Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 09.04.2002
Aktenzeichen: 1 HPL 12/02
Rechtsgebiete: JGG, StPO


Vorschriften:

JGG § 71
JGG § 72
StPO § 121
StPO § 122
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 HPL 12/02

In dem Strafverfahren gegen

wegen Raubes hier: besondere Haftprüfung nach §§ 121, 122 StPO

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Amtsgericht Martin

am 9. April 2002

beschlossen:

Tenor:

Der Haftbefehl des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 4. April 2001( 4 a Gs 183/2001 ) wird aufgehoben.

Gründe:

Der Angeklagte ist in dieser Sache am 5. Oktober 2001 vorläufig festgenommen worden. Er befindet sich seit diesem Tage aufgrund des im Beschlusstenor bezeichneten Haftbefehls in Untersuchungshaft. Haftbefehl und die mit Eröffnungsbeschluss des Amtsgerichts -Jugendschöffengericht - Ludwigshafen am Rhein vom 22. März 2002 zugelassene Anklage vom 14. Februar 2002 legen ihm zur Last, am 13. August 2000 in Ludwigshafen am Rhein als Jugendlicher mit der erforderlichen Verstandes- und Willensreife gemeinschaftlich mit anderweitig Verfolgten den Studenten J. S. in einem Park beraubt zu haben.

Das Jugendschöffengericht hält die Fortdauer der Untersuchungshaft für erforderlich. Es hat deshalb die Akten durch Vermittlung der Staatsanwaltschaft dem Oberlandesgericht zur Entscheidung über den weiteren Vollzug der Untersuchungshaft vorgelegt (§ 122 Abs. 1 StPO).

Der Haftbefehl war aufzuheben. Zwar besteht nach den bisherigen Ermittlungen dringender Tatverdacht und der Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO). Der Haftbefehl genügt aber nicht den besonderen Anforderungen des § 72 Abs. 1 JGG. Gebietet bereits § 112 Abs. 1 StPO ausdrücklich die Prüfung der Verhältnismäßigkeit, so dass eine Abwägung zwischen der Schwere des Eingriffs in die Lebenssphäre des Beschuldigten einerseits und der Bedeutung der Strafsache und der Rechtsfolgenerwartung andererseits zu erfolgen hat, so verlangt § 72 JGG darüber hinaus in besonderem Maße die Berücksichtigung der Belastungen des Vollzugs für Jugendliche sowie das Erfordernis der Unumgänglichkeit der einschneidenden Maßnahme Untersuchungshaft. Die Anordnung und Fortdauer der Untersuchungshaft für den jugendlichen Angeklagten setzt demnach voraus, dass sie nicht durch weniger einschneidende, jugendgemäße Sicherungsmaßnahmen (§ 71 JGG) ersetzt werden kann. Geboten ist eine sorgfältige Prüfung und Begründung im Einzelfall, um zu gewährleisten, dass der Jugendliche bis zur Grenze des Vertretbaren von Untersuchungshaft mit ihrer besonderen Belastung und seinen negativen Folgen für seine Entwicklung verschont bleibt (vgl. Senat StV 2001, 182, 183; Beschlüsse vom 21. Januar 2002 - 1 HPL 1/02 - und vom 27. Februar 2002- 1 HPL 8/02 -).

Dies ist im bisherigen Verfahren versäumt worden. Zwar führt dies nicht zwangsläufig zur Aufhebung des Haftbefehls. Denn es obliegt dem Senat, in der ersten Stufe der besonderen Haftprüfung gemäß § 122 StPO die allgemeinen Voraussetzungen der Haftfortdauer festzustellen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 45. Aufl., § 122 Rn 13). Der Prüfungsumfang umfasst auch die Subsidiarität der Untersuchungshaft im Sinne des § 72 Abs. 1 JGG (vgl. Senat a.a.O.). Der Senat hatte deshalb in seine Überlegungen einzubeziehen, ob das Gewicht der dem Angeklagten zur Last gelegten Straftat und der Rechtsfolgenerwartung unter Berücksichtigung dessen jugendlicher Persönlichkeit so schwer wiegt, dass trotz des belastenden Einschnitts und der möglichen abträglichen Folgen für seine Entwicklung die Fortdauer der Untersuchungshaft zur Verfahrenssicherung unerlässlich und durch keine schonendere Maßnahme ersetzbar ist. Dies erscheint nach Aktenlage zumindest zweifelhaft. Zwar wird dem Angeklagten mit einem Verbrechen des Raubes nach § 249 StGB eine an sich durchaus schwerwiegende Tat zur Last gelegt. Auch musste er aufgrund mehrfacher Verstöße gegen die Anstaltsordnung, die auch aggressives Verhalten beinhalteten, in der Jugendstrafanstalt mit Disziplinarmaßnahmen belegt werden, was nahe legt, dass er nur unter erheblichem Aufwand geführt werden kann. Des Weiteren geht das Jugendamt in seinem Bericht vom 5. März 2002 ( Bl. 177 d.A.) ebenfalls davon aus, dass Jugendhilfemaßnahmen nicht ausreichen, zumal sowohl er als auch sein alleinerziehungsberechtigter Vater zu keinerlei Mitarbeit bereit sind. Andererseits weist die, sowohl was Verletzungen beim Opfer als auch die erlangte Beute anbelangt, ohne schwerwiegende Folgen gebliebene Tat die typischen Merkmale einer spontanen Jugendverfehlung aus, ohne dass den Akten Vorbelastungen des Angeklagten zu entnehmen sind. Trotz der Empfehlung des Jugendamtes erscheint daher zweifelhaft, ob diese Tat zur erzieherischen Einwirkung auf den Jugendlichen bereits die Verhängung von Jugendstrafe (ohne Bewährung) erfordert, oder ob nicht doch noch Zuchtmittel i. S. d. § 13 JGG ausreichen. In letzterem Falle wäre die Fortdauer der Untersuchungshaft indessen unverhältnismäßig und ließe sich auch nicht mit generalpräventiven Erwägungen begründen (vgl. Senat, StV 99, 161).

Diese Frage kann aber letzten Endes dahinstehen; denn nachdem sich der jugendliche Angeklagte in Untersuchungshaft befand, ist das Verfahren jedenfalls nicht mit der nach § 72 Abs. 5 JGG gebotenen besonderen Beschleunigung geführt worden.

§ 72 Abs.5 JGG geht wegen der erzieherisch besonders abträglichen Untersuchungs-haft über das ohnehin geltende allgemeine Beschleunigungsprinzip hinaus. Werden die zur Beschleunigung notwendigen organisatorischen Möglichkeiten ( z. B. Abtrennung von Verfahren gegen inhaftierte Beschuldigte, Anlegen von Kopiebänden zur Erleichterung von Akteneinsicht von Verteidigern mehrerer Beschuldigter usw.) nicht genutzt, kann dies im Rahmen der Prüfung nach den §§ 121, 122 StPO zur Aufhebung des Haftbefehls führen ( vgl. HansOLG StV 83, 289; Senat, NStZ 90, 530). So ist es hier.

Es handelt sich um einen einfach gelagerten Sachverhalt, der wenig Ermittlungsaufwand erforderlich machte und der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen schon durch polizeiliche Aktenvorlage vom 27. März 2001 bekannt gemacht worden war. Zwar erscheint es vertretbar, nach Festnahme und Vernehmung des Angeklagten Nachermittlungen im Hinblick auf dessen Einlassung anzustellen, obwohl angesichts des polizeilichen Vermerks vom 7. Dezember 2000 ( Bl. 26 f d. A. ) nicht mit weiterer Aufklärung durch den Mitbeschuldigten I. zu rechnen war, der schon damals zu vereinbarten Vernehmungsterminen nicht erschienen war und dafür auch als Grund "Angst vor dem Angeklagten" angegeben hatte. Spätestens nachdem die angeordneten Nachermittlungen in der Sache keine neuen Erkenntnisse gebracht hatten und die Akten mit polizeilicher Verfügung vom 27. November 2001 an die Staatsanwaltschaft zurückgeleitet worden waren, wäre es geboten gewesen, das Verfahren gegen den wiederum nicht zur Vernehmung erschienen I. abzutrennen und im Übrigen Anklage zu erheben, denn zu diesem Zeitpunkt befand sich der jugendliche Angeklagte schon nahezu zwei Monate in Untersuchungshaft. Keinesfalls war es angezeigt, das Erwirken eines Haftbefehls gegen den Mitbeschuldigten I. oder gar dessen Ergreifung und richterliche Vernehmung, deren Zeitpunkte völlig ungewiss waren, abzuwarten. Es ist anzumerken, dass der Mitangeklagte bei seinen Vernehmungen am 8. und 11. Februar 2002 keinen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung geleistet hat, sondern bemüht war, sich selbst zu entlasten. Das Abwarten der Staatsanwaltschaft mit der Anklageerhebung bis zum 14. Februar 2002 ist unter diesen Umständen nicht hinnehmbar. Nach Eröffnung des Hauptverfahrens am 22. März 2002 sieht sich der Vorsitzende des Jugendschöffengerichts nicht in der Lage, die Hauptverhandlung vor dem 28. Mai 2002 zu terminieren, so dass die Untersuchungshaft bis dahin ca. acht Monate andauern würde. Dies ist mit dem Grundsatz der besonderen Beschleunigung des Verfahrens gemäß § 72 Abs. 5 JGG unvereinbar.

Ende der Entscheidung

Zurück