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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 29.03.2001
Aktenzeichen: 1 Ss 31/01
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 349 Abs. 2
Das Revisionsgericht ist nicht gehindert, bei der Staatsanwaltschaft die Stellung eines Antrages gemäß § 349 Abs. 2 StPO anzuregen.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 31/01 444 Js 616/96 StA Zweibrücken

In dem Strafverfahren

wegen gefährlicher Körperverletzung

hier: Revision der Nebenklägerin

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Friemel und den Richter am Amtsgericht Pick auf Antrag der Staatsanwaltschaft und nach Anhörung der Nebenklägerin

am 29. März 2001

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Revision der Nebenklägerin gegen das Urteil der 4. Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken vom 14. September 2001 wird auf Kosten der Nebenklägerin, die auch die notwendigen Auslagen des Angeklagten im Revisionsverfahren zu tragen hat, als unbegründet verworfen; die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Revisionsrechtfertigung und der Gegenerklärung des Vertreters der Nebenklage vom 28. März 2001 hat keinen die Nebenklägerin benachteiligenden Rechtsfehler ergeben (§§ 349 Abs. 2, Abs. 3, 473 Abs. 1 StPO).

Die Verfahrensweise in der Revision gibt dem Senat Veranlassung zu folgender Anmerkung:

Die Staatsanwaltschaft Zweibrücken hatte mit Anklage vom 31. Juli 1996 dem Angeklagten vorgeworfen, am 16. November 1995 eine gefährliche Körperverletzung zum Nachteil der Nebenklägerin begangen zu haben. Durch Urteil des Amtsgerichts Zweibrücken vom 24. Februar 1997 wurde der Angeklagte freigesprochen, die von der Nebenklägerin sowie der Staatsanwaltschaft eingelegten Berufungen verwarf das Landgericht Zweibrücken durch Urteil vom 18. Januar 1999. Auf die Revisionen der Nebenklägerin sowie der Staatsanwaltschaft hob der Senat durch Urteil vom 17. September 1999 das Urteil des Landgerichts Zweibrücken auf und verwies das Verfahren an eine andere Strafkammer des Landgerichts Zweibrücken zurück. Durch Urteil vom 14. September 200b verwarf das Landgericht Zweibrücken nach umfangreicher Beweisaufnahme erneut die Berufungen der Nebenklägerin sowie der Staatsanwaltschaft. Gegen diese Entscheidung wendet sich nunmehr (nur noch) die Nebenklägerin mit ihrer Revision, die sie mit der - nicht näher ausgeführten - Form- und Sachrüge begründet. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Akten dem Senat ohne Antragstellung im Sinne von § 349 Abs. 2 und 3 StPO gemäß § 347 Abs. 2 StPO vorgelegt. Nach Beratung der Revision durch den Senat erging folgende Verfügung durch den Berichterstatter:

"1. Vermerk: Die Beratung hat ergeben, dass die Revision offensichtlich unbegründet sein dürfte. Ein Antrag nach § 349 Abs. 2 StPO ist bislang nicht gestellt.

2. Abschrift von Ziffer 1 sowie Mitteilung von Ziffer 3 an Verteidiger (mit einer Abschrift für den Angeklagten) sowie an Nebenklägervertreter (mit einer Abschrift für die Nebenklägerin) formlos zur Kenntnis- und eventuellen Stellungnahme.

3. Urschriftlich mit Akten

an die Generalstaatsanwaltschaft im Hause mit der Bitte um Prüfung, ob ein Antrag gemäß § 349 Abs. 2 StPO gestellt werden kann."

In der Folge beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, die Revision der Nebenklägerin gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verwerfen, und teilte ihren Antrag entsprechend § 349 Abs. 3 Satz 1 StPO den Nebenklägervertretern mit. Diese haben sich lediglich in der Sache geäußert.

Der Senat sieht sich durch die in Form eines obiter dictum geäußerte Ansicht des Bundesverfassungsgerichts in der Entscheidung vom 27. März 2000 (NStZ 2000, 382, 383) nicht gehindert, in vorliegendem Fall gemäß § 349 Abs. 2 StPO zu verfahren.

Zwar trifft es zu, dass die Initiative für eine Verwerfung im Beschlusswege grundsätzlich von der Generalstaatsanwaltschaft ausgehen soll, (Neuhaus StV 2001, 152, 153, m. w. N.), dennoch ist es dem Revisionsgericht im Einzelfall nicht verwehrt, die Stellung eines Antrages nach § 349 Abs. 2 StPO anzuregen (so auch KG StV 2001, 153ff.). Eine solche Vorgehensweise verstößt zunächst nicht gegen den Wortlaut der genannten Vorschrift. Die mit einer Anregung versehene (nochmalige) Aktenübersendung an die Staatsanwaltschaft ist zudem nicht systemwidrig. Auch dort, wo der Staatsanwaltschaft die Verfahrensinitiatve obliegt, ist ein gerichtlicher "Anstoß" durchaus nicht prozesswidrig, der Gesichtspunkt der Verfahrensmäßigen Beschwer des Angeklagten dabei nicht ausschlaggebend (so aber offensichtlich Neuhaus aaO). Beispiele für eine derartige Kooperation von Gericht und Staatsanwaltschaft bietet das Strafbefehlsverfahren.

§ 408 Abs. 3 Satz 2 StPO setzt die richterliche Initiative zu einem abweichenden Rechtsfolgeantrag voraus ("beharrt"); bei der Überleitung der Hauptverhandlung in das Strafbefehlsverfahren gemäß § 408 a Abs. 1 StPO kann der Richter den erforderlichen Antrag der Staatsanwaltschaft anregen (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner StPO 44. Aufl. § 408 a Rn. 2). Im Verfahren der staatsanwaltschaftlichen Revision gibt der Senat gelegentlich nach Beratung der Generalstaatsanwaltschaft durch Verfügung des Vorsitzenden die Empfehlung, das "offensichtlich unbegründete" Rechtsmittel zurückzunehmen; auch gegen solche Initiativen sind bisher keine rechtlichen Bedenken erhoben worden. Die Übersendung der Akten an die Staatsanwaltschaft mit der Anregung einer Verfahrenseinstellung nach den §§ 153ff. StPO ist in der Praxis gang und gäbe.

Die Offenlegung des vorläufigen Beratungsergebnisses sowie der Aktenrückleitung an die Generalstaatsanwaltschaft beugt zudem einem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG und den Grundsatz des fairen Verfahrens vor. Der Revisionsführer ist in vollem Umfang informiert, sein Anspruch auf rechtliches Gehör durch das Anhörungsverfahren gemäß § 349 Abs. 3 StPO gesichert, eine Überraschungsentscheidung ausgeschlossen. Dass der Senat die Weichenstellung für den weiteren Verfahrensgang nach einer vorläufigen Beratung anregt, ist ebenfalls systemgerecht: Ganz gleich, ob und welchen Antrag die Staatsanwaltschaft stellt, kann der Senat erst nach Beratung in der Sache entscheiden, ob ein (vorläufiger) Erfolg der Revision den Weg der Aufhebung der angefochtenen Entscheidung durch (einstimmigen) Beschluss eröffnet (§ 349 Abs. 4 StPO), ob das Rechtsmittel ohne weiteres als unzulässig zu verwerfen ist (§ 349 Abs. 1 StPO), ob der Verfahrensweg nach Abs. 2 der Vorschrift eröffnet ist, ob in der Hauptverhandlung zu entscheiden ist oder (ausnahmsweise) eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153 Abs. 2 StPO erfolgen sollte. Trotz der Preisgabe des vorläufigen Beratungsergebnisses (etwa auch durch Anberaumung der Hauptverhandlung) wird die Stellung der Staatsanwaltschaft als vom Gericht unabhängige Behörde weder rechtlich noch tatsächlich tangiert, so dass weder gegen prozessuale Zuständigkeiten verstoßen, noch der Revisionsführer zum bloßen Objekt des Verfahrens herabgewürdigt wird (so abwegig Gieg/Widmaier NStZ 2001, 57ff.). Die in der angeführten Literatur geäußerte Besorgnis der Beeinflussung der Generalstaatsanwaltschaft missachtet geradezu deren Souveränität, die der Senat in der praktischen Zusammenarbeit mit dieser Behörde ständig erfahren darf.

Ende der Entscheidung

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