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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Urteil verkündet am 16.08.2007
Aktenzeichen: 1 U 77/07
Rechtsgebiete: MB/KK 94


Vorschriften:

MB/KK 94 § 1 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken IM NAMEN DES VOLKES Urteil

Aktenzeichen: 1 U 77/07

Verkündet am: 16. August 2007

In dem Rechtsstreit

wegen Leistung aus einer Krankenzusatzversicherung

hat der 1. Zivilsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Morgenroth, den Richter am Oberlandesgericht Klüber und den Richter am Amtsgericht Dr. Holler auf die mündliche Verhandlung vom 8. August 2007

für Recht erkannt:

Tenor:

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 09. März 2007 geändert:

Die Klage wird (insgesamt) abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden dem Kläger auferlegt.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.

1. Entgegen der Ansicht des Erstrichters hat der Kläger in Bezug auf die streitigen Aufwendungen in Höhe von 5.700,09 € (660,00 € + 710,42 € + 4329,67 €) für seine stationäre Heilbehandlung in der Zeit vom 3.-14. Februar 2003 die von den Parteien vereinbarten Voraussetzungen für den Eintritt des Versicherungsfalls nicht nachgewiesen.

a) Der (gesetzlich krankenversicherte) Kläger nimmt die Beklagte aus einer Krankheitskostenzusatzversicherung in Anspruch. Nach dem von den Parteien vereinbarten Tarif SM9 übernimmt die Beklagte im Versicherungsfall die von der gesetzlichen Krankenversicherung nicht erstatteten Aufwendungen des Klägers für "stationäre Heilbehandlung ......." (vgl. Ziffer 1 der AVB zu den Ergänzungstarifen AM9 und SM9). Versicherungsfall ist nach den in den Versicherungsvertrag einbezogenen Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskostenversicherung (MB/KK 94) die "medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen" (§ 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 94).

Mit dem Begriff "medizinisch notwendige Heilbehandlung wird - auch für den Versicherungsnehmer erkennbar - nicht an den Vertrag zwischen dem Versicherungsnehmer und dem behandelnden Arzt und die nach diesem Vertrag geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Es wird vielmehr zur Bestimmung des Versicherungsfalls ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommt. Eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MB/KK 94 liegt somit vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (BGHZ 133, 208 zum inhaltlichsgleichen § 1 Abs. 2 Satz 1 MB/KK 76; vgl. auch BGHZ 164, 122). Ob dies der Fall ist, lässt sich nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmen (BGHZ 133, 208, 215, VersR 2006, 535).

b) Die danach erforderlichen Voraussetzungen für den Versicherungsfall "stationäre Heilbehandlung des Klägers in der Zeit vom 3. - 14. Februar 2003" stehen nicht fest.

Dahinstehen kann, ob die von den Ärzten Dr. S..../Dr. L... gewählte Therapie des Tinnitus des Klägers - eine Kombination zwischen der hämorheologischen Infusionstherapie und der hyperbaren Sauerstofftherapie - bedingungsgemäß medizinisch notwendig war. Jedenfalls rechtfertigt der Inhalt der Verhandlung und das Ergebnis der Beweisaufnahme (§ 286 ZPO) nicht die Feststellung, nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung sei es zumindest vertretbar gewesen, die stationäre Durchführung der Therapie als notwendig anzusehen. Die vom Sachverständigen Prof. Dr. V... in seinen Gutachten vom 28. Mai und 20. Oktober 2005 angesprochene Praktikabilität der stationären Behandlung kann deren medizinische Notwendigkeit in der Regel nicht nahe legen. Dass der stationäre Aufenthalt für den Kläger "bequemer" war als regelmäßige Fahrten zum Arzt zur Durchführung der Therapie mit täglichen Infusionen und "Kammerfahrten" (vgl. Stellungnahme Dr. L... vom 14. November 2004) hätte als objektiver Anknüpfungspunkt für die Beurteilung von deren medizinischer Notwendigkeit nur bedeutsam sein können, wenn - was der Kläger auch geltend macht - die damit verbundene Erleichterung geeignet gewesen wäre, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken (vgl. BGHZ 99, 228; BGHZ 133 aaO). Das hat der Kläger schon nicht schlüssig vorgetragen.

(1) Die medizinische Notwendigkeit der stationären Heilbehandlung (vgl. auch § 4 Abs. 4 MB/KK 94) ergibt sich aus einem Vergleich mit der ambulanten Behandlungsform (vgl. z.B. Schoenfeldt/Kalis in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 3. Aufl., § 4 MB/KK 94 Rn. 76). Was durch eine ambulante Therapie in gleicher Weise geheilt oder gelindert werden kann, erfordert keine stationäre Behandlung. Die stationäre Behandlung als notwendig anzusehen, wäre nur vertretbar, wenn sie nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung geeigneter erschienen wäre als die ambulante.

(2) In seinem letzten Ergänzungsgutachten vom 3. Januar 2007 hat der Sachverständige Prof. Dr. V... (HNO) ausgeführt, dass die beim Kläger angewandte Kombination von Infusionstherapie und Sauerstofftherapie mit gleichem Erfolg ambulant hätte durchgeführt werden können, wenn er "psychisch stabil" gewesen wäre. Einen die stationäre Heilbehandlung medizinisch notwendig machenden psychischen Ausnahmezustand hat - was die Beklagte mehrfach gerügt hat - der Kläger nicht substantiiert dargetan. Seine Bestürzung über die Verschlechterung des bei ihm seit längerem bestehenden chronischen Tinnitus reicht dafür allein nicht aus. Besonderheiten im privaten oder beruflichen Umfeld, die die Eignung einer ambulanten Behandlung hätten infrage stellen können, sind weder vorgebracht noch sonst ersichtlich. Dass eine - in dem (von den Ärzten Dr. S.../Dr. L... unterzeichneten) Schreiben der Klinik vom 10. April 2003 bei "Anamnese" als Angaben des Klägers wiedergegebene "depressive Stimmungslage" des Klägers über die Verschlechterung seines Tinnitus eine gerade hierauf bezogene medizinische Heilbehandlung zur Folge gehabt hätte, behauptet der Kläger nicht. Die von den Ärzten Dr. S.../Dr. L... eingeleiteten Maßnahmen bezogen sich nicht auf ein psychisches Beschwerdebild des Klägers sondern auf die Reaktivierung der Haarzellen der Gehörschnecke des Innenohres (vgl. Bl. 8/9 des Gutachtens vom 25.08.2005). Der Zeuge Dr. L... hat zwar bekundet, der Kläger sei in einem psychisch desolaten Zustand gewesen. Dennoch führte er seine auf die Wiederbelebung der Haarzellen ausgerichtete medizinische Therapie ohne psychologische Zusatzbehandlung durch. Nach seinen weiteren Angaben beschränkte sich der Zeuge vielmehr auf den Hinweis an den Kläger, er, der Kläger, müsse sich darum kümmern. Das spricht für die damalige Einschätzung des Zeugen, die vorgesehene medizinische Heilbehandlung sei bereits für sich genommen geeignet, die Krankheit des Klägers zu heilen oder zu lindern, und eine psychologische Zusatzbehandlung sei für den vorgesehenen Behandlungserfolg nicht erforderlich. Die weitere Bekundung des Zeugen Dr. L..., die Kombination der ausgewählten Therapien sei "vernünftig nur stationär zu machen", deutet darauf hin, dass damals die stationäre Aufnahme des Klägers in erster Linie der praktischen Durchführung der Heilbehandlung diente.

2. Die Berufung der Beklagten ist gleichfalls begründet, soweit sie sich damit gegen die Verurteilung zur Zahlung weiterer 373,17 € auf die Rechnung des Arztes W... vom 6. Mai 2003 wegen einer Behandlung des Klägers am 28. und 29. März 2003 wendet. Den Versicherungsfall hat die Beklagte anerkannt und auf den Rechnungsbetrag von 932,93 € 60% = 559,76 € gezahlt. Zu einer weiteren Leistung ist sie nach dem Inhalt des Versicherungsvertrags mit dem Kläger nicht verpflichtet.

a) Der Kläger hat bei der Beklagten eine Krankenkostenzusatzversicherung genommen. § 4 der in den Vertrag der Parteien einbezogenen AVB zum Tarif SM 9 regelt den Vorrang der gesetzlichen Krankenversicherung. In 4.2 ist ausdrücklich bestimmt, dass die Beklagte zu Leistungen nur verpflichtet ist, "wenn zuvor die GKV ihre Leistung erbracht hat". Hiervon weicht sie zugunsten des Klägers als Versicherungsnehmer in 4.3 für die Fälle ab, in denen die Versicherung bei der GKV endet oder die GKV während der laufenden Versicherung Leistungen ablehnt. In Nr. 4.3 ihrer AVB verspricht die Beklagte, dann u.a. auf wahlärztliche und belegärztliche Leistungen 60 % zu erstatten.

b) So verhält es sich hier. Die gesetzliche Krankenversicherung des Klägers, die ... hat die Übernahme von Kosten für die weitere stationäre Behandlung am 28. und 29.03.03 mit der Begründung abgelehnt, es habe sich bei der Klinik um eine Privatklinik gehandelt. Der Umfang der Leistungspflicht der Beklagten richtet sich deshalb nach 4.3 der AVB zu SM 9 mit der Folge, dass sie auf die Rechnung W... vom 06.05.03 die bereits geleisteten 60 % = 559,76 € zu zahlen hat.

Für die vom Erstrichter angestellten Erwägungen dazu, aus welchen Gründen die GKV ihre Leistung ablehnt, ist in Anbetracht der nach Wortlaut - Ausgangspunkt jeder Auslegung (vgl. BGHZ 121, 13; BGHR 2006, 4) - und Zweck eindeutigen Regelung kein Raum (vgl. BGHZ 25, 318, 319; NJW 2007, 1460). Dem um Verständnis bemühten Versicherungsnehmer, auf dessen Sicht es ankommt (vgl. z.B. BGHZ 84, 268; VersR 2006, 966), erschließt sich bei aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbar erfolgten Zwecks und Sinnzusammenhangs des Regelwerks, dass die von ihm genommene Zusatzversicherung Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung für den Fall der stationären Heilbehandlung lediglich ergänzt. Diesen naheliegenden Zusammenhang bringen 4.1 und 4.2 der AVB klar zum Ausdruck. 4.3 der AVB kann der Versicherungsnehmer entnehmen, dass der Versicherer ausnahmsweise unabhängig von Leistungen der GKV Versicherungsschutz gewährt, dies - als Zusatzversicherer - aber nicht zu 100 % sondern nur zu 60 %. Auf die Gründe für eine Leistungsablehnung durch die GKV soll es erkennbar nicht ankommen. Das ist nach beiden Seiten interessengerecht, weil der Versicherungsnehmer trotz der grundsätzlichen Abhängigkeit der Leistungspflicht des Zusatzversicherers von einer Leistungserbringung der GKV einen Anspruch auf Leistungen auch bei einer Leistungsablehnung der GKV hat, dieser aber eingeschränkt ist, überdies die Regelung einfach zu handhaben ist und von daher einer schnellen Abwicklung des Versicherungsfalls dient.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

4. Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, weil die Voraussetzungen hierfür (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

Ende der Entscheidung

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