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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 13.12.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 222/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 397 a
StPO § 140 Abs. 2
StPO § 338 Nr. 5
StPO § 406 g Abs. 3
StPO § 406 g Abs. 4
Notwendige Verteidigung analog § 140 Abs. 2 StPO auch dann, wenn der Nebenkläger anwaltlich beraten ist.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 222/01

In dem Strafverfahren gegen

wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern hier: Revision

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Ruppert und den Richter am Amtsgericht Martin

am 13. Dezember 2001

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Amtsgerichts - Jugendschöffengericht - Zweibrücken vom 29. Mai 2001 mit den Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Zweibrücken zurückverwiesen.

Gründe:

Das Jugendschöffengericht Zweibrücken hat den Angeklagten wegen versuchten sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Mit seiner hiergegen gerichteten Revision rügt der Angeklagte die Verletzung förmlichen und sachlichen Rechts.

Das zulässige Rechtsmittel führt zu einem vorläufigen Erfolg.

Zu Recht und in der revisionsrechtlich vorgeschriebenen Form macht der Angeklagte den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO geltend, weil wesentliche Teile der Hauptverhandlung, nämlich die Verlesung des Anklagesatzes ( vgl. BGH 9, 243, 244 ), die Vernehmung des Angeklagten zur Person und zur Sache ( vgl. BGH a.a.O.) sowie die Erörterung der Vorstrafen, zumal dann wenn diese wie hier strafschärfend berücksichtigt wurden ( vgl. BGH NJW 72, 2006 ), ohne den nach § 140 Abs 2 StPO notwendigen Verteidiger stattgefunden haben.

Die Notwendigkeit der Verteidigung ergibt sich unter mehren Aspekten.

Zunächst schließt sich der Senat der Auffassung des Oberlandesgerichts Köln ( vgl. StV 1988, 100 und StV 89, 469 ) an, wonach eine Verteidigung über den Wortlaut des § 140 Abs. 2 StPO hinaus außer in den Fällen, in denen dem Verletzten nach den §§ 397 a und 406 g Abs. 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet wurde, auch dann notwendig sein kann, wenn der Verletzte (zunächst) auf seine Kosten anwaltlichen Beistand erfährt. Gleiches muss für die Fälle gelten, bei denen der Nebenkläger, ohne selbst Verletzter zu sein, anwaltlich beraten ist. Auch in solchen Fällen kann die Mitwirkung eines Verteidigers unter den Gesichtpunkten der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens geboten sein.

Vorliegend war ein Ungleichgewicht zwischen dem Angeklagten und der als Nebenklägerin auftretenden Mutter der zur Tatzeit sechsjährigen Geschädigten durch deren anwaltlichen Beistand auch konkret zu besorgen, denn diese konnte sich durch die ihrem Rechtsanwalt gegenüber zu gewährende Akteneinsicht umfassend auf die Hauptverhandlung in einem Verfahren mit einem erheblichen Schuldvorwurf vorbereiten. Dies war dem nicht mehr durch einen Rechtsanwalt verteidigten Angeklagten zuletzt verwehrt.

Im Übrigen war eine Verteidigung auch unter dem Gesichtspunkt der Schuldschwere notwendig. Zwar ist streitig, ab welcher Straferwartung in der Regel Anlass besteht, die Mitwirkung eines Verteidigers aus diesem Grund für notwendig anzusehen (vgl. Kleinknecht / Meyer-Goßner StPO, 45. Aufl. § 140 Rn. 23; KK - Laufhütte, StPO, 4. Aufl. § 140 Rn. 21 ,jeweils m.w.N. ; der Senat hat es bislang abgelehnt, eine starre Regel aufzustellen ; vgl. Beschlüsse vom 19. Juni 2001 - 1 Ss 113/ 01 -, vom 4. Nov. 1994 - 1 Ss 244/94 -, vom 6. Dez. 1991 - 1Ss 202/94 - und vom 14. Febr. 1985, NStZ 1986, 135 ). Diese Voraussetzung ist jedenfalls bei einer Straferwartung von mehr als zwei Jahren gegeben, die wegen der Zuständigkeit des Jugendschöffengerichts in einer Jugendschutzsache im vorliegenden Fall begründet war ( vgl. §§ 26, 24, 25 Nr. 2 GVG ).

In Ansehung eines im Ermittlungsverfahren erstatteten umfangreichen Gutachtens zur Glaubwürdigkeit der kindlichen Opferzeugin war ferner auch unter dem Gesichtspunkt der schwierigen Sachlage die Mitwirkung eines Verteidigers geboten ( vgl. Senat, StV 1986, 240; OLG Karlsruhe, StV 1991, 199, 200; OLG Düsseldorf, StV 1993, 237 ).

Die nicht weiter ausgeführte allgemeine Sachrüge kann dahinstehen, da das Urteil bereits auf die Formalrüge aufzuheben war.

Diese Entscheidung entspricht dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft.

Ende der Entscheidung

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