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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 18.03.2002
Aktenzeichen: 1 AR 16/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 251
StPO § 325
StPO § 244 Abs. 2
StPO § 344 Abs. 2 Satz 2

Entscheidung wurde am 09.04.2002 korrigiert: auf Seite 4 unten letzter Satz muß es heißen "Sie hat aufgrund der Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung einen spezifischen Kompetenzvorsprung, der sie in besonderer Weise ..."
Die einverständliche Verlesung einer Urkunde entbindet das Gericht nicht von der Verpflichtung, den der Urkunde zugrunde liegenden Sachverhalt weiter aufzuklären, falls die Verlesung allein zur Aufklärung nicht ausreicht.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 AR 16/02

In dem Strafverfahren gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung hier: Bestimmung des zuständigen Gerichts

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Ruppert

am 18. März 2002

beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss der 1. Großen Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Zweibrücken vom 28. Januar 2002 wird aufgehoben.

2. Die Jugendkammer des Landgerichts Zweibrücken ist für Entscheidungen, die infolge der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil der Kammer vom 8. November 2001 erforderlich werden, zuständig.

Gründe:

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Zweibrücken hat gegen den Verurteilten eine Jugendstrafe von zwei Jahren verhängt. Auf die Berufung des Angeklagten hat die Jugendkammer des Landgerichts die verhängte Jugendstrafe zur Bewährung ausgesetzt. Anschließend hat sie die Zuständigkeit für die Entscheidungen, die infolge der bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich werden, auf den Jugendrichter beim Amtsgericht Zweibrücken übertragen (§ 58 Abs. 3 S. 2 JGG). Sie hat dies im wesentlichen mit der Vorbefassung des Jugendrichters im Rahmen einer anderweitigen Bewährungsaufsicht über den Verurteilten begründet. Der Jugendrichter hat die Übernahme abgelehnt und das Verfahren an die Jugendkammer zurückgegeben, die es dem Oberlandesgericht zur Zuständigkeitsbestimmung vorgelegt hat.

Die Voraussetzungen einer Zuständigkeitsbestimmung durch den Senat liegen vor (§§ 58 Abs. 3 S. 3, 42 Abs. 3 S. 2 JGG, § 14 StPO).

Für die Führung der Bewährungsaufsicht zuständig ist die Jugendkammer des Landgerichts. Dies folgt aus § 58 Abs. 3 S. 1 JGG, wonach derjenige Richter für die infolge der Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich werdenden Entscheidungen zuständig ist, der die Aussetzung angeordnet hat. Das Gesetz kennt keine allgemeine Zuständigkeit des Jugendrichters für die infolge der Strafaussetzung erforderlich werdenden Entscheidungen. Für diese ist vielmehr das Berufungsgericht zuständig, wenn es die Strafaussetzung - wie hier - unter Abänderung des Urteils erster Instanz erstmals bewilligt hat (vgl. BGH St 19, 170). Der Beschluss mittels dessen die Jugendkammer die Zuständigkeit auf den Jugendrichter übertragen hat, vermag hieran nichts zu ändern.

Zwar kann die Jugendkammer die infolge der Strafaussetzung zur Bewährung erforderlich werdenden Entscheidungen nach § 58 Abs. 3 S. 2 JGG dem Jugendrichter übertragen, in dessen Bezirk sich der Jugendliche aufhält. Dies gilt auch dann, wenn der Jugendliche - wie hier - seinen Aufenthaltsort am Sitz der Jugendkammer und damit zugleich am Sitz des Jugendrichters hat (OLG Köln NJW 1955, 603; OLG Stuttgart NStZ 1990, 358; mit Einschränkungen auch OLG Frankfurt NStZ 1989, 199; a.A. Ostendorf, JGG, 4. Aufl., § 58 Rn. 5). Die Übertragung auf den Jugendrichter darf jedoch nicht willkürlich, sondern nur nach pflichtgemäßem Ermessen aus wichtigen Gründen erfolgen. Dies ergibt sich zwanglos bereits daraus, dass - anders als in Strafverfahren gegen Erwachsene, wo für vergleichbare Fälle die Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges vorgesehen ist (§§ 453 b Abs. 2, 453, 462 a Abs. 2 S. 1 StPO) - § 58 Abs. 3 S. 1 JGG die Zuständigkeit des Richters vorsieht, der die Aussetzung der Vollstreckung der Jugendstrafe angeordnet hat. Der Gesetzgeber hat hierdurch eine besondere Zuständigkeit geschaffen, von der nur ausnahmsweise, d. h. aus wichtigen Gründen, im Wege der Zuständigkeitsübertragung soll abgewichen werden können. Derartige Gründe sind hier nicht gegeben.

Es trifft nicht zu, dass der Jugendrichter im Gegensatz zur Jugendkammer die Lebensführung des verurteilten Jugendlichen oder Heranwachsenden in jedem Falle besser zu leiten und erforderlich werdende Erziehungsmaßnahmen den wechselnden Lebensverhältnissen schneller anzupassen vermag, so dass schon aus diesem Grunde die Übertragung der Zuständigkeit auf den Jugendrichter gerechtfertigt wäre. Die vielfach anzutreffende Behauptung, der Jugendrichter werde besser und routinierter als die Jugendkammer mit den Aufgaben der Bewährungsaufsicht umzugehen wissen (vgl. Brunner, NStZ, 1990, 358, 359), ist empirisch nicht belegt. Auch die Jugendkammer kann schnell mit dem Bewährungshelfer am Sitz des Gerichts Verbindung aufnehmen. Notwendige Auskünfte werden der Jugendkammer auf Anforderung ebenso zügig erteilt wie dem Jugendrichter. Außerdem kann die Jugendkammer den an ihrem Sitz wohnhaften Verurteilten mit dem gleichen zeitlichen Aufwand laden wie jeder andere Richter im selben Ortsbereich. Danach bleibt nur noch, dass die Entscheidungsfindung bei der Jugendkammer als Kollegialorgan wegen eines eventuell erforderlichen organisatorischen Mehraufwandes etwas mehr Zeit in Anspruch nehmen kann, als dies beim Jugendrichter der Fall sein wird. Allein dieser Gesichtspunkt aber ist kein wichtiger Grund im vorbeschriebenen Sinne. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass für die Wahrnehmung der Aufgaben während der Bewährungszeit (§ 58 Abs. 1 i. V. mit §§ 22, 23, 26, 26 a JGG) Jugendkammer und Jugendrichter in gleicher Weise geeignet sind. Die Entscheidung über die Zweckmäßigkeit einer Zuständigkeitsübertragung nach § 58 Abs. 3 S. 2 JGG kann deshalb nur anhand der jeweiligen Besonderheiten des Einzelfalles, vorrangig unter dem Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe und anhand von Erkenntnissen zur Persönlichkeit des Verurteilten vorgenommen werden.

Während das übertragende Gericht sich für den Fall, dass der Verurteilte sich außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs aufhält, sich deshalb regelmäßig mit dem Hinweis auf die Entscheidungsnähe des Jugendrichters am Aufenthaltsort des Jugendlichen / Heranwachsenden als wichtigem Grund wird begnügen können, ist dieser Gesichtspunkt hier, wo der Aufenthaltsort des Verurteilten, der Sitz der Jugendkammer und des Jugendrichters identisch sind, ohne Belang, da der Gesichtspunkt der Entscheidungsnähe für beide Gerichte gleichermaßen gilt. Bezüglich der Kenntnis der Persönlichkeit des Verurteilten hingegen hat die Jugendkammer gegenüber dem Jugendrichter einen nicht erheblichen Informationsvorsprung aus der Hauptverhandlung. Insbesondere weiß die Jugendkammer selbst am besten, warum sie auf Strafaussetzung zur Bewährung erkannt, im Bewährungsbeschluss bestimmte, auf die Lebensführung des Verurteilten gerichtete Anordnungen getroffen und diese zur Einwirkung auf ihn für ausreichend erachtet hat. Sie hat einen aktuellen und vertieften Kenntnisstand, den sich der Jugendrichter durch die Lektüre des Urteils vielfach nicht wird verschaffen können. Dies wird in besonderer Weise dann gelten müssen, wenn, wegen der Rechtskraft der landgerichtliche Entscheidung, lediglich ein abgekürztes und damit oft wenig aussagekräftiges Urteil (§ 267 Abs. 4 StPO) vorliegt. Sie hat aufgrund der Erkenntnisse aus der Hauptverhandlung einen spezifischen Kompetenzvorsprung, der sie in besonderer Weise zur Führung der Bewährungsaufsicht befähigt. Die Abgabe an den Jugendrichter ist deshalb nur dort möglich, wo dieser Kompetenzvorsprung aufgrund eines besonderen Umstandes aufgewogen wird. Dass der Jugendrichter beim Amtsgericht schon Bewährungsaufsicht über den Verurteilten geführt hat, reicht hierzu nicht in jedem Falle aus. Diesem Umstand kann entscheidendes Gewicht nur dann beigemessen werden, wenn sich in dem früheren Bewährungsverfahren ein über das übliche Maß hinausgehender, intensiver Kontakt zwischen dem Jugendrichter und dem Verurteilten im Sinne einer "qualifizierten Vorbefassung" ergeben hat, wie dies beispielsweise bei wiederholten Anhörungen und besonderer erzieherischer Einwirkung auf den Verurteilten durch Auflagen- und Weisungsänderungen der Fall sein kann. Derartiges oder Vergleichbares vermag der Senat aber weder den Darlegungen im Beschluss der Jugendkammer, mittels dessen die Zuständigkeit auf den Jugendrichter übertragen werden sollte, noch den vorgelegten Verfahrensakten im übrigen zu entnehmen. Letztmals war dem Verurteilten durch Urteil des Jugendschöffengerichts Zweibrücken vom 12. Dezember 2000 - Az.: 4098 Js 8066/00 - Strafaussetzung zur Bewährung bewilligt worden. Die sich hieran anschließende Bewährungsaufsicht erschöpfte sich in der Anlegung des Bewährungsheftes. Bei den sonstigen beim Amtsgericht geführten, schon länger zurückliegenden Bewährungsverfahren war die jugendrichterliche Tätigkeit auf die akten- und routinemäßige Überwachung der Bewährungsweisungen und Auflagen beschränkt, ohne dass es hierbei zu irgendwelchen Besonderheiten gekommen wäre. Auch die verschiedentliche Vorbefassung des Amtsgerichts durch die gegen den Verurteilten geführten Strafverfahren vermag den Kompetenzvorsprung der Jugendkammer aus jener Hauptverhandlung, die zur Strafaussetzung zur Bewährung geführt hat, nicht auszugleichen, zumal diese Verfahren teilweise vor unterschiedlichen Spruchkörpern geführt worden sind und das letzte, dem Verurteilten Strafaussetzung zur Bewährung bewilligende Erkenntnis bereits mehr als zwei Jahre zurückliegt. Mit den in der Vorinstanz gewonnenen Erkenntnissen des Jugendschöffengerichts, dessen Entscheidung die Jugendkammer mit der bewilligten Strafaussetzung zur Bewährung ja gerade korrigiert hat, kann der Ausgleich des bestehenden Kompetenzvorsprungs ohnehin nicht begründet werden.



Ende der Entscheidung

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