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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 12.05.2003
Aktenzeichen: 1 Ss 79/03
Rechtsgebiete: StVG, BKatV


Vorschriften:

StVG § 24
StVG § 25
StVG § 26 a
BKatV § 4 Abs. 1 Nr. 1
Ebenso wie für die Anordnung eines Fahrverbots in den Regelfällen des § 4 BKatV hat der Bußgeldrichter auch auf der Stufe der zeitlichen Bemessung dieses Verbots ein eingeschränktes Ermessen, das es ihm erlaubt, die besonderen Umstände des konkreten Falls zu berücksichtigen und vom Regelsatz des Bußgeldkatalogs abzuweichen; dieser Möglichkeit muss er sich bewusst sein und dies in den Entscheidungsgründen dort zu erkennen geben, wo Ausnahmeumstände anklingen.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ss 79/03 4082 Js 14515/02 StA Zweibrücken

In dem Bußgeldverfahren gegen

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit hier: Rechtsbeschwerde

hat der Senat für Bußgeldsachen des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Ruppert

am 12. Mai 2003

beschlossen:

Tenor:

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts Pirmasens vom 14. Februar 2003 im Rechtsfolgenausspruch mit den Feststellungen aufgehoben; in diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen fahrlässigen Überschreitens der erlaubten Höchstgeschwindigkeit außerorts um 72 km/h (§§ 41 Abs. 2 Nr. 7 i.V.m. Zeichen 274, 49 Abs. 3 Nr. 4 StVO, §§ 24, 25 Abs. 1, 2, 2 a, 26 a StVG, § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV) zu einer Geldbuße von 375 € und einem Fahrverbot für die Dauer von drei Monaten verurteilt. Dagegen richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der die Verletzung materiellen Rechts gerügt und vor allem die Anordnung des Fahrverbots beanstandet wird.

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat einen vorläufigen Teilerfolg.

Der Schuldspruch hält der rechtlichen Überprüfung Stand. Nach den Feststellungen des Bußgeldrichters sind die Voraussetzungen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen eine Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit unter den Voraussetzungen des § 25 Abs. 1 S. 1 StVG, § 4 Abs. 1 Nr. 1 BKatV erfüllt. Die neuere Rechtsprechung für die Fälle sogenannter einfacher Fahrlässigkeit ist bedacht (vgl. BGH NJW 1997, 3252).

Das Amtsgericht hat seinen Rechtsfolgeerwägungen zugrunde gelegt, dass § 4 Abs. 1 BKatV das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung im Sinne von § 25 Abs. 1 S. 1 StVO indiziert, so dass es regelmäßig der Anordnung eines Fahrverbotes als Denkzettel und Besinnungsmaßnahme bedarf (BVerfG DAR 1996, 196; BGHSt 38, 125; ständige Rechtsprechung des Senats). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen. Von der Verhängung des Regelfahrverbots kann deshalb nur abgesehen werden, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Betroffenen anzunehmen sind und deshalb der vom Bußgeldkatalog erfasste Normalfall nicht vorliegt. Somit ist der Tatrichter gehalten zu prüfen, ob der jeweilige Einzelfall Besonderheiten aufweist, die ausnahmsweise ein Abweichen von der Sanktion des Fahrverbots rechtfertigen und statt dessen eine angemessene Erhöhung der Regelbuße als ausreichend erscheinen lassen. In den Fällen des § 4 Abs. 1 BKatV können dabei sowohl außergewöhnliche Härten als auch eine Vielzahl minderer Erschwernisse bzw. entlastender Umstände genügen, um eine solche Ausnahme zu begründen (BGH NZV 1992, 117 und 286; OLG Naumburg NZV 1995, 161 und 201; BayObLG NZV 1994, 327, 370 und 487; OLG Düsseldorf NZV 1993, 37, 241 und 446; OLG Köln NZV 1994, 161; OLG Oldenburg NZV 1993, 198 und 278; OLG Karlsruhe VRS 88, 476). Im Hinblick auf dieses Regel-Ausnahmeverhältnis ist für die tatrichterliche Einzelfallprüfung, ob ein Fahrverbot zu verhängen ist oder nicht, nur noch eingeschränkt Raum (BGH NZV 1992, 286; OLG Düsseldorf NZV 1995, 161 und NZV 1993, 241; BayObLG NZV 1994, 327), wobei sich der Bußgeldrichter dieses verbleibenden Ermessensbereichs allerdings bewusst sein und dies in der Begründung seiner Sanktionsentscheidung erkennen lassen muss (vgl. BGHSt 38, 125, 136).

Die Entscheidungsgründe des angefochtenen Beschlusses werden diesen Anforderungen nicht in vollem Umfang gerecht. Zwar ist nicht zu beanstanden, dass der Bußgeldrichter nach Feststellung eines Regelfalles der fahrlässig groben Pflichtverletzung trotz sorgfältiger Prüfung keinen Ausnahmeanlass gesehen hat, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen. Diese tatrichterliche Würdigung lässt Rechtsfehler nicht erkennen und ist deshalb vom Beschwerdegericht hinzunehmen. Nachdem sich die Entscheidungsgründe in diesem Zusammenhang mit den beruflichen und wirtschaftlichen Folgen eines Fahrverbots für den Betroffenen auseinandersetzen, hätte sich die Ausnahmeprüfung jedoch nicht auf das Ob der Anordnung beschränken dürfen, sondern auch die Frage der Dauer in solche Erwägungen mit einbeziehen müssen. Zwar knüpft der Regelfall des qualifizierten Verstoßes gemäß § 4 Abs. 1 BKatV durch die Bezugnahme des Satzes 2 der Vorschrift zugleich an die Regelsanktionen der Bußgeldtabelle an, der sich der Bußgeldrichter deshalb ohne Begründungsaufwand im Normalfall anschließen kann. Im Unterschied zur Bemessung der Bußgeldbeträge, die für die im Bußgeldkatalog im einzelnen aufgeführten Verkehrsverstöße vorgesehen sind und deren Regelcharakter durch § 1 Abs. 1 Satz 1 BKatV festgelegt ist ("ist festzusetzen"), hat der Gesetzgeber den Sanktionsspielraum für Ausnahmen vom Fahrverbot in § 4 BKatV differenzierter geregelt. Zwar sind auch in den Fällen des Abs. 1 der Vorschrift die Regelsätze für die Fahrverbotsdauer nach der Tabelle im Anhang Zumessungsrichtlinien, die der Richter zu beachten hat, ohne daran jedoch ausnahmslos gebunden zu sein. Vielmehr besteht auch auf der Stufe der zeitlichen Bemessung des Fahrverbots eine eingeschränkte richterliche Entscheidungsfreiheit, die es erlaubt, jedoch nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch gebietet, die besonderen Umstände des konkreten Falls bei der Sanktionsbemessung zu berücksichtigen (vgl AG Gießen ZfSch 1999, 441 f; KG Berlin Beschluss vom 22. August 2001, 2 Ss 146/01). Auch dabei enthebt die Regelfalltechnik der Verordnung den Richter der Verpflichtung, die Angemessenheit der Fahrverbotsdauer besonders zu begründen, wenn keine besonderen Milderungsgründe ersichtlich sind. Ebenso wie bei der Frage, ob die Anordnung selbst gerechtfertigt ist, muss er sich jedoch auch bei der Bemessung der Dauer - ebenso wie bei einer etwaigen Beschränkung auf Fahrzeugarten (vgl. BayObLG DAR 1991, 110 f) - der Möglichkeit des Abweichens vom Regelsatz des Katalogs bewusst sein und dies in den Entscheidungsgründen zumindest dort zu erkennen geben, wo solche Ausnahmeumstände zugunsten des Betroffenen anklingen.

Diesen Anforderungen an die Ermessenserwägungen des Richters im Rahmen der Bemessung der Fahrverbotsdauer werden die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils nicht gerecht. Obwohl der Bußgeldrichter die Frage der wirtschaftlichen Folgen eines dreimonatigen Fahrverbots erörtert und der Betroffene in der Hauptverhandlung gerade eine solche Dauer als existenzgefährdend dargestellt hat, wird auf die Möglichkeit eines kürzeren Verbots nicht eingegangen. Es ist deshalb zu besorgen, dass der Bußgeldrichter sein Ermessen, ausnahmsweise vom Regelsatz des dreimonatigen Fahrverbots abzuweichen, übersehen hat. Kommt jedoch ein kürzeres Fahrverbot in Betracht, so wäre dies zugleich Anlass für eine Erhöhung des Bußgeldes gemäß § 4 Abs. 4 BKatV über den Regelsatz hinaus. Deshalb hat die Entscheidung über die Rechtsfolgen der Zuwiderhandlung insgesamt keinen Bestand.

Der Senat sieht sich nicht in der Lage, Geldbuße und Fahrverbot selbst festzusetzen (§ 79 Abs. 4 OWiG), da der Sachverhalt zum Zweck der Bemessung der Rechtsfolgen weiter aufgeklärt werden muss. Dazu gibt der Senat folgenden Hinweis:

Die Entscheidungsgründe lassen nicht eindeutig genug erkennen, für welchen beruflichen Arbeitskreis der Betroffene auf die Benutzung seines PKW angewiesen ist. Es ist auch unklar, ob nach der bei den Akten befindlichen Bestätigung des Arbeitgebers die Entlassung nur für den Fall der Entziehung der Fahrerlaubnis oder auch der Anordnung eines mehrmonatigen Fahrverbotes droht. Zudem wird die Vorlage des Arbeitsvertrages erforderlich sein, um auszuschließen, dass es sich bei der Bestätigung um eine bloße Gefälligkeitsbekundung handelt.

Ende der Entscheidung

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