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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 15.06.2009
Aktenzeichen: 1 Ws 139/09
Rechtsgebiete: StGB, StPO, StVO


Vorschriften:

StGB § 64
StGB § 67 d Abs. 5
StPO § 462 a Abs. 1
StPO § 462 a Abs. 2 Satz 2
StPO § 462 a Abs. 4 Satz 3
StPO § 463 Abs. 6
StPO § 463 Abs. 7
StVO § 140 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ws 139/09

In dem Strafvollstreckungsverfahren gegen wegen gefährlicher Körperverletzung in 2 Fällen,

hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung, hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch die Richter am Oberlandesgericht Burger, Christoffel und Süs am 15. Juni 2009 beschlossen:

Tenor: 1. Der Antrag des Verurteilten auf Bestellung von Rechtsanwältin Sina Ludwig aus Koblenz als Pflichtverteidigerin für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt. 2. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 25. Mai 2009 aufgehoben. 3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die notwendigen Auslagen, die dem Verurteilten darin entstanden sind, werden der Landeskasse auferlegt. Gründe: I. Der Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Juli 2002 im Verfahren 94 Js 533/02 wegen Raub und Raub in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Das erkennende Gericht verhängte gegen ihn unter "Einbeziehung der Entscheidung des Amtsgerichts Berlin vom 12. Oktober 2001 (210 DS 518/00)" Gesamtfreiheitsstrafen von 1 Jahr und 2 Monate und von 1 Jahr und 6 Monate und ordnete zugleich dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB an (vgl. BZR-Auszug vom 3. Februar 2009, Bl. 52 d.A.). Die angeordnete und vorab vollzogene Maßregel wurde wegen der ablehnenden Haltung des Verurteilten mit Beschluss vom 28. August 2003 für erledigt erklärt und endete am 11. September 2003. Die kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht und deren Dauer von 5 Jahren wurden unverändert beibehalten. Der der erledigten Maßregel nachfolgende Strafvollzug fand in der Justizvollzugsanstalt Tegel statt und endete im Juli 2005.

Trotz dieser Haftverbüßung trat der Verurteilte während des Zeitraums 8. bis 10. Juni 2006 erneut strafrechtlich in Erscheinung. Aufgrund dessen verhängte das Amtsgericht Braunschweig mit Strafbefehl vom 31. Januar 2007 (101 Js 44605/06) wegen gefährlicher Körperverletzung eine Freiheitsstrafe von 10 Monate, deren Vollstreckung zur Bewährung aussetzt wurde. Die Bewährungszeit wurde auf drei Jahre festgesetzt.

Das Amtsgericht Braunschweig gab mit Beschluss vom 27. März 2007 die weiteren im Rahmen der Bewährungsüberwachung zu treffenden Entscheidungen gemäß § 462 a Abs. 2 Satz 2 StPO an das Amtsgericht Speyer, in dessen Bezirk der Verurteilte wohnt, ab. Mit Beschluss vom 12. Dezember 2007 (8 a BRs 83/07) verlängerte das Amtsgericht Speyer die Bewährungszeit um 1 Jahr und 6 Monate, da das Amtsgericht Mannheim gegen den Verurteilten wegen begangener vorsätzlicher Körperverletzung u.a. mit Strafbefehl vom 27. September 2007 (503 Js 18687/07) eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu je 15, -- Euro verhängt hatte.

Die Bewährungshelferin S......., die auf aufgrund der bestehenden Führungsaufsicht im Verfahren 94 Js 533/02 für den Verurteilten zuständig war, teilte dem Amtsgericht Speyer am 3. Februar 2009 mit, dass der Verurteilte sich seit dem 21. Dezember 2008 wegen Körperverletzung zum Nachteil seiner früheren Freundin in Untersuchungshaft in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz) befindet. Wegen dieser Angelegenheit wurde der Verurteilte am 19. Februar 2009 durch das Amtsgericht Frankenthal (Pfalz) zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt (5341 Js 45113/08); das Urteil ist seit dem 27. Februar 2009 rechtskräftig. Mit Beschluss vom 15. April 2009 lehnte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) die bedingte Entlassung des Verurteilten nach Verbüßung von zwei Dritteln dieser Strafe (19. April 2009) ab. Mit Verfügung vom 29. April 2009 leitete das Amtsgericht Speyer die Akten des hier vorliegenden Verfahrens 101 Js 44605/06 an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) als "zuständiges Gericht" für den Bewährungswiderrufsantrag der Staatsanwaltschaft Braunschweig vom 22. April 2009 weiter.

Daraufhin hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) nach Anhörung des Verurteilten mit Beschluss vom 25. Mai 2009 (StVK 375/09) die im Strafbefehl des Amtsgerichts Braunschweig vom 31. Januar 2007 gewährte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten. II. 1. Dem Antrag des Verurteilten, ihm für das Beschwerdeverfahren eine Pflichtverteidigerin beizuordnen, kann nach Maßgabe von § 140 Abs. 2 StVO nicht entsprochen werden, weil die vollstreckungsrechtliche Entscheidung keine besonderen sachlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten aufweist. 2. In der Sache führt das zulässige Rechtsmittel zu einem vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) für die Entscheidung über den Bewährungswiderruf örtlich nicht zuständig ist.

Zuständig für die nachträglichen Entscheidungen im Rahmen der Bewährungsüberwachung ist die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin, in dessen Bezirk die Justizvollzugsanstalt Tegel liegt, da diese bereits vor dem Eintritt der Rechtskraft des Urteils im Verfahren 5341 Js 45113/08 und des damit erfolgten Übergangs der Untersuchungshaft in Strafhaft mit der Frage eines Bewährungswiderrufs in dem Verfahren 101 Js 44605/06 befasst war (§ 462 a Abs. 4 Satz 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 und 2 StPO). Wird gegen einen Verurteilten eine Freiheitsstrafe vollstreckt, so ist für alle den Verurteilten betreffenden nachträglichen Entscheidungen die Strafvollstreckungskammer zuständig, in dessen Bezirk die Strafanstalt liegt (§ 462 a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1, 3 StPO). Dies gilt unabhängig davon, ob während oder nach der Zeit der Inhaftierung eine Entscheidung in der Sache zu treffen ist (BGHSt 30, 223, 224). Auch nach der Entlassung des Verurteilten aus dem Strafvollzug bleibt die Strafvollstreckungskammer für alle weiteren diesen betreffenden nachträglichen Entscheidungen zuständig (§ 462 a Abs. 1 Satz 2 StPO). Ihre einmal begründete Zuständigkeit wirkt fort und endet erst dann, wenn die Vollstreckung hinsichtlich aller Verurteilungen, für die die Strafvollstreckungskammer infolge des Konzentrationsprinzips zuständig geworden ist, vollständig erledigt ist (KK-Appel StPO 6. Aufl. § 462 a Rdnr. 13 m.w.N.) oder eine anderweitige Vollstreckung im Bereich eines anderen Landgerichts stattgefunden hat (BGH Beschluss vom 6. April 2007 - 2 ARs 115/07).

Mit erneuter Aufnahme des Verurteilten in dieselbe oder eine andere (nunmehr) zuständige Justizvollzugsanstalt wird eine originäre neue Konzentrationszuständigkeit der Strafvollstreckungskammer (das kann die zuvor bereits fortwirkend zuständige, aber auch eine andere Strafvollstreckungskammer sein) begründet, die sich auf nachträgliche Entscheidungen wegen aller rechtskräftigen Verurteilungen zu Strafe (einschließlich derjenigen, deretwegen nach § 462 a Abs. 1 Satz 2 StPO Fortwirkungszuständigkeit bestand) erstreckt.

Nur soweit die fortwirkend zuständige Strafvollstreckungskammer bei Beginn des (erneuten) Strafvollzugs bereits mit einer konkreten Fragestellung befasst war, bleibt sie in Bezug auf diese Frage bis zu deren abschließenden Entscheidung neben der anderweit bestehenden Konzentrationszuständigkeit (bei ihr oder einer anderen Strafvollstreckungskammer) zuständig, weil die Vorrangregelung des § 462 a Abs. 4 Satz 3 StPO nur im Verhältnis zwischen erstinstanzlichem Gericht und Strafvollstreckungskammer gilt (BGHSt 26, 165, 166; 26, 187, 189; 26, 278, 279; 30, 189, 191; BGHR StPO § 462 a Abs. 1 Zuständigkeitswechsel 3).

Dies gilt nicht nur für die Fälle, in denen der Verurteilte von einer Justizvollzugsanstalt in einer andere verlegt worden ist, sondern auch in den Fällen, in denen er aus einer Justizvollzugsanstalt bedingt entlassen wurde und später in einer anderen eine neue Strafe verbüßt (BGHSt 30, 189, 191).

Bei Entscheidungen, die von Amts wegen zu treffen sind - wie vorliegend die Frage des Widerrufs der Strafaussetzung - wird die Strafvollstreckungskammer schon dann mit der Sache befasst, wenn Tatsachen aktenkundig werden, die den Widerruf rechtfertigen können. Schon deren Eingang bei einem Gericht, dessen Zuständigkeit für die Entscheidung gegeben sein kann, reicht aus (vgl. BGH NStZ 2000, 391; bei Kusch NStZ-RR 2000, 296). Im vorliegenden Fall wurden Tatsachen, die den Widerruf der Bewährungen in dem Verfahren 101 Js 44605/06 rechtfertigen konnten, am 3. Februar 2009 durch die Mitteilung der Bewährungshelferin, dass der Verurteilte sich wegen Körperverletzung zum Nachteil seiner Exfreundin in Untersuchungshaft befindet, bekannt. Zu diesem Zeitpunkt bestand alleine eine Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin. Mit der Aufnahme des Verurteilten in die Justizvollzugsanstalt Tegel war die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin auch für die kraft Gesetzes eingetretene Führungsaufsicht (§ 67 d Abs. 5 StGB) zuständig geworden (§ 463 Abs. 6 StPO a.F. i.V.m. §§ 462 a Abs. 1 und 4 StPO).

Dem steht nicht entgegen, dass § 67 d Abs. 5 StGB nicht ausdrücklich in dem bis 19. Juli 2007 geltenden § 463 Abs. 6 StPO a.F. erwähnt wurde. Denn es sind keine Gründe ersichtlich, den Fall des § 67 d Abs. 5 StGB anders als die sonstigen Fälle, in den Führungsaufsicht eintritt, zu behandeln (vgl.Löwe/Rosenberg/Wendisch, StPO 25. Aufl. § 463 Rdnr. 17; Bringewat, Strafvollstreckung § 463 Rdnr. 16). Die Nichterwähnung muss daher als redaktionelles Versehen des Gesetzgebers gewertet werden. Dies belegt auch der Umstand, dass in dem ab 20. Juli 2007 geltenden § 463 Abs. 7 StPO neuer Fassung, der im Übrigen der Regelung von § 463 Abs. 6 StPO a.F. entspricht, nunmehr auch § 67 d Abs. 5 StGB erwähnt ist.

Dies hat zur Folge, dass die Führungsaufsicht für die Anwendung des § 462 a Abs. 1 StPO der Aussetzung eines Strafrestes gleich steht.

Aufgrund des Konzentrationsprinzips wurde die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin auch für die Bewährungsüberwachung in dem Verfahren 101 Js 44605/06 zuständig, da wegen der andauernden Führungsaufsicht im Verfahren 94 Js 533/02 die einmal begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin noch nicht entfallen war (vgl. § 462 a Abs. 1, 4 StPO; BGHSt 28, 82). Die fehlerhafte Abgabe des Verfahren 101 Js 44605/06 vom Amtsgericht Braunschweig an das Amtsgericht Speyer und von dort an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) hat keinen Einfluss auf die kraft Gesetzes eingetretene Zuständigkeit. Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin war spätestens seit der am 3. Februar 2009 erfolgten Mitteilung der Bewährungshelferin an das Amtsgericht Speyer, dass sich der Verurteilte im Verfahren 5341 Js 45113/08 in Untersuchungshaft befindet, mit einem möglichen Bewährungswiderruf in dem Verfahren 101 Js 44605/06 befasst gewesen, da das Amtsgericht Speyer grundsätzlich für einen Bewährungswiderruf hätte zuständig sein können (vgl. BGHSt 26, 214). Aufgrund dieser Vorbefassung blieb die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Berlin trotz der seit dem 27. Februar 2009 bestehenden Rechtskraft im Verfahren 5341 Js 45113/08 und des damit einhergehenden Übergangs betreffend der in der Justizvollzugsanstalt Frankenthal (Pfalz) vollzogenen Untersuchungshaft in Strafhaft und der damit verbundenen neuen originären Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) für die konkrete Frage des Bewährungswiderrufs bis zu deren abschließenden Entscheidung zuständig. Die fehlende örtliche Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) für die Entscheidung über einen Bewährungswiderruf in dem Verfahren 101 Js 44605/06 führt daher zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses; eine Verweisung an das zuständige Gericht ist ausgeschlossen (Meyer-Goßner, StPO 51. Aufl. § 309 Rdnr. 6). Der Fall, dass das eigentlich zuständige Gericht ebenfalls im Bezirk des Beschwerdegerichts liegt, so dass eine eigene Sachentscheidung des Beschwerdegerichts erfolgen könnte, liegt hier nicht vor. Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung der §§ 467 Abs. 1, 473 Abs. 3 StPO (vgl. OLG Frankfurt Beschluss vom 7. Oktober 2004, 3 Ws 1044/04 - juris).

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