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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 188/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 329 Abs. 1
StPO § 344 Abs. 2 S. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 188/06

In dem Strafverfahren

wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis und Trunkenheit im Verkehr

hier: Revision

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Gau

am 18. Januar 2007

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil der 4. (Kleinen) Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 14. September 2006 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in zwei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Trunkenheit im Verkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr und 2 Monaten, einer Fahrerlaubnissperre von 2 Jahren und einem Fahrverbot von 3 Monaten verurteilt. Zu der auf seine Berufung auf den 14. September 2006 um 9.00 Uhr vor dem Landgericht anberaumten Hauptverhandlung ist der Angeklagte nicht erschienen, worauf sein Rechtsmittel gemäß § 329 Abs. 1 StPO verworfen worden ist. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten. Das zulässige Rechtsmittel führt zur Aufhebung des Urteils und Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.

Die Anfechtung des Verwerfungsurteils hat mit der Formalrüge zu erfolgen. Die Begründung im Verteidigerschriftsatz vom 13. Oktober 2006 genügt den gemäß § 344 Abs. 2 S. 2 StPO an diese Rüge zu stellenden Anforderungen. Diese sind nicht hoch anzusetzen, weil sich aus dem Urteil selbst die Umstände des Nichterscheinens, die dafür vorgebrachten Gründe und der Beurteilung des Ausbleibens ergeben; die nochmalige Wiedergabe der Urteilsgründe wird in diesem Fall nicht gefordert (Brandenburgisches Oberlandesgericht NStZ 1996, 249). Allerdings sind die Ausführungen der Revisionsbegründung in weiten Bereichen (insbes. familiäre Situation nach der Geburt des Kindes) für das Rechtsmittel irrelevant, da es sich insoweit nicht um Entschuldigungsgründe handelt, die dem Gericht bei Erlass des Verwerfungsurteils bekannt waren oder die es hätte erkennen können (KG NStZ-RR 2002, 218).

Nach den Urteilsgründen war der Angeklagte, der unter Belehrung über die Folgen seines Ausbleibens zur Hauptverhandlung auf 9.00 Uhr geladen war, zu diesem Zeitpunkt nicht erschienen. Sein anwesender Verteidiger hat erklärt, er habe über ein Telefonat mit der Kanzlei erfahren, dass der Angeklagte mit seiner Freundin, die als Zeugin gestaffelt auf 9.40 Uhr geladen war, erscheinen werde; er, der Angeklagte, sei davon ausgegangen, dass die Verhandlung erst um 9.40 Uhr beginne. Nach der Beurteilung der Kammer ist dieses Versehen dem Angeklagten vorwerfbar, insbesondere weil er "in hohem Maße gerichtserfahren" sei; es sei ihm zumutbar, die ihm zugegangene Ladung zu lesen und sich danach zu richten.

Ob die Erwägungen der Kammer die Verwerfung der Berufung tragen, ist fraglich, zumal Feststellungen zu konkreten Erfahrungen des Angeklagten gerade mit gestaffelten Ladungen aus diesem oder früheren Verfahren fehlen. Dies kann jedoch dahinstehen. Denn unabhängig von einem Verschulden des Angeklagten an seinem verspäteten Eintreffen geht der Senat in Übereinstimmung mit der Generalstaatsanwaltschaft davon aus, dass in der konkreten Situation die aus den Grundsätzen des fairen Verfahrens abzuleitende Fürsorgepflicht des Gerichts ein über die allgemein übliche Wartezeit von 15 Minuten hinausgehendes Zuwarten geboten hat (OLG Köln VRS 106, 297; BayObLG Beschluss vom 3. Juli 2000 - 5 St RR 188/00 - ; KG NZV 2001, 356; LR-Gössel StPO 25. Aufl. § 329 Rn. 4). Die Gründe für das nicht pünktliche Erscheinen des Angeklagten waren durch die Erklärung des Verteidigers in der Hauptverhandlung dargetan. Auch die Kammer ist davon ausgegangen, dass der Angeklagte versehentlich aufgrund der Ladung der mit ihm zusammenlebenden Zeugin den dort angegebenen Zeitpunkt als Hauptverhandlungsbeginn angenommen hat. Aufgrund der Verteidigererklärung in der Hauptverhandlung war auch mit dem Eintreffen des Angeklagten zusammen mit der Zeugin spätestens um 9.40 Uhr zu rechnen. Danach stand fest, dass sich der Angeklagte dem Verfahren nicht entziehen, sondern sich ihm stellen wollte. Zwar lag zweifelsohne eine Nachlässigkeit des Angeklagten vor. Bei der Frage, inwieweit er hierfür einzustehen hat, ist jedoch aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift des § 329 Abs. 1 StPO eine zu seinen Gunsten weite Auslegung geboten, weswegen eine Rechtsmittelverwerfung bei Nichterscheinen nur im Falle grober Nachlässigkeit oder bei Mutwillen angemessen ist. Das Verhalten des Angeklagten im konkreten Fall ist nach Auffassung des Senats nicht als grob nachlässig oder gar mutwillig einzustufen. Es wäre auch nur eine relativ kurze Zeit abzuwarten gewesen, da bis spätestens 9.40 Uhr mit dem Eintreffen des Angeklagten zu rechnen war. Dass die Terminierung am Tage der Hauptverhandlung dieses Zuwarten nicht zugelassen hätte, ergeben die Urteilsgründe nicht.

Die Verwerfung der Berufung nach § 329 Abs. 1 StPO war daher verfahrensfehlerhaft, weswegen das Urteil aufzuheben und die Sache an das Landgericht zurückzuverweisen ist.

Ende der Entscheidung

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