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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 12.07.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 102/04
Rechtsgebiete: OWiG


Vorschriften:

OWiG § 33 Abs. 1 Nr. 1
Zur Wirksamkeit als Unterbrechungshandlung im Sinne des § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG eines von einem ersuchten Polizeibeamten abgeänderten und zugesandten Anhörbogens an den Betroffenen.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 102/04

In dem Bußgeldverfahren

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hier: Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde

hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Stricker

am 12. Juli 2004

beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Grünstadt vom 25. Februar 2004 wird als unbegründet kostenfällig verworfen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat gegen den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts eine Geldbuße von 50 € festgesetzt. Dagegen richtet sich der rechtzeitig gestellte Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der Aufhebung des Urteils und Einstellung des Verfahrens wegen Verjährung verfolgt wird. Der damit zunächst befasste Einzelrichter (§ 80 a Abs. 2 Nr. 2 OWiG) hat das Rechtsmittel zur Fortbildung des Rechts zugelassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 OWiG) und die Sache zur Entscheidung über die zugelassene Rechtsbeschwerde gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG dem Senat in Dreierbesetzung übertragen (vgl. dazu KK OWiG § 80 a Rn 6).

Die Rechtsbeschwerde dringt mit der ausgeführten Rüge jedoch nicht durch. Der Bußgeldrichter hat zu Recht angenommen, dass die Sache bei Erlass des Bußgeldbescheids am 29. September 2003 noch nicht gemäß §§ 26 Abs. 3, 24 StVG verjährt war. Dem liegt folgender Sachverhalt zu Grunde:

Die zuständige Verwaltungsbehörde hat zunächst die Ehefrau des Betroffenen als Halterin eines Fahrzeuges ermittelt, das bei einer Radarkontrolle am 9. Juni 2003 erfasst worden war. Der an sie adressierte Anhörungsbogen vom 21. Juli 2003 ist ohne Angaben zur Sache zurückgesandt worden. Da auf dem Radarfoto eine männliche Person als Fahrer abgebildet ist, hat die Verwaltungsbehörde am 28. Juli 2003 an die Polizeiinspektion am Wohnort der Fahrzeughalterin ein Ersuchen zur Ermittlung des Fahrers gestellt. Ein Bediensteter dieser Inspektion fertigte am 6. August 2003 einen Vermerk, dass der Betroffene als Fahrzeugführer ermittelt und ihm am selben Tag ein Anhörbogen zugesandt worden sei. Der ersuchte Polizeibeamte ging dabei in der Weise vor, dass er den am 21. Juli 2003 an die Ehefrau des Betroffenen gesandte Anhörbogen aus den Akten fotokopierte, Namen und Adresse überklebte und statt dessen im Kopf des Schreibens die Daten des Betroffenen handschriftlich einsetzte. Da er den Inhalt ansonsten nicht veränderte, begann das Schreiben mit der Anrede "Sehr geehrte Frau Ebelshäuser". Unter nicht aufklärbaren Umständen wurde dem Betroffenen am 4. September 2003 eine Zeugenbefragung zugesandt.

Nach diesen Feststellungen ist die Verjährung vor Ablauf der Dreimonatsfrist durch das Versenden des Anhörbogens an den Betroffenen am 6. August 2003 gemäß § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG wirksam unterbrochen worden. Eine solche Unterbrechungshandlung erfordert keine besondere Form und muss, wie der Umkehrschluss aus den Unterbrechungsarten der nachfolgenden Nummern ergibt, nicht durch die Verwaltungsbehörde unmittelbar erfolgen; vielmehr genügen Ermittlungen durch ersuchte Polizeibeamte, an deren Qualifikation oder Beauftragung keine weiteren Anforderungen zu stellen sind (vgl. Rebmann/Roth/Herrmann OWiG § 33 Rn 5, 8). Auch durch die unsachgemäße "Bearbeitung" hat der Anhörbogen seine Geeignetheit als Grundlage der Bekanntgabe des Bußgeldverfahrens gegen den Betroffenen nicht eingebüßt. Selbst beschädigte oder grob fehlerhafte Schriftstücke sind nicht unwirksam, so lange ihre Funktion nicht durch den Mangel aufgehoben ist (vgl. LK-Jähnke § 78 c Rn 9; Lemke OWiG § 33 Rn 7). Eine Fälschung des Schriftstücks liegt nicht vor, da der Verfasser des abgeänderten Bogens davon ausgehen durfte, zu der "Umadressierung" befugt zu sein und der Adressat somit über den Aussteller (die Verwaltungsbehörde) nicht getäuscht werden sollte.

Dass der auf den Betroffenen umadressierte Anhörbogen das ursprüngliche Datum des an die Ehefrau gerichteten Schreibens behalten hat, schadet ebenfalls nicht. Der ersuchte Polizeibeamte hat die Versendung an den Betroffenen durch den Vollzugsvermerk vom 6. August 2003 aktenkundig gemacht, so dass die Tatsache und das Datum der Unterbrechungshandlung unmittelbar dokumentiert sind und sich nicht lediglich im Freibeweisverfahren oder aus der Erinnerung des Ermittlungsorgans rekonstruieren lassen (vgl. BGHSt 30, 215, 219 f; BayObLG VRS 78, 463 f).

Schließlich ergeben sich auch aus der auf den ersten Blick widersprüchlichen Fassung des abgeänderten Anhörschreibens keine Bedenken gegen die Wirksamkeit der Unterbrechungshandlung. Zwar ist zu fordern, dass die Bekanntgabe im Sinne von § 33 Abs. 1 Nr. 1 OWiG für den Adressaten inhaltlich unmissverständlich erkennen lassen muss, dass die Ermittlungen gegen ihn als Tatverdächtigen geführt werden (vgl. Senatsbeschluss vom 26. August 2002 - 1 Ss 132/02). Dies gilt insbesondere für die Identität des Betroffenen: Erforderlich ist, dass der Tatvorwurf in persönlicher Hinsicht von anderen möglichen Tatbeteiligten zweifelsfrei abgegrenzt wird (OLG Hamm NJW 1973, 1624; Göhler OWiG 13. Aufl. § 66 Rn 4). Ob dies der Fall ist, muss nach objektiven Auslegungskriterien beurteilt werden und ist nicht davon abhängig, wie der Empfänger das an ihn gerichtete Schreiben letztlich gedeutet hat. Da der abgeänderte Bogen an den Betroffenen adressiert ist und den Betreff "Anhörung als Betroffener" trägt, lässt die nachfolgende Schilderung des Tatvorwurfs nur den Schluss zu, dass sich die Ermittlungen gegen ihn richten. Die aus dem ursprünglichen Schreiben übernommene Anrede "Sehr geehrte Frau Ebelshäuser" stellt diesen Erklärungsinhalt nicht in Frage und ist als Fassungsversehen zu werten. Nach objektiver Auslegung musste deshalb ein verständiger Empfänger dem Schreiben entnehmen, dass das Bußgeldverfahren nunmehr gegen ihn als Betroffener geführt wird. Damit steht fest, dass die Zusendung des Anhörbogens die Verjährung am 6. August 2003 unterbrochen hat. Diese gesetzliche Auswirkung ist durch das später offensichtlich irrtümlich dem Betroffenen zugegangene Schreiben "Anhörung als Zeuge" nicht in Frage gestellt: Eine einmal eingetretene Unterbrechung kann durch nachfolgende Handlungen nicht rückwirkend beseitigt werden.

Die Feststellungen des objektiven und subjektiven Tatbestandes der Geschwindigkeitsübertretung, die mit der Rechtsbeschwerde nicht beanstandet werden, halten der Überprüfung stand, ebenso die Entscheidung über die Rechtsfolgen. Die zugelassene Rechtsbeschwerde war deshalb als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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