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Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 07.07.2000
Aktenzeichen: 1 Ws 324/00
Rechtsgebiete: StGB, StPO
Vorschriften:
StGB § 56 g Abs. 2 Satz 2 | |
StGB § 266 a Abs. 1 | |
StGB § 266 a | |
StGB § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 | |
StGB § 56 f Abs. 2 | |
StPO § 230 Abs. 2 | |
StPO § 153 a | |
StPO § 473 Abs. 1 |
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss
Aktenzeichen: 1 Ws 324/00
In dem Strafvollstreckungsverfahren gegen
wegen Steuerhinterziehung u. a.,
hier: Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung
hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Ohler und die Richter am Oberlandesgericht Maurer und Friemel am 7. Juli 2000
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 7. Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern vom 10. Mai 2000 wird auf Kosten des Beschwerdeführers als unbegründet verworfen.
Gründe:
Das Landgericht Kaiserslautern hat den Verurteilten am 14. Dezember 1993 wegen vorsätzlich unterlassenen Konkurses, vorsätzlichen Bankrotts, Steuerhinterziehung und Betruges unter Einbeziehung zweier weiterer Urteile des Landgerichts Kaiserslautern zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten sowie zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist, verurteilt. Hinsichtlich der zuletzt genannten Strafe ist die Bewährungszeit auf vier Jahre festgesetzt worden. Das Urteil ist seit 22. Juni 1994 rechtskräftig. Durch den angefochtenen Beschluss hat die Strafkammer die hinsichtlich der Freiheitsstrafe von zwei Jahren bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen, weil der Verurteilte in der Bewährungszeit erneut straffällig geworden sei. Dagegen richtet sich die zulässige (§ 453 Abs. 2 Satz 2 StPO) sofortige Beschwerde des Verurteilten.
Das Rechtsmittel bleibt ohne Erfolg.
Die Strafkammer war für die Widerrufsentscheidung zuständig. Die wegen der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten zunächst begründete Zuständigkeit der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Zweibrücken, in deren Bezirk die Vollstreckung erfolgte (§§ 462 a Abs. 1 Satz 1, 453 Abs. 1 Satz 1 StPO, 56 f StGB), so dass die Kammer auch nach Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung zuständig geblieben ist (§ 462 a Abs. 1 Satz 2 StPO), hat mit dem Erlass dieser Strafe am 26. Juni 1998 (BRs 59/95 LG Zweibrücken) geendet.
Die Strafkammer hat im Ergebnis zu Recht die Strafaussetzung zur Bewährung im Hinblick auf das gegen den Beschwerdeführer vor dem Amtsgericht - Schöffengericht - Eisenhüttenstadt anhängige Strafverfahren wegen Vorenthaltens von Arbeitsentgelt (Az. 24 Ls 272 Js 159/98) widerrufen.
Zutreffend ist insbesondere die Annahme der Strafkammer, dass dem Widerruf nicht entgegensteht, dass die Bewährungszeit mit dem 21. Juni 1998 geendet hat. Denn nach herrschender Meinung ist der Widerruf einer Strafaussetzung auch nach Ablauf der Bewährungszeit möglich. Eine Frist, innerhalb derer der Widerruf nach Ablauf der Bewährungszeit auszusprechen ist, sieht das Gesetz nicht vor; insbesondere gilt die Frist des § 56 g Abs. 2 Satz 2 StGB nicht entsprechend (Senat, Beschluss vom 27. Februar 1998 - 1 Ws 109/98 -). Die Ablehnung des Erlasses wird allerdings unzulässig, wenn sie ungebührlich lange hinausgezögert wird (z. B. durch Fehler der Justizorgane). Vertrauensschutzgründe können dann im Einzelfall einem Widerruf entgegenstehen (BGH NStZ 1993, 235; OLG Hamm NStZ 1998, 478). Die angefochtene Entscheidung vom 10. Mai 2000 ist jedoch - trotz des langen Zeitraums seit Ablauf der Bewährungszeit - mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar. Die Strafkammer des Landgerichts Kaiserslautern hat die Entscheidung weder ungebührlich lange hinausgezögert noch hat sich der Verurteilte in einer unzumutbaren Ungewissheit über die zu erwartende Entscheidung befunden. Der Vorsitzende der Strafkammer hat dem Verurteilten mit Verfügung vom 16. November 1998 unverzüglich mitgeteilt, dass die Entscheidung über einen Straferlass wegen des oben genannten neuen Verfahrens "einstweilen zurückgestellt" werde, und dem Beschwerdeführer damit deutlich gemacht, dass der Ausgang jenes Verfahrens die Entscheidung über den Straferlass beeinflussen könnte. In jenem Verfahren hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder am 22. Juli 1999 Anklage erhoben. Nachdem gegen den Angeklagten wegen zweimaligen Nichterscheinens zur Hauptverhandlung gemäß § 230 Abs. 2 StPO Haftbefehl ergehen musste, hat schließlich am 4. Januar 2000 die Hauptverhandlung stattgefunden. Am 17. Februar 2000 hat der Vorsitzende der Strafkammer dem Beschwerdeführer den Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft übermittelt. Unter diesen Umständen konnte der Beschwerdeführer nicht darauf vertrauen, dass die Strafaussetzung nicht widerrufen werde, auch wenn die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Zweibrücken (offenbar in Unkenntnis des neuen Verfahrens) den Rest der Strafe von vier Jahren und sechs Monaten zwischenzeitlich erlassen hatte.
Dem Widerruf steht auch nicht entgegen, dass das Amtsgericht - Schöffengericht - Eisenhüttenstadt das Verfahren in der Hauptverhandlung am 4. Januar 2000 gemäß § 153 a StPO (gegen Zahlung einer in Raten zu erbringenden Geldauflage) eingestellt hat.
Das Gericht, das über den Widerruf zu entscheiden hat, braucht nicht in jedem Fall eine rechtskräftige Verurteilung abzuwarten. Das gilt insbesondere, wenn - wie hier - aufgrund einer Verfahrenseinstellung gemäß § 153 a StPO offen ist, ob es noch zu einem Urteil kommen wird. Auch in diesem Fall ist der Widerruf nicht von vornherein unzulässig. Die im Einstellungsbeschluss ausgesprochene Zahlungsauflage mag (nach Auffassung des Amtsgerichts) geeignet gewesen sein, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung jener Taten zu beseitigen. Daraus folgt indes nicht zwingend, dass sie gleichermaßen geeignet ist, das Interesse am Widerruf der Strafaussetzung aufzuheben (vgl. hierzu auch Stree NStZ 1992, 153, 155). Allerdings kann der Widerruf nur erfolgen, wenn die Begehung der Anlasstat in einer jeden Zweifel ausschließenden Weise zur Überzeugung des Gerichts feststeht. Daraus folgt, dass in Fällen des geringsten Zweifels ein Widerruf ausscheidet, insbesondere wenn das Gericht erst eine Beweisaufnahme durchführen müsste, um die notwendigen Feststellungen treffen zu können (vgl. zu allem: BVerfG NStZ 1991, 30; KG, Beschluss vom 21. Juli 1998 - 1 AR 820/98, 5 Ws 429/98 -; OLG Köln NJW 1991, 505; Senat, StV 1985, 465; Tröndle/Fischer, StGB, 49. Aufl., § 56 f m. w. N.).
Zur Überzeugung des Senats steht zweifelsfrei fest, dass der Angeklagte jedenfalls in den Monaten Oktober 1996 bis einschließlich Dezember 1996 die in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder vom 22. Juli 1999 genannten Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitsentgelt § 266 a Abs. 1 StGB) begangen hat. Er hat in diesem Zeitraum für insgesamt 103 (in der Anklage bezeichnete) Arbeiter Arbeitnehmerbeiträge in Höhe von 136 642,15 DM nicht abgeführt. Zwar lassen sich insoweit weder der Anklageschrift noch dem Protokoll der Hauptverhandlung die (für eine Verurteilung regelmäßig erforderlichen) Angaben über das den Beschäftigten zu zahlende Arbeitsentgelt und zur Höhe des Beitragssatzes der örtlich zuständigen Krankenkasse entnehmen, was regelmäßig zur Abgrenzung notwendig ist, ob zu den Arbeitnehmern auch sog. "Geringverdiener" gehörten, bei denen der Arbeitgeber die Beiträge allein zu tragen hat und deren Nichtabführung nicht gemäß § 266 a StGB strafbar ist (BGHR § 266 a StGB, Sozialabgaben 3 und 4). Auch sind die für die Monate Oktober und November 1996 zu zahlenden Beträge zusammengefasst. Angesichts der Besonderheiten des vorliegenden Falles liegt es hier jedoch fern, die Straftaten des Beschwerdeführers anzuzweifeln, insbesondere in Frage zu stellen, ob zu seinen Arbeitnehmern auch "Geringverdiener" gehörten. Der Beschwerdeführer hat ausweislich des Protokolls des Amtsgerichts zugegeben, die Arbeitnehmerbeiträge nicht bezahlt zu haben, weil nur so viel Geld hereingekommen sei, dass die "notwendigen" Kosten hätten getragen werden können. Es besteht kein Anlass, die Glaubhaftigkeit dieses Geständnisses anzuzweifeln. Der Beschwerdeführer ist bereits wiederholt wegen ähnlicher Taten verurteilt worden und war daher mit der Frage des Abführens der Beiträge seiner Arbeitnehmer zur Sozialversicherung vertraut. Seine geständige Einlassung wurde durch die Aussage der Zeugin W, der Sachbearbeiterin der zuständigen Betriebskrankenkasse, bestätigt. Schließlich stellt auch die Beschwerdebegründung diesen Sachverhalt nicht in Frage.
Ihr Angriff zielt - wie offenbar auch das Verteidigungsvorbringen vor dem Amtsgericht - in erster Linie darauf, dass der Beschwerdeführer die Beiträge im Nachhinein im Wesentlichen erbracht habe. Der Umstand, dass er (erstmals) am 31. Januar 1997 per Scheck 140 000,-- DM nachentrichtet hat, hebt die Strafbarkeit für den Zeitraum Oktober bis Dezember 1996 auch dann nicht auf, wenn der Betrag ausdrücklich zur Tilgung des Beitragsrückstandes bestimmt war (BGHR, § 266 a StGB, Vorenthalten 1). Dabei kann dahinstehen, ob diese und nachfolgende Zahlungen des Beschwerdeführers seine Strafbarkeit für die weiteren angeklagten Zeiträume (Februar und März 1997) ausgeschlossen haben, weil es in diesen Monaten nur noch um relativ geringe Beiträge (12 449,39 DM und 6 589,62 DM) geht, auf die es hier nicht mehr ankommt.
Der Widerruf ist sachlich geboten.
Die Voraussetzungen des § 56 f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 StGB liegen vor. Die neuerlichen Straftaten innerhalb der Bewährungszeit machen deutlich, dass sich die der Strafaussetzung zugrunde liegende Erwartung künftiger Straffreiheit nicht erfüllt hat. Der Beschwerdeführer ist zum wiederholten Male wegen Nichtabführens von Arbeitnehmeranteilen (§ 266 a Abs. 1 StGB) straffällig geworden. Er musste u. a. wegen solcher Taten eine mehrjährige Freiheitsstrafe verbüßen. Schon bald nach seiner Haftentlassung meldete er im Oktober 1996 in Eisenhüttenstadt die Firma R S, Baumontage und Baustahlarmierung an. Trotz des Laufes zweier Bewährungszeiten unterließ er die ordnungsgemäße Anmeldung seiner Arbeiter bei der zuständigen Krankenkasse und zahlte von Anfang an keine Sozialversicherungsbeiträge. Erst auf mehrfaches Drängen der Krankenkasse hat er das erst Anfang Januar 1997 nachgeholt. Bereits am 27. März 1997 hat er seine Firma wieder abgemeldet. Unter diesen Umständen erscheint dem Senat bereits zweifelhaft, ob die vorläufige Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 a StPO im Hinblick auf den nicht unerheblichen Schaden und das wiederholte Fehlverhalten des Beschwerdeführers gerechtfertigt war (vgl. hierzu auch: Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl., § 153 a Rdnr. 8). Die Tat bietet jedenfalls ausnahmsweise Anlass, trotz der Verfahrensweise des Amtsgerichts die in dieser Sache gewährte Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen, da andere Maßnahmen im Sinne von § 56 f Abs. 2 StGB, insbesondere die Verlängerung der Bewährungszeit, hier nicht ausreichend wären.
Es braucht daher nicht entschieden zu werden, ob das weitere Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Kaiserslautern(Az. 6052 Js 312/99 Wi), in dem das Amtsgericht Kaiserslautern wegen (angeblich) in den Jahren 1997 und 1998 begangener Vergehen des Vorenthaltens von Arbeitnehmerbeiträgen (§ 266 a Abs. 1 StGB) und Steuerhinterziehung Haftbefehl (Az. 4 b Gs 971/99) erlassen hat, ebenfalls - wie die Strafkammer meint - geeignet wäre, den Widerruf zu begründen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.
Ende der Entscheidung
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