände in ihrer Gesamtheit ausreichen, um die Merkmale des unbestimmten Rechtsbegriffs zu erfüllen, stellt eine Rechtsfrage dar, deren unrichtige Beantwortung eine Gesetzesverletzung ist. Die vom Tatrichter verfahrensfehlerfrei festgestellten einzelnen Umstände sind für das Gericht der weiteren Beschwerde zwar bindend; ihre Bewertung ihm Rahmen des unbestimmten Rechtsbegriff obliegt aber in vollem Umfang seiner Nachprüfung (BayObLG FG Prax 2002, 223 ff).

Das Vormundschaftsgericht hat demnach zu prüfen, aus welchen Gründen das Annahmeverhältnis zu einem Volljährigen zustande kommen soll. Die Adoption ist dann sittlich nicht gerechtfertigt, wenn die Absicht der Beteiligten allein, ausschließlich oder in Wahrheit von nicht familienbezogenen Motiven, wie z. B. von wirtschaftlichen Interessen getragen ist (Senat aaO sowie FamRZ 1983, 533 und 1989, 537; vgl. OLG Celle FamRZ 1995, 829).

Die sinngemäße Anwendung des vom Gesetz bei Minderjährigen verwendeten Begriffs des Kindeswohls (§ 1741 Abs. 1 BGB) auf die Adoption eines Volljährigen (§ 1767 Abs. 2 Satz 1 BGB) stößt an die Grenze, dass dieser Begriff von den Voraussetzungen der Pflege - und Erziehungsbedürftigkeit des Anzunehmenden nicht gelöst werden kann (BayObLG FG Prax 2002, aaO; Erman/Saar, BGB 10. Aufl. § 1767 Rdnr. 4), so dass dessen Beurteilung dem vollgeschäftsfähigen Anzunehmenden überlassen werden muss, der hierüber, indem er den Antrag nach § 1768 Abs. 1 Satz 1 BGB stellt, selbst entscheidet. Auch die Anforderungen, die an die Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses zu stellen sind, können naturgemäß im Rahmen der Erwachsenenadoption nicht dieselben sein wie bei der Minderjährigenadoption. Der Fall, dass ein Eltern-Kind-Verhältnis bereits entstanden ist, liegt zwar insbesondere vor, wenn der Anzunehmende schon als Pflegekind in der Familie des Annehmenden gelebt hat, die Eltern-Kind-Beziehung also schon zu einer Zeit entstanden war, als er noch nicht volljährig war, seine Adoption als Minderjähriger aber unterblieben ist.

Der Anwendungsbereich des § 1767 Abs. 1 Halbs. 2 BGB ist aber auf diese Fallkonstellation nicht zu beschränken. Ein Eltern-Kind-Verhältnis kann auch zu einem bereits Volljährigen entstehen (vgl. Senat und BayObLG, jeweils aaO). Im letzteren Fall kann ein tatsächliches Zusammenleben von Adoptiveltern und Adoptivkindern nicht Wesensmerkmal des Eltern-Kind-Verhältnisses sein. Denn bei Annahme von Personen vorgerückten Alters sind an die Unterhaltung dauernder Beziehungen weniger weitgehende Anforderungen zu stellen als bei der Adoption minderjähriger Kinder. Denn auch bei leiblichen Verwandten pflegen sich die Familienbeziehungen im Laufe der Jahre zu lockern oder andere Formen anzunehmen (vgl.; BGHZ 35, 75, 84; RGZ 147, 220, 224; BayObLG aaO). Das Eltern-Kind-Verhältnis unter Erwachsenen wird wesentlich durch eine auf Dauer angelegte Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand geprägt, wie ihn sich leibliche Eltern und Kinder typischerweise leisten (BayObLG aaO und FamRZ 1982, 644, 645, 1996, 183, 184; OLG Frankfurt OLGR 1999, 279; Erman/Saar aaO, § 1767 Rdnr. 7; MüKo/Maurer, BGB 4. Aufl. § 1767 Rdnr. 5). Im Rahmen der Bereitschaft zu gegenseitigem Beistand kommt dem objektiven Interesse des Anzunehmenden kein Vorrang zu, wie er das Recht der Minderjährigenadoption beherrscht. Auch im natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis verlagert sich die Pflege- und Unterstützungsbedürftigkeit mit fortschreitendem Alter vom Kind auf die Eltern. Das Bedürfnis nach Fürsorge des Annehmenden für den Angenommenen, das bei der Minderjährigenadoption im Vordergrund steht, tritt bei der Erwachsenenadoption deswegen oft zurück gegenüber dem Bedürfnis des Annehmenden, selbst die Fürsorge zu erfahren, die Kinder ihren Eltern im Alter zukommen lassen oder zukommen lassen sollten. Deswegen kann die Adoption, auch wenn sie im Hinblick auf die Pflegebedürftigkeit des Annehmenden erfolgt, sittlich gerechtfertigt sein (vgl. BayObLG FG Prax aaO und NJW 1985, 2094; KG aaO; OLG Köln FamRZ 1990, 800). Eine "Beistandsgemeinschaft" (vgl. MüKo/Maurer aaO) kann auch bei Pflegebedürftigkeit des Annehmenden und Übernahme der Pflege durch den Anzunehmenden entstehen (BayObLG FG Prax aaO).

Ausgehend hiervon lässt sich die Entscheidung des Landgerichts nicht aufrechterhalten. Die vom Landgericht angeführten Gründe allein rechtfertigen die Versagung der Adoption nicht. Der Senat teilt zwar die Auffassung des Einzelrichters, dass aufgrund der bisherigen Feststellungen Zweifel daran bestehen, dass bereits eine Eltem-Kind-Beziehung zwischen den Beteiligten entstanden ist. Die Frage jedoch, ob das Entstehen einer solchen Beziehung für die Zukunft zu erwarten ist, hat das Landgericht auf der Grundlage einer unzureichenden Tatsachenermittlung beantwortet. Allein der Umstand, dass die Beteiligte zu 2) im Jahre 2000 zunächst die Mutter der Beteiligten zu 1) adoptieren wollte, vermag durchgreifende Zweifel an der künftigen Entstehung einer Eltern-Kind-Beziehung zwischen den Beteiligten ebenso wenig zu begründen wie die Tatsache, dass die Beteiligte zu 1) in ihrer Heimat im Familienverbund lebt. Denn dies schließt nicht aus, dass sie auch gegenüber der alleinstehenden Beteiligten zu 2) die Pflichten übernommen hat bzw. übernehmen will, die im natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis einer Tochter zukommen. Denn auch im natürlichen Eltern-Kind-Verhältnis gründen Kinder ihre eigenen Familien, bekommen selbst Kinder und sind "voll in ihre Familie eingebunden" ohne dadurch außerstande zu sein, sich um ihre Eltern, soweit sie im Alter unterstützungs- und pflegebedürftig werden, zu kümmern (vgl. BayObLG FG Prax aaO).

Da die inneren Beziehungen zwischen Volljährigen rechtlich kaum fassbar sind, muss ein Eltern-Kind-Verhältnis sich in einer vom Gericht nachprüfbaren Weise im äußeren Verhalten bewiesen haben und die objektive Erwartung, ein solches Verhältnis werde sich weiter verfestigen, sich auf vergangene oder gegenwärtige Umstände stützen können (vgl. Senat OLGR 2000, aaO).

An hinreichenden Feststellungen fehlt es hier vor allem zu der Frage, ob und gegebenenfalls wie sich die Existenz einer "leiblichen" Familie der Beteiligten zu 1) auf das Entstehen eines Eltern-Kind-Verhältnisses auswirkt. Hierzu hätte die Kammer nicht nur die unmittelbar Beteiligten konkret befragen müssen, sondern auch versuchen müssen, eigene Erklärungen der leiblichen Eltern der Anzunehmenden in geeigneter Form zu erlangen. Des Weiteren hätte das Landgericht auch die Motive beider Beteiligten, die diese zur Adoption bewegen, hinterfragen müssen. Das Unterlassen dieser Ermittlungen stellt einen Verstoß gegen § 12 FGG dar. Diese Ermittlungsdefizite führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht. Eine eigene Sachentscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil es für die abschließende Beurteilung der sittlichen Rechtfertigung der von den Beteiligten angestrebten Adoption weiterer tatsächlicher Feststellungen, insbesondere einer ergänzenden Anhörung bedarf, in der der Beteiligten zu 1) auch die nach der Auffassung des Landgerichts bestehenden Diskrepanzen zwischen deren Angaben im Termin vor dem Amtsgerichts und im Rahmen der Anhörung im Beschwerdeverfahren vorgehalten werden sollten. Erst danach wird das Landgericht entscheiden können, ob das Bestehen der - jedenfalls nach den Angaben der Beteiligten zu 1) im Rahmen ihrer ersten Anhörung - intakten Familie gegen das Bestehen oder aber die zu erwartende Entstehung eines Eltern-Kind-Verhältnisses spricht.

Die in der Entscheidung des OLG Düsseldorf (FamRZ 1981, 94) dargelegten Erwägungen sind auf den hiesigen Fall nicht ohne weiteres übertragbar. Denn anders als hier lebten dort die Annehmenden in einer intakten Familie. Darüber hinaus haben die Feststellungen der Vorinstanzen dort ergeben, dass der Gedanke an eine Adoption letztlich darauf zurückzuführen war, dass dem anzunehmenden Koreaner die Ausweisung gedroht hat.

Sollte die Kammer aufgrund ergänzender Ermittlungen zu einem anderen Ergebnis gelangen, wird auch den Anforderungen des Heimatrechts der Beteiligten zu 1) Rechnung zu tragen sein.

Ende der Entscheidung

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