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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 29.10.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 115/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 244 Abs. 3
Zum Ablehnungsgrund des völlig ungeeigneten Beweismittels bei einem Beweisantrag auf Vernehmung von Zeugen zum Zwecke der Erschütterung der Glaubwürdigkeit des Hauptbelastungszeugen.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken - 1. Strafsenat -

vom 29. Oktober 2004 - -

1 Ss 115/04

5227 Js 31118/01 StA Frankenthal

In dem Strafverfahren gegen

wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln

hier: Revision

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Stricker am 29. Oktober 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 2. April 2004 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Strafkammer dieses Gerichts zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagte wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten mit Bewährung verurteilt. Seine Berufung hat das Landgericht durch das angefochtene Urteil als unbegründet mit der Maßgabe verworfen, dass es auf eine Gesamtgeldstrafe von 210 Tagessätzen zu je 40 DM erkannt hat. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung sachlichen und förmlichen Rechts; das zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg. Zu Recht und in der revisionsrechtlich vorgeschriebenen Form wird mit der Verfahrensrüge beanstandet, das Landgericht habe einen Beweisantrag auf Vernehmung von drei Zeugen unter Verletzung von § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO abgelehnt.

Nach der im angefochtenen Urteil enthaltenen Beweiswürdigung stützt das Berufungsgericht seine Feststellungen zu Drogengeschäften des Angeklagten hauptsächlich auf belastende Aussagen des Zeugen B., die es für glaubhaft erachtet. Es setzt sich dabei ausführlich mit Umständen auseinander, die grundsätzlich geeignet sind, die Glaubwürdigkeit dieses Zeugen in Frage zu stellen, so insbesondere mit dessen ursprünglicher Anzeige gegen Unbekannt wegen eines Anschlages mit ätzenden Flüssigkeiten, die offensichtlich keine polizeilichen Nachforschungen ausgelöst hat, da der Angeklagte "verwirrt und unter Verfolgungswahn leidend erschien"; ebenso mit dem Umstand, "erst als man ihn (den Zeugen) aufgefordert habe, eigenes Wissen über Straftaten preiszugeben, sei er dann zu entsprechenden Angaben bereits gewesen in der Erwartung, dass dann auch die Polizei ihm helfe" (Zitate S. 5 d. U.). Die Kammer sah die belastenden Angaben des Zeugen B. zudem durch die Aussage der Zeugin S. bestätigt. Dass sich diese in der Berufungsverhandlung auf eine bloße eigene Vermutung zurückgezogen habe, der Angeklagte habe mit Drogen zu tun, hat die Kammer als Entlastungsversuch zu dessen Gunsten gewertet und statt dessen auf die konkretere Aussage bei einer polizeilichen Vernehmung zurückgegriffen.

Der Angeklagte selbst hat die ihm zur Last gelegten Vergehen abgestritten. Er hat in der Hauptverhandlung die Vernehmung von weiteren Zeugen (S., S. und H.) zum Beweis dafür beantragt, dass diese nicht mir Betäubungsmitteln in Kontakt waren. Zur Erläuterung dieses Antrages ist ausgeführt, dass der Zeuge B. auch diese drei Zeugen beschuldigt hatte, mit Betäubungsmitteln, insbesondere Amphetamin und Ecstasy, zu tun zu haben, die Zeugen dies jedoch stets bestritten hätten und die gegen sie geführten Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden seien.

Das Berufungsgericht hat diesen Beweisantrag gemäß § 244 Abs.3 StPO mit folgender Begründung abgelehnt:

Mit der Vernehmung der drei Zeugen, die ebenfalls durch F. B., der jetzt als Zeuge den Angeklagten belastet, in seiner polizeilichen Vernehmung vom 20. 9. 2001 belastet worden sind, soll die Glaubwürdigkeit der den Angeklagten betreffenden Angaben B. in Frage gestellt werden.

Hierzu sind die Angaben dieser Zeugen völlig ungeeignet. Auch dann, wenn diese behaupten würden, sie selbst hätten tatsächlich nicht die von B. in seiner polizeilichen Vernehmung vom 20. 9. 2001 geschilderten "Drogengeschäfte" gehabt, ließe dies schon keine Rückschlüsse darauf zu, ob die diese Personen betreffenden Angaben B.zutreffend sind und erst recht keine Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt seiner den Angeklagten betreffenden Erklärungen

Diese Begründung trägt die Ablehnung des Beweisantrages nicht und lässt bereits ihrem Wortlaut nach ("die Angaben dieser Zeugen völlig ungeeignet") besorgen, dass die Kammer eine unzulässige Beweisantizipation vorgenommen hat. Der bemühte Ablehnungsgrund des völlig ungeeigneten Beweismittels setzt voraus, dass das zur Verfügung stehende Mittel zur sachdienlichen Aufklärung von vornherein unter keinen Umständen geeignet erscheint. Bei einem Zeugen wird man dies nur annehmen können, wenn auf prozessordnungsgemäße Weise festgestellt ist, dass er von seinem Zeugnis- bzw. Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machen wird (vgl. BGH NStZ 1982, 126 und 181) oder zu einer Wahrnehmung nicht fähig gewesen ist; unter sehr engen Voraussetzungen auch dann, wenn es ausgeschlossen erscheint, von ihm eine brauchbare Aussage zu erhalten (vgl. BGH NStZ 1993, 295 f). Umstände, die lediglich in die Beweiswürdigung zur Frage der Glaubwürdigkeit eines Zeugen einfließen können, sind dagegen nicht geeignet, dem Zeugen von vornherein jeden Beweiswert abzusprechen. Es ist vielmehr in der Rechtssprechung anerkannt, dass allein aus Gründen der Zuverlässigkeit eines Zeugen ein Beweisantrag auf seine Vernehmung nicht wegen völliger Ungeeignetheit abgelehnt werden darf (vgl. Nachweise bei Löwe-Rosenberg, StPO 25. Aufl. §244 Rn.291 f). Dem liegt das Prinzip zu Grunde, dass über den Wert eines Beweismittels erst nach Beweiserhebung entschieden werden soll (vgl. Herdegen in Karlsruher Kommentar, 5. Aufl. § 244 Rn 78). Dies muss bei der vorliegenden Verfahrensrüge zudem im Kontext mit den sachlichrechtlichen Anforderungen gesehen werden, die an eine erschöpfende Beweiswürdigung zu stellen sind. Selbst dann, wenn das bisher gewonnene Beweisergebnis eindeutig und verlässlich erscheint, darf der Versuch, das vorläufige Ergebnis durch einen Gegenbeweis zu erschüttern, grundsätzlich nicht verhindert werden. Dies gilt im vorliegenden Fall um so mehr, da das Gericht selbst Anlass hatte, erheblichen Aufwand mit der Bewertung der Glaubwürdigkeit des Zeugen B. zu betreiben; es kann dann weitere Beweismittel nicht von vornherein deshalb ablehnen, weil es ein Beweisergebnis, das diese Glaubwürdigkeit zusätzlich in Frage stellen würde und erhellen sollte, von vornherein als wertlos antizipiert. Tut es dies dennoch, so begeht es damit einen revisiblen Verstoß gegen das grundsätzliche Verbot der Beweisantizipation.

Das angefochtene Urteil kann auf dem genannten Rechtsfehler beruhen und muss deshalb aufgehoben werden (§§ 353, 349 Abs. 4 StPO); die Sache ist in die Berufungsinstanz zurückzuverweisen (§ 354 Abs. 2 StPO).



Ende der Entscheidung

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