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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Zweibrücken
Beschluss verkündet am 23.02.2005
Aktenzeichen: 1 Ws 48/05
Rechtsgebiete: JGG, StGB


Vorschriften:

JGG § 7
JGG § 31 Abs. 1
StGB § 68 f Abs.1
Nach vollständiger Verbüßung einer Einheitsjugendstrafe tritt Führungsaufsicht kraft Gesetzes nur ein, wenn mit Sicherheit festgestellt werden kann, dass für eine der zugrunde liegenden Vorsatztaten eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verhängt worden wäre (im Anschluss an OLG Hamm NStZ-RR 1998, 61 und OLG Stuttgart Justiz 2003, 267).
Pfälzisches Oberlandesgericht Zweibrücken Beschluss

1 Ws 48/05

In dem Strafvollstreckungsverfahren

wegen schweren Bandendiebstahls u .a.

hier: Anordnung von Führungsaufsicht

hat der 1. Strafsenat des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichtes Dr. Ohler, den Richter am Oberlandesgericht Maurer und den Richter am Landgericht Schwenninger

am 23. Februar 2005

beschlossen:

Tenor:

1. Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz) gegen den Beschluss des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 31. Januar 2005 wird als unbegründet verworfen.

2. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens fallen der Landeskasse zur Last.

Gründe:

I.

Der Verurteilte verbüßt den Rest einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren, die das Landgericht Frankenthal (Pfalz) am 11. September 1995 (5114 Js 4559/95) gegen ihn wegen schweren Bandendiebstahls in 72 Fällen, versuchten schweren Bandendiebstahls in 37 Fällen, schweren Raubes und Computerbetrug in drei Fällen verhängt hat. Dabei war eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und vier Monaten wegen versuchten Diebstahls aus dem Urteil des Landgerichts Frankenthal (Pfalz) vom 8. Juni 1995 (5115 Js 3141/94) einbezogen worden, in welcher bereits eine Einheitsjugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten enthalten war, die das Jugendschöffengericht Speyer mit Urteil vom 19. Juli 1993 (119 a Js 17110/92 Ls) unter anderem wegen unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeugs in neun Fällen in Tateinheit mit Diebstahl in fünf Fällen, Diebstahls und Betruges in jeweils zwei Fällen ausgesprochen hatte. Das Strafende ist für den 3. Mai 2005 vorgemerkt.

Am 27. Januar 2005 beantragte die Staatsanwaltschaft Frankenthal (Pfalz), Führungsaufsicht für die Dauer von 5 Jahren festzusetzen.

Die Strafvollstreckungskammer hat diesen Antrag mit Beschluss vom 31. Januar 2004 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass die formellen Voraussetzungen für den Eintritt der Führungsaufsicht nicht gegeben seien, da bei keiner der zugrunde liegenden Taten die Verhängung einer einzelnen Jugendstrafe von zwei Jahren gerechtfertigt gewesen wäre.

Hiergegen wendet sich die Staatsanwaltschaft mit der sofortigen Beschwerde und bringt vor, dass nicht auf die hypothetisch zu bestimmenden einzelnen Jugendstrafen abzustellen sei, sondern der Eintritt der Führungsaufsicht von der Höhe der tatsächlich verhängten Einheitsjugendstrafe abhänge.

II.

Die zulässige Beschwerde der Staatsanwaltschaft bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Nach den §§ 7 JGG, 68 f Abs. 1 StGB setzt der Eintritt von Führungsaufsicht kraft Gesetzes die vollständige Vollstreckung einer Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren wegen einer vorsätzlichen Straftat voraus. Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass es hierfür allein nicht ausreichend ist, wenn erst mehrere Vorsatztaten eine Einheitsjugendstrafe von mindestens zwei Jahren begründen.

Im Bereich des Erwachsenenstrafrechts hat der Senat bereits in der Vergangenheit entschieden, dass bei vollständiger Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB nur dann eintritt, wenn dieser mindestens eine Einzelstrafe von wenigstens zwei Jahren wegen einer vorsätzlich begangenen Tat zugrunde liegt (Senat, MDR 1986, 870; ebenso OLG Bamberg, NStZ-RR 2000, 81; KG NStZ-RR 1999, 138; OLG Hamm, NStZ 1996, 407; OLG Köln, NStZ-RR 1997, 4; OLG Naumburg, MDR 1995, 85; OLG Stuttgart, NStZ 1992, 101; S-S-Stree, StGB 26. Aufl., § 68 f Rdnr. 4; LK-Hannack, StGB 11. Aufl., § 68 f Rdnr. 14 jew. m. n. N.). Diese Frage wird nicht einheitlich beantwortet; vielmehr soll nach der Gegenmeinung auch die vollständige Verbüßung einer Gesamtfreiheitsstrafe die Führungsaufsicht nach § 68 f StGB nach sich ziehen (OLG Düsseldorf, JR 2004, 163; OLG Hamburg, NStZ-RR 1996, 262; OLG Nürnberg, NStZ-RR 1998, 124; Lackner/Kühl, StGB 25. Aufl., § 68 f Rdnr. 1; MK-Groß, StGB § 68 f Rdnr. 5; Tröndle/Fischer, StGB 52. Aufl., § 68 f Rdnr. 3, jew. m. w. N.). Begründet wird diese Auffassung mit dem bei Einführung der Vorschrift des § 68 f StGB verfolgten kriminalpolitischen Ziel, mit der Führungsaufsicht Eingliederungsschwierigkeiten nach einem längeren Strafvollzug entgegenzuwirken. Dieses Bedürfnis sei unabhängig davon gegeben, ob eine Gesamtfreiheitsstrafe oder eine Einzelstrafe von mindestens zwei Jahren verbüßt worden ist.

Diese Argumentation vermag nicht zu überzeugen. Bereits der Wortlaut des § 68 f Abs. 1 StGB, wonach eine Freiheitsstrafe von mindestens zwei Jahren verbüßt sein muss, spricht eindeutig dafür, dass es sich hierbei zumindest auch um eine Einzelfreiheitsstrafe handeln muss. Dies ergibt auch ein Vergleich mit dem nahezu identisch lautenden § 66 Abs. 1 StGB, der nach einhelliger Auffassung die Anordnung einer Sicherungsverwahrung nur dann zulässt, wenn in eine Gesamtstrafe wenigstens eine mindestens zweijährige Einzelfreiheitsstrafe wegen einer Vorsatztat einbezogen worden ist (Tröndle/Fischer aaO, § 66 Rdnr. 4 m. w. N.).

Darüber hinaus wird aus der Beschränkung des § 68 f Abs. 1 StGB auf Vorsatztaten deutlich, dass nur schwere Taten den Eintritt der Führungsaufsicht kraft Gesetzes auslösen sollen. Dagegen kann allein die Dauer eines Freiheitsentzuges den Eintritt der Führungsaufsicht nicht rechtfertigen. Denn das sich daraus ergebende Bedürfnis nach Wiedereingliederungshilfe ist im Falle der Verbüßung einer über zweijährigen Freiheitsstrafe wegen Fahrlässigkeitstaten in gleichem Maße gegeben, ohne dass die Voraussetzung für den Eintritt der Führungsaufsicht nach § 68 f Abs. 1 StGB erfüllt wären. Auch in den Fällen der so genannten Anschlussvollstreckung mehrerer wegen Vorsatztaten verhängter kurzfristiger Strafen über die Dauer von mindestens zwei Jahren besteht ein kriminalpolitisches Bedürfnis, den Verurteilten nach seiner Entlassung zu unterstützen. Trotzdem werden diese Fälle unzweifelhaft nicht von § 68 f Abs. 1 StGB erfasst.

Die Beschränkung der Anwendung des § 68 f Abs. 1 StGB auf Einzelfreiheitsstrafen ergibt sich ferner aus dem Zweck und dem besonderen Gewicht dieser Maßregel. Zwar lässt sich weder aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift noch aus den Gesetzesmaterialien der Vorrang eines der beiden sich aus der Doppelfunktion der Vorschrift ergebenden Gesetzesziele, nämlich der Sozialisierungshilfefunktion einerseits und der Sicherungsfunktion andererseits (vgl. zum Ganzen: BVerfG NStZ 1981, 21) herleiten. Es kann jedoch nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Führungsaufsicht als Instrument der Überwachung mit massiven Eingriffen in die Freiheitsrechte der Betroffenen einhergeht. So können nach § 68 b Abs. 1 StGB Weisungen erteilt werden, die nachhaltig in die Lebensführung eines Verurteilten eingreifen. Die Nichtbefolgung dieser Weisung kann zudem eine neuerliche Bestrafung nach § 142 a StGB zur Folge haben. Einschränkungen von solcher Intensität lassen sich nur dann rechtfertigen, wenn der Verurteilte schwere Straftaten mit erheblichem Unrechtsgehalt begangen hat. Derartige Straftaten finden ihren Niederschlag aber regelmäßig in der verhängten Einzelstrafe, während eine noch so hohe Gesamtfreiheitsstrafe nicht geeignet ist, Aufschluss über die Schwere der zugrunde liegenden Taten zu geben (OLG Köln, NStZ-RR 1997, 4, 5 m. w. N.). Auch vor diesem Hintergrund verbietet sich eine extensive Auslegung der Vorschrift des § 68 f Abs. 1 StGB.

Dies gilt im Jugendstrafrecht gleichermaßen, weil der bei Jugendstrafen ebenso wie bei Freiheitsstrafen anzuwendende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz den mit der Führungsaufsicht verbundenen Eingriff in die Rechtsstellung des Verurteilten nur bei Straftaten mit erheblichem Unrechtsgehalt erlaubt. Deshalb reicht eine Einheitsjugendstrafe von zwei Jahren und mehr allein für den Eintritt der Führungsaufsicht nach § 68 f StGB i. V. m. § 7 JGG nicht aus. Vielmehr muss festgestellt werden, dass bei einer zugrunde liegenden Vorsatztat mindestens eine Jugendstrafe von zwei Jahren verwirkt worden wäre (OLG Stuttgart, Justiz 2003, 267; OLG Dresden, OLG-NL 2004, 283, 285; OLG Hamm, NStZ-RR 1998, 61; LG Hamburg, StV 1990, 508; Eisenberg, JGG 10. Aufl., § 7 Rdnr. 33; Brunner/Döllinger, JGG 10. Aufl., § 7 Rdnr. 11, jew. m. w. N.). Das von der Gegenmeinung vorgebrachte Argument des im Jugendstrafrecht im Vordergrund stehenden Erziehungsgedankens (OLG München, NStZ-RR 2002, 183; Diemer/Schworeit/Sonnen, JGG 4. Aufl., § 7 Rdnr. 7; Ostendorf, JGG 4. Aufl., § 7 Rdnr. 14 jew. m. w. N.) vermag nicht zu überzeugen. Denn § 7 JGG verweist lediglich auf § 68 f StGB, für dessen Anwendung bei Zugrundeliegen einer Jugendstrafe keine strengeren Voraussetzungen als im Erwachsenenstrafrecht gelten können. Zwar erlaubt § 31 Abs. 1 JGG für das Jugendstrafrecht nur eine hypothetische Feststellung der "Einzeljugendstrafe". Dieses faktische Problem lässt sich aber auch mit der Anknüpfung an eine Einheitsjugendstrafe von mindestens zwei Jahren nicht umgehen. Erfasst diese Einheitsjugendstrafe nämlich Vorsatz- und Fahrlässigkeitstaten, ist auch nach der Gegenmeinung eine hypothetische Bewertung dahingehend erforderlich, ob die Vorsatztat für sich eine Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren nach sich gezogen hätte (OLG München aaO). Daran wird außerdem deutlich, dass auch im Jugendstrafrecht dem Argument der Vollzugsdauer und dem damit verbundenen Erfordernis der Wiedereingliederungshilfe keine durchgreifende Bedeutung zukommt, da auch hier bei Fahrlässigkeitstaten, unabhängig von der Zeitdauer des Vollzuges, Führungsaufsicht nicht eintreten kann.

Um bei der hypothetischen Festlegung einzelner Jugendstrafen eine größtmögliche Rechtssicherheit und Rechtsklarheit zu gewährleisten und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ausreichendem Maße Rechnung zu tragen, ist es erforderlich, dass für mindestens eine der zugrunde liegenden Vorsatztaten die Verhängung einer Jugendstrafe von weniger als zwei Jahren mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann (OLG Dresden, OLG-NL 2004, 283, 285).

Ende der Entscheidung

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