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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 08.08.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 182/01
Rechtsgebiete: StVZO, StVO, OWiG


Vorschriften:

StVZO § 69 a Abs. 3 Nr. 25 b
StVO § 49 Abs. 1 Nr. 18
OwiG § 19
Das Führen eines Lastkraftwagens, der nicht mit dem vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbegrenzer ausgerüstet ist (§§ 69 a Abs. 3 Nr. 25 b, 57 c Abs. 2 Nr. 2 StVZO), steht in Tateinheit (§ 19 OWiG) mit einem dabei begangenen Geschwindigkeitsver-stoß (hier §§ 49 Abs. 1 Nr. 18, 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO).
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken

Beschluss

1 Ss 182/01

In dem Bußgeldverfahren gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit

hier: Rechtsbeschwerde

hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Richter am Oberlandesgericht Friemel als Einzelrichter (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OwiG)

am 8. August 2001

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 24. April 2001 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) hat den Betroffenen "wegen Verstoßes in sechs rechtlich selbständigen Fällen gegen die §§ 18 V, 49 StVO, 57 c II, 69 a StVZO i.V.m. 24 StVG" zu einer Geldbuße von 580,-- DM verurteilt. Bei der Rechtsfolgenbemessung hat das Amtsgericht für jede der Geschwindigkeitsüberschreitungen (§ 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO) eine Geldbuße von 80,-- DM und für das Führen des Fahrzeuges ohne den vorgeschriebenen Geschwindigkeitsbegrenzer (§ 57 c Abs. 2 Nr. 2 StVZO eine Geldbuße von 100,-- DM festgesetzt. Mit der gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

I.

Die Rechtsbeschwerde wird zur Fortbildung des materiellen Rechts zugelassen (§ 80 Abs. 2 Nr. 1 OwiG).

Nach den (dürftigen und unvollständigen) Feststellungen des Amtsgerichts führte der Betroffene in der Zeit zwischen dem 17. und 20. November "2001" (wohl richtig: 2000) einen Sattelzug (mit Anhänger), obwohl an dem Fahrzeug der nach § 57 c Abs. 2 Nr. 2 StVZO erforderliche Geschwindigkeitsbegrenzer nicht angebracht war und überschritt in dieser Zeit "ausweislich der bei den Akten befindlichen drei Tachoscheiben jeweils länger als fünf Minuten die zulässige Höchstgeschwindigkeit abzüglich der Toleranz um bis zu 15 km/h. und (fuhr) damit eine Geschwindigkeit von 95 km/h statt der ..... (für den Sattelzug) erlaubten 80 km/h (§ 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO)".

Zwar können dem angefochtenen Urteil (unter Verstoß gegen 46 OWiG, 264 StPO) die Tatzeiten der dem Betroffenen zur Last gelegten Ordnungswidrigkeiten im Einzelnen nicht entnommen werden, so dass nicht erkennbar ist, wie sich die insgesamt sieben Verstöße (soweit das Amtsgericht im Tenor von sechs Verstößen ausgegangen ist, liegt offenbar ein Versehen vor) auf die vier Tage verteilen, insbesondere ob an dem Fahrzeug bei jeder der Geschwindigkeitsüberschreitungen zugleich auch der vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzer fehlte. Offenkundig handelt es sich aber um mehrere Taten im prozessualen Sinne (§ 79 Abs. 2 OWiG), weil sich die an mehreren Tagen begangenen Taten aus insgesamt drei Tachographenscheiben ergeben, so dass die Zulässigkeitsschwelle von 500,-- DM (§ 79 Abs. 1 Nr. 3 OWiG) nicht überschritten wird.

Das Amtsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass sämtliche Verstöße tatmehrheitlich (§ 20 OWiG) begangen sind.Soweit die Geschwindigkeitüberschreitungen mit dem Verstoß gegen § 57 c Abs. 2 Nr. 2 StVZO zusammentreffen, ist von Tateinheit (§ 19 Abs. 1 OWiG) auszugehen.

Einer Ordnungswidrigkeit nach § 69 a Abs. 3 Nr. 25 b, 57 c Abs. 2 Nr. 2 StVZO macht sich schuldig, wer (vorsätzlich oder fahrlässig) ein Kraftfahrzeug "in Betrieb nimmt", das nicht mit dem erforderlichen Geschwindigkeitsbegrenzer ausgerüstet ist. In der Rechtsprechung ist seit langem anerkannt, dass das "Inbetriebnehmen" eines Kraftfahrzeuges nicht nur das "in Bewegung setzen" für die jeweilige Fahrt, sondern auch die unmittelbar anschließende Teilnahme am Verkehr, also das "Führen" des Fahrzeuges mit umfasst und insoweit eine Dauerordnungswidrigkeit vorliegt (BGHSt 25, 338; 27, 66; OLG Düsseldorf, VRS 92, 338 m.w.N.). Ferner wird davon ausgegangen, dass weitere Begehungsdelikte, die mit einem in Betrieb gesetzten Fahrzeug, das vorschriftswidrig ausgerüstet ist, begangen werden, mit der Dauerordnungswidrigkeit in Tateinheit stehen, wenn das Führen des mangelhaften Fahrzeuges notwendigerweise zugleich auch die Ausführungshandlung des weiteren Verstoßes gegen die Straßenverkehrsordnung darstellt (BGHSt 27, aaO; Henschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl., § 69 a StVZO, Rdnr. 9 m.w.N.). Tateinheit ist deshalb bejaht worden, beim Führen eines mangelhaft bereiften Fahrzeuges und eines dabei begangenen verbotenen Überholmanövers (BGHSt 27, aaO), beim Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit mit einem überladenen Lastkraftwagen (OLG Düsseldorf VRS 92, aaO), oder bei gleichzeitiger missbräuchlicher Benutzung von Nebelbeleuchtung (OLG Hamm VRS 51, 63) sowie dem Führen eines Fahrzeugs mit defektem Fahrtschreiber und dabei begangenem Rotlichtverstoß (OLG Hamm VRS 48, 299). Wie das Verhältnis zwischen dem Führen eines Lastkraftwagens ohne Geschwindigkeitsbegrenzer (§ 69 a Abs. 3 Nr. 25 a, 57 a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StVZO) und einem zugleich begangenen Geschwindigkeitsverstoß gemäß § 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO ist, ist - soweit ersichtlich - höchstrichterlich noch nicht entschieden. Der Senat entscheidet die Frage dahin, dass auch in diesem Falle Tateinheit vorliegt, weil die von der Rechtsprechung für die Annahme von Tateinheit in den vorgenannten Fällen gegebene Begründung, auch hier gilt. Handlungsidentität wird danach nicht schon durch die bloße Gleichzeitigkeit der Verletzung mehrerer Tatbestände bzw. dadurch bewirkt, dass gelegentlich der Dauertat zufällig andere Verkehrsverstöße begangen werden, sondern nur wenn das Dauerdelikt selbst einen tatbestandserheblichen Teilbeitrag zu der anderen Tat abgibt (OLG Düsseldorf, VRS 92, aaO, m.w.N.). Das ist hier zu bejahen. Denn eine isolierte Betrachtung der Geschwindigkeitsüberschreitung ist nicht möglich, ohne damit aus der einheitlichen Dauertat ein notwendiges Teilstück herauszulösen. Es liegt damit eine Teilidentität der tatbestandlichen Ausführungshandlungen vor, die zur Annahme von Tateinheit führt (vgl. auch BGHSt 27, aaO; OLG Düsseldorf, VRS 92, aaO, m.w.N.). Die Tateinheit herstellende Klammerwirkung ist auch im vorliegenden Fall möglich, weil der Unrechtsgehalt der Dauertat dem der Geschwindigkeitsüberschreitung entspricht. Denn bei der gebotenen konkreten Gewichtung der Verkehrsverstöße (vgl. OLG Düsseldorf, aaO) ist das Führen des Sattelkraftfahrzeuges ohne den gebotenen Geschwindigkeitsbegrenzer nicht als minderschwerer Verkehrsverstoß anzusehen, dem eine solche Klammerwirkung nicht zukommen könnte.

Das Amtsgericht wird deshalb zu prüfen haben, in wie weit eine oder mehrere der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen mit dem Dauerdelikt zur Tateinheit im Sinne von § 19 OWiG zusammengefasst werden.

II.

Darüber hinaus leidet das Urteil an weiteren Mängeln:

a) Die fehlenden Angaben der Tatzeiten führen noch zu einem weiteren Mangel: Sie bewirken, dass sich die einzelnen Geschwindigkeitsverstöße nicht voneinander abgrenzen lassen. Dem Urteil ist lediglich zu entnehmen, dass der Betroffene in einem bestimmten Zeitraum sechs Geschwindigkeitsüberschreitungen begangen haben und sich das aus drei Tachographenscheiben des Sattelkraftfahrzeuges ergeben soll. Nähere Angaben wären hier- über die vorstehend erörterte Frage hinaus - aber auch deshalb erforderlich gewesen, weil sich - insbesondere soweit Geschwindigkeitsverstöße aus ein und derselben Tachographenscheibe ersichtlich sind - regelmäßig die Problematik ergibt, ob diese Verstöße ihrerseits unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit begangen sind. Denn das liegt bei mehreren, in engem zeitlichem Zusammenhang stehenden Geschwindigkeitsübertretungen nahe, die dann zu einer einzigen materiell-rechtlichen Tat verknüpft werden. Auch deshalb sind somit Feststellungen unumgänglich, wie sich die Geschwindigkeitsüberschreitungen auf die einzelnen Tage verteilt haben, insbesondere, ob das Fahrzeug nach einer Überschreitung zum Stillstand gekommen ist und ob die einzelnen Überschreitungen auf einem jeweils getroffenen Entschluss des Fahrers beruhen (vgl. OLG Düsseldorf, VRS 94, 301 m.w.N.).

b) Es ist noch nicht einmal ausgeführt, ob sich die Verstöße auf einer der in § 18 Abs. 5 Nr. 1 StVO genannten Straße ereignet haben (vgl. zu Letzterem OLG Düsseldorf, VRS 88, 71).

c) Hinsichtlich der Verurteilung wegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 69 a Abs. 3 Nr. 25 b, 57 c Abs. 2 Nr. 2 StVZO fehlt die Einlassung des Betroffenen und jegliche Beweiswürdigung, so dass eine Überprüfung des Schuldspruchs nicht möglich ist.

Das angefochtene Urteil kann daher keinen Bestand haben und unterliegt mit den Feststellungen der Aufhebung (§§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 353 StPO). Die Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz beruht auf §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 354 Abs. 2 StPO.

III.

Für die neue Verhandlung weist der Senat darauf hin, dass sich die Behauptung des Betroffenen, der Fahrtenschreiber des Fahrzeugs habe unrichtig aufgezeichnet, wohl nur mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens widerlegen lassen dürfte. Im Übrigen muss sich das Urteil bei einem über der Geringfügigkeitsgrenze liegenden Bußgeld, dessen Grenze mittlerweile bei 500,-- DM liegt (Senat, Beschluss vom 3. Februar 1999 - 1 Ss 21/99 -) mit den wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen und der Angemessenheit des erkannten Betrages auseinandersetzen (§ 17 Abs. 3 OWiG).

Ende der Entscheidung

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