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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 29.04.2008
Aktenzeichen: 1 Ausl. 30/07
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 32
IRG § 42 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ausl. 30/07

In dem Auslieferungsverfahren

wegen gemeinschaftlichen versuchten Wohnungseinbruchsdiebstahls

hier: Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung des Verfolgten an die Republik B...

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Petry, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Christoffel

am 29. April 2008

beschlossen:

Tenor:

1. Die Auslieferung des Verfolgten an die Republik Weißrussland (B...) zum Zwecke der Strafverfolgung wegen der dem Auslieferungsersuchen der Generalstaatsanwaltschaft der Republik B... vom 18. Januar 2008 Nr. ... zugrunde liegenden Tat ist nicht zulässig.

2. Die Anordnung der Auslieferungshaft (Senatsbeschlüsse vom 5. März 2008 und vom 4. April 2008) wird aufgehoben; die sofortige Freilassung des Verfolgten in dieser Sache wird angeordnet.

3. Die Landeskasse trägt die Kosten des Auslieferungsverfahrens und die dem Verfolgten darin entstandenen notwendigen Auslagen.

4. Eine Entschädigung für die erlittene Auslieferungshaft wird nicht gewährt.

Gründe:

Der Senat hat am 5. März 2008 die vorläufige und am 4. April 2008 die endgültige Auslieferungshaft gegen den Verfolgten angeordnet; auf die beiden Beschlüsse wird Bezug genommen. Dabei ist er davon ausgegangen, dass die in beiden Entscheidungen bereits aufgezeigten Bedenken gegen die Zulässigkeit der Auslieferung nach kurzfristiger Klärung auszuräumen seien, weswegen im Beschluss vom 4. April 2008 die Entscheidung über den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung für zulässig zu erklären, zurückgestellt worden ist. Die Bedenken des Senats bestehen indes fort. Dem erneut gestellten Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Zulässigerklärung der Auslieferung kann nicht entsprochen werden. Ihr stehen wesentliche Grundsätze der deutschen Rechtsordnung entgegen (§ 73 IRG). Denn der Senat hat begründete Anhaltspunkte dafür anzunehmen, dass das Strafverfahren gegen den Verfolgten im Falle seiner Auslieferung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht den Anforderungen an ein faires Verfahren im Sinne der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 6 EMRK) und damit nicht den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland genügen würde. Außerdem besteht die Gefahr, dass der Verfolgte in Weißrussland wegen der dort bestehenden Bedingungen in der Untersuchungs- und Strafhaft, die in krassem Widerspruch zu den Europäischen Mindestgrundsätzen für die Behandlung von Gefangenen stehen, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung i..S.v. Art. 3 EMRK zu gewärtigen hätte.

Die Bedenken des Senats gegen die Zulässigkeit der Auslieferung gründen, wie bereits im Beschluss vom 4. April 2008 dargelegt, auf dem als zeitlich aktuell einzustufenden Bericht des Auswärtigen Amtes vom 27. Juni 2007 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Weißrussland, der auch den für Auslieferungssachen zuständigen Oberlandesgerichten zur Kenntnisnahme übermittelt worden ist. Die darin dargestellten Missstände im justiziellen Bereich (fehlende Unabhängigkeit der Justiz, fehlende Gewaltenteilung, diskriminierende und selektive Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis) sowie insbesondere die drastischen Schilderungen zu den desolaten Haftbedingungen in Weißrussland begründen durchgreifende Zweifel daran, dass die Durchführung des dem Auslieferungsersuchen zugrunde liegenden Strafverfahrens und eine sich etwa anschließende Vollstreckung einer Freiheitsstrafe mit den in der Bundesrepublik Deutschland nach Art. 25 GG verbindlichen völkerrechtlichen Mindeststandards vereinbar wären. Die auch in dieser Sache erteilte Zusicherung der weißrussischen Behörden, dass die Haftbedingungen für den Verfolgten den Grundsätzen der Europäischen Menschenrechtskonvention vom 04.11.1950 und den Empfehlungen und Mindeststandards des Europarates für die Vollziehung von Freiheitsstrafen vom 12.02.1987 entsprechen werden und Angehörige der deutschen Botschaft ihn in der Haft besuchen können, genügt für sich alleine nach Auffassung des Senats zur Ausräumung der Bedenken nicht. Deshalb hat der Senat durch Vermittlung der Generalstaatsanwaltschaft die Bundesregierung um Auskunft darüber ersucht, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang die Einhaltung der in vergleichbaren Auslieferungsfällen gemachten weißrussischen Zusagen zum Ablauf der Strafverfahren und zu den Haftbedingungen tatsächlich nach der Auslieferung durch deutsche Stellen vor Ort überprüft worden ist und welche Ergebnisse diese Überprüfungen konkret erbracht haben. Die daraufhin mit Schreiben des Auswärtigen Amtes vom 9. April 2008 erteilte Auskunft ist jedoch allgemein und pauschal gehalten und vermag die Bedenken nicht auszuräumen. Das gilt auch für die ergänzende Auskunft vom 23. April 2008. Es wird darin nicht zweifelsfrei bestätigt, dass in Fällen von nach B... ausgelieferten Personen die Einhaltung der Zusagen im nach Auffassung des Senats gebotenen Umfang, d. h. während des Erkenntnisverfahrens, eventueller Untersuchungshaft und Strafhaft auf ihre tatsächliche Belastbarkeit überprüft worden ist. Insbesondere wird aus für den Senat nicht nachvollziehbaren Erwägungen erkennbar vermieden, auf die in der Senatsentscheidung vom 4. April 2008 konkret genannten Auslieferungsfälle einzugehen. Da eine weitere Klärung nicht zu erwarten ist, bleiben letztlich Zweifel an der Zulässigkeit der Auslieferung. Diese wirken sich zugunsten des Verfolgten aus (BVerfG NJW 1990, 2193; Vogel in Grützner/Plötz/Kreß Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen § 73 IRG Rn. 124 m.w.N.; Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner IRG 4. Aufl. § 30 Rn. 11), weswegen die Auslieferung im Rahmen der gem. § 32 IRG zu treffenden Entscheidung für nicht zulässig zu erklären ist.

Eine Anrufung des Bundesgerichtshofs nach § 42 Abs. 1 IRG im Hinblick darauf, dass andere Oberlandesgerichte (vgl. etwa OLG Köln OLGSt IRG § 29 Nr. 1) die Auslieferung nach Weißrussland für zulässig erachtet haben, wenn eine Zusicherung der menschenrechtskonformen Behandlung des Verfolgten durch die dortigen Behörden vorlag, ist nicht veranlasst. Denn von diesen obergerichtlichen Entscheidungen weicht der Senat nicht bei der Beantwortung einer Rechtsfrage ab, sondern allein in der tatsächlichen Bewertung, ob derartige Zusagen, wenn ihre Einhaltung nicht zweifelsfrei überprüft ist, genügen, um Bedenken gegen die Zulässigkeit der Auslieferung auszuräumen.

Infolge nunmehr feststehender Unzulässigkeit der Auslieferung ist auch die weitere Auslieferungshaft nicht mehr gerechtfertigt, die Auslieferungshaftbefehle sind aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 IRG i.V.m. § 467 Abs. 1 StPO.

Eine Entschädigung aus der Staatskasse für die vollzogene Auslieferungshaft nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen scheidet aus, weil eine entsprechende Anwendung dieses Gesetzes auf die Auslieferungshaft grundsätzlich ausgeschlossen ist und ein Fall, in dem Behörden der Bundesrepublik Deutschland die nach deutschem Recht unberechtigte Verfolgung zu vertreten hätten, nicht gegeben ist (BGHSt 32, 221; OLG Karlsruhe wistra 2004, 199, 200).

Ende der Entscheidung

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